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112 — Anka, die Han-Hülteri» zu sag«, .ich glaube nicht, Herr Doktor, Laß sie sich auS all' dHem herausarbeiten kann." .Seine Jugendkraft soll ihn retten," erwiderte der Doktor, aber e- gab Tage, wo er zweifelte, daß es gelingen würde. Etwa sechs Socha» nach dem Tode Gabors kehrte Bozena »ach Tura zurück. Der Winter war schon längst eingezogen und Felder und Wiesen mit fußhohem Schnee bedeckt. So lange halte eS gedauert, bis ihr Fall vor Gericht zur Erledigung km. Und alS er endlich »erhandelt wurde, hatte sich der ganze Thatbestaud geändert. Bon dem Kommissariat ans Tura waren Beweise von ihrer Unschuld eingetroffen und Wochen vorher »ar schon Jozi Barkos in Neutra gewesen, als Ankläger gegen die Eananh'sche Familie aufgetreten, und hatte die ganze Sach lage enthüllt. AlS man Bozena beim Verhöre fragte: charum sie etwas eingestaudeu, waS sie nicht gethan, und dadurch die Gerichte hinter- Licht geführt? antwortete sie, sie könne das Niemandem sagen; dann, als sie gedrängt wurde, man sollte annehmen, sie hätte geglaubt, es würde diesmal den Tod bedeuten, und sie hätte sterben wolle» . .. Etwas anderes war aus ihr nicht herauSzubekommen. Sie wurde freigesprochcn und die sechs Wochen Hast ihr o'S Strafe für das falsche Geständniß ange- rrchnet. Sie legte den zehn Stunden langen Weg zu Fuß zmchck und ihre l.üfLige Konstitution widerstand der Kälte und der Ermüdung. EG mochte »och zehn Uhr sein, als sie in Tura anlangte, md i» de» wenigsten Häusern brannte nur noch Licht. Doch sie kmmte ihren Weg und fand ihn auch im Dunkeln. Als sie vor ihrer Hütte onluugte, war diese verschloßen. Sie hatte sie in jener Nacht offen gelassen, das wußte sie, md zurückgekehrt war sie auch nicht wieder. Wer hatte ihr dies« Liebesdienst erwiesen? Diesen und auch den anderen, ihre Ziege zn versorgen? Sie hatte sich überzeugt, daß diese in dem Lei, »u Bur^cverschlage sich nicht befand; sie hatte ge glaubt, sie lobt vt-rzusinde», aber der Verschlag war leer. Einer konnte eG nur gethan haben: Dr. Nawadny. Den Schlüssel zu holen, war jetzt zu spät, überhaupt wollte sie mit Keinem st» Berührung kommen. Sie drückte die kleine Scheibe des niedrigen Fenster- eia, öffnete von innen dm Riegel und schwang sich in das Zimmer. Keine Hand hatte die Gegenstände berührt nnd so fand sie Alle-, wie sie eS verlassen. Sie zündete die Lampe an und ihr Heller Scheir. beleuchtete dm kaüen, unwirthlichm Raum. Doch blicb eS nicht lange so. Sie fand etwas Holz in einer EL »ad mochte ein tüchtige- Feuer im Ofm, auch Kartoffeln lagen uater dem Bett aufgeschichtet und sie bereitete sich ein Abendbrot davon. Sie waren zwar halb erfroren, aber was «achte daS? Sie war nicht verwöhnt; die Gefängnißkost war auch nicht besonders gewesen, und waS die Hauptsache war, sie umr ganz ausgehungert. Bozma war etwa- bleicher und magerer geworden, aber «S lag eine merkwürdige, Me, fast feierliche Ruhe in ihrem ganze» Wesen. Am anderen Morgen schon verbreitete sich die Nachricht st» Orte, Bozena Matuschek sei zurückgekehrt. Man hatte in aller Frühe Lichtsthein aus ihrem Fenster schimmern sehen; leise Schritte warm herangeschlichm, spähende Augen hatten durch die Fmster geblickt und sich davon