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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.01.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-01-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930110028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893011002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893011002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-01
- Tag 1893-01-10
-
Monat
1893-01
-
Jahr
1893
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Ve-«--.PretS d tz« tza»ptq»»dtttoa od« de» im Stadt, bezirk «ad de» Borort»» errichtet»» La«, xabestelle» abgeholt: vierteljährlich^»4,50, bei »roeimaliger täglicher Zustellung in- Haut -ck b.üO. Durch die Post bezogen sür Ttutschlaud und Oesterreich: viertel>ährlich ü —. Direkte tägliche Kreuzbandjeadung t»4 Ausland: monatlich S—. L ie Morgen-AuSgob« erscheint täglich',7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag- ü Uhr. Lrdaction und Expedition: Johannes,affe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Ltto Klrmm'S Lartim. («lfrrh Hahn), Universitätsstraße 1, Louis Lösche, Katharinens»:. 14, part. und Königsplatz 7. Abend-Ausgabe. K-WMrLWMalt Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- «nd Geschäftsverkehr. Anzeigen-Prets Die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4g^ spalten) ÜO-j. vor den Familiennachnchtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. 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Man ist eS gewöhnt, daß jede Absicht einer Stcucrerböbung von den in erster Linie dadurch betroffenen Kreisen aus das Leb- bastcste und nicht selten mit sehr übertriebene» Argumenten bekämpft wird, weshalb den» auch derartige Petitionen in den parlamentarischen Kreisen meistens mit sehr argwöhnischen Augen angesehen werden. Im vorliegenden Falle ader wird der unbefangen Prüfende sich doch eines sehr ernsten Eindruckes nickt erwehren können. ES ist eine ganz hervorragende Frage der LolkSgesundbeit, um die cS sich bier bandelt. Man bat dem Biere in überschwenglichen Lob- sprücken die Eigenschaft eines wertbvollen Nahrungsmittels zuschreiben wollen. TaS ist deS (Ruten zuviel getban. Aber cS ist unbestreitbar dasjenige Genußmittel, welches am auS- sichlsrcichsteii n»d wirksamsten den Kampf gegen das volkS- verdcrbende Nebel deS übertriebenen Braimlweingcnusscs zu führen vermag, und eS erhebt sich deshalb die Frage, ob inmitten der in Tentschland gegebenen Berbältnisse überhaupt irgendwelche Erhöhung der Besteuerung deS Bieres als zu lässig betrachtet werden kan». Sebr nachdrücklich wird dies soeben zur reckten Zeit zum Bewußtsein gebracht durch die scheu gestern erwähnte neue Auflage der Rosentbal'schcn Schrift, „Bier und Branntwein und ihre Bedeutung sür die VolkSgesund- beift" Der Verfasser ist weit davon entfernt, den Wertb deS BiereS an sich zu überschätzen. Er sagt von ihm: „Daö Bier enthält nahrhafte Stoffe, dock sind diese zu gering, ihm einen merklichen Werth als Nahrungsmittel zu verleihen. Dagegen ist eS ein nützliches Gewürz und Genußmitlcl und sein nickt übertriebener Gebrauch in vielen Beziehungen zu empfehlen." Der Unterschied zwischen dem Bier und dem Branntwein besteht darin, daß daS erstcre den Alkobol, welchen der letztere in großer Menge und cvncentrirter Ge stalt enthält, nur in geringer Menge answcist, während seine übrigen Bestandtheile die schädlichen Wirkungen deS Alkohols erheblich mildern, zum Tbeil sogar einen wirklichen Nähr- werth besitzen. Ta nun das Verlangen bcs Menschen »ach