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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.05.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960526029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896052602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896052602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-05
- Tag 1896-05-26
-
Monat
1896-05
-
Jahr
1896
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Stöcker's „Volk" zeigt nicht übel Lust, sich und seines Gleichen mit den Aposteln, die an den ersten Pfingsten gepredigt, auf eine Stufe zu stellen, und identificirt ohne alle Zurückhaltung die von ihm vertretene Sache mit dem im Tempel zu Jerusalem ver kündeten Evangelium; im Uebrigen vermag das Blatt nur schlecht die Besorgniß zu verhehlen, die neuesten Ereignisse könnten der christlich-socialen Partei empfindlichen Abbruch thun. Auf der andern Seite ist der Pfingstartikel des „Neichsboten" geradezu ein Kampfruf: „Es ist eine fundamentale Verirrung, wenn die Kirche die Bußpredigt aufgiebt und die Welt durch andere Mittel — und seien es auch die schönsten Liebes werke — für den Glauben zu gewinnen sucht .... Geistliche, welche ihre Arbeit und ihre Zeit an allerlei Geschäftigkeit mit weltlichen Dingen zubringen, werden wenig leisten. Und es ist keine Frage, daß die in der letzten Zeit eingerissene Verweltlichung des Geistlichen, die mit allerlei Surrogaten arbeiten, ein großes Hinderniß für die Wirksamkeit der Kirche ist/' Nachdem das orthodoxe Blatt die innerlich gesammelten Apostel mit den vielen, die jetzt „voll vom Geiste zersetzender Kritik, die nicht mehr betet", ins Amt kommenden Geistlichen contraslirt und dabei vergessen hat, daß seine kirchliche Rich tung in der Partei des Herrn Stöcker stärker vertreten ist, als die liberale, gelangt es zu einem anderen Vergleich, der eine starke Verurtheilung der christlich-socialen Pastoren in sich schließt: „Der alte Rationalismus erging sich, als er nicht mehr Buße und Glaube predigen konnte, in seinen Predigten über allerlei nützliche weltliche Dinge und suchte die Gemeinde» im Pfropfen und Oculiren der Obstbäume, in der Einführung der Stallfütterung u. s. w. zu unterweisen. Das waren nütz liche Tinge, aber das ist nicht die Mission des Predigtamts und die Aufgabe der Kirche." Mit etwas anderen Worten sagt die „Post" dasselbe, diesesBlatt weist aber gleichzeitig auf die von christlicher Seite ausgehende Verhetzung hin, die diese allerdings mehr noch als ihre socialen Ideen von den ersten Predigern der Lehre Christi unterscheidet. Im Großen und Ganzen ist es kein erfreuliches, die Kraft des Protestantismus gegenüber der katholischen Kirche nicht förderndes Schauspiel, wenn man sich mit denselben Bibelstellen in politischen Organen bekriegt. Der „Reicksbote" merkt es allerdings offenbar nicht, daß er dasselbe thut, wie das „Volk", nur „mit geänderten Vorzeichen." Auch der „Vorwärts" veröffentlicht jetzt den ersten Bericht über die Rundreise, welche Herr Liebknecht in Englanv unter nimmt. Liebknecht bat bekanntlich am 10. Mai in der Queens Hall in London gesprochen. Daß der Berickt über sein Auftreten es nicht an der Verherrlichung des Redners und seines „Erfolges" fehlen läßt, ist. selbstverständlich. Während in Deutschland der „Nestor der socialdemokratischen Partei" und seine Phrasen mit jedem Tage weniger ernst genommen werden, gilt Liebknecht in England