überzeugt; hineinzu- gehm hatte Keiner dm Muth. Am Nechnittage Lau der Doktor auf kurze Zeit und .Ist es Dir nicht eingefallen, daß er bei mir sein könnte?" fragte er sie. .Ich hab' es nicht nur geahnt, ich hab's sogar gewußt," versetzte sie. .Wer dmn sonst außer Ihnen hätt's gethan." .Auch die Ziege ist versorgt; sie ist ordentlich dick und fett geworden, die Linga hat sie gehörig mit den unserigen verpflegt." Sie dankte mit leiser Stimme und sagte, sie würde sie beim Dunkelwerdm Holm. .Warum beim Dunkelwerdm?" fragte der Doktor. .Fürchtest Du und scheust Du die Menschen auch jetzt noch? !" .Ich hab' sie nicht gefürchtet, aber — jenes Ereigniß ist mir noch zu sehr in Erinnerung, als daß ich Verlangen' nach ihren Gesichtern hätte .. ." .Bozma," sagte der Doktor mit einem seltsamen Blick, .war es Dir an der Vergangenheit nicht genug, warum hast Du die zweite Schmach auf Dich genommen?" .Das kann ich Ihnen nicht sagen, Herr Doktor, so hoch ich Sie auch halte," versetzte sie mit einem leisen Beben in der Stimme, .nicht Ihnen, keinem Menschen, nicht einmal mir ... das — das weiß nur Gott. . . ." .Und wenn ich Dir sage, daß ich es ahne, Mädchen, wenn ich Dir ferner sage, ich kenne auch die Geschichte mit dem Marek — ich weiß, daß Du auch damals ohne Schuld warst." Bozena fuhr von ihrem Sitze auf, und sie zitterte so heftig, daß sie sich mit der einen Hand am Tisch festhalten mußte. .Hat er es bekannt? vor seinem Tode bekannt?" fragte sie mit zuckenden Lippen. .Du meinst dm Gabor Semany. Weißt Du denn, daß er todt ist?" .Ich hab's in Neutra auf dem Gericht gehört." Dann nach einer Weile: .Und er hat's bekannt — bekannt!! und — der Stefan weiß es auch jetzt?" .Nimm es an, daß es so ist. Doch sag' mir, Bozena, wie konntest Du all' die Jahre schweigen?" .Ich hab' einen furchtbaren Eid geleistet, bei der einstigen Seligkeit meiner Eltern, und den konnte ich doch nicht brechen. Und ich — ich hätte ihn gehalten bis ans Ende meiner Tage, wenn — er nicht gesprochen." .Wie konntest Du nur all' diese unverdiente Schmach und Schande so lange ertragen?" .Ich trug sie, Herr Doktor, wie einen Stein, der von Jahr zu Jahr schwerer wird und wobei man sich nur das eine als Erleichterung denkt, daß er einmal so schwer werden wird, daß er das Herz zerdrückt ..." (Fortsetzung folgt.) Geist und Gemüth. Geist ohne Wärme, der nur blitzt, Mit selt'nen Gaben glänzt und glitzt Der gleicht dem Nordlicht. Wie der Schimmer Des kalten Luftgebilds ein Weilchen UnS fesselt durch sein bunt Geflimmer, Doch nicht Narcissen weckt und Beilchen: So jesselt Seist durch funkelnd Licht, Doch HerzenSblüthen weckt er nicht. Dem Sonnenlicht gleicht das Temüth, Das rein und warm in Liebe glüht. Dem Himmelsstrahl, der dem Gestände Entlockt die Elume, Rispe, Dolde, Der Leben weckt und Lust und Freude — O HerzenSwärme, süße, holde, Wie lalt und öd' wär's Erdenthal, Bär's nicht durchglüht von deinem Strahl! E. Ehrenberg. trachte dm Schlüssel. Dmck von Lauger ü Winterlich tu Riesa. Für di« Redalttorr derantwortllch: Hermann Schmidt in Riesa. Erzähler an der Eide. Belletrist. Gratisbeilage zu» .Riesser Tesebluttt'. «r. »8. «i-s», den II. J»II 18»«. »». N>he, Bozena Matuschek. Roman von Caroline Deutsch. (Nachdruck verboten.) (Fortsetzung.) Warum hatte