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der Gesamthandel mit der Union im Jahre 1902 die Summe von 275 Millionen Dollars oder 1169 Millionen erreichte, was etwa einem Achtel der gesamten Einfuhr und Ausfuhr der Union gleich kommt und ebenso auch beinahe ein Achtel des deutschen Gesamt handels bedeutet. Diese großen Zahlen wurden wohlgemerkt erreicht, obwohl das Schutzzollsystem der Vereinigten Staaten mancher auf den Export angewiesenen Industrie Deutschlands schwere Hindernisse bereitete. Haben nun zwar auch im Laufe der letzten zehn Jahre infolge der veränderten Zollpolitik manche starke Ver schiebungen mnerhalb der einzelnen wichtigen Zwejge der Ein- und Ausfuhr stattgefunden, so gestattet doch ein Blick auf die Zahlen der Handelsstatistik einen Wahrscheinlichkeitsschluß auf die jenigen Handelsartikel, in denen Deutschland infolge der Aus stellung den Markt behaupten und erweitern dürfte. Mit Recht hat man bei -er Auswahl der auszustellenden Gegenstände von einer Massenanhäufung alles dessen, was Deutsch land produziert, abgesehen. So hat, um nur ein Beispiel anzu führen, die preußische Staatsbahnverwaltung zwar ihre neuesten Dchnellzugslokomotiven und das sonstige Zugsmaterial ausgestellt, mit dem vor wenigen Wochen mittels Dampfkraft auf der Militär eisenbahn Marienfelde-Zossen eine Geschwindigkeit von 137 Kilo meter pro Stunde erreicht wurde. Im übrigen aber hat unsere Eisen- und Kohlenindustrie hinsichtlich riesenhafter Maschinen, mit denen sie auf der Pariser Ausstellung gerechtes Aufsehen, erregte, eine weise Zurückhaltung gegenüber einem Lande beobachtet, das wie Nordamerika gerade auf diesem Gebiete Ungeheures leistet und die deutsche samt der englischen Konkurrenz binnen absehbarer Zeit unweigerlich überflügelt haben wird. Um so glänzender sind die Aussichten Deutschlands auf dem Gebiete der chemischen Industrie, die bekanntlich in ihrer Art die erste der Welt ist und im Jahre 1902 für Farbstoffe, Kalisalze und andere Chemi kalien nicht weniger als siebzig Millionen Mark von den Vereinigten Staaten eingenommen hat. Aehnlich günstig liegen für Deutschland die Verhältnisse hinsichtlich der Ausfuhr von BaumwolÜvaren, Luchen und Seidenfabrikaten sowie Lederwaren. Auch in Porzelkmen und Glaswaren sind die Aussichten günstig und daß unsere deutsche Spielwarenindustrie um Sonneberg im Thüringer Walde und an anderen Orten, dank ihrem Bestreben, auf den Geschmack -er amerikanischen Käufer einzugehen, jenseits des großen Wassers Abnehmer von derartigen Waren im Werte von 20 Millionen Mark hat, ist noch lange nicht das höchste, was unser Handel in dieser Richtung erreichen kann. Auch Bücher und Kunst werke find Artikel, die in der Union noch eines viel größeren Absatzes fähig find als bisher. Die Bedeutung der Weltallsstellung für die deutsche Kunst und die Künstler kann hier nur gestreift werden. Der unerquick liche Streit, der in den letzten Monaten in Deutschland wegen der ^sachlichen oder angeblichen Zurückdrängung und Ausschließung jener modernen Richtung getobt hat, die unter dem dehnbaren Be-! griff der Sezession zusammengefaßt wird, macht hier der unpartei ischen Beurteilung die äußerste Zurückhaltung zur Pflicht. Die leb hafte Beachtung, welche die deutsche Kunst seit einer verhältnis mäßig recht kurzen Zeit bei den in Kunstangelegenheiten