noch als „Zugkraft", die volle — Cassen macht. Die englischen „Genossen" scheinen es sich in der That noch etwas kosten zu lassen, um eine Rede des deutschen socialdemokratifchen Partei papstes zu hören, denn dem „Vorwärts" zufolge füllten sie zu 3000 Mann die Sitze in der Queens Hall, obwohl der Ge nuß mit einem Eintrittsgeld bis zu 2»/? Schilling bezahlt werden mußte. Der Inhalt der Liebknecht'schen Rede bewegte sich in den bei ihm gewobnten Gleisen; sic vermag deutsche Leser besonders eines Punctes wegen zu interessiren. Als der Jameson'sche Ein fall in Transvaal bekannt wurde, stellte sich auch der „Vorwärts" anfänglich mit der bürgerlichen Presse in eine Linie und verurtheilte den englischen Gewalt streich. Selbst als das Telegra m m deS Kaisers an den Prä sidenten Krüger veröffentlicht wurde, fand das socialdemokratische Centralorgan unter dem Drucke der öffentlichen Meinung in Deutschland es für gut, anerkennende Worte darüber zu äußern. Freilich änderte sich diese Haltung bald angesichts der maßlosen Hetze, die in England gegen Deutschland wegen seines Auftretens in der südafrikanischen Frage betrieben wurde. Liebkneckt mußte befürchten, daß er sich einen bösen Empfang in England bei seiner beasicktigten Tournee bereiten würde, wenn er auf dem betretenen Pfade fort schreite. Er kehrte um und fand in dem bis dahin ge rühmten Telegramm des Kaisers eine Beleidigung des englischen Volkes Wer über die Beweggründe dieses UcberzeugungsweckselS noch zweifelhaft war, wird durch die Auslassungen Liebknecht's in London darüber aufgeklärt, daß eS lediglich die Besorgniß vor dem bekannten starken Nation« l- gefühl der Engländer gewesen ist, waS den Führer der deutschen Socialdemokratie bestimmte, seinen früheren Stand- punct zu verleugnen. Während in England selbst der Un wille Uber das anmaßende Treiben des ColonialministerS Cbamberlain immer weitere Kreise ergreift, untersteht sich Liebknecht, den Theil der deutschen Presse, welcher energisch gegen die Vergewaltigung der Boeren Front macht, seinen englischen Zuhörern gegenüber als „Jingoprcsse" zu bezeichnen und zu versichern, daß außerhalb „einer verbältnP- maßig kleinen Clique von Mitgliedern der besitzenden Classen" ganz Deutschland England bewundere. Daß eine solche Katzenbuckelei eines deutschen Parteiführers den Eng ländern gefiel und sie zu lauten Beifallsbezeigungen hinriß, ist verständlich. Ob die Socialdemokratie Grund bat, auf die durch solche Worte ihres Führers bezeugte An erkennung der englischen Gewaltpolitik stolz zu sein, mögen die „Genossen" unter sich ausmachen. Für uns ist die Huldigung interessant, die der Führer der internationaler. Partei dem Nationalitätsgesühl dargebracht hat. Sie be stätigt aufs Neue die Ueberzcugung, daß Herr Liebknecht nicht so sehr Kosmopolit als ein Hasser Deutschlands ist. Auf der äußersten Linken der französischen Depu- tirtenkam mer sind Meinungsverschiedenheiten zu Tage ge treten, welche, wenn sie sich verschärfen würden, der conserva- tiven Republik zugute kommen könnten. Vorläufig bandelt cs sich allerdings nur um eine Zcitungspolemik zwischen Radikalen, socialistischen Radikalen und Socialisten, wobei es sich um die Frage dreht, ob die Majorität des Ministeriums Bour geois auch in der Opposition beisammen bleiben soll. Im „Rappel" tritt Lucien Victor Meunier dafür ein, daß die Radicalen sich der Gruppe Jsambert nähern und die revolutionairen