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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.01.1893
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-01-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930107016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893010701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893010701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-01
- Tag 1893-01-07
-
Monat
1893-01
-
Jahr
1893
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Eroßere Schrillen laut unserem Preis verzeichnis). radeliarischer und Ztssrrnjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, obne Postbesörderung Vl 60.—» mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluk für ^azeigea; Abend-AuSgabe: Äormittag« 10 Uhr. Piorgen-Ausgabe: Siachmitiag« «Uhr. Sonn- und Festtags früh '/,0 Uhr. Bei Leu Filialen und Annabmeslellen z« «in« halb« Stunde früher. llnikigru stnd stets an die EtDedttta» zu richten. Druck und Berlag von L. Polz ta Leipzig. 87. Jahrgang. Unsere Expedition ist morgen Sonntag, den 8. Jannar, Vormittags nur bis Uhr geöffnet. kxpeMlon des I«elp/,iLf6r Die Moral der Stadt Leipzig. * Kürzlich hat ein hiesiges Blatt, daS sich ausschließlich an Erwachsene richtet und sich deshalb erlauben darf, Alles „beim rechten Namen zu nennen", die Miltheilung gebracht, baß Leipzig abermals einem großen Skandalprocesse entgcgenzusehen habe; vierzehn Quartiere der Unsittlichkeit seien entdeckt und aufgehoben worden und die erschreckendsten Dinge seien ans Licht gekommen. Was das Blatt über diese Dinge erzählen zu dürfen glaubte, ließ mit Sicher heit darauf schließen, daß die betreffenden Gerichts verhandlungen unter Ausschluß der Oefsentlickkeit geführt werden würden. Schon daS legte uns die Ver pflichtung auf, die recht unverblümte» Angaben jenes Blattes im „Leipziger Tageblatt", das in die Familien dringt, nicht wiederzugeden. WaS ein Gerichtshof vor der Oessenllich- keit nicht verhandeln zu dürfen glaubt, gehört auch nicht in eine Zeitung, die nicht lediglich für Kreise bestimmt ist, die ohne Schaden auS juristischem oder kulturhistorischem Interesse in dir Details aller Processe sich Verliesen können. Aber auch wenn wir nicht hätten annehmen müssen, daß die betreffenden Gerichtsverhandlungen unter Ausschluß der Oeffentlickkeit ge führt werden würden, so würden wir unS doch nicht entschlossen haben, auf jene Angaben einzugehen. Erstens sollen ja die betreffenden Verhandlungen erst klarstellcn, wer schuldig ist und welche Schuld die Einzelnen aus sich geladen haben; jene Angaben sind also vorläufig nur geeignet, weite Kreise unserer Stadt, ja ganz Leipzig in üblen Geruch und entehrenden Verdacht zu bringen. Und zweitens hat eine zicmliä, reiche Erfahrung, die von den erfahrensten Eriminalistcn, Seelsorgern und Gefänginßdirectoren bestätigt wird, uns gelehrt, daß bei Verbrechen gegen die Sittlichkeit das „Nenne» beim rechten Namen" und vollends detaillirte Angaben nur eine verderbliche, nie eine bessernde und abschreckende Wirkung üben. Gerade auf diesem Gebiete kann man nach unserer lleberzeugung eine heilsame Wirkung aus weitere Kreise nur erwarten, wenn gleichzeitig mit der kurzen und möglichst dccenten Angabe deS Verbrechens die Strafe mitgetheilt wird, die