Alkohol auf absehbare Zeit nicht auSzurotten sein wird, so betont Rosentbal, daßcSimInteressedeSVolköwoblS durchausnöthig ist, den Genuß billigen, nicht z» alkoholreickenBiereS, wie cS nur von kleineren, überall zerstreuten Brauereien in genügender Menge geliefert werden kann, zu begünstigen. Gerade aber was diesen letzteren, vor Allem beachtenSwerlhcn Punct an- langt, so ist zu bezweifeln, daß der in der gegenwärtigen Regierungsvorlage vorgeschlagcne Stasfcltarif das Eingehen der kleineren Brauereien verhindern könnte. Tic großen Brauereien würden die Erhöhung der Steuerlast durch schwächeres Einbrauen auSzuglcichcn suchen, und auch daö würde eine vermehrte Abwendung der Eonsumentcu zum Braniitweingcnuß zur Folge haben. Daß dadurch weder »ttscre wirtbschastliche, noch »nsere Wehrkraft, die ja mit Hilfe einer Erhöhung der Brausicucr gehoben werden soll, erhöht werden würde, liegt so klar auf der Hand, daß der Reichstag gerade da»», wen» er in seiner Mehrheit die Zwecke der Militairvorlagc fördern will, die Braustcuer- vorlage der Regierung mindestens erheblich abändcrn muß. Die NothstandS-Jnterpellation der Social- demokraten, die morgen im Reichstag zur Verhandlung kommen muß, trifft recht merkwürdig mit dem große» BergarbeiterauSstand zusammen, (kn ihrer Agitations- Interpellation wollen die Socialtemokratcn glauben macken, cS sei ein großer allgemeiner Nothstand, eine drückende Arbeitslosigkeit vorhanden, welche daS schleunigste Eingreifen mit öffentlichen Mittel» erfordere, und gleichzeitig legen Tausende von Bergarbeitern in einem Gebiete, wo am wenigsten von unzureichenden Löhnen die Rete fein kann, die Arbeit nieder, geben daö Signal zu einem allgemeine» Berg- arbeitcrauSstande und macken sich und viele andere Arbeiter in Fabriken, die auf große Kohlcnvorrätbc angewiesen sind, brotlos. So ist eS nachgerade geworden: geht cS den im Banne der Sccialtcmokratie stehenden Arbeitern gut, so stellen sie auS Ucbermutb die Arbeit ein, gebt es ihnen schlecht, so rufen sic die allgemeine Mildtbätigkcit und die Unterstübuiig auö öffentlichen Mitteln an. Nicht deö LcbenS bittere Notb, welche die Abwehr rechtfertigt, hat diesen gewissenlosen und frivolen Streik hervorgerusen, sondern socialkemolratischc Aufhetzung und Ansprüche, welche sich einfach über die wirth- schaftlichcii Möglichkeiten binwegsetzc». Dabei ist vom Ver tragsbruch und vom TerroriSmnS gegen andere Arbeiter, welche ibr Tagewerk sortsctzen wollen, in einen« bisher in Deutschland nickt erhörten Umfang Gebrauch gemacht worden. Für diese Leute gicbt es "nachgerade kein Recht mehr, sondern nur noch Willkür und Gewalt. In dem ausständigen Gebiet ist jeder Rechtsschutz »nd jede öffentliche Ordnung bedroht, und cS wird großer Festigkeit und Strenge der Behörden bedürfen, »m Zucht und Autorität wiederherzustcllen und dem ordnungs liebenden Arbeiter, der an diesen« Unfug keine Freude hat, sei» natürlichstes Reckt zu sichern: daS Reckt, zu arbeiten, unbeirrt durch Drohungen und Mißhandlungen aufgerciztcr und fanalisirlcr Massen. Wen» die Sociaidcmokratcn im Reichstag daS Bctürsniß fühlen, NotbstandS-Agitation zu treiben, so wird ihnen hoffentlich ernstlich klar gemacht werden, wie gerate ihre eigenen Aufhetzungen zum großen Tbeil schuld an den »»befriedigenden Verhältnissen in unserm gewerblichen Leben sind, indem sie Zustände herbei geführt haben, unter denen bald die Industrie überhaupt nicht mehr bestehen kann. Tie beiden Vcrsassu»gSa»Sschüsse der belgischen Kam mern haben »uiimchr förmlich Kcnntniß