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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.07.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-07-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930725029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893072502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893072502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-07
- Tag 1893-07-25
-
Monat
1893-07
-
Jahr
1893
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Corr." tritt in eine Besprechung dieser Vorgänge ein und führt darin das Folgende aus: „Es ist ein Nachspiel zu den jüngsten Wahlen, oder treffender gesagt, zum Tivoli-Parteitag, welches nur zu sehr geeignet ist, die Entwickelungsgeschichle der letzten fünfzehn Jahre zu erläutern und auszuhellen. Freilich, die „Kreuz.Jcttnng" selbst hat Las Verständnis dafür noch nicht gefunden oder will eS nicht finden, — das Erster« wäre »lenjchlich erklärlich, das Letztere bei der „Kreuz.Zeitung" nicht überraschend. Sie schilt noch auf die kurzsichtige Welt, der cs nicht einlenchtcn will, daß man mindestens bis zum Tivoli-Progranun vorjchreitcu muß. um unser Volt vor der „nationalen, socialen und sittlichen (besahr" zu behüten. Nnr der Verdruß und Aergcr über diese Verblendung der Mächtigen, der Gebildete», der Miltelpaneien — oder wer eben gerade für die Verstocktheit hcrhalteu must — habe so große Cchaaren über das Tivoli-Programin hinaus zum AhlwardtismuS, Böckcllhum rc. getrieben. (Man beobachte das auffällige Zusammentreffen, wie gewisse v ol k Sparleiliche Blälterdas Anwachsen der Socialdemokralie daraus erklären, Las; Taufende von „Freisinnigen" auS lauter Verdruß und Aerger über den uncr- sätllichen Militarismus lieber gleich mit jocialislijchcm Stimmzettel ihre Beschwerde einlegcn wollten!) Andere Ursachen, als die er wähnte Verblendung Lerer, die Wandel schasse» sollten, läßt die „Kreuz-Zeitung" für das Hereinbrechcn der „trüben Fluth", die „noch immer in ungezügelten Welle» sich bewegt", keines- wegs gelten. Auch giebt sie trotz des „wüsten Charakters der Bewegung" und trotz der „völlig ungeeigneten Männer" an der Spitze die Hoffnung nicht aus, daß die Conscrvativcn es schließlich wieder vermögen werden, die trübe Strömung in ein ruhiges Bett zu lenke». Sollte Herr Stöcker etwa in dieser Absicht am Freitag sich mit den Schreiern und Radaumachern des Berliner Amisemitcnbundes herumgebalgt haben, so wäre schwer zu sogen, waS mehr zu verwundern ist: die Hartnäckigkeit, mit der sich Herr Stöcker für eine» berufenen Vertreter des Gegensatzes zwischen den conservativcn Ideen im weilere», höheren Sinne des Wortes und der antisemitischen Bewegung hält, oder die Ungeschick- lichkeit in der Wahl der Mittel. Daß man die Böckel, Ahlwardt und Genossen niemals mit Erfolg bekämpft, wenn man ihnen in Radau- Versammlungen begegnet, sondern daß man dort überall den Kürzere» zieht, sofern man das Tcinagogenhandwcrk nicht immer noch toller betreibt, als jene, — darüber ist kein Wort weiter zu verlieren. Es hat auch gar nicht de» Anschein, daß diejenigen politischen Kreise, denen die Wahrung der conservativcn Ucbcrliescrungen anver- trautist, von dieser Methode Stöcker'S absonderlich durchdrungen wären. Bis jetzt ist er es allein, der solchermaßen gegen die Antisemiten den Kamps zu sichren beliebt. Wirksam und, bei genügender Aus- Lauer, auch mit durchschlagendem Erfolg kann der Antisemitismus nur bekämpft werden, wenn inan hier dieselbe Unterscheidung macht, wie bei der socialdemokratischen Bewegung, den» hier giebt es ebensalls eine Schicht, die den Scandal und die Erregung als Lebenszweck braucht, und eine andere