Socialisten von sich stoßen sollten, weil diese das individuelle Eigenthum zu Gunsten des Collectivismus ausbeben und die VaterlandS-Jdee nicht anerkennen wollen. Auch Bourgeois selbst bat seinem Widerwillen gegen den collectivistiscken Socialismus offen Ausdruck gegeben. In demselben Blatte tritt dagegen Camille Pelletan an gesichts der immer kühner anflretendcn Reaction für das Zusammenhalten der Radikalen und Socialisten ein. Der ehemalige Conseils-Präsident Goblet, der ein collectivi- stisches Programm entwickelt, wünscht ebenfalls, daß die socialistischen Radicalen mit den revolutionairen Socialisten Hand in Hand geben mögen. Die Socialisten, welchen der Verratb Bourgeois' beim letzten Ministerwechsel noch arg im Magen liegt, gesteben dagegen ganz offen ein, daß sie die Radicalen nur für ihre Zwecke ausnutzen wollen. Am Tage des Sieges würden sie aber keinen Unterschied machen zwischen den „radicalen und den social^tl^chen Bourgeois". Der AuSgang dieser Polemik ist für den Augenblick noch zweifelhaft' Wenn die extremen Parteien sich anck im Beginne der Kammerberatbungen wieder zu- sammenfinden sollten, so dürfte der Keim der Zwietracht dock schon zu weit gediehen sein, als daß diese nicht in einer vielleicht naben Zukunft reifte. Tie Radicalen streben nach der Negicrungsgewalt, die fünf Monate des Cabinets Bour geois baden ihren Appetit gereizt, allein sie fühlen sehr wohl, daß sie die große Mehrheit des Landes gegen sich hätten, falls sie auf die cvmpromittirende Freundschaft der revolu- tionairen Socialisten angewiesen wären. AuS Kreta lausen immer bedenklichere Nachrichten ein._ Erst unterm gestrigen Datum berichtete der Telegraph aus Canea von dem förmlichen Ausbruch des Aufstandes, den ersten Niederlagen der Regicrungstruppen und einer Reibe der üblichen Morde und heute liegen uns folgende noch weit bedrohlichere Meldungen vor: * London, 26. Mai. (Telegramm.) Tie „Times" melden aus Athen: Seit gestern herrscht vollständige Anarchie in Canea. Die türkischen Soldaten morden und plündern die christlichen Einwohner. Tie Kawasse des griechischen und russischen Consulats befinden sich unter den Getödteten. Alle Consuln ersuchten telegraphisch um Kriegsschiffe. Tie englische Flotte in Malta ging beute nab Kreta in See. Turkhan Pascha ist vollständig machtlos, um die Soldaten im Zaume zu halten. Auch in Rethymo, wo die ersten Morde vor- kamen, ist die Lage ernst. * Athen» 26. Mai. (Telegramm.) Die englischen und russischen Panzerschiffe erhielten Befehl, unverzüglich nach Canea in See zu gehen. Nachrichten über neue Mordthaten rufen hier große Erregung hervor. — Tas Blatt „Asty" be- stätigt, daß die Kawasse des russischen und griechischen Consulats getödtet wurden. Ter Agent der griechischen Schisffahrtsgesellschaft „John" und dessen Familie wurde ebenfalls ermordet. Der Aufstand wird allgemein. Ein Boot wurde im Hafen von Rethymo mit Kan onen beschossen, so daß es nicht landen konnte. Sonach ist das Versprechen, den Aufschub der Zusammen berufung des cretensischen Parlamentes rückgängig zu machen, zu spät gekommen, oder man hat es, und zwar mit Recht, nur als ein nicht ernst gemeintes BeschwichtigungSmittel an gesehen. Das Charakteristische bei der Erhebung auf Kreta ist, ebenso wie in Armenien, die Zügellosigkeit des türkischen Glaubensfanatismus gegen die Christen, dem sogar russische und griechische Beamte zum Opfer gefallen sind. Dieser