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Und dann stand er auf der Straße. SaS nun? Zwei »ege waren ihm offen. Der eine: er führte zur Srotzbeerenstraße in sein Heim, an seinen Schreibtisch, führte in »en Tod. Der andere: oh, ein schwerer «eg, et« »eg der Demütigung. Ader, lieber sich demütigen lasten als sterben! Lieber «in schweres Kreuz auf sich nehmen — eS würde ja doch nur vorübergehend sein -^als eine Äugel in den Kops jage«. Er wurde bei Bankier Hassel gemeldet. Hassel ließ ihn gleich vor. »Gut, daß Sie kommen — ich habe MU Ihnen ru sprechen.' Sun Son Nedwitz war erstaunt, bestürzt. »eShalb diese Förmlichkeit kl »eshalb hatte Hassel geflissentlich seine zum Trutz dar gereichte Hand übersehen? Lo war die sonst bei Hassel gewohnte derb-gemütlich« Herzlichkeit geblieben? »Sie haben mit mir zu sprechen?' .Jawohl, Herr von Redwitz! Ich bitte Sie, mir Auf schluß übe, Ihre Schulden zu geben.' Der. an den diese Bitte gerichtet war, fuhr zusammen, guckte groß auf. Eine breite Aergerfatte wurde auf seiner Stirn bemerkbar. Sein Blut geriet in wUde Wallung. Mußte er sich diesem verhör unterwerfen? Mußte er sich diese Behandlung gefallen lassen? Ja, ja, er durste sich nicht zur Wehr setzen. Und über haupt: War er nicht selbst eigens zu dem Zweck her gekommen. um mit Hassel über seine Schulden oder rich tiger über deren Tilgungsmöglichkeil zu sprechen? Wenn er es sich also richtig überlegte, mutzte er sogar sroh sein, daß Hassel eS ihm durch sein brüskes Vorgehen erspart hatte, seinerseits in der peinlichen Angelegenheit die Ini tiative zu ergreifen. Rach einer kleinen Pause ant wortete er: .Aufschluß über meine Schulden? Ich weiß nicht —' .Sie wissen, Herr von Redwitz, daß ich immer schnur- -eraveaus meinen Weg gehe. Wir wollen uns auch heute nichts gegenseitig vormachen. Lassen Sie es sich gesagt fein: Ich bin über Ihre finanzielle Lage ziemlich genau im BUde. Um es kurz zu machen: Ich bin bereit, Ihre sämtlichen Schulden zu begleichen, aber nur unter zwei Voraussetzungen: die eine geht dahin, daß Sie nicht etwa — sagen wir mal — hm — aus Schamgefühl nur «inen TeU Ihrer Verbindlichkeiten angeben. Und die andere Voraussetzung —' Hassel stockte für die Dauer eines Augenblicks, um dann, den Blick fest auf Kurt von Redwitz gerichtet, fortzu fahren: .— ist die, daß Sie sich mit der Aufhebung des Ver löbnisses einverstanden erklären.' Der Bankier hatte geglaubt, diese Eröffnung würde auf sein Gegenüber wie ein Keulenschlag einwirken, und er war deshalb nicht wenig erstaunt, daß Kurt von Redwitz nicht wie aus allen Wolken gefallen vor ihm stand, sondern eine zweisellos nicht echte» dafür aber gut gespielte Ruhe zur Schau trug. Die Worte des Bankiers Hassel hatten Kurt von Redwitz tatsächlich nicht sonderlich berührt. Was brachten sie ihm denn auch wesentlich Neues? Datz ihm Helene »der besser gesagt deren Mitgift ver lorengehen würde, darüber war er sich schon seit langem klar. Rach allem Voraufgegangenen hatte er an die ent gegengesetzte Möglichkeit nicht mehr zu denken gewagt. Andererseits: Hassel wollte seine Schulden bezahlen. Was konnte er mehr verlangen? War das nicht ein Grund, sich zu freuen, statt erzürnt-erregt zu werden? ^Zch bi« mit Ihren Bedingungen einverstanden, Herr Hassel.' Was sollt« er sich »och in lange Worts« chtrreien ein lass»? Dem entschlossenen Ausdruck auf dem Gesicht deS Gegenübers war eS ja deutlich abzulesen, datz jedes weiter« Won vergeblich sein würde. Wie mochte übrigens Hassel die Wahrheit