Schicht, die selbst in gedrückten wirthschastlichen Verhältnissen doch »och verständigen Erwägungen zugänglich und für staats- erhaltendeThätigkeit und erreichbare Hilfsmaßregeln zu ge- winnen ist. Der schwere Fehler des Herrn Stöcker war es, daß er sich über ein Jahrzehnt lang nur an die erslere Schicht gehalten und von ihr sich hat tragen lassen. Es scheint sein Vcrhängniß zu werden, daß er auch jetzt nur die Auseinandersetzung mit jener nämlichen Schicht herbeiführt, wie das am Freitag geschehen; während es doch im höheren Sinne des Wortes conservativ gehandelt wäre, die ernster und ruhiger denkenden, zur Zeit nur in leidenschaftliche Verwirrung getriebenen. Elemente des Mittelstandes im Stillen wieder zu gewinnen und zu beschwichtigen. Herr Stöcker zieht es vor, mit den Ahlwardt, Förster, Böckel und Genossen sich vor einer lärmsüchtigen Gesellschaft abzugeben und ihre Rohheiten mit Redewendungen abzuwchren, die wenigstens in der gebildeten Umgangssprackic der Deutschen nicht eingebürgert sind. („Fatzke schlägt sich, Fatzke verträgt sich" u. s. w.s. Ata» sagt schwerlich zu viel, wenn man dies sür das Ende der Stöckcr'schen politischen Laufbahn erklärt. Und damit zum traurige» Schluß das satirische Nebcnmomcnt nicht fehlt, muß cs Herrn Stöcker passiren, daß die Auseinandersetzung vom Freilag durch die Wahl Jörsler's in Neuslclli» veranlaßt erschien! Förster „nd Hcnrici waren die intime» Streitgcnojsc» Stöckcr's, als Ende der siebziger Jahre die anti- semitische Hetze in Scene gesetzt wurde. Derselbe Förster, der jetzt mit so großerMehrheitgegenSlöcker iuRcusiellin gewählt isl.wardieseganzeZeit hindurch der getreueste Schildknappe seines Meisters Stöcker, und es find nur anderthalb Jakre verstrichen, daß Herr Slöcker im 22. sächsischen Wahlkreis lReichenbach-Auerbach) zu Gunsten der Candidatur Förster von Ort zu Ort agitirte, — obwohl die conservative Parteileitung in Sachsen de» nalivnallibcralcn Candidalcn ofsicicll mit ausgestellt hatte und lonal unterstützte! So ist cs der eigenste Zögling, der jetzt de» Meister verdrängt, und was er in der Stöcker'- scheu Schule gelernt hat, muß Stöcker selbst jetzt als verworfenen Wählersang vcrurtbcilen. Das ist ein bitterer Kelch!" Wir unsererseits erblicken »i den Vorgängen nicht nur eine heilsame Lehre für die Conservativcn, sondern auch für jene gemäßigten Antisemiten, die, wie in dem Vor stehenden gesagt ist, verständigen Erwägungen zugänglich und für staatSerhaltendc Thätigkeit und erreichbare Hilfsmaßregeln zu gewinnen sind. Cie müssen nachgerade erkennen, daß mit Ahlwardt und seinen Anhängern ebenso wenig, wie mit deren Vätern, die jetzt die eigenen Söhne verleugnen und sich und sie comvromiltircu, zu erreichen ist. Es kann daher nicht ausbleivcn, daß auch im autisemitischeu Lager jene Scheidung der Geister sich vollzieht, die im conscrvativcn Lager schon begonnen bat und die allein eine Verständigung mit dem ge mäßigten Liberalismus ermöglicht, der sich der Einsicht in die vorhandenen Ucbclständc ebensowenig verschließt, wie die ver ständigen Juden. Wie „Nat.-Ztg." und „Kreuzztg." übereinstimmend melden, läßt die russische Regierung ihren Maximaltaris mit dem l. August allen denjenigen Staaten gegenüber in Anwen dung gelangen, die ihr bisher die Meistbegünstigung nicht gewährt haben. „Es liegt auf der Hand", fügt die „Keuzztg." ihrer Meldung hinzu, „daß diese Maßregel sich vor Allem gegen Deutschland richtet, und zwar ist sie um so ge hässiger, als man in Petersburg nickt für nöthig befunden hat, sich bis zum Abschluß der laufenden Verhandlungen zu gedulden. Man wird erwarten dürfen, daß der so von Rußland hinge- worsene Fehdehandschuh mit aller