über die Schuldigen verhängt worden ist. AuS diesen Gründen erwähnten wir die tief betrübende Angelegenheit gar nicht und behielten unS lediglich vor, über die bevorstehenden Gerichtsverhandlungen, möchten sie nun vor der Leffentlichkeit oder unter Ausschluß derselben er folgen, seiner Zeit kurz und decent zu berichten. Diesem Vorhaben würden wir auch im Interesse der Statt Leipzig und im Interesse der Moral treu geblieben sein, wenn nicht jene ohne Zweifel in der besten Absicht erfolgte Veröffent lichung die übelsten Früchte getragen und zu den nichlS- wllrdigstcn Verdäcbliguiigc» Anlaß gegeben Kälte, die zurück- luweisen unsere Pflicht ist. Wir werden dabei auf den schmutzig-gemeinen Fall selbst so wenig wie möglich eingeben und unö hauptsächlich ans die Charaktcrisirung und Zurück weisung jener Verdächtigungen beschränken. Tie erste ist gegen die Stadt Leipzig gerietet. Natür lich geht sie von dem Hauptorgan der Socialtemokratie, dem Blatte des Herrn Liebknecht, aus, rer sich nicht scheut, auf Grund jener Mittheilnngcn Leipzig „die Sumpsstätte der gemeinsten Eorruption" zu nennen und ihr vor aller Welt daS Zcugniß auSzustcllcu: „In der Stadt der Winkclmann und Jerusalem bietet die „ehrsame", „respectable" Bürgerschaft daS Schauspiel der höchste» Gesinnungslumperei und Protzenhastigkeit und dabei einer lüderlickcn Zügellosigkeit und ckclbaften Genußsucht, die sich auch durch de» Mantel der Heuchelei nicht mehr verdecken läßt. Die Fäulnißgeschwürc brechen au allen Stellen aus und kein Parfüm kann verhüte», daß der Gestank merkbar werde. Wie sich die Bourgeosie amüsirt, das zeigte erst kürzlich vor einigen Monaten eine Gerichtsverhandlung gegen einen „Elub von Lebemännern" rc." Ekelte es uns nicht an, die Peitsche zu erfassen, mit der Herr Liebknecht auf „Hunde" und „Züchtlinge" schlägt, so würden wir diese Peitsche mit den wuchtigsten Hiebe» aus einen Menschen nicderfaUen lassen, der eine ganze „ehrsame" und „respectable" Bürgerschaft der „tüderlichen Zügel losigkeit" und „ekelhaften Genußsucht" verdächtigt und be schuldigt, weil eine Anzahl lüderlicher Subjecte, deren jede Großstadt leider eine Fülle anszuweisen hat, sich selbst ge schändet und die Verachtung der ganzen überwältigend großen Mehrheit ihrer Mitbürger auf sich geladen hat. Aber eS ist ja auch nicht nötbig, die Hundepeitsche eines Liebknecht gegen diesen selbst zu ergreifen. Er schändet auch beim besten Willen Leipzigs Bürgerschaft nicht; die allgemeine Entrüstung gegen die schuldigen und gegen ihn selbst wird der Well zeigen, daß diese Bürgerschaft sich sittlich gesund und stark genug sübtt, ihren guten Namen gegen alle Schänder desselben zu ver- tbeidigen. Und WaS die übrige Socialdemokratic mit ibrcr „sittlichen Entrüstung" gegen Leipzig betrifft, so genügt cö wohl, sie an Bebels berüchtigtes Buch „Die Frau" zu erinnern und ihr die Frage vorzulege», aus welcher Stufe der Moral Leipzig stände, wenn dieses Buck in alle Hände gekommen wäre und aus alle „Geister" seine Wirkung auS- geübt hätte. Wir könnten somit von Herrn Liebknecht und seine» „Genossen" scheiden, wenn der „Vorwärts" nicht Leipzig auch als die „Hochburg de» N ationatliberalismuS" bezeichnete und damit zu verstehen gäbe, gerade aus die natioiiallideralcn Kreise Leipzigs passe seine