letztere Umstand wird ein energisches Einschreiten der Mächte zur unabweislichen Pflicht machen, aber sie werden sich nicht mit der Bestrafung der Schuldigen und mit Garantien für den künftigen Schutz der Christen begnügen dürfen, sondern auf der rückhaltlosen Durchführung der auch Kreta längst ver- sprocheneuReformen bestehen müssen, denn nur wenn diese gesichert ist, wirb Ruhe im Laude werben. Die Tragweite der Er eignisse auf Kreta ist noch gar nicht abzusehen, da dieselben kaum ohne Einfluß auf die Stimmung in Armenien und Makedonien bleiben werden, wo für den Beginn des Früh jahres neue Unruhen befürchtet werden. Der chinesische Vicekönig Li Hung Tschang wird, wie gemeldet wurde, während seines bevorstehenden Aufent haltes in Berlin mit der deutschen Regierung in Ver handlungen eintreten über eine Erhöhung der chine sischen Einfuhrzölle in den Vertragshäfen. Die ckinesische Regierung beabsichtigt, so viel bisher darüber ver lautet, eine Erhöhung der uä-vglorom-Zölle von fünf auf acht Procent bei den Vertragsmächten zu erreichen. Hierzu schreibt das „Berl. Tagebl.": „So viel wir wissen, hat Li Hung Tschang, der gegenwärtig in Peicrs'ourg weilt, auch bei der russischen Regierung eine solche Erhöhung der uü-valorom-Einfuhrzölle angeregt, und wie wir weiter aus verläßlicher Quelle erfahren, hat die russische Regierung diesem Wunsche Chinas bereits zugestiminl. Die chinesische Regierung, so heißt es in der uns zugegangeuen Information, hat ihren Wunsch in erster Reihe damit motivirt, daß sie durch die von ihr bereits theils eingeleiteten, theils in Vorbereitung befindlichen Reforinen zu sehr beträchtlichen kulturellen Aus gaben gezwungen sei, und daß die Erträgnisse der Einsuhr zölle in den bisherigen Sätzen zur Deckung dieser Ausgaben nicht ausreichen. Es wird uns weiterhin mitgetheilt, daß über diese haudelopolitijcken Abmachungen hinaus in Petersburg zwischen Len russischen Staatsmännern und Li Hung Tschang noch weitergehende Arrangements gelrossen worden sind, daß diese aber keineswegs einen solchen Umsaug angenommen haben, wie er vor einiger Zeit, namentlich von englischer Seite, in stark übertriebener Darstellung gemeldet worden war. Diese Arrangements be ruhen allerdings aus werthvollen Concessionen, die Li Hung Tschang der russischen Regierung gemacht hat, und bei denen der Bau einer russischen Eisenbahn durch die Mand schurei eine hervorragende Rolle spielt. Was endlich die Stellung der deutschen Regierung zur Frage der Erhöhung der Einfuhr zölle betrifft, so wird mau unseres Wissens in Berlin nicht ab geneigt sein, den chinesischen Wünschen entgegenzukommen, sofern die chinesische Regierung das Bedürfnis) für eine solche Erhöhung ausreichend nachzuweisen vermag. Man wird in dieser Beziehung natürlich erst die genaue Formulirung des chinesischen Verlangens abwarten. An der Zustimmung Frankreichs und Englands zu der chinesischerseits gewünschten Zollerhöhung ist, so viel wir wissen, nicht zu zweifeln." Frankreichs Bereitwilligkeit dürste allerdings, ebenso wie die Rußlands außer Frage stehen. Rußland sind zu gewicktige Concessionen gemacht worden, als daß es sich Cbina in dieser Hinsicht nicht gefällig zeigen sollte, und Frankreich geht grundsätzlich mit Rußland. Von England dagegen, dessen Handel in erster Linie betroffen wird, darf man nicht ohne Weiteres erwarten, daß es sich die Gelegenheit, Revanche an China zu nehmen, entgehen