Entschlossenheit aufgcnomnun wird, und daß wir nunmehr anck unsererseits de» Handels krieg gegen Rußland eröffnen. Wir denken, daß Rußland in nickt zu langer Frist sick davon überzeugen wird, daß Deutsch land keineswegs in wirthschaftlichcr 'Abhängigkeit von ihm steht und daß Herr Wille mit seiner Maßregel einen Schlag m das eigene Gesicht geführt bat." Auch die „Rat. Ztg." spricht die Erwartung aus, daß Deutschland durch solch: Zwangs- versuche nicht zur Nachgiebigkeit bei den Verhandlungen sich nöthigcn lasse, und begründet diese Erwartung folgendermaßen: „Dem Anscheine nach glaubt man in Rußland, d-r diesjährige deutsche Ernteaussall werde uns zwingen, mindestens zeitweilig ohne Gegenleistung die Getreidczölle auch Rußland gegenüber herabzusctzen. Das ist, wie der neueste Bericht über den deutschen Saatcnstand ergiebt, ein Jrrthum. Nicht die Futter mittel, sondern der Roggen kommt im dcutsch-rufsischc» Verkehr hauptsächlich in Betracht. Der Stand des Winter-Roggens aber hat sich seit dem Mai fortdauernd gebessert und verspricht eine Ernte, welche zwischen einer mittleren und einer guten in der Mitte stehen würde; auch der Winter-Weizen sicht etwas über mittel, und die Preise bleiben mäßige. Um so weniger wird Deutschland in diesen beiden hauptsächlichen Fruchtarten aus russische Zufuhr ange- wiesen sei»; sogar ein Zollzuschlag von 50 Procent aus dieselben gegen Rußland würde durch das Interesse der Verbraucher nicht ausgeschlossen werden." Die ravicalc Unabhängigkeitspartei Ungarns und die auS derselben auSgesckiedcnc Gruppe EötvöS haben aus Kossutb's Veranlassung die nötkigen Schritte zu ihrer Wieder vereinigung gethan. Wie bekannt, waren die kirckcnpolitischen Reformen des CabinetS Wekerle die Ursache der Parteispaltung. EötvöS und sein Anhang verließen die Partei, weil die Mehrheit cS ablehnte, sich in unzweideutiger Weise für die kirckcnpolitischen Reformen zu erklären. Die in den letzten Tagen geführten Verhandlungen sollen zu einem Abkommen geführt haben, demzufolge jedem Partcimitgliedc die Abstimmung in den kirchcnpolitischen Angelegenheiten zwar frcigegcbcn, aber keinem Partcimitglicde gestattet werden soll, gegen die kirckcnpolitischen Reformen zu agitiren. In ungari schen Abgeordnetenkreisen glaub! man.daß die Wiedervereinigung aus Grund dieses Ausgleichs erfolgen werde. Damit stellt jedoch in Widerspruch, daß sich in der jüngsten Heit die persönliche» Antipathien zwischen den hervorragenderen Mitgliedern der beiten Gruppen außerordentlich verschärft haben. Eine Gerichtsverhandlung, in welcher sich Polonyi und EötvöS, die beiden Hauptwidcrsacher im radikalen Lager, als Anwälte gegeuübcrstandc», hat zu solchen Reibungen zwischen beiden geführt, daß Polonni EötvöS zum Zweikampfe forderte. Die Lecundantcn Eötvös' erklärten jedoch Polonyi für satiSfactionS- unfäbig. worauf auch sic von Polonyi und dessen Freunden gefordert wurden. Da aber auch die Zeugen den geforderten Secundanlen ritterliche Genugthuung verweigerten, wurden alle diese Ehrenaugelegenhcitcn nicht auSgetragen. Wie diese erbitterten Gegner sich künftig in einem Partciverbandc wieder zusammenfinden und vertragen sollen, bleibt abzuwarten. Vor dem Pariser Schwurgericht wird gegenwärtig — seit dein 20. Juli — ein Proceß verhandelt, der auf ge wisse Mißstände in der französischen Militair-Ver- waltung grelle Streiflichter fallen läßt. Angcklagt sind neben den Militairlieferanten Hemerdinger und Sarda der «Meier ci'rrckmjniztraticm Meyer und eine Anzahl „Sach verständiger". Der „Figaro" erinnert auS Anlaß dieses Proecsscs an die Lieferungen von Schuhen aus Pappe während deS deutsch-französischen Krieges, bemerkt jedoch