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Rufes zur Wahrung ihrer Interessen gegenüber Amerika zu widerlegen. Sehen wir sogar davon ab, dass, was auch Goldberger selbst nicht bestreiten kann, die Löcher und brüchigen Stellen in dem finan ziellen Fundament der amerikanischen Industrie sich beseitigen liessen; dass ferner zwischen Arbeitgebern und Arbeitern eine dauernde Einigung nicht ausgeschlossen ist, zumal die Organisation der amerikanischen Arbeitgeber in der letzten Zeit grosse Fortschritte macht, in den einzelnen Staaten der Union sich ein flussreiche Arbeitgebervereine bilden und die Idee der Streikversicherung in grossem Maass- stabe zur Ausführung gebracht wird, so ergiebt sich, dass in den Goldberger’schen Darlegungen das wichtigste Moment der amerikanischen Gefahr übergangen wird: die stete Bereit schaft der amerikanischen Regierung, das Interesse der heimischen Industrie auf jeden Fall und ohne Rücksicht auf die übrigen Staaten zu fördern. Die Folge dieser Politik der amerikanischen Re gierung ist die Aufrichtung eines Zollwalles, der den Wettbewerb europäischer Erzeugnisse auf dem amerikanischen Markt aufs höchste erschwert und oft verhindert; die Folge dieser Politik ist ein Zollgesetz, das den europäischen Exporteur der Willkür des amerikanischen Zollbeamten überliefert; die Folge dieser Politik war ferner, dass es jahre lang gedauert hat, bis die amerikanische Re gierung sich dazu herbeiliess, die Deutschland vertragsmässig zustehende Meistbegünsti gung einzuräumen. Und durch solche Maass- nahmen ist eine Industrie geschützt, die über unerschöpfliche natürliche Schätze des Landes verfügt, deren Arbeiter aus einer Bevölkerung stammen, deren Intelligenz und staunenswerthe Energie Goldberger selbst preist und die unter politischen Einrichtungen existirt, die ihrer Bewegungs- und Entwicke lungsfreiheit keine nennenswerthe Schranke zieht, eine Industrie, die durch die Trustbildung trotz der Capitalsverwässerung zweifellos grosse Fortschritte in technisch-ökonomischer Be ziehung gemacht und ihre Productions- kosten wesentlich reducirt hat, d. h. also eine Industrie, die in jeder nur möglichen Weise vor der Concurrenz auf dem heimischen Markte geschützt ist und zum Export prädis- ponirt wie die keines anderen Landes der Welt. Zieht man nun noch den „praktischen Geschäftssinn“ des Amerikaners in Betracht, so kann es nicht wundernehmen, dass die Industrien des alten Europa, die unter der stetig steigenden Concurrenz der amerikanischen Erzeugnisse zu leiden haben und dabei selbst am Wettbewerb auf dem amerikanischen Markt gehindert werden, eine Aenderung dieses Zustandes anstreben und von ihren Regierungen Hilfe erwarten. Aber der „amerikanische Geschäftssinn', beschränkt sich nicht auf die Pflege des Exportes allein. Das amerikanische Capital kommt nach Deutschland, beginnt mit der Errich tung von Co ncurrenzfirmen auf deutschem Boden. Der Fall Jasmatzi-Dresden ist zu bekannt, als dass wir ihn hier noch einmal ausführlich besprechen sollten. Nur das sei erwähnt, dass die Amerikaner sich nicht mit dem Ankauf der Jasmatzi-Gesellschaft begnügt haben, sondern dass der amerikanische Tabakt rüst sich radikal an die Ausrottung oder I Einverleibung der deutschen Cigaretten- ' fabriken machte, indem er die türkischen j Tabake auf kaufte, um die deutsche Cigaretten- i Industrie lahmzulegen. Aehnlich liegt es in der Schuhwaaren- | Industrie. Die amerikanischen Fabriken er- I richten jetzt mehr und mehr Detailgeschäfte I in Deutschland, durch die sie ihre Waaren ' hier vertreiben. Zugegeben selbst, dass die I Waare gut sein kann, wenn auch den grössten Theil zum Absatz der amerikanischen Schuh waaren die Mode beitragen mag, die jetzt alles, was aus dem Land der „unbegrenzten ' Möglichkeiten“ kommt, für vortrefflich hält, so steht es doch äusser Frage, dass diese Praxis zu einer unerträglichen Lage der deut schen Schuhwaarenindustrie führt, die durch i den amerikanischen Schutzzoll am Export nach den Vereinigten Staaten natürlich gehindert ist. Wie unzutreffend ist ferner der Einwand, ! dass Amerika das Land der Massenwaaren I sei und deshalb die europäische Einfuhr stets brauchen werde, während die deutsche Fertig industrie eine Concurrenz auf dem heimischen Markt nicht zu fürchten haben würde. Die > Zukunft wird das Gegentheil lehren. Amerika, das Emporium der Technik, wendet sich 1 mehr und mehr der Herstellung von Fertig fabrikaten und Specialitäten der Industrie ! zu. Die deutsche Werkzeugindustrie I kämpft jetzt bereits einen Todeskampf gegen I die amerikanische Einfuhr, und die Specialitäten I der deutschen Industrie werden der Reihe ; nach ebenso ins Feuer kommen. Auch die Gefahr, dass das amerikanische ' I Grosscapital die