von den Wabt- rcform Vorschlägen der Regierung genommen. Von größerem Interesse waren bloß die Vorgänge im Ausschuß der Zweite» Kammer. Frerc-Orban verlas eine Erklärung gegen daö System der Abstufung deS BcsitzeensuS und da« Besähigilugöwahlrecht. An letzterem tadelte der Schöpfer dieser Einrichtung in Belgien, daß di« Regierung die Wähler von AmtSwegen, die gegenwärtig zur Wählerschaft für Pro vinz und Gcmcindc geboren, nickt mit in die Kammerwäblcr- scbaft hinübernchinc und daß die von der Regierung vorgc- schlagcne bloße Prüfung auf Lesen, Schreibe» »nd Rechnen nickt streng genug wäre, folglich zu viel Wähler schaffen würde: letzteres sei dem ursprünglichen Programm der Vcr sassungSrcform zuwider. Mit dieser Bchaupluiig wird der greise Führer bei de» Radikalen schleckt ankommen. Fröre« Erklärung verschließt der Regierung also die Aussicht, daß die Gcmäßiglliberalcn sich mit der Rechten zu der erforderlichen Zweidrittelmehrheit ans der Grundlage ihrer jetzigen Vor schläge vereinige» könnte». Die klerikalen Mitglieder tadelten daher lebhaft Frörc'S Beharrlichkeit. Sic versuchte» darzulegc», daß die Ahslusniig des Besitz- und Wolmungs- cciisus keineswegs, wie von liberaler Seite ziemlich allgemein behauptet wird, die Landbevölkerung auf Kosten der städtische» begünstige. Daraufhin erklärte Fröre, er sei bereit, die Re- gicrunSvorschläge unter der Bedingung zu prüfen, daß die Re gierung ihrerseits nicht von vornherein auf jener Abstufung bestehe», sondern die Gegenvorschläge einer ernsten Prüfung unterziehen würde. Woeste erklärte, die Reckte würde alle Vorschläge ohne Voreingenommenheit prüfe», »nd »ach einigem Zögern gab der Minister deS Inner» eine ähnliche Zusicherung Namens der Regierung ah. Nach der letzten Sitzung scheint cS. daß Fröre, der schon einen Plan bereit habe» soll, mit seiner Gruppe de» Ausschlag geben wird. Tic nächste Sitzung deS KammcrauöschuffeS soll heute stattfindcn. Der ehemalige französische Minister der öffentlichen Arbeiten, Bai baut, ist seinem Schicksal nicht entgangen. Nack einem längeren Verhör bat ihn der Untersuchungs richter im Panamaproccß, Frangnevillc. »och gestern Abend verhaften »nd »ach dem Gefängnis; MazaS über führen lassen. DaS ist daS neueste hervorragende Ereignis; deS PanamaskantalS und wer will wissen, wie viele ibm noch Nachfolgen werde»? Ter Polizcicommissar Element nahm die Verhaftung vor, wobei einiger Widerstand der Frau Baibaut, die sich von ihrem Manne durchaus nicht trenne» lassen wollte, zu überwinden war. Baibaut ist ein Manu von 5,0 Iabren, als Ingenieur wie als Geschäfts mann ebenso erfahren alS gewandt, hat nach einem gbänze»- den Etudiengangc als Schiffsbau Ingenieur bei großen Ge sellschaften namhafte Posten bekleidet, viel im AnSlandc gelebt, schließlich gcbciralhct und sich in die Stille der Provinz zurückgezogen, ist dann im Iabre >877 in die Kammer gelangt, der Union Röpublieainc bcigetrclcn und im Gcneralslabc IulcS Fcrry'S emporgestiegei, zum UnlerstaalSscerctair im Bautenmiiiislerinm und, nachdem er li Iabre diese Stelle bekleidet, im Iakre 1886 selbst Bauten minister geworden. Selbst seine Feinte sagen dem doch gewachsenen, beweglichen, etwas düslern Manne nach, datz^r in diesen Stellungen keine schlechte Figur Gemacht habe. Allein er war damals schon vielen Ansciiidungcn auSgcsetzl und warf auch schließlich, nachdem er sich lange tapfer feiner Haut gewehrt, sehr zum Bedauern seiner AmlSgenosscn, den Gegnern kurzweg sein Portefeuille vor die Füße. Baibaut bat iicben seinen verbissenen