zugleich, daß die ersten Meldungen über die gegenwärtig zur Anklage stehenden Betrügereien sehr übertrieben waren. Je nachdem die mit der Prüfung von Tuch- licscrungcn für die französische Armee betraute Com- mission dieselben annimmt, eine Reparatur für nothwendig erachtet oder jene zurückweist, werden sie mit dem Stempel F. (aeoopte), .V li. (ü lSpurer) oder li. li. (rotüs «lötimtit') ver sehen. Nun sind, wie die Anklage behauptet, zahlreiche Waffen röcke und andere Gegenstände, die mit dem Vermerk der end- giltigen Zurückweisung versehen waren, nachdem der erste Stempel beseitigt worden war, zur Annahme gelangt. Von den Angeklagten ist der Militairlieferant Sarda, nachdem er in der Provinz Bankerott gemacht batte, Mitinhaber der von Lecers geleiteten Firma geworden, die festigt an die Armee alljährlich Tuche im Betrage von 8 biö 9 Millionen Francs lieferte. Hcmerdinger übernahm später die Firma, in der Sarda weiter thätig blieb. Dieser war dann selbst die Veranlassung, daß die Untersuchung eingeleitct wurde. Als er nämlich l892 auS dem Geschäfte auStrat, bewarb er sich im französischen Kriegsminislerium um Militair- liefcrungcn, und erwiderte auf die Frage, weshalb er sich von Hemerdinger trenne: „Ich habe keine Lust, nach MazaS zu gehen". Hieraus fand eine eingehende Unter suchung statt, bei der zahlreiche Betrügereien aller Art ent deckt wurden. Die Prüfung der Bücher deS HanscS Lecers und Sarda und der Firma Hemerdinger ergab auch viele Spuren dieser Betrügereien, so daß die Einleitung des so genannten „Processcs der falschen Stempel" erfolgte. WaS den Mitangeklagten Officier betrifft, so war er erster Beamte» der Militairvcrwaltung und mit der Leitung der großen BcklcidungSmagazine am Quai d'Orsay betraut. Dem Ver laufe dieses Processcs wird jenseits der Vogesen mit großem Interesse entgegengeschen und bei uns auch, und da- mit um so größerem Rechte, je größer die Freude unserer westliche» Nachbarn war, al« sie während des letzten Ahl- wardl'schen JudenprocefscS darüber vorzeitig frohlockten, daß wir Wilden doch auch nicht bessere, im Gegentheil noch weit schlechtere Leute seien, als sie selber. Die Lage deS spanischen Ministeriums Sa gasta hat, wie neuere Nachrichten auS Madrid beweisen, den CorteS gegenüber sich in der letzten Zeit bedeutend gebessert. DaS neu ausgearbeitcte Justiz Resormproject Catzdepon'S dürste nunmehr angenommen werden, da der Minister insofern der Opposition Zugeständnisse gemacht hat. als er von der beabsichtigten Auflassung einer Anzahl Provinzial-Tribunale abzustehen und die nothwendig erscheinenden Ersparnisse durch eine Vereinfachung der bestehenden Gerichts-Organisation zu erzielen erklärte. Die Besprechungen, die der Minister m dieser Frage aus der angcdeuteten Grundlage mit den oppo sitionellen Parteien geführt hat, haben ein günstiges Resultat ergebe». Auch in anderer Hinsicht zeigt sich bei der Kammer eine größere Geneigtheit, das Ministerium zu unterstützen, als bisher. «Lv habe das Armec-Rcformprojcct deS KriegSniinislerS, General» Lopez Dominguez, das bereits zur Beratbung gelangte, ein weit größeres Entgegenkommen in den CorteS gefunden, als man ursprünglich angenommen bat. Daraus ist zu er sehen, daß die Negierung bei der Durchführung ihres öko nomischen Programms eine genügende Unterstützung findet, womit die größten Schwierigkeiten, auf die daS Cabinet Sagasta zu stoßen fürchtete, beseitigt erscheinen. Man darf daher annehmen, daß die CorteS bald ihre Aufgabe erledigt haben und sich über den Sommer vertagen werden. In der Zwischenzeit bis zur Herbstscssion wird dem Ministerium reichlich Gelegenheit geboten sein, für seine weiteren Pläne die Zustimmung