gänzlich auf den Schultern Europas stehenden Amerikanern findet, gibt der Hoffnung Raum, daß auch hier für Deutschland ein Markt zu er-! obern ist. Ganz besondere Beachtung aber fordert die Stellung der deut schen Wissenschaft auf der Ausstellung. Die Ehrungen, denen Deutschland in dieser Hinsicht dort entgegengeht, betreffen aber nicht nur unser Vaterland im engeren Sinne der schwarz-weiß-roten Grenzpfähle, sondern gelten ebenso sehr auch unseren Stammes- ! brüdern in Oesterreich, in dessen Hochschulen, so sehr Tschechen, Polen, Slowenen uNd andere interessante Völkerschaften dagegen auch Ein spruch erheben mögen, die Lust des deutschen Geistes weht. Auf Anregung des Professors Hugo Miinsterberg, der früher in Freiburg eine Lehrkanzel für Philosophie inne hatte und seit einer Reihe von Jahren an der Harvard-University in Cambridge (Massachusets) über Psychologie liest, findet nämlich in den Tagen vom 19. bis 25. September in St. Louis der schon mehrfach be sprochene „International Congreß of Arts and Science" statt, zu dem die berühmtesten Gelehrten des Erdballs Einladungen erhalten haben. Das gemeinschaftliche aller Spezialwissenschasten soll da durch zum Ausdruck kommen, daß man keine zersplitterten Spezial- Kongresse abhält, sondern das gesamte Gebiet des menschlichen *) Aus der Gedichtsammlung „Scherz und Schmerz" von Otto Michaeli (Verlag der Deutschen Berlagsanstalt „Concordia" in Berlin). Wissens in Abteilungen und Unterabteilungen zerlegt, die min destens mit zwei anderen die Grenzen gemeinsam haben. Nach Münsterbergs Plan hat man deshalb den Kongreß in 2 „Parts", 7 „divisions", 24 „departements" und 129 „sections" zerlegt, in denen 314 Vorträge mit anschließenden Diskussionen gehalten werden sollen. Es würde zu weit führen, die ganze Einteilung hier entwickeln zu wollen und genügt deshalb hier anzuführen, -aß in der ersten „Part", den theoretischen Wissenschaften in der ausführ lichsten Weise die mit positiven Erscheinungen beschäftigten Natur- und Geisteswissenschaften, Physik, Chemie, Astronomie, Geographie, Geologie und alle mit der Beschaffenheit des Erdballs in Ver bindung stehenden Disziplinen, ferner Biologie und Anthropologie zur Behandlung kommen, woran sich als Geisteswissenschaften Psychologie und Soziologie schließen. Im Gegensatz hierzu soll die zweite Abteilung der normativen un- historischen Wissenschaften Philosophie, Mathematik und alles Geschichtliche enthalten. In jeder der 129 Sektions sollen auswärtige Gelehrte zum Wort kommen und es ist bezeichnend für die Wertung der deutschen Wissen schaft, daß von den 114 für Europa in Aussicht genommenen Red nern nicht weniger als 50 auf Deutschland und 8 auf Oesterreich- Ungarn entfallen, wogegen sich England mit 26, Frankreich mit 20, Italien mit 3,Schweiz, Rußland und Holland mit je 2 Rednern be gnügen müssen. Jeder aus Europa eingeladene Redner erhält eine Reisekostenentschädigung im Betrage von 500 Dollar. Aus einem be sonderen Fonds wird ferner die Drucklegung sämtlicher Vorträge in deutscher, englischer und französischer Sprache bestritten. Dieses Sammelwerk wird sich also zu einem großartigen Denkmal mensch lichen Wissens gestalten, zu dem deutsche Gelehrte wertvolle Bausteine zusammentragen. , - Spatzenmoral. Von Otto Michaelt.