Gegnern anS der poli tische» Arena auch einen Privalfcind, der einst sein Freund war und ihn beschuldigt, er habe ibm seine reicke Frau erst abspenstig gemacht unk dann i» zweiter Ebc gchciratbct. Im Iakre 188!» halte der Abgeordnete nnd Exminister einen böse» Streit mit dem Ebcsrctaclcur deS „Rcrcit de la Haute Eaone" auSzuscchtc», der in den letzten Tage» wieder in die Erinnerung gebracht wnrde. Baibaut vertritt den Wahlkreis Haute «Lacne in der Kammer, und der „Revcit" hatte ilm beschuldigt, seine poli tische Stellung zur Betheiligung bei allerlei Gründungen »nd Finanzgesellschasteii nutzbar gemacht, Wilson zu decke» gesucht und durch MiltbeilunH des oft erwähnten amtlichen Berichts des Ingenieurs Rousseau über dicLagc deS Panama-UntcrnchmcnS an den „TempS" ein glückliches Börsciimanövcr gemacht zu haben. Heute wird bekanntlich die französische Dcputirtciikammcr wieder zusammeiitretcn und damit ohne Zweifel neuer „Schwung" in den VeriiichtungSkainps gegen die opportunistische Partei kommen. Der Ministerralh beschäftigte sich nach einer vorliegenden telegraphischen Meldung gestern mit der an gekündigten Inlerpeilalion des Abgeordneten Ehoiscul wegen Rückgabe der Summe», die Floquet im Iabre 1888 von der Panama-Gesellschaft zu politischen Zwecken erhielt. Die AnfraacbcrciletdcrRcgicrung große Verlegenheit; manbesürchtet eine Minislcrkrise. Zwischen der Rechten und der Gruppe deö linken Ecnlrums sindcn eifrige Verhandlungen statt wegen der Wahl von Mclinc zum Kammerpräsidciilc»', der Sieg Flvgnct'S ist noch keineswegs gesichert. Der Minister deS Inner», Loubcl, beriet!) gestern lange mit General Sanssier wegen der für beute vorgesehene» militairischcn Maßregeln. Da ohne Zweifel diese Maßnahmen sehr nmsasscndcr Art sein werde», so wird in Paris allgemein angenommen, das; der heutige^ Tag ruhig verlausen werde. Ter Graf von Paris Hai, wie schon gemeldet,während der vorigen Woche in Madrid sich ansgchaltc». Er war nicht, wie sonst, im töniglichcn Palast, sonder» in einem Hotel mit dem Grasen d'Haussonville abgcsticgen »nd conserirte wieder holt lange mit der Königin-Rcgciili», den Ministern unk den hervorragendste» Mitglieder» der spanischen cvnscrvativc» Partei. Die Orlcanisten verhehlen nicht ihre Hoffnung, daß die Panamavorgänge die Orleans aus den Thron Frank- rcickis zurücksükrcn werden. Ter Gras d'Hanssonville hat in Madrid dem Grafen von Paris einen Bericht über die Lage und Hoffnungen der Royalisten erstattet und ach Inslructionen erbeten Die spanische Regierung hat indessen schließlich den Grafen von Paris ausgesordcrt, alle politischen Intrigucn auf spanischem Boden zu unterlasse», worauf der Gras Madrid verließ »nd aiick Graf d'Haussonville sofort nach Frankreich abreistc. Ter spanische Botschafter in Paris bat der französischen Regierung eine i» gleichem Sinne gehaltene Mittheituiiz ge macht. In Paris fand am Freitag eine Versammlung der Gesellschaft junger Rvnatisten statt. Nur den mit Eintritts- karten Versehenen war der Zutritt gestaltet. Es hatten sich dreihundert Personen cingcfundcn. Der Vorsitzende Ibeiltc mit, das; jetzt in ganz Frankreich EomitöS von Royalisten gebildet werde». Die Partei soll mög lichst rasch organisirl sein. Herr de Witt, der von Madrid kam, begrüßte das Eomitä Namens deS Grafen von Paris. Der Herzog von Orleans werde bald in Frankreich sein. Die Feinde, dce jetzt wanken, müßten zu Falle gebracht werden. Man beschloß, die Bcrathung deö Eomilös gcbcim ;n halte». Am 2>. Januar, dem Jahrestage der Hinrichtung Ludwig S X> l. soll ein Auszug nach der Sühnceapcllc geben. 