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5911 fürsten Christian I. (1591) brachte sie schneller zur Reife als sie gehofft hatten, denn der strenglutherische Vormund der beiden un mündigen Prinzen (Herrog Friedrich von Weimar) führte schnell die alte Ordnung der Dinge herbei: Crell wurde schon 14 Tage nach Christians Tode verhaftet und nach 10 jährigem Proceß zu Dresden enthauptet. Ob der Proceß mit voller Unparteilichkeit ge führt worden sei, wurde schon damals von Vielen und selbst vom Reichskammergericht bezweifelt. . Den Calvinisch gesinnten Geistlichen geschah nun dasselbe, was sie unter Crell ihren Gegnern angethan. Manche von ihnen waren Mich auch zu weit gegangen; so hatte z. B. der Pfarrer von Markkleeberg die Bilder aus der Kirche gerissen, verbrannt und aus dem Crucifix Fischholz gemacht, welchen Frevel er nachgehends im Gefängniß auf der Pleißenburg büßen mußte. Der Diaconus Becker an der Thomaskirche hatte sich über einen Kranken, welchem er das h. Abendmahl gereicht, leichtfertiger Weise geäußert: er habe ihm ein Hufeisen aufgeschlagen; vr. Gundermann war in der Nichtachtung des kirchlichen Brauchs so weit gegangen, auf der Kanzel bedeckten Hauptes zu predigen. Die Geistlichkeit, Universitats - und Rathsglieder mußten sich einer abermaligen Visitation unterwerfen, und diejenigen von ihnen, welche die vier Visitationsartikel nicht unterschrieben oder sie gar bestritten, mußten Land und Amt meiden; eine strenge Censur wachte darüber, daß keine im Calvinischen Sinne abgefaßten Bücher verbreitet wurden. Die VerfolgungSwuth gegen die Calvinisten beschränkte sich bald nicht mehr auf die Geistlichen. Die des CalviniSmus Ver dächtigen wurden nun auch von den fanatisirten Einwohnern be schimpft und gemißhandelt, und im Mai 1593 kam es hierüber zu ernstlichem Aufruhr, Raub und Mord. In Leipzig hatte sich 1585 ein schweizerischer Kaufmann refor- mirter Confession, Namens Weinhausen, niedergelassen und das Bürgerrecht erlangt. Obwohl er auf Befragen des Superinten denten Selnecker seinen Glauben verläugnet hatte, so war er doch von diesem des Krypto-CalviniSmus verdächtigt worden und bei seinen Mitbürgern übel angeschrieben. 1593 hatte Weinhausen sechs schweizerische Studenten, ebenfalls Reformirte, in Kost. Einer dieser Studenten war mit einem Wittenberger Professor, vr. Samuel Huber, welcher früher in Bern gelebt, aber von dort ausgewiesen worden war, bekannt; als Huber, welcher von meh reren Seiten als ein zweideutiger Charakter geschildert wird, nach Leipzig kam, luden ihn Weinhausens Studenten zu Gaste, nach dem sie vorher von Huber bewirthet worden waren. Weinhausen »rollte Anfang- nicht darauf eingehen, einen Gegner seines Glaubens in seinem Hause zu sehen, welcher eine Schmähschrift gegen den Calvinismus veröffentlicht hatte; doch ließ sich Weinhausen auf die Zusage der Studenten, daß wenn Huber nur hinlänglich guten Wein vor sich sähe, er sich wenig um die Religion kümmere, so wie durch die Neugierde, diesen Mann näher kennen zu lernen, dazu bestimmen, daß die Gasterei in seinem Hause stattfände. Außer Huber waren noch zwei andere Gäste anwesend: ein von Weinhausen eingeladener Student Müller, welcher seinerseits wieder seinen früher» Lehrer vr. Major eingeladen hatte. Anfangs drehte sich das Gespräch um gleichgiltige Dinge; doch bald kam man auch auf die Tagesfrage zu sprechen, und da Huber sich durch seine Flugschrift gegen den reformirten Glauben, für welche er vom Administrator des Kurfürstenthums eine Belohnung von 5V0 Gülden erhalten zu haben sich schon früher gegen die Studen ten gebrüstet, als Gegner der Tischgesellschaft documentirt hatte, so war ein Streit über Glaubensansichten fast unvermeidlich. Bald kam es zwischen den durch starken Wein aufgeregten Geistern zu Persönlichkeiten, welche von Seiten Müller'- und Major's in Tätlichkeiten überzugehen drohten, wenn nicht Weinhausen und die Studenten dazwischen getreten wären. Andern Tag- gingen die Studenten in Huber's Wohnung, um die Sache vollends bei- zulegm, doch hatte dieser schon den Vorfall zur Anzeige gebracht und war klagbar geworden. Weinhausen wurde zwar freige sprochen, doch beruhigte sich Huber dabei nicht und hetzte aller Orten gegen Weinhausen, als einen Calvinisten, auf. Bei der Stimmung der Leipziger, besonder- der nieder« Volksclasse, war die- ein Leichtes und am 19. Mai fand man auf dem Markte und an dm Straßenecken Zettel angeschlagen, de- Inhalts: „Ein Jeder, der ein echt lutherisch Herz habe, solle sich des Abend- um 8 Uhr auf dem Markte einfinden, allda Adolph Weinhausens, des Calvinisten, Hau- stürmen, und