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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 25.11.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-11-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-192211251
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19221125
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19221125
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Riesaer Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-11
- Tag 1922-11-25
-
Monat
1922-11
-
Jahr
1922
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 25.11.1922
- Autor
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sollte Heino Wiedersehen! Vielleicht schon sehr vald. Wie würde sieihn-nach solanger Trennung wiederfinden? Bald waren drei Jahre seit seinem Scheiden verstrichen. Ob er wußte, w«K inzwischen alles geschehen? Nun, er würde es sicher durch seine Mutter erfahren haben. Sie ging zu der alten Linde, unter der sie ihn zuerst getröstet, als er dort verzweifelte Knabentränen getvelnt. Damals hatten sie ihren Freundschaftsbund geschloßen, und warm ihn, immer treu geblieben, und dann war Franz in ihr Lebe» ge treten — sie schloß die Augen, aber dann atmete sie auf — das war ja nun alles vorüber, und vor ihr lag wieder das Leben, so klar und schön, wie sie es sich früher iinmer ge dacht, als Gemeindeschwester von Waldstein; aber dann kam ihr wieder der Zweifel, sie dachte an die Worte ihrer verstorbenen Großmutter. Doch schüttelte sie den Kopf, „nein, eS kann nicht sein, Großmutter muß sich geirrt haben." Sie Wichte, wenn Heino kommen würde, dann mußte sich alles klaren, und sie wollte ihn offen fragen, ob sie ihm in der Zukunft zur Last fallm würde. Aber bet dem Gedanken wurde ihr doch wieder so eigen beklommen zumute, und sie konnte nicht so heiter und ruhig ihren künftigen Lebensplan ausmalen, wie sie es früher ost getan. * O O In einem der ersten Hotels in Genua saß Heino in dem eleganten Speisesaal an einem Tischchen und las eine deutsche Zeitung, während die Reste des eingenommenen Imbisses von einem Kellner fortgeräumt wurden. Gegen Abend dachte Heino nach Deutschland abzureifen. Er achtete des geräuschvollen Treibens nicht, das ibn umgab, des Koinmens und Gehens der Reisenden aller Nationen, der verschiedenen Sprachen, die an sein Ohr schlugen. Nur hin und wieder sah er von dem Zeitungsblatt auf, nm den Blick über das wunderbare Bild schweifen zu lassen, das sich ihm durch das weitgeöffnete Fenster bot; da lag azur blau der Golf, die Segel und Masten der kleinen und großen Schiffe spiegelten sich in der glatten Flut, der Sonnenglanz und die Farbenpracht des Südens verliehen dein Bilde einen besonderen Schmelz. Da fühlte er seinen Arm leicht berührt; als er aufsah, stand ein junger Mann in grauem Rnseanzug vor ihm. „Franz! Du? Wie kommst du hierher?" rief er aufspringend. „Und wo ist —? Bist du allein?" Erst seht blickte er dem einstigen Jugendgefährten in das blasse, ernste Gesicht, und ein jäher Schreck durchfuhr ihn. Franz abnte wohl, was der andere meinte. .Hast du denn keine Briefe erhalten, Hiino? Hast du nichts von zu Hause yehört?" „Doch, hin und wieder hatte ich Nackrickt von meinen Eltern, es mögen mich nicht alle Briefe erreicht haben, aber sprich, wie geht es Lina? Wo ist sie?' „Es geht ihr gut, soviel ich weiß, sie ist daheim in Waldstein," und nach einer Pause fügte er hinzu: „Wir sind nicht mehr verlobt, Heino." Dieser erblaßte, die Mitteilung traf ihn völlig un vorbereitet, längst hatte er die beiden verheiratet gewähnt, und nun war Lina in Waldstein, wie ehemals — ja, wie eS immer gewesen. Wie Bergeslast fiel es von seiner Seele, und über seine Züge flog ein Freudenschem. Franz sah eS und wandte sich traurig ab. „Wie'kam das alles?" fragte Henio nach enier Pause gepreßt; „ich ahnte ja nichts, es müssen gewiß Briefe verloren gegangen sein." „Sie war wohl noch zu jung und traute fick' zuviel zu, als s«e sich mir