*) „Bleib sitzen auf dem Blütenbusch! Bleiv sitzen auf dem dürren Ast! Entflatt're nicht mit leichtem Husch, So lang du noch ein Nestchen hast." Der alte Spatz betont den Satz. Das junge Vöglein piepst ihm nach. Verstohlen lugt die schwarze Katz' Herüber von des Nachbars Dach. Der jüngste Sohn siel aus dem Nest: Der Kater kam und fraß ihn auf. Die andern saßen eng gepreßt Und hörten nicht zu jammern auf. Der Aelteste, ein Tunichtgut, Flog auf den Birnbaum keck hinaus Und pfiff: ,>Ich bin ein junges Blut!" Und meidet seiner Alten Haus. Und kost mit dem und jenem Schatz, Und Elternwort und Zeit verrinnt, Doch schließlich sitzt der junge Spatz Im Nachbarnest mit Weib und Kind. Und liebt sein Nest und seinen Ast, Und sei er grün, und sei er kahl, Und pfeift, zeugt Kinder ohne Rast, Und schwärmt für Ehe und Moral. Sein Jüngster aber macht ihm Not. Das ist ein grüner Optimist Und findet sicher noch den Tod Durch Katzen- oder Spatzettlist. Und siehe, er gedenkt mit Reu' An seines alten Vaters Wort, Und aus des Jungen Nest aufs neu. Pfeift'S fort und fort, in einem fort: „Bleib sitzen auf dem Blütenbusch, Bleib sitzen auf dem dürren Ast! Entflatt're nicht mit leichtem Husch, So lang du noch ein Nestchen hast." Ihre Augen waren geschlossen, aber ihr Antlitz drückte nicht nur einen unaussprechlichen Frieden, sondern auch ein solches Glück aus, wie es auf der Wiese des Lebens nicht einmal die Liebe dpendst./ . Bei diesem Anblick sprachen die Ueberlebenden zu einander: „Süßer und besser ist das Land des Schiwa . . Und immer zahlreicher wanderten sie auf das andere Ufer hinüber. Wie in feierlichem Reigen wallten dahin Greise und reife Männer mit ihren Frauen, Mütter, die an den Händen zarte Kinder führten, Jünglinge und junge Mädchen, und bald drängten sich Tausende und Millionen zu dem stillen Uebergang, bis sich die Wiese des Lebens fast ganz entvölkerte. Da erschrak Wischnu, dessen Aufgabe es war, das Leben au hüten, über seinen eigenen, im Zorn erteilten Rat, und da er nrcht wußte, was zu tun sei, wandte er sich an Brahma, den Allerhöchsten. „Schöpfer", rief er, „rette das Leben! Siehe, du hast das Reich des TodeS so hell, schön und glücklich gemacht, daß alle mein Land verlassen." „Ist dir niemand mehr geblieben?" fragte Brahma. „Nur ein Jüngling und ei« junges Mädchen, Herr, die ein ander unerrdlich lieben und auf den ewigen Frieden verzichtet haben, um die Augen nicht schließen zu müssen und einander werter «rfchauen zu können." . „Was willst du also?" „Mache das Land des Todes weniger schön und glücklich, denn sonst folgen auch diese beiden den anderen, sobald der Frühling ihrer Liebe vorüber rst." Brahma überlegte eine Weile und antwortete dann: „Nein! ich will dem Reiche des Todes von seiner Schönheit und seinem Glück nichts nehmen, aber ich will etwas anderes schaffen, damit das Leben nicht zu Grunde geht. Die Menschen müssen wie bisher auf die andere Seite hinüberwandern, aber sie werden es nicht mchr gern tun." Bei diesen Worten wob er aus Finsternis einen dicken, un durchdringlichen Vorhang, und dann schuf er zwei grausige Wesen, den Schmerz und die Angst, und befahl ihnen, den Uebergang mir dem Vorhang zu verdecken. Von diesem Augenblick an sproßte auf der Wiese des Lebens wieder neues Leben, denn obwohl das Reich des Todes ebenso hell, friedlich und glücklich blieb wie zuvor, fürchteten die Menschen den Uebergang.