über seine Lage erfahren haben? Sollte jemand es ihm erzählt haben? Der Lange vielleicht? Rein, der war wohl zu an ständig dazu. Oder Steinbach? Dem wäre eS schon eher zuzutrauen. Im Augenouck sollte ihm das aber völlig gleich -ein Wenn er nur aus seiner Finanzklemme herauskam» .Ich denke, Herr von Redwitz, wir behandeln »ie An gelegenheit wie ein Geschäft. Dann braucht keiner von uns sich zu scheuen und jede« Wort auf die Waagschale ,u legen.' Hassel schloß aus dem Schweigen deS anderen auf dessen Zustimmung. «Dann bitte ich also nochmals um Aufklärung über Ihre Verpflichtungen.' Das .Geschäft' war in der Zeit von einer knappen Viertelstunde erledigt. Beide Parteien waren befriedigt. Kurt von Redwitz war froh, seine Sorgen los zu sein. Hassel freute sich, sein Kind noch in zwölfter Stunde vor einer schweren Gefahr bewahrt zu haben. Er sah von seinem Fenster aus eine Zeitlang der schnell stratzenabwäris schreitenden Gestalt des Herrn von Red witz nach. Ein Gefühl des Ekels stieg in ihm aus über die Charakterverdorbenheit dieses Menschen. Nur ein Unangenehmes hatte der Gang der Dinge nun für ihn zur Folge. Er würde jetzt an seine Frau schreiben müssen. Den Bries wollte er so sachlich wie möglich halten. Aber er würde nicht an dem Eingestäno- nis vorbeikommen, daß er — wieder einmal! — unrecht und einen falschen Weg beschritten hatte, ohne die Mah nungen seiner Frau beachtet zu Haden. Ja, ja, und das würde seine Luise ihn auch spüren lassen, nicht etwa in verletzender Form, dazu war sie zu feinfühlig, sondern einfach dadurch, datz sie überhaupt nicht von seinem Fehler redete. Und gerade die stummen Vor würfe seiner Frau waren etwas, was er besonders schlecht vertragen konnte. Ein saurer Apfel — dieser Brief! Aber daran vorbeidrücken konnte er sich nicht! Und! wollte er auch nicht I Es ging ja um das Wohl des Kindes I . * Anderthalb Jahre später. Das Leben in der Familie Hassel hatte sich nicht ver-, ändert. Es lief seinen gewohnten Gang Tag für Tag. Bankier Hassel widmete sich vielleicht etwas mehr als früher seinen Bankgeschäften. Frau Hassel versah ihr« Haussrauentätigkeit und wirkte im übrigen als begehrte» Borstandsdame zahlreicher Wohlfahrtsorganisationen, wo- durch ein guter Teil ihrer Zeit beansprucht wurde. Helene war noch schöner, stattlicher geworden, als sie! früher schon war. Das Quecksilberige ihres Wesens war» von ihr gewichen. Das krasse Ende ihres Verlobungstraumes hatte ihr damals einen wuchtigen seelischen Stotz versetzt, trotzdem die Mutter vorsichtig und behutsam die von ihrem Mannei erhaltenen Nachrichten übermittelte. Auf ärztlichen Ra« blieb Frau Hassel mit ihrer Tochter, noch bis weit in den Sommer hinein in Italien, das vonl den beiden kreuz und quer bereist wurde. Mehrere Maltz stellte sich bei ihnen Bankier Hassel zu kurzen Besuchen eim So erhielt Helene die für ihren Zustand nötige Ab<I Wechslung und Zerstreuung. Und als man sich nach etwal halbjährigem Fernsein endlich zur Rückkehr nach Berlitz entschloß, war irgendwelche Gefahr nicht «ehr zu be fürchten. SS kam der Winter und das Srüßtadr. eine Leit, di« in verhältnismäßiger Zurückgezogenheit verbracht wurde. Außer regelmäßigem Besuch der Oper und ein paar Fami lienfestlichkeiten ereignete sich nichts Sonderliches. Das körperlich-gesundheitliche Befinden HeleneS halt« sich inzwischen immer weiter gebessert. Aber ihre Seel« litt immer noch unter den früheren Ereignissen. Die Be» drücktheit als Nachwirkung der Aufregungen ihrer Ber^ lobungsepisode wollte nicht von ihr weichen. Da entschlossen sich die Ettern im Frühjahr zu eineni Schritt, der auch den gewünschten Erfolg zeitigte. Sie holten eine Verwandte inS HauS, ein junge- Miit» chen, gleichaltrig mit Helene, dessen sprudelnde Lebendig» kett sich in kurzer Zeit auf diese übertrug und die es fertig brachte, in Helene wieder Interesse am Leben und all dessen Schönheit und Lust wachzurufen. Ein mehrwöchige« Aufenthalt in einem Ostseebade trug dann vollends dazu bei, auch die leiseste Erinnerung an die Vergangenheit zü verwischen. Erinnerung an die Vergangenheit? Gehörte zu dieser Vergangenheit nicht auch Eduard Lange? Ja, ja — auch Eduard Lange lebte nicht mehr iU Helene Hassels Erinnerung. Wenigstens hatte «S den An» schein, als bedeute er ihr, so oft sie mit ihm zusammen» traf — und sie begegneten sich namentlich in jüngster Zeil häufiger —, nicht mehr als jeder andere Mann. Lange selbst? Er war jetzt noch derselbe wie vor anderthalb Jahren, Die Arbeit füllte seine Tage aus — rastlose Arbeit. Siä verschaffte ihm volles, inneres Genügen. Wie stolz war er^ datz sich seine Firma zu immer ansehnlicherer Bedeutung ausgewachsen hatte und sich noch immer weiter glücklich eniwickette — dank seiner zielsicheren Leitung. Und wies zufrieden war er, daß seine Arbeit auch eine Arbeit im Dienste ver Allgemeinheit war. Er hielt eS mit dem Grunvsatz: Jede Arbeit — also auch die meine — muß so« geartet sein, daß durch sie neben dem eigenen auch das Volkswohl gefördert wird. Und in der Oeffentlichkett, weit über die Grenzen der Reichshauptstadt hinaus, wußtet man auch sehr wohl die volkserzieherische und aufbauendH Bedeutung seines Wirkens einzuschätzen, und es war ihnu schon manche ehrende Anerkennung deswegen zuteil ge-j worden. Ja, Lange war ein eifriger Arbeiter — aber über aller! Arbeit hatte er ein Zielstreben nicht vergessen: Helene Hassels Liebe zu gewinnen. Die Entlobung Helene Hassels und des Herrn von Redwitz wurde seinerzeit sehr schnell bekannt. Als er damals die Nachricht erhielt, war er durchaus nicht er staunt darüber, während sie in der Berliner Gesellschaft eine Zeitlang als Sensation behandelt wurde. Er war sich ja nie über Kurt von Redwitz im Zweifel gewesen, und er hatte gewußt, daß die Geschichte solchen Ausgang nehmen würde. Nur datz der Eklat so schnell käme, das hatte er sich nicht träumen lassen. Mit feinem Taktgefühl hielt er sich vorerst von der Familie Hassel fern. Die langmonatige, mehrmalige Ab wesenheit von Mutter und Tochter machte übrigens ja auch jede Fühlungnahme schwierig. Später erhielt er ver schiedentlich Einladungen, denen er auch jedesmal gern — seinem Herzensdrang folgend — stattgab. Indes — er mutzte die Erfahrung machen, datz Helene ihm gleichgültig gegenüber»«^ so, als habe nie eine engere Bekanntschaft zwischen ihnen bestanden, als gäbe es kein Davos. Einmal bracht« es die Gelegenheit mit sich, daß es zwischen ihm und Frau Hassel zu einer Aussprache kam. Frau Hassel kannte ja seine Not, und es war ihr ein leich tes, ihn über das, was sein Herz bedrängte, zum Reden zu bringen. Seitdem bestand zwischen ihnen eine Art DundeS- genossenschaft, die Lange dankbar empfand und der er die starke Zuversicht verdankte, daß es ihm schließlich doch ge rinnen würde, an das Ziel seiner Wünsche zu kommen. Er wußte, Helene mußte das Leid der vergangenheiß völlig verwunden haben, dann erst war sie reif und bereit, den Schritt in eine glückliche Zukunft zu tun. * Ein Augusttag neigte sich