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Verbesserungen in der Xunstseidenherstellung und der heutige Stand dieser Industrie. (Nachdruck verboten.] Im Bradford Technical College fand über oben genanntes Thema ein Vortrag statt, dem wir nach seiner Veröffentlichung im „Journal of the Society of Dyers and Colourists“ im nachstehenden folgen: Soviel Aufmerksamkeit man dieser neu entstandenen Industrie auf dem Kontinent, hauptsächlich in Frankreich, Deutschland und Belgien schenkt, so wenig Beachtung findet sie verhältnismäßig in England, ob wohl die Gesamtproduktion des neuen Ma terials in der Stärke von 110 Deniers heute bereits auf über 8000 kg pro Tag geschätzt wird. Dreaper vergleicht die neue Industrie mit der älteren Teerfarbenindustrie, wo auch die Anwendung wissenschaftlicher Methoden der erste und wichtigste Faktor war und die englischen Fabrikanten sich bereitwillig in die Rolle des zweiten Geigers schickten, und all die ausführlichen Details der so wertvollen Prozesse, ihre Ausarbeitung und ihre Patentierung, den kontinentalen Er findern überließen. Vielleicht geben die während der letzten 10 Jahre in dieser Hin sicht gewonnenen Erfahrungen anderen Län dern einen ebensolchen Vorsprung in der Kunstseiden-Industrie, wie sie ihn schon in der Teerfarbenindustrie haben. Die Herstellung von textilen Fäden durch direkte Auflösung des Rohmaterials und darauf folgende Fällung ist eine rela tiv neue Erscheinung und hat sich in der kurzen Zeit, was Zellulose und andere Roh materialien anlangt, schon einen wichtigen Platz errungen. Die Arbeitsbedingungen sind sowohl chemischer wie mechanischer Natur und die Einzelheiten in der Aufeinanderfolge der Operationen müssen sorgfältig beobach tet und peinlich eingehalten werden. Die auf dem Kontinent übliche viel bessere tech nische Erziehungsmethode spielt auch in die ser Industrie jedenfalls eine beträchtliche Rolle. Die Fabrikanten des Kontinents haben in Verbindung mit den Banken die großen finanziellen Möglichkeiten der Prozesse ver wirklicht, die in ihrer Ausarbeitung außer ordentliche Geschicklichkeit erfordern, Be dingungen, wie man sie im englischen Han delsleben selten findet. Dazu kommt, daß auch diese Industrie, wie jede andere, die eine große Umwälzung in der Fabrikation her- vorrüft, eine ungeheure Summe von Arbeit und Kapital erforderte, bevor überhaupt daran zu denken war, die Produkte in den Handel zu bringen. „Alle diese Bedingungen für das Gelingen eines großen Werkes“, (so ungefähr drückt sich der Engländer Dreaper aus, und diese Anerkennung kann uns Deut schen nur schmeichelhaft sein), „müssen wir Engländer heute bei ausländischen Fabriken kennen lernen. Die Herstellung des synthe tischen Indigos, die Gewinnung des Salpeters aus dem Stickstoff der Luft mögen als Bei spiele genügen. Noch vor kurzem haben wir erfahren, daß in die Ausarbeitung des Indi gos, bevor er in beträchtlichen Quantitäten in den Handel gebracht wurde, eine halbe Million Lstrl. an Kapital hineingesteckt wer den mußte.“ Ein Fall, wo England Gelegenheit hatte, eine neue Textilindustrie sich zu gründen, lag bei der industriellen Verwendung der Ramie als Kette und Schuß vor. Aber auch hier wieder war fremdes Kapital, in diesem (Von W. P. Dreaper.) Falle amerikanisches, notwendig, um die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich diesem Material boten. Auf dem Kontinent gibt es heute bereits mehrere Gesellschaften, die Kunstseide und künstliches Roßhaar im großen Maßstabe herstellen. Es möge genügen, von einigen der bedeutendsten Firmen die Größe des Aktienkapitals und des Gewinnes aus dem letzten Jahre, soweit darüber Notizen vor liegen, hier wiederzugeben. Die französische Chardonnet-Ge- sellschaft wies einen Gewinn auf von 3213816 Frs. für 1905 und 4401410 Frs. für 1904 bei einem Aktienkapital von 2 Mill. Frs. Sie zahlte 50 Proz. Dividende, doch stellen diese nur etwa 1 / 3 des wirklichen Ge winnes dar. Die das Kupferoxyd - Ammoniak - Ver fahren ausnützenden Vereinigten Glanz stoff-Fabriken, Elberfeld, arbeiten mit einem Kapital von 125000 Lstrl. und mach ten einen Reingewinn im letzten Jahre von 100000 Lstrl., der Reservefonds betrug 90000 Lstrl. Die Vereinigten Kunstseide-Fabri ken, Frankfurt, deren Direktor Dr. Lehner das Nitro-Cellulose-Verfahren aus gearbeitet hat, machten 1905 einen Profit von 120000 Lstrl. bei einem Aktienkapital von 175000 Lstrl. Die Belgische Chardonnetgesell- schaft arbeitet mit einem Aktienkapital von 54000 Lstrl. und profitierte 1905 80000Lstrl. Diese wenigen Zahlen genügen, um den Nutzen der leitenden kontinentalen