der Parteien zu gewinnen und seine Stellung allmälig mehr und mehr zu befestigen. Der bulgarische Metropolit Kiement von Tirnowa ist, wie bereits telegraphisch gemeldet, der Aufwiegelung de« Volkes gegen den Fürsten und die Regierung für schuldig be, funden und zu lebenslänglicher Verbannung verurtheilt Worten. Klement war auf Grund einer am 14. Februar dieses Jahres in der Metropolitankirche zu Tirnowa gehal tenen Rede angcklagt. Der Exarch hatte ursprüng lich verlangt, daß Klement der Synode übergeben und von dieser abgeurtheilt werde, aber die Sofianer Negierung fand es denn doch nothwendig, den alten Hetzer vor das weltliche Gericht zu stellen. Tie Strafe ist milde genug ausgefallen, und wenn nicht noch eine Begnadigung eintritt, durfte Klement seine ferneren Lebenslage i» Rußland zubringen, für daS er stets gewirkt und gewühlt bat.WassiliDrumjew warseinFamilienname. In der geistlichen Akademie zu Kiew wurde er auSgebildrt und er erregte bald Aussehen durch einen von ihm verfaßten Roman „Eine unglückliche Familie" und das Drama „Jvanko, der Mörder Asenö". Politisch trat er zuerst auf der von dem russischen Commissar Fürsten Dondukow-Korsakow ein- berufcnen constituirendcn Sobranje zu Tirnowa 1879 hervor. Hier hielt er eine Rede, durch die er die Versammlung bewog, in die Verfassung den Art. 37 auszunehmen, der die Orthodoxie als herrschende Kirche im Fürstenthum anerkannte. Unter dem Fürsten Alexander war er von Ende 1879 bis April 1880 Ministerpräsident und CultuSminister, doch mußte er nach dem Siege der liberalen Partei bei den Wahlen seine Entlassung nehmen. An der Vertreibung des Fürsten Feuilletsn. lieber Klippen. 24> Roman von Caroline Deutsch. Naiddnnl »erboten. (Fortsetzung.) XXV. Frau von Szentiwany batte sich schon lange entfernt, und noch immer verharrte der junge Mann in derselben Stellung und Haltung. So muß einem Menschen zu Muthe sein, der mit einem Ruck sein HauS über sich Zusammenstürzen fühlt und sich unter Trümmern, in Nacht und Graus wicdersindet. Zer schmettert sind die Glieder und wie losgelöst vom Körper, und Kops und Herz ein einziges Gefühl deS Schmerzes. Wie sie ihn überlistet hatte! Wie klug berechnend, wie verschlagen! Nur überzeugen wollte sie sick, nur eS mit eigenen Augen sehe», nur einen Punct, eine Clausel finden, woran man sich anklammern konnte.... Hätte er aber nicht ahnen, nicht wissen müssen, daß sich unter all dem Drängen und Bitten etwas Andere« barg, als ein blos kindischer Wunsch'?.... Warum war er denn so fest und unerschütterlich dem armen Weibe gegenüber geblieben? Sie hatte ja anck nur ihr Kind sehen, ihr Kind pflegen wollen. . . . WaS für ein Unheil konnte denn daraus entstehen? Er hatte eS aber verweigert, weil er es mußte. Hatte er eS aber denn hier thun dürfen? Durfte er die Schriften auS den Händen geben, durste er ihr sie anvcrtraucn? .... Tort batte ihn aber nicht die Liebe berauscht, hatten ihn Küsse und Liebkosungen nickt be stochen; dort hatte nur ei» verzweifeltes Mutterherz geschrieen und — sich dann den Tod gegeben. Schwer und müde erbob er sich und sing an, das Zimmer zu durchschreiten. Und daß ihr dieser ungeheure Frevel gar nicht znm Be wußtsein kam — daß er in ihren Augen mit der Schwere eines Staubkornes wog! — WaS war zu thun? Wo gab es einen Ausweg ans dieser surcktbaren Bekrängniß? DaS ge richtliche Uriheil und jeder Schuldbeweis gegen Herrn von Schmertizs waren vernichtet. Und halte er schon damals die Echtheit der Briefe durch seinen Vertheidigcr anzweiscln lassen, als sie noch gegen ihn sprachen, so würde der Mann mit dem elastischen Gewissen jetzt einen Eid darauf leisten, und wenn es auch ein Meineid war, das wußte