seinem End« zu. Die Sonne hatte vom frühen Morgen vis in die ersten RachmittagLftunden in praller Hitze die Erd, beschienen. Dann trat drückende Schwüle ei«, der et« heftiges Ste- Witter folgte. Kurze starke Regenschauer reinigte« diel Lust, und ein« erquickend« Frische labte hinterher Men schen und Natur. Die Sonne sandle ihre letzten Strahlen über den Müggelsee, dessen sanfte» Wevengekräusel über glitzernd. Bald würde sie htnter de« Waldbergen ver schwinden, und der Tag würde dann der Nacht dar Regi ment überlassen. AuS dem Garten der Villa .Grete' drang fröhliches Lachen — Steinbachs hatten Besuch. Steinbachs? Jawohl! Steinbachs! Damit waren nicht etwa Fra» Marianne Steinbach und ihr Sohn, der frühere Herr! Assessor Fritz Steinbach, gemeint, sonder« eS drehte sich, um den Assessor außer Dienst Steinbach, jetzigen Verlags-^ direktor der Firma Lange und Sohn und dessen Gemahlin Grete, geborene Borchardt Ja, ja! vor einem Vierteljahr war aus Fritz Stein bach und Greie Borchardt ein Ehepaar geworden, und ein glückliches. Roch vor wenigen Minuten hatte der Herr Direktor von seiner Gattin in einem von den Gästen un bewachten Augenblick nach einem Kuß inS Ohr geflüstert bekommen: Dein aus ewig! " Wie die beiden Menschenkinder sich gesunden hatten? Oh, daS ist eine kurze Geschichte. Der Fritz hatte näm lich tatsächlich nicht locker gelassen. Er beharrte zielstrebig auf dem einmal gefaßten Standpunkt: Liebe muß Liebe, erwecken. Daneben warb er eifrig um die Gunst der Mutter GreteS, die die Ehrlichkeit seiner Absichten auch bald erkannte und ihn, wo und wie sie nur konnte, aus wärmste unterstützte. Er tat noch ein Uebriges. Er zog seine eigene Mutter ins vertrauen. Erzählte ihr von seiner Liebe, von den Schwierigkeiten, die er zu überwinden habe. Und nun eilte ihm obendrein noch ein wunderbarer Zufall zu Hilfe. Es ergab sich, daß die beiden Mütter Jugendfreundinnen waren. Eigentlich war Jugendfreundinnen zuviel gesagt. Der Ausdruck PenstonSgenossinnen wäre zutreffender. Indes — wie dem auch sein mochte: Durch diese Tat sache hatte Fritz Steinbach gewonnenes Spiel. War die Bekanntschaft auch nut eine lockere, lag sie auch lange, lange Jahre zurück — den beiden Frauen, getrieben von der! Sorge um das Wohl und das Glück ihrer Kinder, genügte sie, sie einander zu verbinden. Besuche wechselten hinüber und herüber. Fritz Steinbach erhielt immer häufiger Ge-, legenheit, dem Mädchen zu offenbaren, wie es um ihn, stand. GreteS Interesse für ihn wurde mehr und mehr ge^ weckt. Die alten Wunden verharschten. Sie spürte mir feinem Instinkt den Unterschied zwischen Kurts und Stein-« bachs Liebe, spürte, je länger, üm so eindringlicher, die Echtheit und die Reinheit des Werbens Fritz Steinbachs. Und als dieser dann eines Tages die entscheidende Frage wagte, sagte sie ja. Der glückselige Ausdruck, der aus ihrem Gesicht lag, als dieses Ja über ihre Lippen kam, bewies, daß die Göttin der Liebe selbst ihr dieses Wörtlein in den Mund gelegt haben mutzte. Ein halbes Jahr lang dauerte die Verlobungszeit. Grete Borchardt gab ihre Stellung bei Lange sofort auf, zu dessen größtem Bedauern. Aber Lange suchte sich darin einen gewissen Trost, wie er es einmal ausdrückte, daß Fräulein Borchardt als die Gattin seines Mitarbeiter- Steinbach gewissermaßen doch seiner Firma erhalten bleibe. Lange beförderte Steinbach kurze Zeit darauf -um Vera lagsdirektor, eine Tat, die er bisher nicht bereut hatte, di» andererseits die Verlobten veranlatzte. den Tag der Grit»