Bestimmung der trans- . ' oceanischen Dampfertarife durch Ein- i flussnahme auf die deutschen Schiffslinien in | die Hände bekommt, wie sie bereits vorliegt, 1 erscheint doch nicht so ganz nebensächlich, j Und schliesslich ein Zusammenbrechen der amerikanischen Industrie und ihre Folgen für den europäischen Markt, ist das keine Gefahr? Wenn die Aufnahmefähigkeit des amerikanischen Marktes erschöpft ist, wenn die Uebercapitalisirung thatsächlich eine Deroute heraufbeschwört, was wird dann die ameri kanische Industrie thun? Wird sie ihre Werke i schliessen, oder wird sie nicht versuchen, die Krise zu überwinden durch dieUeberschwem- mung des europäischen Marktes mit ihrer Ueberproduction auch unter dem Selbstkostenpreis? Man pocht darauf, dass jetzt bereits die Lage der amerikanischen In- : dustrie unsicher wird, dass der Krach eigent- l lieh bereits da sei, und dass die deutsche Industrie nichts davon spüre. Erstens ist der Krach noch nicht da, und zweitens ertönen doch bereits die Klagen unserer Hochofen werke über das Ausbleiben der amerikanischen Aufträge. Wir haben übrigens an der ameri kanischen Gefahr in der Gestalt, wie sie die deutsche Industrie jetzt schädigt, bereits genug, so dass wir an die Probe auf das theoretische Exempel vom Krach wirklich nicht zu denken brauchen. Allerdings ist zu erwarten, dass die deutsche Industrie vermöge ihrer organischen Entwicke lung und ihres durch deutsche Gründlichkeit geschaffenen Fundaments den amerikanischen Concurrenten die Spitze bieten kann, sofern die Vereinigten Staaten durch eine entsprechende Zollpolitik des Reiches zum Abschluss von Handelsverträgen und zur Respectirung I ihrer Bestimmungen veranlasst werden. Aber dies ändert nichts daran, dass die „ameri kanische Gefahr“ besteht, wenn wir auch nicht die Flinte ins Korn zu werfen brauchen. Besorgnis aber muss es erwecken, wenn an scheinend „halbamtliche“ Stimmen sie leugnen! Jegliche Verschleierung der Sachlage macht die Gefahr zu einer verderbendrohenden. Die deutsche Industrie hat umso weniger Ursache, von ihrem bisherigen Kampf gegen die amerikanische Zollpolitik abzugehen, als auf eine Aenderung dieser Politik seitens Amerikas aus inneren Gründen nicht zu rechnen ist. Der amerikanische Consument empfindet die Belastung der eingehenden Waaren durch den Dingleytarif bei weitem nicht in dem Maasse, als es in einem anderen Lande der Fall sein würde, da er in anderer Beziehung nur geringe Steuern zu tragen hat und die Kosten des Staatshaushaltes vor allem durch die Zollerträgnisse aufgebracht werden. Aus demselben Grunde ist auch von einem Einspruch der öffentlichen Meinung gegen die Politik der Cartelle nicht viel zu erwarten. Fassen wir unsere Darlegungen noch ein mal kurz zusammen, so sehen wir, dass ein alter Irrthum immer noch nicht überwunden ist: nämlich die Auffassung von der ameri kanischen Gefahr als einer Ueberschwem- mung Europas mit amerikanischen Fabrikaten. Nicht das ist es allein, was uns zu schrecken brauchte. In einer Concurrenz unter gleichen Bedingungen bieten wil den Amerikanern die Spitze. Aber während die amerikanischen Waaren auf unserem hei mischen Markt konkurriren, sind der deutschen Einfuhr in den Vereinigten Staaten unerhörte Zollschranken seit Jahren entgegengesetzt; und das amerikanische Zollgesetz wird auf der Basis des „Marktwerthes“ in einer Weise ge handhabt, die durch ihre Parteilichkeit jeden deutschen Industriellen vom Export abschreckt. Das amerikanische Capital begnügt sich ferner nicht damit, seine Concurrenz auf unserem eigenen Markt durch die Errichtung von Fabriken und von Verkaufsgeschäften zu ver stärken, sondern es sucht ganze deutsche In dustriezweige durch die Unterbindung des Rohmaterialbezuges zu vernichten, sowie eigene Verkaufsstellen zu eröffnen. Und in der gleichen Weise, wie auf unserem eigenen Markt, begegnen wir diesem amerikanischen Wettbewerb auf unseren bisherigen auslän dischen Absatzgebieten. — Eine Aenderung des amerikanischen Vorgehens aus inneren Gründen ist, wie wir gezeigt haben, nicht zu erwarten. Das wichtigste Moment, das Gold berger dafür anführt, nämlich die wachsenden Arbeiterassociationen in Amerika, wird para- lysirt durch die im gleichen Umfange zu nehmende Organisation der Arbeitgeber und ihre Abwehrmaassregeln durch die Streikver sicherung im grossen Maassstabe*). Es ist deshalb die Pflicht der berufenen Stellen der deutschen Industrie, die Sachlage zu klären und die Meinung der deut schen Producentenkreise zum Ausdruck zu bringen. *) Kurz vor Schluss der Redaetion geht uns die Nachricht zu, dass jüngst in Chicago bereits eija von 120 Arbeitgeberverbänden und 57 Städten ge bildeter Arbeitgeberbund (Industrial Association of America) ins Leben gerufen ist!