verlobte," begann Franz mit gedämpfter Stimme und stützte die Stirn in die Hand. „Sie dachte immer nur an dich, sorgte sich um dich, begleitete dich in Gedanken auf deiner Reise, und es wurde mir sehr bal- klar, daß ihr Herz dir und nicht mir gehörte. Ich weiß nicht recht, warum sie mich nicht ganz entschieden gleich abwies, ich glaube, ihr gutes Herz sträubte sich, mir den Schmerz anzutun, und dazu kam, daß du sie ja nie begehrt!" „O, Franz, wie konnte, wie durste ick das?! Ich kranker, elender Mensch, neben diesem blühenden, jungen Leben! Das wäre Frevel gewesen! Wenn du wüßtest, was es mich gekostet, ihr gegenüber zu schweigen! Als du dich dann mit ihr verlobtest, meinte ich, ich würde es me ertragen." Kranz bedeckte sein Gesicht mit den Händen: „Ich will nicht mehr an die Zeit,»eines Glückes und dann der Qual denken, Heino, es muh ja alles einmal verwunden werden. Aber dir muß ich doch sagen, wie es gekommen ist. Sit bat mich immer wieder nm Aufschub unserer Hochzeit, ich sah, wie sie litt, sic liebte mich eben nickt und wollte doch nicht wortbrüchig werden, da gab ich sie frei, ich tonnte nicht anders! Damals war dem letztes Wort an mich: Mache sie glücklich! Jetzt sage ich dir: Mache du sie glücklich, denn sie liebt nur dich und sehnt sich unablässig „ach dir, und wirklich, ich glaube, das Weh hier in meiner Brust wird anfhören. wenn ich sie nur glücklich weiß, wenn ich ihr liebes Gesicht wieder strahlen sehe, wie früher, wenn ich selber auch von ferne stehen sollt" Im Waldstewer Barr summten me Bienen in den Lindenblüten, die Bögel fangen, und der klare Bach murmelte leise und geschäftig durch den blumigen Aiesen- grund, an den blauen Glockenblumen vorüber, wie es schon vor Jahren gewesen, als Heino, Lina und Franz noch als Kinder an dem Ufer geplaudert hatten. Auf der Terralfe saß der alte Graf, and Lina reichte ihm den Kaffee Die stattliche Gestalt schien gebeugter, uno die runzligen Hände zitterten, als fie dem jungen Mädchen die Taffe ab nahmen. Lina »ar unverändert, noch chnmer von dem fauste» Liebreiz umflossen, der sie so anziehend machte; nur ernster und reifer war der Ausdruck der fernen Züge geworden und die Wangen etwas schmaler und blas er, so daß die blaue« Augen noch gröger erschienen. Ein leichtes, weißes Kleid umfloß die schlanke Gestalt, und ein fchwarzsechenäs Band, da- um die feine Taille geschlungen, zeigte »och die Dalbtrauer um die greise, Großmutter, die vor bald einem Jahr, über neunzigjährig, cküs dieser Lett geschieden war. Die Postsachen wurden gebracht. Ueber das zarte Gesicht des jungen Mädchens flog ein flüchtiges Rot Sie erwartete immer etwas wie ein Lebenszeichen »ou Heino, mid doch w»rde ihre Erwartung immer enttäuscht. In de« blaue» Luge« lag eine stete Sehnsucht, me Sehnsucht »ach dem Freund ihrer Kindheit, dem Bruder. Ganz Allmählich hatte sie zu ahnen begonnen, weshalb er so lang« fernblieb, warum er »icht mehr au fte schrieb. Lwf erglühend und mit zitterndem Herzen war ihr diese Erkenntnis gekommen und sie hatte plötzlich sein Be nehmen bei ihrer Berlobuna verstanden, und immer niehr stand es be» ihr fest, daß sie Franzens Frau nicht werden konnte Immer und immer würoe sie ja doch an den fernen Heino denken müssen, an ihn, der ihrem Herzen »an Kindheit an -m nächste» gestanden. Sie sagte sich auckv daß fte ihm alles gewesen, und daß die Großmutter sich geirrt haben mußte, wenn sie meinte. Lina würde einst dem Pflegebruder zur Last fallen. Nein, fie wußte eS jetzt besser, fte würde Heino niemals eine Last sein! O, daß ihr diese Erkenntnis erst so spät kam! Tief unglücklich war damals Franz gewesen, als sie ihn immer wieder um Aufschub ihrer Verbindung bat Er willigte ei», immer noch zu warte», dis er endlich, ver zweifelnd nach einem ganzen Jahr vergeblicher Liebes mühe, ihren Wunick erfüllte und sie freigab Sie em pfand inniges Mitleid mit seinem Schmerz und war ihm a»S tiefster Seele dankbar, wie er das Hand löste, das sie