'Wenn die Polizei Schwierigkeiten macht, so wurde gedroht, man werde sich schon einen Weg zu bahnen wissen mit allen möglichen Mitteln. Lord Rosebcr» sielst im Begriff, einen der diplomatischen Fäden Salisbury s auszillichmcn und sein Glück in der heiklen marokkanischen Frage zu versuche». Sir Charles Evan Smith batte, wie erinnerlich, im letzten Sommer bei den ibm übertragene» HandklSvertragSverbandlniigeii mit dem Sultan der im geheime» wühlenden Opposition Frankreichs gegenüber nichts anSzuricktc» vermocht und schließlich durch sein brüskes Benehmen das gänzliche Scheitern seiner Mission berbeigesührt. Tie Art und Weise, wie er dann durch eine» pkaiitasiereichcn Spceiatbcrickstcrstattcr sein Auftreten in Fez auöschmückcn ließ, machte sein Ver bleiben in Tanger vollends unmöglich. Er wurde von SaliSblirn aus Urlaub znriickbcrnsc» Auf die Dauer können aber schließlich die Geschäfte in Tanger doch kaum von einem jüngeren GesandtschaftSsccrctair versehen werden, und Nosebery hat dar«»» die abermalige Entsendung eines außerordentlichen Gesandten nach Tanger und in der Folge doch wobl auch nach der Hauptstadt beim Eabinctle durchzusctze» vermocht, gewiß nickt ohne beträchtlichen Widerstand seitens einzelner Minister, in deren Augen diese Mission als eine gegen alle liberalen Teiidenzcn ver stoßende „Einmischung" erscheint. Ter sür diese schwierige Aufgabe auserlesene S>r Joseph West Ridgcway ist gegen wärtig ständiger Unter Staalösccrclair i» Irland, ein Posten, der ihn ans den ersten Blick allerdings sür seine neue Dhätig- keit kaum besonders geeignet erscheinen läßt. Allein Ridgcway bat eine lange unk ehrenvolle Laufbahn im indischen Dienste hinter sich, wo er eine besondere Geschicklichkeit, mit orientalischen Herrscher», ihren Ministern und Höflingen un>- zugcbcn.^an den Tag legte. Zuletzt war er als Nach folger Sir Peter LumSdcn'S mit der der Pcndschdeh- Asfairc folgenden Greiizrcgulirung in Ecnlral-Asien beauftragt gewesen. Aus privaten Gründe» ciitsagte er dem indischen Dienst und erhielt >88«! seinen jetzige» Posten, der sür ikn, einen eifrige» Uiiionistc», durch de» Wechsel der Regierung nickt sonderlich angenehm geworden ist. Die ihm über tragene Gcsaiidtschast zeigt jedenfalls, daß Roscbcry ein großes Vertrauen zu seiner diplomatischen Befähigung besitzt. Das Aiiscbcn Großbritanniens in Marokko hat durch Evan Smith'S FiaSco unstrcilig bedeutend gelitten, und Ridgcway wird dasselbe von Neuem zu befestigen haben. Mißlingt dies, so könnte sich schließlich England zu Maßnahmen ge drängt scl'cn, welche die marokkanische Frage über Nacht acut mache» würden. In Rußland macht sich mit dem Fortschritt deS Winters in den vc» Mißwackö betroffenen Gebiete» die Notb wieder Feuilleton. Für die Ehre der Familie. Roman von Clarisja Lohde. Nachdruck »erdeten. (Fortsetzung.) „Und wird zu Grunde gehen", stieß Wolde» schmerzlich hervor, „elend zu Grunde gehen, die Mutter meiner Kinder." Rösicke nickte bekümmert. „Und was denkst Du zu thun?" fragte er nach einer Pause. „Ich werde ibr die Summe, die sie fordert, bewilligen, doch unter einer Bedingung." „Und die wäre?" „Daß sie für ihre Kinder todt ist, daß diese nie erfahren sollen, ihre Mutter habe dem Vater die Trcnc gebrochen, um einem elenden Buben in eine ungewisse Zukunft zu folgen. O, daß sic todt wäre!" klagte er, ras Antlitz in verballcncm Tckluckzen in den Händen bergend. „Gestern erst stand ick am Sarge der Gattin meines Collegen Allbaus. Wie ich ihn beneidete, den