Persall nur zu gut. Und wie hatte sie gesagt? „Daß alles Fernere totl und begraben sein soll, dafür will ich schon sorgen." Die Ofenthür stand noch immer weit offen und, als Perfall daran vorüberkam, starrte ihn die grau ersterbende Glutb wie das gebrochene Auge eines Gemordeten an. — Mit dem Stiefelabsatz schlug er die Tbür zu. Ja, drin lagen sie zu einem Häuflein Asche zusammengefallen: daS mißbrauchte Recht, sein Name und die vernichteten Hoffnungen Anderer. Arme Gräfin Satwar! Er hatte Hoffnungen angesacht und sie wieder vernichten Helsen. Und sie hatte vielleicht schon angefangen, sich in daS sür sic schwere, armselige Leben zu finden. Zum Vormund der Kinder batte er sich aufge worfen und mitgeholfen, ihre vielleicht einst glänzende Zukunft abzuschneidcn. Arme, heruntergekommene Grafenkindcr waren sic und würden es auch bleiben. Zwar Schmertizs hatte die Absicht, Lory zu beiratben. Doch brauchte er cs noch, da alle Beweise gegen ihn vernicklet waren? Und wenn ihn ihr Name oder daS Mädchen selber reizte?.... Wie ein ungeheurer Frevel erschien ihm plötzlich die Zusammenstellung: Lory und Josef Schmertizs!... WaS war denn mit ihm geschehen, daß er nicht außer sich gerathen war, daß er daS gutheißcn konnte ? Lory und Josef Schmertizs! Der Gedanke war schon eine Beleidigung. Aber hatte er ge träumt — war er im Rausche gewesen, daß er eS nicht gleich hcrauSgcsühlt: Nein, nein, so etwas durfte niemals ge- jchcben! Mit schweren Schritten ging Persall auf und ab. Und die Sache selber. WaS war zu thun? Was konnte er noch retten? WaS hatte er zu befürchten? Von der Oberbebördc sür jetzt nichts. Mit der Zustellung der gerichtlichen Ent scheidung war die Angelegenheit sür sie erledigt. Anders war eS, wenn eine directc Anjragc an sie kam. Doch — daS ging ja durch seine Hände.... Und konnte er nicht thun, worauf sie ihn hiiigewiesen. — Einen Vergleich zu Stande bringen? Damit war ja Allem die Spitze abgebrochen, die ganze Gefahr beseitigt. Wen kümmerte eS dann, wenn daS Urthcil auöblieb? Wenn sich aber SckmicrtizS jetzt nicht mehr vergleichen wollte? DaS war ja anzunckmen. Und wenn die Stadt aus Beschleunigung des ProcesseS drang? Doch, wie gesagt .— daS ging ja durch seine Hände. Er brauchte nur einfach die Bittschriften nicht abzuschickcn, sie nur zu vernichten . . . Ter Stnhlrichter lachte grell aus, daß er vor sich selber erschrak. Nun natürlich! Der erste Schritt war gethan; nur immer weiter auf dieser schlüpfrigen Bahn! Sein Vorgänger war sie ja auch gewandelt . . . War er es noch? War er Franz Persall, oder WaS war mit ihm geschehen? Ein Grauen packte ikn, ein namenloses Graue», dabei ein Zorn, daß er sich hätte etwas anthun mögen, um sich einen großen, physischen Schmerz zu bereiten. Ein schüchternes Klopfen tönte an der Tbür; eS war der Bursche, der seine Rückkunft meldete und fragte, ob der gnädige Herr Stnhlrichter nichts für den Abend gebrauchte. Perfall hatte nichts nöthig und hieß den Burschen zu Bette gehen; er aber wandertc ruhelos die halbe Nacht umher. Er überdachte sein ganzes Leben; überall sab er den einen Faden sich hinturchzieben: daS heiße Gefühl für Recht, den Haß gegen Lüge und Unredlichkeit. Und plötzlich sah er ikn jäh durchschnitten — und nicht im schäumenden Jugcndmuthe, wo Vernunft und Wille noch nickt gefestigt, »ein, an der Schwelle ernsten Manncsalters! Und die Ursache dazu war — ei» Weib ... Erschöpft warf er sich, angekleidet wie er war, aufs Sopha; aber erst gegen Morgen schlief er ein; denn der Schlaf flieht ein gemartertes Gehirn und zuckende Augenlider. Doch der Geist, losgelöst von der Sinnenwelt, spann seine krausen Bilder weiter. Vor ihm flatterte eine weiße, luftige