doch niemals ganz und für immer hätte verbinden können. Sie eine große Erleichterung empfand sie es, als Franz sich ftir ein Jahr beurlauben ließ, um eine längere Reise in da« Ausland anzutreten. Der alte Graf hatte zu den Vorgänge» geschwiegen, und als er dann die Auslösung der Verlobung erfuhr, sagte er: „Um dein Lebensglück handelt es fick ja, Kind, du mußt wissen, was du tust," und als dann Franz abgereist war, schloß er sie innig in die Arme und flüsterte: „Der arme Junge tut mit leid? Aber eS ist besser so für euch. Gott segne deinen Entschluß!" * » * Ueber ein Jahr war seitdem verflossen. Eine Zeit, die Bater und Tochter in stillem Frieden miteinander verlebt. Der Tod der alten Gräfin bot vor der Welt Grund genug, sich von dem Verkehr mit der Nachbar schaft zurückzuzichen. Lina lebte mehr denn je ihrem alten Vater und den Dorfbewohnern, denen ihre junge Gräfin über alles ging. Inzwischen waren sie auch auf Reisen gewesen. Der alle Herr hatte im letzten Sommer seinem Töchterchen die Schönheit Norwegens und im Frühjahr die malerischen Herrlichkeiten der Reviera gezeigt. Sie war entzückt von den neuen, ungeahnten Eindrücken, aber immer wieder hatte sie denken müssen: „Könnte doch Heino dies alles mit mir sehen!" Es fehlte ihr sehr, daß sie ihm nickt mebr schreiben konnte, wie fie früher getan, wo sie ihm alles mftgeteilt, was ihr Leben bewegte, doch sie wußte jetzt ja nicht ein mal, wohin fie ihre Briefe hätte richten sollen. Wo mochte er sein? vielleicht im fernen Amerika, oder Asien, oder auf dem Meer! Es waren schon mehrere Monate verstrichen, feit sie zuletzt durch seine Mutter von ihm Nachricht er hallen hatten. Damals hatte er die Inseln des indischen Ozean- besucht, und er schilderte diese Märchenellanoe in ihrer tropischen Bracht. Träumerisch irrte Linas Blick über den Park hinweg, in die duftige Ferne, als ihr Bater, der die Briefe durch blätterte, plötzlich rief: „Da schreib! ja Tante aus See burg!" Lina hörte gespannt zu, als er fortfuhr: „Es wird Sie interessieren, daß unser Heino endlich in Genua eingetrosie» ist und in einigen Tagen bei uns cinzutresscn denkt, später beabsichtigt er. Sie in Waldstein aufzusuchen. Eie können sich unsere freudige Erwartung vorstellen." Lina sagte nichts. Dunkle Glut färbte ihr- Wangen; sie küßt? leise die Stirn ihres Vaters und ging dann hinunter M den Park. Es verlangte sie, allein zu sein Ein heißes tttück und auch rin leises Bangen erfüllten ihre Seele Sie -L-ec -r -tL»s «S-LL «L« LiL« Le? TL« LSN -L-.---: -- »GZ ZV; ,,Vtrmer, never rrreuno!" ries Heino uns orückte lief crgrrften des anderen Hand. „Was du mir heute alles sagst, vermag ich kaum zu fassen, du verwandelst meine Zukunft, mein ganzes Leben' Aber uin dich ist's mir sehr schmerzlich. Soll ich gewinnen durch deinen Verlust? Du bist so groß und gut!" „Ich war cs früher nicht, Heino, aber du hast mich gelehrt, selbstlos zu sieben, was ich früher me verstanden hätte." Beide schwiegen, während Heino noch immer die Hand des anderen mit festem Druck hielt. „Was führte dich hierher?' begann er nach einer Pause. „Ich denke sür einige Zeit den Orient zu bereisen, dann kehre ich beim. Ich ließ mich m eine entfernte Garnison versetzen, wo mich niemand kennt. Dort muß ich dann mit der Zeit mit mir selber fertig werden, überdies bleibe ick wohl kaum mehr lanae im Dienst, mein Vater ist sehr gealtert, ich werde ivohl bald ganz zu ihm übersiedeln und ihm einen Teil der Gutsbewirr- fchaftung abnehmen. Doch genug von mir. Denke nicht an mich, Hemo, sondern an sie. Eigentlich hast du sie von jeher mehr verdient, als ich, es >var damals ein Raub, den ich an dir beging; dafür habe ick nun so büßen müssen. Du siehst so gesund und wohl aus, Heino, wie werden sie sich zu Hanse freuen! Anfangs war Ich ini Zweitel, ob du es seiest, so braun bist du geworden ,und der Hart macht dich älter. Wann acht dem Zug?' „In einer halben Stunde, ich muß jetzt Wohl aüf- brechcn." „Ich begleite