Trostlosen! — Er wird Trost sinken, er, denn in GotteS Fügung lernt man sich zu ergeben. — Ibm bleibt daS verklärte Bild der Hingeschiedenen im Herzen, während ick! — o Freund, ich trage eS nicht. — Für alle Liebe, die ick der Unwürdigen gcjpcndct, dieser Lohn —! Wie oft fällt mir Lessing'S Wort icyl ein: Wer über gewisse Dinge seinen Verstand nicht verliert, der hat keinen zu ver lieren — „Und doch wirst Du stark sein, Erich — um Deiner Kinder willen —" „An meinem Willen zweifle nickt; aber ick fühle, meine Gesundheit ist durch diese das Gemllth erschütternden Stürme gebrochen —" „DaS denkst Tu jetzt — wenn die Zeit ihren lindernden Balsam erst auf die Wunden gelegt hat, wirst Du anders denken —" „Vielleicht — dock wenn eS nicht sein sollte, Freund, dann — willst Tu mir tan» versprechen, meine armen Waise» nicht zu verlassen ?" „TaS will ich —" „Und noch mehr — ihnen nie, nie zu sagen, was ihrem Vater das Her; gebrochen hat?" — „Auch daS verspreche ich —" „Von heute an mögen sic ihre Mutter als eine Tcdtc be weinen." Rösicke nickte: „Ich will daS Mcinigc dazu tbun, die traurige Wahrheit Deinen Kindern sür immer verborgen zu halten. Doch was ist daS?" Tic beiten Männer fuhren zusammen, rin leises Tckstucki zcn drang an ibr Obr. Wolde» sprang ans, er eilte zu dem woblbekannlcn, jetzt in völliges Dniikel gcbüllten Platz seines Lieblings. „Adele!" stieß er hervor, „Du hier und hast ge hört — ?" Ein noch heftigeres Schluchzen war die Antwort. Sie preßte ihren Kops an deS ValcrS Brust, der sie stürmisch an sich Zog: „Vcrgicb, vcrgieb, Papa", bat das Kind, die Arme um Wvldcii's Hals schlingend, „ich wollte ja nickst horche». Die kleine» Schwestern schlafen, Paul bat Unterricht und Fräulein Lucie ist auSgcgangen, da war's so öde nnd still, und ick wollte zu Dir kommen. Aber Du warst nickst bier im Zimmer, da setzte ick mich auf meinen gewohnten Platz, Dich zu erwarten " „Arme Kleine", sagte Woldcn. ibr traurig über daS Haar streichend, „und nun bat sie Alles gehört." „Warum meldetest Tu Dich nicht?" fragte Rösicke scharf. „Weil Ibr von meiner Mutter spracht", bebte es vor deS Kindes Lippen. Ein Stöhnen rang sich aus Woldcn's Brust. „O Papa, warum hat sie unS verlassen?" schluchzte Adele auf, „bat sie uns den» nickt mcbr lieb?" Ei» heiserer Ton, halb Schrei, halb Schluckzen, entrang sich der Brust deS gequälten Manne«: auch Rösicke vermochte nickst ein Wort berrorznbriiigen, endlich stieß Wolken die Worte bcranS: „Wenn Du Deinen Vater nicht tötlen willst, so frage nickst weiter. Adele, Du bist noch zu jung, »m das jetzt zu verstehen, später wird Dir Alle« klar werden." „Ich will nickt wieder fragen, Papa", versprach die Kleine, während sic gewaltsam daö Weinen unterdrückte und die großen Augen mit erschreckendem Verständnis; ans dem tobte» bleichen Gesickstchcii bervorsahen. „Und Du wirst schweigen, wirst Deine» Geschwistern nie, nie vcrralhe», was Du gehört", ries Rösicke. „Nie, nie in meincm Leben!" gelobte das Kind. „Versprich eS mir!" Adele legte ibre kleine eiskalte Hand in die Rösicke'S und dieser fühlte sich von der Berührung cigenthümlich durch schauert. Sein Verstand lelmtc sich gegen die Aiinabmc aus, daß ein neunjähriges Mädchen dieses Versprechen Halle» könne, und dennoch war etwa« i» AtclcnS Wesen, das ihm unwillkürlich daS Vertrauen abnötbigtc, sie werde ihr Wort nickt drecken. Und sie hielt eS! — In der großen Stadt, wo Niemand Wolden'S Gattin gekannt hatte nnd er mit seine» Kinder» i» strengster Zurück gezogenhcit von der Welt lebte, fragte