welche Bürger recht lutherisch wärm, sollten dm Stürmenden keinen Einhalt noch Hinderung thun." Obwohl Weinhausen, arge Scenen fürchtend, beim Rath um Schutz nachgesucht und ihm auch solcher zugesichert worden, so sammelten sich doch Abends große Volksmassen vor Weinhausen« Hause und begannen mit Einwerfen der Fenster, an welchem sie durch die aufgebotene Bürgerwehr nicht verhindert wurden. Die Stadtknechte, welche einschreiten wollten, mußten, um ihrer eige nen Niederlage zu entgehen, sich auf das Rathhaus zurückziehen und so behielten die Tumultuanten das Feld für sich. Weinhausen und seine Freunde mußten sich auf eigne Hand vertheidigen und schossen auf das Volk. Diese unselige Maßregel erbitterte die Stürmenden aufs Höchste und die Calvinisten konnten sich nur durch die Flucht vor sicherm Tode retten; ein Galgen war für sie schon aufgerichtet, um der Volksjustiz Genüge zu thun. Nach Mitternacht verlief sich zwar die Menge, um aber am andern Tage, einem Sonntage, noch heftiger zu wüthen. Das Ja"!* ^auS und alles was darin, MeubleS, Betten, Handlungsbucher, Zaaren, unter denen auch die anderer Kaufleute, wurde mit kannibalischer Wuth vernichtet, ohne daß ihr von Seiten der Be hörden ernstlich gesteuert worden wäre. Weinhausen's Gattin hatte ebenfalls flüchten und ihre Kinder im Stich lassen müssen, von welchen die berauschten Meuterer einen Säugling zum Fenster hinabwerfen wollten, was aber durch einen besonnenen Kutscher verhindert ward. Nun erst, nachdem sich die Bürger immer noch säumig zeigten und der Pöbel bei verschiedenen andern des Calvinismus verdächtigen Bürgern demolirt und geplündert hatte, schritt der Schloßhauptmann mit Militair ein, vor welchem die feige Rotte schnell auseinanderstob. Den Rathsherren wurde jetzt selbst ban^e; sie beredeten sich mit der Bürgerschaft und diese sagte ihre Hülfe nur unter der Bedingung zu, daß die Calvinisten aus der Stadt geboten wurden. Der Rath mußte nachgeben und die Calvinisten flüchteten nach Markkleeberg und von da nach Zerbst. Sobald der Administrator des Kurfürstenthums, Herzog Friedrich, die Leipziger Greuelscenen erfuhr, kam dieser selbst nach Leipzig und ließ dem Rath und der Bürgerschaft seinen tiefsten Unwillen ausdrücken. Es wurden dem Rath zwei Statthalter bei gegeben, alles verdächtige Gesindel aus der Stadt getrieben; auf die Entdeckung des Verfassers des aufreizenden Anschlag- eine Belohnung von 100 Thalern gesetzt, die verbannten Calvinisten zurückgerufen und schon am 4. Juni vier der Rädelsführer hin- gerichtet. Die Ruhe war zwar äußerlich wieder hergestellt, aber der Haß gegen die Calvinisten noch lange nicht gelöscht: PaSquille, Brandbriefe und andere Drohungen kamen häufig zur Ausfüh rung; so wurde unter anderm am 27. Juni ein Vr. Rothe'n ge höriges Vorwerk vor dem Floßthore, wo die Calvinisten ihre ge heimen Zusammenkünfte haben sollten, in Brand gesteckt; es ist dies unser jetziges Brandvorwerk. n OeffcntUche Gerichtssitzungen. In der am 25. d. M. unter dem Vorsitze des Herrn Gerichts rath vr. Wenck und unter Mitwirkung des Herrn Staatsanwalt Gebert abgehaltenen Hauptverhandlung erschien auf der Anklage bank der Agent und Cigarrenhändler Christian Friedrich Th. von hier. Unter dem Vorgeben, daß er einen bestimmten Abkäufer wisse und sich eine Provision verdienen wolle, hatte Th. einem hiesigen Kaufmann anderthalb Tausend Stück Cigarren zum Werthe von 11 Thlr. 7 Ngr. 5 Pf. abzuschwindeln gewußt. Letzterer, der das ihm proponirte Geschäft nicht gerade ablehnen wollte, aber auch nicht gemeint war, Th. die Cigarren auf Credit anzuvertrauen, viel mehr sich wegen der Zahlung zu sichern suchte, hatte die beregte Quantität Cigarren durch seinen Laufburschen mitgeschickt, um sie dem angeblich in einer von Th. bezeichneten Wirthschaft sich auf haltenden Abkäufer abzuliefern und das Geld dafür in Empfang zu nehmen. Dies lag nun augenscheinlich nicht im Sinne Th.'S, und namentlich kam ihm die Begleitung de- Laufburschen un gelegen; er wußte sich aber doch zu Helsen, um das, was er offen bar im Sinne hatte, dennoch in Ausführung zu bringen. An der betreffenden Wirthschaft angelangt, ließ er sich nämlich die Cigarren von dem Laufburschen geben, um sie an den Abkäufer abzuliesern, und hieß erstem einstweilen Hausen zu warten, bis er ihm da- Geld bringe. Es verging aber Viertelstunde zu Viertel stunde, Th. kehrte nicht zurück, und als der Laufbursche sich endlich bewogen fand, in der Wirthschaft nachzusehen, war weder Th. noch der angebliche Abkäufer mit dem Gelde da, Th. viel mehr, wie sich herau-stellte, mit dm Cigarren nach kurzem Ver-