Vertächriguiig der „tüderlichen Zügellosigkeit" und „ekelhaften Genußsucht". Die Frechheit und Gemeinheit dieses Vorwurfs geht sonne» klar daraus hervor, daß noch kein einziger Name jener Lüst linge genannt, kein einziger Nationallideraler als zu jenen Lüstlingen gehörig von irgend einer anderen Seite verdächtigt worden ist. Häufig findet man die „goldene Jugend" und daS „goldene Alter" in ganz anderen politischen Lagern, als im nationalen und liberalen, zumeist in gar keinem. Ge meine Lüsternbeit ertönet nationale und liberale Ideale. Und jedenfalls wäre man weit mehr berechtigt, aus alle» de» Unter schlagungen und Spitzbübereien, die Tag für Tag ans dem soeialreuiokratische» Lager gemeldet werten, aus die mora lische Urheberschaft jener Führer, die Eigenthum jür Dieb stahl erkläre», als aus SiltlichkeilSverbrecheii aus die moralische Urheberschaft der iiativnallibcralen Partei und Führerschaft zu schließen. Je elender und nichtswürdiger aber diese sccialdcmokralische Verdächtigung der NalienaUiberalcn überhaupt und sxeeiell der Leipziger Nationallibcralcu ist, um so sicherer durste inan darauf rechnen, daß sie von ultramontancr Seile übernomnien und weiter auözcspoiincn werden würde. Tie „Germania" druckt denn auch gleich dem „Vorwärts" über de» i» Aussicht siebenten abscheulichen Proceß in Leipzig einen Vorbericht »ach, den sie als „niedliches national- liberales Sittenbild" bezeichnet und an dessen Wieder gabe sie folgende Benierkungen knüpft: „Unter selchen Umslänken begreift man cS, daß die »ationaUibcralen Leipziger Eulturkämpser sich so heftig gegen die Abhaltung einer K alho likenv ersainm- lung borlsclbst wehrten; sie dachten vielleicht, i» eine solche Gesellschaft paßten keine anständige» Leute. Und darin hatten sic ja ganz Recht; aber sie vergessen doch gleichzeitig, daß cS in Leipzig Gott sei Tank neben solchen der „gesunden Sinnlichkeit" sröhnenden Elemente» auch noch sebr viele anständige Leute gicbt, und nur sür diese war die Kctthelikcnverianimlung be stimmt." DaS geht fast noch über den „Vorwärts". DaS ultra- montane Hauptorgan hat die Stirn, alle diejenigen Bürger uno Bewohner Leipzigs, die in den Mauer» unserer Stadt die Abhaltung einer Kalholikcnversammtung mit den üblichen Nc- solutionc» zu Gunsten der Jesuiten nicht wünschen, nicht nur als unanständige Leute und als Protccloren der Unsitttichkcit zu bezeichne», sondern ihnen obendrein den Vorwurf zu machen, sie wollten eine Versammlung von Icsuitensrcundc» nickt dulden, um sich von ihnen nickt daü Gefühl für Ehr barkeit und Sille bcibringcn zu lassen! Unk daS sollen sich die „Leipziger Enltnrkämpfcr" von einem Blatte bieten lassen, das selbst die Sckanttbaten der Mordbrenner- und Sckäntcrbaiidcn eines Ton EarloS mit dem Mantel der „christlichen Liebe" zudeckle, weit diese Bande» und ihr Führer so „eniincnt katholisch" waren'? Vcn einem Blatte, daö weder dicSchand- moral eines Gury sür anstößig erachtet, noch ein Wort der Entrüstung findet, wen» ein neuer Klosterskankal an das Licht kommt'? Wir irren uns denn auch wohl schwerlich in der Annahme, daß das „eulturtänipscrischc Leipzig" ans diese jesuitische Verunglimpfung die rechte Antwort durch einen ncncn Pretest gegen jene Bestrebungen crtheilt, die daraus abzielc», die evangelische Welt durch