lassen wird; sieht es sich doch durch diese weitgehenden russisch-chinesische» „Arrangements" in Ostasien immer mehr aufs Trockne gesetzt. Unser deutscher Handel wird zweifellos ebensowenig von der in Aussicht stehenden Maßregel erbaut sein, zumal da kein Mensch daran glaubt,daß dic in Cbina angeblich geplanten kulturellen Reformen die Erhöhung der Einfuhrzölle nölhig machen. Man weiß — und die ckinesisch-ofsiciöse „Ostasiatische Correspondenz" bat es ja kürzlich unumwunden eingestanden —, daß Europa, welches durch seine Intervention im japanischen Kriege das himm lische Reich vor dem Zusammenbruch rettete, zum Dank für diesen Liebesdienst die Kosten des unglücklichen Krieges tragen soll. Aber an „ausreichenden Nachweisen" wird es die chinesische Regierung nickt fehlen lassen, und schließlich dürfte es überhaupt schwer sein, Cbina die Berechtigung, sich auf diese Weise bezahlt zu machen, abzusprechen. An der Bereit Willigkeit, deutsche Gegenforderungen zu gewähren, „die dem deutschen Capital und dem deutschen Unternehmungsgeiste in China künftig größeren Spielraum zu verschaffen geeignet sind", scheint ja nach einer Andeutung des von der chinesischen Bot schaft insormirten „Berl. Tagebl." nicht zu zweifeln zu sein. Feuilleton. Die Tochter des Millionärs. 80s Roman aus dem Englischen von L. Bernfeld. Machtruck verboten.) Mrs. Larcombe und die anderen Damen waren dem Wunsche Beatrix nachgekommen, ebenso Ralph Vyner und Sir Victor. Als Victor Greville eingetreten war und sich schweigend in eine Fensternische zurückgezogen hatte, kam Beatrix, mit festen Schritten das große Zimmer durch schreitend, gerade auf ihn zu und sagte: „Kennen Sie die schöne Geschichte, die Mr. Betlow er funden hat? Mr. Larcombe, der jetzt auch daran glaubt, hat sogar meinen eigenen Vater von der Wahrheit derselben überzeugt!" „DaS habe ich gehört. Miß Hopley," sagte Victor, vor sich niederhlickend. „Und Sie glauben auch daran, Sir Victor?" Der junge Mann blickte sie vorwurfsvoll an. „Ich sollte daran glauben!? Etwas glauben, was Sic herabsetzen könnte, Miß Beatrix? Wie können Sie so un gerecht gegen mich sein!?" Der harte und bittere Ausdruck, der sich auf ihrem Antlitz ausgeprägt hatte, machte bei diesen eindringlichen Worten einem sanfteren Platz und die Thränen traten ihr in die Augen. „So vertrauen Sie mir also?" fragte sie weick. „Sie halten mich einer solchen abscheulichen Handlung nicht für fähig? Aber bedenken Sie, daß Sie keine Beweise für meine Schuldlosigkeit haben!" „Bedarf eS bei mir der Beweise?" rief der junge Mann warm. „Sind Sie nicht vollkommen in meinen Augen? Und wenn die ganze Welt gegen Sie aufträte, ich würde dennoch vom Gegentheil überzeugt sein." Ihre Blicke be gegneten sich und sie bemerkte in seinen Augen einen Aus druck von Glück und Zärtlichkeit, der sie verwirrt zu Boden blicken ließ; eine tiefe Röthe bedeckte ihr Antlitz. Sie wendete sich ab und murmelte: „Ich danke Ihnen, ich werde mich Ihres Vertrauens nicht unwürdig zeigen." Jeder der in dem Bibliothekzimmer Anwesenden sah gespannt der Aufklärung entgegen. Besonder« erregt war Helene Greville, so daß ein Fremder hätte vermuthen können, sie sei die Hauptbetheiligte bei der bevorstehenden Ver handlung. Jetzt trat Betlow ein und blieb in der Nähe der Thür stehen; bald darauf kam auch der Herr des Hauses, gefolgt von Mr. Hopley, man war vollzählig versammel» und wartete nur noch aus die Ankunft