dich natürlich." Der Zug stand zur Abfahrt bereit. Tie beiden jungen Leute gingen Arm in Arm vor den, geöffneten Conpee erster Klasse auf und ab. „Wie soll ich dir danken, daß du mir das alles gesagt," begann Heino, „ick bin nur deinetwegen betrübt." „Es ist mir nur recht geschehen," erwiderte der Ange- rcdete ernst; solange wir uns kennen, habe ,ch auf dich herabgesehen; habe auf meine Gesundheit und Kraft, auf meine kleinen Erfolge in der Schule und im militärischen Beruf gepocht, ich habe dich iinmer gequält mit meiner Art und habe dir mit meinen Worten oft wehe getan. Nur in den lebten Jahren wurde ick» freundlicher, nur weil ich wußte, daß ich dadurch Linas Herz gewann, die mir so oft mein häßliches Benehmen gegen dich vorwarf. AVer Linas Herz hat ja immer nur dir gehört. Ach, Heino, wie leicht hättest du es dir längst gewinnen können, wenn du weniger selbstlos gedacht! Das war die Vergeltung für mich, daß ich sie doch nicht gewinnen konnte, obwohl nur alles übrige im Leben so leicht in den Schoß fiel. Damals, als du so großmütig und selbstlos auf Lina verzichtetest, weil du meintest, es sei für sie besser jo, damals b,n ich zur Be sinnung gekommen, und ich schämte mich vor dir." Ein schriller Pfiff der Lokomotive brack das Ge spräch ab. „Lev wohl, Heino, macht sie glücklich!" rief Fran» mit erstickter Stimme, während fern Gefährte in vi« Coupee sprang- Tief bewegt drückten sie sich die Hand, dann rollte der Zug davon, immer rascker dem Auge des Nachbftckenden entschwindend, der einsam, mit trau rigen Augen, auf dem Perron stand, bis eine ftdarfe Kurve den Zug unsichtbar machte. Der leuchtende Sonnenschein des Spätnachmittags ließ die Landschaft rings in wunderbarer Farbenpracht er glühen, und einförmig rauschend brachen M- unten am Gestade die weißen Wogenkämme des tiefblauen Mittel- meereS. * * « Der schwüle Sommertaa ging zu Ende. Golden be- schien die untergehende Sonne die Baumwipfet de« ParkeS und die Zinnen des Walbsteiner Schlosses. An ihrem Lieblingsplatz unter der Linde sak Litu; das Buck, in dem sic gelesen, war ihr in den Schoß getunten, und sinnend blickte sie auf die feurtoen Strah en, d,e durch da- Laubwerk fielen. Ihre-Gedorrten nahmen wre gewöhnlich, wenn fte allein war, ihren Weg zu Heino. BW nrockte . er weilen, wann würde er kommen, w,e würde sie ihn Wiedersehen? Sie batte das Rollen eines Waoens überhört, aber jetzt vernahm fte Schritte auf dem KieS. Die ntederhängen- den Lrnüruzweige wurden auSeinandergeboge«, und vor ' ihr stand die hohe, sehr schlanke Gestatt eines lungen Mannes mrt gebräuntem Gefickt und kurzem, dunklem - Bart. Erstaunt hatte sich das runge Mädchen erhoben — da traf sie ein Blick aus den dunklen «liebten Augen. - „Heini!" Mehr vermochte fie Nicht hervorzubringen, dann fühlte sie sich von keinen Armen fest umsckstuuge», und er beugte sich zu ihr herab, ohne sie loszulafsen. ' „L'nchen, jetzt bleibst du hier und bleibst zeitlebens die kleine Gemetndediakonille von Waldstein, aber nur . unter einer Bedingung: dak du mein HerzenSweib wirst. Linchen, willst du?' Statt aller Antwort schmieate sie sich noch inniger an ihn, und er küßte zum erstenmal ihre Lippen, und es war, als wollte der Kuß kein Ende nehmen. Wer vermöchte das wortlose Glück zu schildern, daS die Herzen beider erfüllte „Warum hast du mich so lange verladen, Heini?' begann fte endlich leise. „Ich hielt mich damals für zu krank und darum nicht berechtigt, dein junges Leben an mich zu binden; aber als du danu Franzens Braut wurdest, ging eS Über meine Kraft, in eurer Nähe zu bleiben. Ich glaubte, in der Ferne eher alles überwinden zu können. Nu» ist ja alle anders gekommen. Ich weiß es von Franz selbst. Und ich. darf jetzt zu dir kommen, Geliebteste, denn der große Arzt, Professor R, den ich in Berlin aufsuchte, erklärte mich für gesund und riet nnr, mir bald eine treue Lebensgefährtin zu suchen. Ich wußte, Linchen, daß ich mcht erst zu suchen brauchte." (Schluß