Firmen zu illustrieren und ein Bild von der Wichtig keit dieser Industrie zu geben. Es wird noch von Interesse sein, das Verhältnis der Kunst seide zur natürlichen Seide zu betrachten. Die Produktion an Rohseide in der ganzen Welt betrug 1904 21145000 kg, die Produk tion der Kunstseide 1906 wird geschätzt auf 2 400 000 kg. Italien produzierte 1904 5900000 kg Seide, Frankreich 624000 kg, sodaß also die Fabrikation der Kunstseide die Rohseidenfabrikation von Frankreich etwa viermal übertrifft und nahezu die Hälfte der von Italien beträgt. Bekanntlich besteht die Fabrikation der Kunstseide darin, daß Lösungen von Zellu lose oder Nitro-Zellulose durch geeignete Röhrchen in die Luft oder in Flüssigkeiten gepreßt werden, in denen sie erstarren und kontinuierlich zu Fäden aufgewickelt wer den, die in Glanz und in Lebhaftigkeit mit der natürlichen Seide konkurrieren. Die Methoden zur Herstellung der Lö sungen haben gewisse Schwankungen durch gemacht. Zuerst nitrierte man die Baum wolle und löste sie in einem Gemisch von Alkohol und Äther. Chardonnet hatte mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, bis es ihm gelang, auf der Pariser Ausstellung 1889 den Fabrikationsprozeß zu veranschau lichen. Die Kosten der Experimente sollen auch hier über 70000 Lstrl. betragen haben. Dieser Prozeß ist noch heute üblich, und das Produkt ist jetzt wesentlich besser als die ersten Muster, die hart und brüchig waren und beim Befeuchten ihre Festigkeit total verloren Allmählich wurden die Schwierig keiten in einer Weise überwunden, die man nicht voraussehen konnte, und wenn auch die Eigenschaften des Fadens nicht in jeder Be ziehung genügen, so gibt es doch eine ganze Reihe von Fabrikationen, für welche sie voll ständig ausreichen. Es wird interessieren, die Verminderung der Stärke zu erfahren, welche 1. bei der Denitrierung und 2. beim Anfeuchten dieser Seide (nach Bernard) Platz greift. Beträgt die Festigkeit der rohen Kunstseide 150 g, so sinkt sie nach der Denitrierung auf . . 110 g und beim Anfeuchten auf 25 g; natürliche Seide in derselben Fadenstärke zeigt 300 g. Der Verlust an Festigkeit wird auf die Anwesenheit von Oxyzellulose geschoben, die sich bei der Denitrierung bildet, jedoch muß man daran erinnern, daß eine ähnliche Verminderung eintritt, wenn man die nitrier ten Fäden anfeuchtet. Hier beobachtet man einen Verlust von etwa 60 Proz., der auf die Bildung von Hydraten zurückzuführen ist. Von der Zeit, wo Chardonnet zuerst das Produkt ausstellte (1889), bis zum Jahre 1903 wurde eine permanente Steigerung in dem Handelswert des Produktes beobachtet. Im letztgenannten Jahre kostete das Produkt 40 Frs. pro kg. In England hatte die Fabrikation keinen besonderen Erfolg; das ist auf mancherlei Gründe zurückzuführen. In jenen ersten Tagen waren die Einzelheiten der Herstel lung der Lösung und des Spinnprozesses sehr wenig bekannt. Solange diese Schwierig keiten nicht beseitigt waren, machte die fran zösische Gesellschaft auch wenig von sich reden. Ein Grund dafür, warum sich der Prozeß nicht hätte einführen lassen, ist nichl bekannt. Nitrozellulose, Alkohol, Äther und Azeton werden ja in großem Maßstabe ver braucht. Heute wird von dieser Nitrozellu lose-Seide das Quantum von 3—4000 kg pro Tag fabriziert und zwar in Frankreich, Bel gien und Deutschland. Eine ganze Reihe von Patenten, die diese Prozesse betreffen, beziehen sich weniger auf die Grundlage, als auf eine große Menge von Einzelheiten. Seit jener ersten Zeit sind aber 'auch einige neue Prozesse aufgetreten. Bei diesen wird die Baumwolle direkt gelöst, ohne daß sie vorher nitriert wäre. Unter diesen Ver fahren hat den größten Erfolg der Kupro- ammonium-Prozeß, der im großen Maßstabe in der Fabrik der Elberfelder Gesellschaft und in Buysinghen in Belgien ausgeführt wird. Etwa 3000 Arbeiter werden in der erstgenannten Fabrik beschäftigt und die durchschnittliche Tagesproduktion beträgt etwa 3000 kg an Kunstseide von 110 Deniers. Die anderen Prozesse, die nur schwer aus den Anfangsstadien herausgekommen sind, sind das Viskose- und das Chlorzink- .Verfahren. Die nach den direkten Verfahren erzeugte Seide zeigt eine größere Festigkeit des Fadens in trockenem wie in nassem Zu stande. Die Schwierigkeiten in der Aus arbeitung der Einzelheiten waren sehr groß. Viskose-Seide. In der letzten Zeit hörte man viel von der Viskose und dem Viskoid. Die erstere fand Anwendung zum Schlichten von Papier und das letztere wurde als Er satz für Zelluloid verwendet. Es existieren, soweit bekannt ist, in Frankreich, Deutsch land und Belgien Fabriken für die Herstel-