des Wagens von Ardath Vale. Mr. Larcombe hatte seiner Gattin und den anderen Damen Mr. Hopley vorgestellt und ein kleines Gespräch, das Wetter und die Jagden betreffend, wurde einige Minuten lang geführt. Doch auch dies hörte bald auf, um vollständigem Schweigen Platz zu macken. Endlick vernahm man daS Nollen eines herannabenden Wagens und bald darauf hielt derselbe vor dem Hause. Wenige Minuten später wurde die Tbür geöffnet' und Mr. Donald betrat in Begleitung zweier Herren das Zimmer. Nachdem die erste Begrüßung vorüber war, sagte der Colonel zu Mr. Donald: „Wo ist Seudamore? Sie haben ihn doch mitgebracht?" „Nein!" erwiderte dieser. „Haben Sie denn meine Zeilen nicht empfangen, durch welche ich Ihnen mittheilte, daß die Anwesenheit des Capitains Seudamore heute Abend von der äußersten Wichtigkeit für uns sei?" „Ich weiß, mein lieber Larcombe. Ich gab dem Capitain Ihren Brief zu lesen, doch wie cs scheint, bat derselbe heute wichtige Nachrichten erhalten, die ihn nach England riefen: ich glaube, er sagte, sein Onkel wäre erkrankt. Wie dem auch sein möge, er packte in aller Eile seinen Koffer, um noch den Mittagszug zu erreichen, und ist abgereist!" „Abgereist!" wiederholte fast jeder Einzelne im Zimmer in den verschiedenartigsten Ausdrücken von Mißvergnügen, Aerger und Entrüstung. Doch über alle anderen Summen hinweg ertönte ein gellender durchdringender Schrei. „Abgereist!" rief Miß Jane mit gerungenen Händen. „Abgereist! Ohne ein Wort, ohne ein Zeichen! Abgereist, ohne mir etwas zu hinterlassen, mit meinem Geld, mit meiner Anweisung in der Tasche!" Erstaunt richteten sich Aller Blicke auf sie. „Gott im Himmel, Jane", rief MrS. Larcombe in boher Erregung auf sie zueilend, „waS bedeutet daS Alles? Beruhigen Sie sich! WaS ist Ihnen der Capitain Seudamore?" „Was er mir ist? O Alles! Mein Geliebter, mein Verlobter, mein Ideal — und er ist fort — o — o!" „Führe sie hinaus!" rief der Colonel ärgerlich seiner Gattin zu. Doch in diesem Augenblicke eilte Beatrix Hopley tobten» bleich auf die beiden Damen zu und sich ihnen in den Weg stellend, sagte sie: „Bitte, MrS. Larcombe, warten Sie einen Augenblick, ich möchte einige Worte mit Miß Harnaß sprechen." Beatrix' Stimme klang ruhig und gelassen. „Bitte, Miß Harnaß, versuchen Sie sich einen Augenblick zu beherrschen, wenn Sie können", wendete sie sich mit fester, klarer Stimme an Jane „und beantworten Sie mir meine Fragen! WaS meinten Sie damit, als Sie sagten, Capitain Seudamore wäre Ihr Verlobter? WaS berechtigt Sie zu diesem Ausspruch?" Jane Harnaß warf einen Blick unsäglichen Triumphes auf Beatrix. „Ab, das mißfällt Ihnen, Miß Hopley, nicht wahr? Sie, welche sich in die bessere Gesellschaft doch nur eingedrängt haben, pochen auf den Reichthum Ihres VaterS und glauben, daß sich Jeder nur um Sie bewerben müßte! Und das nahmen Sie wohl auch in Bezug auf meinen Ver lobten, Philipp Seudamore, an?" „Ihr Verlobter! Bitte, bleiben Sie doch bei der Sache!" Mit vornehmer Rübe hatte Beatrix die beleidigenden Worte Jane's hingenommen. Und als MrS. Larcombe in höchster Entrüstung die Wüthende zur Rede stellen wollte, legte sie ihre Hand auf den Arm ihrer gütigen Freundin, um sie davon zurückzubalten. Die würdevolle Haltung und Selbstbeherrschung, welche das junge Mädchen bei dieser Ge legenheit zeigte, ließ auch die Anderen, welche sich ebenso, wie Mrs. Larcombe empört gegen Miß Jane wenden wollten, verstummen. „Mit