er denn aber Hand an sich gelegt? ES war ja gar keine Ursache vorhanden. Die Höhe der Ver sicherungssumme schloß jeden bedeutenden Verlust aus, trotzdem er darüber geklagt, und wegen ein paar hundert Gulden konnte doch ein Gabor Semany, ein solch' frommer, tugendhafter Mann, keine so ungeheure Sünde auf sich laden! . . . Verwirrung bemächtigte sich der Leute und jeder dachte plötzlich an die Worte des Werksührers, die er damals beim Feuer gesprochen: Wenn es nicht diese Person gethan hat, so muß es der Richter Semany gethan haben; denn nach ihm ist das Feuer ausgebrochen. .. . Hatte aber Bozena im Verhöre nicht eingestanden, daß sie es war? . . . Wo lag da ein Ausweg, wo Klarheit?! Daß es ein Selbstmord war und aus welchen Gründen, das wußte außer Barkas, der aber noch Gründe hatte zu schweigen, Stefan am besten. Als er Morgens in die Stube trat, war das Erste, was ihm in die Augen fiel, das unberührte Lager und die Schrift auf dem Tische. Was sollte das bedeuten? .An meinen Sohn Stefan," stand darauf. Und er las und las und wurde immer bleicher, immer starrer, bis sein Herz vor Schmerz und namenlosem Entsetzen still zu stehen drohte. Es war die Beichte eines Sterbenden. Er bekannte sich darin schuldig, das Feuer angelegt zu haben, und legte dem Sohne alle Gründe dar, ein Mißlingen nach dem andern, eine Stufe der Ver zweiflung nach der andern bis . . . . das Aeußerste geschah ... Das ist aber noch nicht alles, hieß es dann weiter. Eine ältere Schuld drückt mich, meine erste Schuld — mein erstes Abweichen von dem bis dahin graden Wege! Bozena Ma tuschek ist nicht nur jetzt — sie war auch das erste Mal nicht schuldig. Sie ist keine Mörderin, insofern knne Mörderin, weil sie es nicht mit Absicht, nicht im Zorn, sondern ... in äußerster Nothwehr gethan.. .. Der Marek war — ein Schuft, ein Schurke! Er verfolgte sie heimlich mit seiner wilden Leiden schaft, mit unsauberen Anträgen. — Sie wandte sich in ihrer Noth an mich; denn sie konnte sich seiner schwer erwehren. Ich nahm den Burschen ins Verhör und verlobte ihn mit Hanka, die ihm ja ohnehin bestimmt war, um seine wilde Leidenschaft zu bändigen. Er willigte ein und hatte scheinbar nichts da gegen, daß ich einen sehr kurzen Termin bis zur Hochzeit setzte. In Wirklichkeit verfolgte er aber Bozena im Geheimen mit seiner sinnlosen Gluth weiter. Und eines Nachts überfiel er sie in ihrer Kammer — zwei Tage vor seiner eigenen Hochzeit . . . Er hatte sich eingeschlichen und dort versteckt; denn sie schlief noch nicht und halte keine Thür öffnen hören. Sie rangen mit einander, wie der Wahnsinn mit der Verzweiflung . . . Zuerst wollte sie nicht schreien, um die hilflosen Eltern nicht zu erschrecken, dann konnte sie cs nicht, weil sie seine Küsse saft erstickten. Er war der Stärkere und sie fühlte sich verloren — da erinnerte sie sich an ein Messer, das neben ihr auf dem Herde lag, sie wußte nicht, wohin sie in der Dunkelheit traf, sie wollte nicht tödten, nur sich retten . . . retten! Es traf aber die Schläfe, und er stürzte leblos zusammen. Als sie sah, daß er todt war, verließ sie, ohne ihren Eltern ein Wort zu sagen, leise die Hütte und kam zu mir auf den Mühlenberg. Sie hätte mich auS dem Schlafe geweckt, so aber war ich wach und im Begriff, den