jesuitische Lehr mcistcr zur höheren Sittlichkeit erziehe» zu lassen. Ter evangelische Geist, der i» Leipzig herrscht, ist gesund und kräftig genug, um Herr zu werden über die sittliche Entartung verkommener Subjecte; gesund und kräftig genug, nm sich solcher Lehrmeister zu erwehren, die selbst die gröbsten Uiisittlichkeiten als „läßliche" Sünden beschönige», wen» nur die Sünder und die Sünderinnen gefügige Werk zeuge der „frommen Väter" sind. So empörend nun aber auch die jesuitische Verunglimpfung der „Germania" ist, so hat sie gleichwohl einer hiesigen con- scrvativen Zeitung imponirl und diese veranlaßt, in das gleiche Horn zu stoßen. Man glaubt in der „Germania" zu lesen, wenn man die „Leipziger Zeitung" au eine Aus lassung des „Vaterland" über den bevorstehenden Skandal- prcceß die folgende Benierknug knüpfen sicht: „Der Eulturkampf ist so ziemlich der einzige Gedanke, den der politische Spiritus loci unserer „Seestadt" hegt und pflegt. Darüber hinaus ist eS höchstens noch die Musik, die sein Dichten und Denken gefangen hält. Wäre eS nicht rathsamer, einen Theil dieses unverwüstlichen Eultur- kampfeiferS auf die Pflege der „Cultur", d. h. der guten Sitte in de» eigenen Mauern zu verwenden? De» Eulturkampf gegen die Kirche könnte die einheimische Presse, die sich über die Eingangs erwähnten „Cultur"- Ziistände der eigenen Stadt mit Beharrlichkeit auS- schwcigt, als besonderen Localsport ja nebenbei dann noch immer »ach Herzenslust pflegen." Nicht eine Silbe des Protestes gegen die verleumde- rischen Beschimpfungen und Verdächtigungen, welche die social- demokratische und die ultramontancPrcssc gegen Leipzig und seine Bürgerschaft anläßlich dcö neuen Skandalprocesies schleudert, findet die „Leipziger Zeitung"; wohl aber fühlt sie sich ge drungen, in dem Tone der „Germania" dieser Stadt und Bürgerschaft „Eutturkanipf gegen die Kirche" vorzuwcrsen und deutlich zu verstehen zu gebe», daß aus diesem Kampfe die Unsitllickleit cmpvrwackse. ES fehlt nur »och, daß die „Leip ziger Zeitung" direct die Proteste gegen die Wiederzulaffung der Jesuiten als die wahre Ursache unserer angeblich so himiiielschreiendeii „Eultur Zustände" bezeichnet und den Rath crtheilt, die Leipziger Eultur durch jesuitische Erzieher zu veredeln. Zum Glück ersieht man bei dieser Gelegenheit, daß in der „Leipziger Zeitung" nicht amtliche Federn zum Worte komme». Ein amtliches Blatt hätte in erster Linie die Stadl Leipzig und ihre Bürgerschaft gegen den Vorwurf in Schutz genommen, eine Sumpsstätte der gemeinsten Eorruplion zu sein, und hätte al« Beweis für den gesunden moralische» Sinn der überwiegenden Mehr heit dieser Bürgerschaft die kräftige Abwehr des Eindringen- jesuitischer Sckandnioral aufgesührt. Es wird sich daher auch schwerlich Jemand besonder- über den Steinwurs grämen, den die „Leipziger Zeitung" nach socialdemokra- tisckcm und ultramontancin Vorgänge aus den „Spiritus Ini'i" unserer „Seestadt" zu schleudern sür angebracht hält. Trotzdem protcstiren wir gegen ihn, wie gegen die andere» in der ruhigen Ueberzeugung, daß Leipzig i», Puncte der Moral vor keiner anderen Großstadt der Welt sich zu schämen braucht und den Geist gemeiner Genuß- snchl lim so erfolgreicher bekämpft, je weniger sie die Gemein- Fenrlletsn. Aus Lerlin. Nachdruck