ma» nicht »ach der Mutter der Kinder, die diese selbst für todt, in fremdem Lande gestorben, betrachten lernten, und die Wenigen, die darum wußte», wie Rösicke und seine Fra», begänne» an zunckme». was die stille Hoffnung ihnen ziiflnstcric, daß die Fabel Wahrheit geworden, daß die nnsclige Frau, von der die langen Iabre nichts verlautet war, in der Fremde ibr Grab gesunde» hatte. Nur Eine glaubte nicht daran, Adele, nur sie empfand cS wie eine drohende Gefahr, daß die Mutter noch einmal wicdcrlebrcn unk über die Kinder die Schmach a»fS Neue bringe» könne, die sie über de» Vater gebracht, der ei» Jahr nach jener Scene, die ihr so Furchtbares ent hüllt hatte, gestochen war. Gern hätte Frau Rösicke damals alle vier Kinder des beimgegangcnen Freundes ihres Gatten in ihr kinderloses HauS ausgenommen, dieser aher »lockte sich nickst dazu ver sieben, umsomebr, da Adele sich stets mit einer gewisse» Scheu von ibm zurückzog und Paul schon früh einen Hang zur Leichtfertigkeit zeigte. welche die strenge Hand eines gewiegte» Pädagoge» ei forderte. Rösicke übergab dabcr die beiden ältesten Kinder seines Freundes gut empsoblenc» Erziebiiiigsanstalic»: die beide» Zwillinge sollte» dagegen i» seinem Hause, als seine Kinder anfwachjen. Da aber kam die unlängst vcrwittwctc Schwester deS Eommcrzieiiralbcv, der ihre Kinder bald nach der Geburt gestorben waren, nnd bat so rührend, man scllc ibr doch eins der kleine» Mädchen geben, daß es Bruder nnd Schwägerin sür eine Grausamkeit gebasten haben würde», ibr nickt zu willfahren. So kam Margot zu Frau Homberg und ElSbctb wurde die Adoptivtochter und der vergötterte Liebling des Rösickc'sckcn Ehepaares. Und nun waren sechzehn Jahre seit dem Tedc deS KrciS- gcrickstoralbs Weide» vergangen. Zwischen dem Eommerzicii- ratb und seiner Frau ward in stillschweigender Ucbereinkunst nie der Vergangenheit nnd der traurigen Ereignisse, die zerstörend in das Leben Wolden'S cingkgriijcii, rnväkiit und auch Adele lalle dieselben nie berührt. Rösicke hätte glauben könne», sic habe cS vergesse», wenn ibn nicht zu weilen ein Blick ibrcr Angen, ein Auffahren oder Z»- sammcnschrcckc» darüber belehrt hätte, das; sic sich derselben jederzeit bewusst sei. Eigengcartct, wie sic war, stolz und voll ernster LcbcnSanschaiiuiigcn batte Adele gleich, nachdem sie die ErziebungSanslalt verlassen, ihren Pslcgccltern erklärt, daß sic ans eigenem Fuße zu stehe» gedenfe nnd die ihr an- gebelcne Stelle als Gesellschafterin in dem elterliche» Hause einer Pensioiicffrcundin angenommen. Dort war sie mit Baron Sperner, einem Verwandten der Familie, bekannt ge worden, der sich crnstbast in sie verliebte »»k »m ihre Hand warb. Als sic dieses Ereigniß Rösicke milgclbcilt, batte sie zugleich, zum ersten Mal die Vergangenheit bcrnbrcnk, ihren Pflegevater gebeten, sie in diesem Falle vc» dem Gelübde deS Schweigens zu entbinde» — Nur zögernd batte dieser »ackgegebe». — Sie aber hatte fest erklärt, lieber ihrer Heirath mit Sperner entsagen, als vor ibm ein Gckcimiiiß bewahren zu wollen, das zu erfahren, bevor er ibr seine Hand reichte, er ein Recht babc. Ebenso glaubte Adele jetzt, daß cS Pflicht sei, ElSbeth'« Verlebten wie beste» Eltern nickst im Unklarcii über deren Familieiivcrbällniste zu lassen, und wiederholt war sie in den Eommcrzicnralb wie i» dessen Galli» gedrungen, da» Schweigen zu brechen, da» ibiic» später leicht zum Vorwurf gemacht werten könnte Dem aber batte Rösicke stet» aufS Entschiedenste widerstrebt.
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