folgt.) Die Entwicklung »er Puppe. Die Puppe hat im Wandel der Zeiten gar bedeutende Wandlungen durchgemacht; das tritt auch dann hervor, wenn wir nicht ihre Entwicklung in früher Kultur, son dern allein ihre fabrikmäßige Herstellung in der Neu zeit betrachten. Die erste Gestaltung war nach Karl Stau- binger, dem Direktor der Industrieschule zu Sonneberg (Wegweiser für die „Spiel-, Galanterie- und Kurzwaren industrie), die Docke, welche in einfältig überzeugender Stili sierung das Wickelkind wiedergab und der fick dann eben solche Nachbildungen von Erwachsenen auschloksen. Diese Grundformen wurden nun weiter entwickelt, man scimf eigene Körper mit aufgesetzten Köpfen aus verschiedensten Rohstoffen, machte die Gliedmaßen beweglich, bekleidete die Puppe, und es entstand in allen möglichen Abwano- lungen als hauptsächlichster Typus ein kleines Spiegel bild des Zeitgeschmacks, eine Puppe mit den Merkmalen des erwachsene» Menschen. Also eine Charakterpuppe, wenn man sie auch damals nickt so nannte. Diese Form erhielt sich sehr, sehr lanae, und nur die Angleichung an die Mode und Verwendung anderen Materials machte zunächst die Unterschiede. Man mockte sich satt gesehen haben an diesen Erzeugnissen, oder die erweiterten Han delsbeziehungen brachten dies init sich, die Puppe ver jüngte sich, und der Ausdruck derselbe» machte viele Aenderungen durch, man paßte fick fremdec Geschmacks richtung an. Aber im großen und ganzen blieb auch diese Puppe ein Typus mit den gleichen Ailgemcmmerkmalen, und der Hauptvnterschied lag nur in der Auftnackung. Auch dies ermüdete schließlich und aus einmal vernahm man allenthalben das Wort „Puppenreform". Wer hat es znerst ausgesprochen? Nun wurde reformiert. Ter eine begann mit der Aufmachung, der andere mit Körper verhältnissen, der dritte mit Köpfen usw. Da waren Kauf- lenke, Fabrikanten, Künstler, Erzieher am Wert, und viele Gebilde stellten sich ein von inehr oder minderer Lebens- . fähigkeit und schließlich war das bleibende Ergebnis wie der eine Charakterpnppe, welche in verschiedenen Formen als Baby, Kind usw. den Weg zum Händler fand. Da neben aber wuchs und gedieh in allen Preislagen nach wie vor die zuletzt gängige Form, mit allen möglichen Finessen ausaestattet, die Puppe, welche sich am pnisten bezahlt machte. Tas Reformieren hörte aber bis heute nicht auf. Neben der Puppe für das Kind kam die für die Erivachsenen aus, man sah in derselben einen Gegenstand, der sich auch kunstgewerblich ausnützen ließ, machte Vitrinen- und Zier figuren, von denen natürlich Massenumsätze nicht zu er warten waren, welche aber trotzdem den Erzeuger nicht nur nährten, sondern auch jedenfalls viel Freude beim Schaffen bescherten. Wir sehen be» der Puppe wie Ebbe und Flut den Wandel und Wechsel und beobachteten, daß trotz dickes eine gängige Handelsform in fast stets gleich bleibender Gestalt vorwiegt. Notgedrungen kommen wir aber trotzdem zn dem Schluß, daß irgendwas mit der Puppe nicht in Ordnung sein kann, wenn immer Reform ansätze gemacht werden, wenn sie auch mehr oder minder erfolglos bleiben oder nicht die nötige Beachtung finden. Tie Notwendigkeit gewisser Verbesserungen leuchtet ohne weiteres em, wenn man die marktgängigen Puppen sieht. Verwöhnten Geschmacksanforderuugen genügen sie nicht, aber die Käufer von besserem Geschmack sind leider noch immer in beschämender Minderheit vorhanden. Co er klärt es sich, daß dieser Typ sich nickt verdrängen läßt. Ob es der richtige Typ ist vom ästhetischen oder erzieheri schen Standpunkt aus, darum kümmert sich der Kauf mann nicht, er muß führen, ivas gefordert wird, sonst verdient er nichts. Wenn er nichts verdient: hat er keinen Anreiz zur Arbeit. Aber warum wird die im allgemeinen nichtssagende Puppe außer der volkstümlich machenden Eigenschaft möglichst gesteigerter Geschmacklosigkeit wohl noch bevorzugt? Höchstwahrscheinlich ist deren Charakter
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