verbale«. Berlin im Schnee — mit diesem Ausstattungsstück sind wir endlick in diesen Tagen überrascht worden, und allem Anscheine nach gefällt diese Saison Novität unserer Stadt recht gut: die sonst so trüben und eintönigen Häuscr- Fronten und -Dächer haben mit einem Male ein schmuckes Kleid erhalten und das ganze Straßcnlebcn Kat einen anderen, einen frischeren Anstrick bekommen. Freilich, in der Stadt selbst dauert die Freude nie sebr lange, der Magistrat einer löblichen, wohlgeordneten Residenz läßt sich von Riemandem und am wenigsten von einer Frau, wenn sic auch Holle heißt, in sein SanberkeftSgefiibl pfuschen, und mit dein Hcrniedcr- wirbetn der Schneeflocken setzen sich den» auch sogleich viele Tausende von Händen und viele Hunderte mächtiger Wagen in Bewegung und machen dem Winter sein Reich streitig. Ausstattungsstücke aber, zumal wenn sic die Natur in Scene setzt, sind tbcucr, daS erfährt auch diesmal wieder unsere städtische Verwaltung, die Tag sür Tag an dreißig Tausend Mark Ausgaben bat, nur um eiuen Theil des Schnees sortschaffen zu lassen. Mag in den Straßen jedoch noch so sehr gefegt und gekackt und gereinigt werde», so bleibt der Thiergarten desto unberührter; von seine» Zweige», Stämmen und Sträuchern glänzt eS wie von Milliarden Brillanten, die „Götter und Göttinnen Griechenland-" habe» luftige Tauncnmäntcl um die entblößten Schultern gcnoininen, und der trotzige Herkules Musagctes trägt ein kcckcS Schnee- EereviS aus seinem lockige» Haupte^ aus den freien Plätzen werden seitens der Schuljugend heftige Schlachten geschlagen, und ans den Alleen sausen die eleganten Schlitten dabin, die Glöckchen klingeln lustig, die buntfarbige» Haarbüschel aus den Köpfen der Pferde nicken hierhin und dorthin, nnd weit im Winde flattern die prunkvollen Schlitkenrecken. Alles strebt der Rousseau-Insel und dem Neuen See zu. Aus diesen beiden glatten Eisflächen entwickeln sich ja jetzt wieder die bekannten taseinSfroken und abwechslungSvollc» Scencn, rauschende Musikwcisen ballen durch den winterlichen Park, verkündend, daß sich Iuuz- wie All-Berlin auch außerhalb de« städtischen Banne» zu unterbalten und zu vergnüge» Von dem winterlichen Schmuck abgesehen, bat sonst Berlin wieder seine gewohnte und bekannte Physiognomie angenommen; verschwunden sind von Len Straßen und Plätzen die hölzernen WcihnachtSbudcii mit ihrem leichten Tand, verschwunden auch die zahllosen wcißgcdecklc» Tischchen, die aus den zugigen Hausfluren standen und an denen fröstelnde Vcrkäuser »nd Verkäuferinnen reiche Sammlungen von RcnjahrStarleii feil boten, daö Alle» ist wie sortgcwcht über Nacht, ater während es vom össentlichen Schauplatz der ReickShauplstatt vc> schwand, stellte sich ein »euer Gast ein, der gleichfalls für sich daS Reckt in Anspruch nimmt, der Residenz sür einige Zeit seinen Stempel aufzuprägcn. Wollt Ihr wissen, wie er heißt? Daö ist nickt lcickt zu beauttvortcii, denn gerade sür Berlin ist sein Name und Stammbaum schwer f'cst- rustcllen. An andere» Drtcn nennt man ihn — Prinz Earncval, dort tritt er als ein flotter, seine Schellenkappe lustig schwingender Bursche ans, der übcrmiilbig sein Sceptcr führt »nd sein Reich fröhlich verwaltet, aber hier dagegen gleickt dieser edle Herr mehr einem siechen Greise, welcher durch