Marek zu suchen — denn von einer böse» Ahnung ergriffen, war ich Nacht- aufgestanden und nach feiner Schlafkammer gegangen, hatte ihn aber nicht gefunden. - Sie erzählte mir alles, und wer sie hörte, mußte ihr glaube» . ... ich mußte eS doppelt, da ich den wüsten Burschen kannte .. .. Ich war zerschmettert, zwiefach zerschmettert vor Schmerz und Scham. ES blieben nur zwei Wege: Entweder, sie war unschuldig und wurde freigesprochen und mein Sohn, der Sohn vom Gabor Semany, war eia Schandfleck, ein schmachvoller Bube, oder — sie blieb schuldig und unser Name ging rein hervor. Und dem ersteren hüll' ich den Tod vorgezogen! Hatte ich darum solch' lange Jahre gerungen und gestrebt, übermensch lich mich gemüht, unseren Namen wieder zu Ehren zu bringen, um ihn — durch den eigenen verlorenen Sohn schände« zu lassen! . . . Und sie, die anderen verloren nicht so viel dabei .... Es waren blutarme Leute und der Vater nicht besonder beliebt und geehrt im Orte. Ich hatte ein Mittel, da- Mädchen zu zwingen . . ! Vor zweiundzwanzig Jahren war der Matu schek vom nördlichen Böhmen mit Weib und Kind hergekommen. Er war von der Armee desertirt und nicht nur da» ... er hatte auch einen Diebstahl begangen und sich flüchtend hierher begeben. Der Winkel schien ihm abgelegen und verborge» ge- nug. Liebe und Sehnsucht zu Weib und Kind, die im Hunger und Elend verdarben, hatten ihn zu dem Verbrechen getrieben. Er vertraute sich mir an und ich hatte Mitleid mit dem ver zweifelten Menschen und ließ ihn hier unbehelligt. Aber eine Schrift mußte er unterschreiben, die ich auffetzte, und worin er sich zu Allem bekannte; damit wollte ich ihm im Zaume halten, wenn er — auch hier Ungebührliches beginnen sollte. Mit diesem Schriftstück zwang ich die Tochter. Ich schwor, den Alten, krank und hinfällig, wie er war, den böhmischen Gerichten auszuliefern, und für das Verbrechen, da- er be gangen, gab eS weder eine Verjährung der Schuld, noch schützte Hinfälligkeit. Und sie — sie nahm daS Kreuz auf sich »md schwor mir einen furchtbaren Eid, weder in der Beichte noch einem Menschen auf Erden den wahren Thatbestand zu ent hüllen. Auf dem Wege sann ich dann die Geschichte au- .... Und es that Noth — denn als ich nach der Unglücksstätte kam, war die Hütte voll von Menschen. Der alte Matuschek hatte zweimal nach der Tochter gerufen. Da sie nicht kam, W«A er gar nicht gewohnt war, überfiel ihn Unruhe, und er tappte sich nach ihrer Kammer. Dort stolperte er über den Tobten.. . er befühlte ihn nnd merkte, daß eS ein Mann war..... Boller Entsetzen suchte er das Fenster, riß eS auf und rief gellend nach Hilfe, daß bald die halbe Straße zusammenltef. Für mein gleichzeitiges Erscheinen brachte ich den Grund vor, daß ich den Marek seit Stunden gesucht und durch den Lärm hierher gerathen sei. Die Bozena hätte ich irrend in der Nähe ge sunden, sie hätte mir alles gestanden und ich sie mit Gewalt zurückgebracht Und auch, daß der Marek schon fett Stunden todt sein müsse, denn er habe sich Abend- vom Hanse entfernt, ohne zu sagen, wohin er ginge, und jetzt sei e- wett nach Mitternacht. Ich hätte von einem Streite mit der Bozena an diesem Tage gewußt, aber keine Ahnung gehabt, daß er nochmals hingehen würde; ich hätte ihn auch zuerst im großen