Wolke, und er klimmte einen Berg hinan, sie cinzuholen, den» sie trug seine Seele mit sich fort. Plötzlich nahm die Wolke Lory's GesichtSzügc an; todcstrauriz blickten die Augen auS dem wallenden Schleier; da wies sie mit der Hand vor sich nnd, als er hinsab, war eS eine grundlose Tstfe, die sich vor ihm ausdehnte. Er rief, er wollte sic halten, aber vor seinen Augen versank sic, und auS dem Abgrund tönte Wilma'S süßes, berückende« Lachen.... Mit einem Schrei fuhr er auf, eS war Keller Tag, dicke EiSblumen bedeckten die Fensterscheiben und in dem Zimmer herrschte eine bittere Kälte. Perfall'S Glieder waren steif und wie erstarrt. Langsam setzte er sich auf. Wie war er aus das Sopha gekommen? — Ach so, ach so, und plötzlich wußte er wieder Alles. Draußen pochte cS leise an die Thür; wieder war eS der Bursche. Der gnädige Herr Stuhlrichter habe heute aus nahmsweise lange geschlafen, er sei schon ganz ängstlich ge worden, und auch der Kaffee würde kalt. ES sei eine bittere Kälte, ob nickt gebeizt werden sollte? Der Stuhlricktcr sab auf die Uhr; sie war stehen geblieben. Natürlich, natürlich, wie Alles, waS bis jetzt gewesen Er fragte, wie spät eS sei? „Zehn Uhr", lautete die Antwort draußen. Zebu Uhr! So spät schon! DaS Beamtenpersonal war schon längst bei der Arbeit. Doch ihm war eS nicht möglich, sich jetzt schon zu zeigen, unter Menschen zu treten; er mußte erst einen Ritt inö Freie machen. Er befahl seinem Burschen, sein Pferd zu füttern und zu satteln. AlS er sich erbob, um im Schlafzimmer sich zu waschen und umzukleiden, sah er einen zusammengefalteten Brief auf der Erde liegen. Mechanisch bückte er sich und hob ihn auf. Vielleicht war eS einer jener Briese, der ihr in der Hast, Alles in den Ofen zu stecken, entfallen war, ohne daß sic cS bemerkte? Er entfaltete daS Papier und erkannte Wilma'S Schriftzüge. Er kannte das seine Parfüm, das ihm entgegen- dustete, und die feinen, zierlichen Buchstaben; er hatte während dieser Zeit so manches süß duftende Brieschen vor ihr be kommen, bald süße, zärtliche Ergüsse, bald Verabredungen zu noch süßeren Stelldicheins. Ter Brief war nicht an ib». „Liebste Ilona!" lautete der Titel. Doch wie kam er hierher, in sein Zimmer, ohne Couvert, ohne Adresse? Sie mußte ihn einfach verloren haben. Er war ihr auS der Tasche gefallen, als sie ihr Taschentuch berauSzog, und sie hatte eS in der Erregung der Stunde nicht bemerkt. Perfall hätte vielleicht den Brief, der nicht für ihn be stimmt war, nicht gelesen, so aufgcstört und auS dem Gleich gewicht auch sein ganzes Sein und Denken war, wenn nicht sein Auge beim Darübcrstreifen auf ein Wort gefallen wäre, das ihn sesthiclt, daS seine Blicke von Buchstaben zu Buch staben, von Zeile zu Zeile zwang ... und dieses Wort war — „mein gezähmter Löwe " Damit war er gemeint, das wußte er plötzlich so bestimmt, als hätte eS ihm Jemand in» Gefickt gerufen. „Liebste Ilona!" las er. Da Du so in mich dringst und schon den dritten Brief schreibst, muß ich Dir doch schon einmal antworten. Du willst wissen, wie ich lebe und ob ich nicht diesen Winter nach Pest kommen werde? Ich will Dir eine Frage nach der andern beantworten. Diesen Winter reise ich nicht, meine Liebe! Und bist Du neugierig und fragst Du warum, so will ich e» Dir in aller Freundschaft anvertrauen: ich treibe einen neuen Sport, ich habe mir einen Löwen zugelegt. Du lackst. Du willst es nicht glauben! Es ist aber mein vollster Ernst, und einen Löwen, den ich mir selber zähme. Du weißt aber, da sind edle, jedoch gefährliche Thicre; so zahm und willig sie auch geworden sind, der Wächter darf sich keinen Augenblick
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