künstliche Mittel sich Jugend und Frohsinn zurm. zaubern will und dadurch mehr da» Abbild einer alternden Kokette wird, die durch Schminke und Puder zu er setzen sucht, was ihr die Jugend nicht mehr bietet. Nein, geben wir uns keine» Illusionen bin, Berlin ilt nicht für heiteres Earneval - Spiel geschaffen! Wie oft ist eS schon versucht Worten, daS Feld dafür zu bebauen, wie Vieles hat man bereit» getban, um ein RciS von dem am Rbein so üppig grünenden Baume de- ausgelassenen, iibcrmnlhig tolle» FaschinglebenS an den „grünen Strand der Spree" zn vcrpsropfen, cS war All'» vergebens! — Tie öffentlichen Aufzüge fanden kein Verständlich und daS Publi cum verhielt sich zu ihnen gänzlich tbeilnabinSloS, wen» eS nickt, was auch vorzekonimcn, nur rütcii Hohn und Spott dafür hakte, und die für die breitesten Kreise veranstalteten Aufführungen nnd bumoristischen Untcrnebmnngen wurden bei Weitem nickt so rege besucht, als baß sie sich batten cinbürgcrii können. — Und trotzdem, wenn gegenwärtig ein Fremder Berlin besucht, muß er glauben, daß es zu den carnevalölnsligste» Llätten der Welt gehöre. Wohin er blickt, siebt er an Läden. Hanslbüren und Fenster» bunte, auffällige An kündigungen. daß MaSkeii-Garreroben verlieben werden, springende PierrotS, buntfarbige Domino-, schwarze Larven sind auf die Scheiben gemalt und werden am Abend weithin bemerkbar erleuchtet, und welch« Karte von Vergnügungen nun erst an den AuschlagSsäulen! — Da werde» die viel versprechendsten Belustigungen ans das Ponipbasteste an- geküntigt: ..ttrnm! l>al im>si,uö", „Einzug des Prinzen Earncval", „Ter schönen Garde Ball Appell", „Earneva- lislischer Fest nnd Trinmpbzug der reizendsten Damen Berlins", so »nd ähnlich siebt ca mit gewaltigen Buchstaben aus den grcllrotbe» Placaken nnd verbeißt eine seltene Summe vo» Amüsement. „Aber begehret »immer und nimmer zu schauen" — etwa jenen ..pi'aml bat", jenen „Trininpbzug" oder jenen ..Ball Appell", Ihr könntet gar zu tebr enttäuscht werten! Von Lustigkeit und Tollheit, von wirbelndem Bergungen nnd iortrcißcnter Lebensfreude ick keine Spur z» sinden, nickt nur die Masten sind ans der Leibgartcrobc entnommen, auch ihre Träger unk Trägerinnen scheine» daher zu entstammen und an diesen Abenden wie mechanische Kunstwerte aufgezogen zu sein, lim ikrc Sprünge und Farcu während bcstinimter Stnnde» zn machen; ähnlich verhält cs sich denn auch, da diese Besucher und Besucherinnen von den Wmbcn der Balllocale bezahlt werden, um den „harmlosen Fremden", den» Berliner trifft ma» a» >encn Lrieu nur selten, eine „richtige Idee" von Berlins Earnevalsjubcl und -Trubel beiznbriiigen! Wer aber emmat an einem solchen „Fest" lbciigenominen, der wird ähnliche» Bcranstalinngen schaudernd rc» Rücken lehren oder ihnen in weitem Bogc» aus dem Wege gehen! Ans den öffentlichen Bällen, jenen, welche von der bessere» Gesellschaft besucht werte», hat man die Maskeraden schon längst verbannt, nachdem man eingcsehe», daß Berlin der reckte ^ rt dafür nicht ist. In Privallrcft'en erjrcnc» sic sich wohl noch einiger Betiehlbeit, aber auch hier ist ecn Rückgang bemerkbar, und die Einladungen zu derart,gen EcstilMfcherze» ergeben zumelst an die jüngeren Mitglieder der Gesellschaft, die sich noch mit Heller Freude dem „Spiel und Tanze" widmen