welchem Recht nennen Sie den Capitain Seudamore Ihren Verlobten?" „Mit welchem Recht? Mit dem besten Recht von der Welt! Er bat mir gestern bei einer Zusammenkunft unter der alten Bucke am See einen Heirathsantrag gemacht, und er wollte heute hierher kommen, nm unsere Verlobung zu veröffentlichen. Genügt Jbnen diese Erklärung, Miß Hopley?" „Vollkommen, ich danke Ihnen!" antwortete Beatrix in küblem Ton. „Ich wünsche Ihnen recht viel Glück zu ihrer Verlobung, Miß Harnaß, und hoffe nur, daß ihre Be mühungen, Ihren Verlobten wiederzufinden, von Erfolg ge krönt werden mögen, ebenso, daß Sie wieder in den Besitz der Anweisung gelangen, welche Sie erwähnten." Beatrix wandte sich bei den letzten Worten von Jane ab und ging nach dem Kamin zurück. Die unglückliche Jane brach von Neuem in herzbrechende Klagen aus und wurde von Mr«. Larcombe ans dem Zimmer geführt. „Meine Liebe," sagte der Colonel freundlich zu ihr, doch so, daß Jeder ihn verstehen konnte, „unsere Zusammenkunft beute Abend ist durch die unverantwortliche Handlungsweise des Capitains Seudamore vollständig zwecklos geworden. Wollen Sie sich nicht lieber bis zum Diner auf Ihr Zimmer zurückzieben, um noch ein wenig zu ruhen? Miß Greville wird gewiß gern bereit sein, Sie zu begleiten." „Noch nicht, Herr Colonel," rief Beatrix, ich habe erst noch etwas zu sagen." Sie wendete sich zu den im Zimmer Versammelten und obgleich sie immer noch sehr bleich aussah, lag ein entschlossener Ausdruck in ihrem Antlitz, und ihre Stimme klang ruhig und gelassen, als sie sprach: „Meine lieben Freunde, hätte der Capitain Seudamore mich henie Abend nicht im Stiche gelassen, so würde ich mit Hilfe seines Zeugnisses im Stande gewesen sein, mich ge nügend von der Anklage zu recht ertigen, welche dieser Mann" — sie deutete auf Mr. Betlow, der sich noch auf seinem Platze in der Nähe der Thür befand, — „gegen mich unschuldiges Mädchen ersonnen hat." „Nein, nein, gnädiges Fräulein!" unterbrach sie der Detectiv. „Geschäft ist Geschäft, ich habe mich durch die Umstände leiten lassen, von einem bösen Willen meinerseits kann keine Rede sein." „Dieser Mann," fuhr Beatrix fort, die Erwiderung Bel lows ganz unbeachtet lassend, „hat als Ergebniß seiner Nach forschungen hier im Hause feststellen wollen, daß ich mein eigenes Halsband gestohlen hätte, um es dem Capitain Seuda- more zu geben, damit dieser es zu Gelbe machen unv seine Ehrenschulden damit bezahlen könne. Nachdem ich in dieser Weise gehandelt, hätte ich zum Schein angegeben, die Bril lanten wären mir gestohlen worden und dadurch andere un schuldige Personen in den Verdacht des Diebstahls gebracht. Das ist die Anklage, die gegen mich erhoben worden ist. Zu meinem jetzt tiefsten Bedauern habe ich allerdings gegen den Wunsch und ohne Wissen meines VaterS dem Capitain Seudamore meine Hand zugesagt, weil ich ihn für einen ehrenhaften Menschen hielt. Nack seinem unwürdigen Be nehmen und nach dem Bekenntniß der Dame, welche soeben das Zimmer verlassen hat, sehe ich aber ein, daß ich mich in ihm getäuscht habe." „Nun, daS freut mich zu hören, Trixie", sagte ihr Vater, zu ihr tretend und seinen Arm um ihre Taille legend. „Ich kann Dir sagen, daß dieser Bursche niemals einen Deut von mir erhalten hätte." „Ich kann leider keinen Beweis für meine Unschuld er« bringen und muß e« tragen, daß der Verdacht für immer alt
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