In unseren Hotschickten zerbricht sich schon manches Eem leßchcn und Baroneßcken da» hübsche Köpfchen, ob sie eine Aufforderung zu dem Eosküm-Mciinett erhallen wirk. welche» gelegentlich der Vermählung-Feierlichkeiten der Prinzessin Margarethe ansgesübrl werten soll. Fcstreichcr wie sonst w»rd ja dieSmat der Januar an unserem Hose auSsallcn, und bald schon wird Abends das »lassig-gewaltige Sckloß- gebäude in delliicm Licklergtanze erstrahle», da binnen kurzem die Hoffetilichkeiten ihren Anfang nehmen. Eour, Bälle, Eoncerte, KrönungS- und Orden-fest, Veruiäklung der Prinzessin Margarethe, GeburtSlaa deS Kaiser-, dann SlibscriptionSball, daS ist viel kur einen Monat, und vergnügt reibt sich mancher Geschäftsmann, mancher Hotelier die Hände, den» jede» dieser großen Feste bringt viel Leben, viel Verkehr, viel Umsatz mit sich, zumal wenn, wie zu jener Prinzessiiinen-Hochzeit, viele fremde Fürstlich keiten nach Berlin kvnimcn. Ob letzteren die neue und doch so alte nächste Umgebung deS Schlosses sehr gefalle» dürste, ist eine unschwer zu beant wortende Frage: die Ruine» der Schloßsreihcit-Häuser sehen trostlos aus nnd bilde» gegenwärtig einen wenig rühmlichen Vordergrund zu dem historisch-denkwürdigen, altersgrauen Köiiigsschlossc. Mit der wärmere» Witterung werden sie hessenttick gänzlich vom Erdboden verschwinden, denn endlich, endlich hat man ja nun Gewißheit über das vier zu errich tende Rational Denkmal sür Kaiscr Wilheln, erhalten und kann fick, wenn auch vorläufig nur in der Phantasie, auSmale», wie dereinst dieser Platz hier beschaffen sei» wird. Reinhold Bcgaö ist dieser Tage endgiltig vom Kaiser die Ausführung des Denkmals übertragen worden, aus Grund zweier Skizzen, die sür die nächsten Freunde deS Künstlers in dessen Atelier am Thiergarten aus gestellt sind und von bene» uns daS größere Modell daö Denkmal allein, daS kleinere dasselbe mit seiner archi tektonischen Unigebung zeigt. Diese weist — wie übcr- baupt der ganze Entwurf — gegen die frühere Skizzirung bctenlcude Verbesserungen aus; e>ne bobeilSvollc, nach dem Schlosse zu offene Säulenhalle, in deren Zwischenräumen die Statuen der dcnlschc» Fürsten und die Hermen der großen Heersiidrer Kaiser Wilhelm'» Aufstellung finden werden, schließt ras Monument ein, daS sich auf stufenförmig aus- slcigeiircm Unterbaue erhebt, an» welchem vorn und hinten je zwei Sockel cmperragen, aus deren jedem ein gewaltiger Löwe ruht. Der Kaiser ist bock zu Pferde in ma>estatischer Haltttug dargcstcllt, von den Schultern wallt der Mantel weit zurück, das Haupt ist mit dem Helm bedeckt, die Rechte llmspaiiltt den Eommandostab, die GesichtSzüge drücken milde Rübe auS; eine einen Palmciizweiz haltende Siegesgöttin geleitet da» Roß am Zügel — die ganze Gruppe ist von Kober Würde, von reiner Schönheit. Link» von dem Denk mal» Postament ruht der KriezSgott, recht- der Genius des FricicnS, die Wankstäcken hinter ihnen schildern die Gräuel dcö Krieges und die Segnungen deS Friedens, von Ver herrlichungen der Tbaten deS Kaiser- ist ganz abgesehen worden, aber gerade durch seine einfache, allem Theatralische» abbolten Hoheit wirkt das Denkmal in ergreifender Weifetz und wird auf daS Würdigste seinen Play ausfüllen. Paul Lindrnber^.
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