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2327 geffen. Auch in diesem Falle ist die Wirkung viel schneller und heftiger al- bei ruhiger Stimmung, besonder- wenn diese die Folge gewissenhaft vollbrachten Tagewerk- ist, wo eine mäßige Erregung ein wohlthuende- Gefühl Hervorrust. Nicht minder ist da- schneller oder lanasamer Berauschtwerden durch die Art und Weise, wie getrunken wird, bedingt. Da- jähe Hinabstürzen (Saufen*) gewährt dm wenigsten Genuß vom Ge tränk selbst und mdigt gar leicht mit gänzlicher Bewußtlosigkeit. Daß der Branntwein unter allen geistigen Getränken am schnellsten zum Rausch und zur totalen Betrunkenheit führ?, liegt an seiner Beschaffenheit, welche in Art. VII. näher besprochen worden ist; denn während der Wein den Appetit reizt und da- Bier an und für sich nährend ist, verursacht der Branntwein, wie schon oben erwähnt, Appetitlosigkeit. Die Rachwehen nach ausgeschlafenem Rausch oder totaler Trunkenheit bestehen zuvörderst in Eingenommenheit de- Kopfe-, innerer Hitze und in Folge deren Mattigkeit in den Gliedern, ver dorbenem Magen. Zur vollständigen sichern Heilung dieser Leiden gibt e- zwar ein heilende- Kräutlein, aber e- will nicht immer recht munden; eS ist die- Geduld und strenge- Enthalten von ferneren geistigen Genüssen. Zur Linderung dienen reizende scharfe Speisen, welche nur mit Wasser zu stillenden Durst erregm, ernste, anhaltende Beschäftigung, oder, wmn man eS haben kann, Bewegung in freier Luft. Will der Magen nicht recht ansprechen, so wird am geeignetsten durch! ein die Entleerung befördernde- Mittel nachgeholfen. Wer sich aber Tag- vorher durch eine Schwäche hat überraschen lassen, der nehme während seine- zer brochenen, zerknitterten Zustande- ja alle noch vorhandene mora lische Kraft zusammen, um nicht eine zweite, viel folgenschwerere über sich kommen zu lassen. Selbst die Art und Weise de< RauschauSschlafenS ist nicht ohne Einfluß auf die Nachwehen. Beim Liegen im warmen Bett steigt der sich vom Blut ausscheidende Alkohol nach dem Kopf und unterhält die Eingenommenheit desselben noch nach dem Erwachen. Beim Schlafen in sitzender Stellung im kühlen Zimmer dagegen geht der größte Theil durch den Urin ab. Außerdem werden noch medicinische Mittel angewendet, um die Trunkenheit zu vertreiben oder wenigstens zu mindern; gewöhnlich wird Ammonium ange wendet, welche- den Alkohol neutralisirt, oder auch kaustischer Salmiak-Liquor, 6 Tropfen in einem halben Glase Auckerwaffer; ferner kräftige Brechmittel und Waschen oder Begießen de- KopfeS mit frischem Wasser, doch kann letztere- Verfahren bei Personen, welche zu Hirnaffectionen geneigt siüd, leicht gefährlich werden. Noch schädlicher ist da- Trinken von Provenceröl oder da- Belegen de- Unterleibes mit nassen Tüchern; die ganze Hitze wird nach den Unterleibsorganen gedrängt und diese werden allein der leidende Theil, während beim naturgemäßen Verlauf da- Leiden auf alle Lheile de- Körper- gleichmäßig vertheilt wird. Wer sich nur höchst selten, bei besonderen Anlässen, von einem Rausch beschleichen läßt, dem werden die eben besprochenen lästigen Folgen ein hinreichender Warner vor öfteren Uebergriffen sein; wer aber diesen Warner nicht beachtet und die Trunkenheit zur Ge wohnheit, zum Hang werden läßt, bei dem bildet sie sich zu der unglücklichen Trunksucht au-. Diese ist nicht mehr eine morali sche Schwäche, sie ist eine chronische Krankheit, welche sich durch gänzliche Veränderung de- Innern und äußern Menschen zu er kennen gibt. Die Anzeichen diese- Leiden- sind: Erschlaffung der Nerven in dem Grade, daß ohne Genuß von Spirituosen keine Kraftanstrengung möglich ist; heftige GemüthSbewegungen, Appe titlosigkeit; Erbrechen im nüchternen Zustande; Entzündung der Unterleib-eingeweide und dadurch herdeigeführte unregelmäßige Ent leerung, aufgedunsenes oder kupferfleckiges Gesicht, verglas'te Au gen; Vernachlässigung de- Aeußern in Kleidung und Reinlichkeit, so wie der Sitte und de- Anstande- im Umgang mit Anderen. Mit der Zeit nehmen diese Krankheitserscheinungen einen ausge prägter» Charakter an und gehen in Mißmuth, Wildheit, Tob sucht, Sinnestäuschungen, Delirium über. Nach solchen An fällen tritt gewöhnlich auf längere Zeit ein Widerwille gegen gei stige Getränke ein, welcher jedoch nach längerer oder kürzerer Pause einem unbesiegbaren Verlangen nach abermaliger Aufregung weicht. *) Die eigentliche Bedeutung von Saufen ist: eine große Quantität Flüssigkeit au- großen Gefäßen in unmanierlicher Weise in sich hinetn- stürzen. Die» ist beim Branntweintrinken zwar in der Regel nicht der Fall, denn dieser wird gewöhnlich au- kleinen Gläsern in zeitweisen Ab theilungen getrunken; aber man giebt dem häufigen, zur Besoffenheit führenden Branntweintrinken diesen deprimirenden Au-druck, um da» Verächtliche diese- Gebühren- damit zu bezeichnen. Ein baldige- Ende durch Hirnschlag, Zehrfieber, Kopf-, Brust oder Bauchwassersucht kürzt gewöhnlich diese Leiden ab. Die Heilung der Trunksucht ist sehr schwer, indem mit der physischen auch die moralische Kraft gebrochen und der schädliche Stoff schwer von den damit Befallenen entfernt zu halten ist. Zuerst müssen, wenn noch möglich, die hervorgerufenen Krank- heit-erscheinunaen beseitigt und wenn ein normaler Zustand wieder eingetreten, Körper- und Willenskraft gestärkt sind, alle Gelegen, Helten zur Rückfälllgkeit entzogen werden. Die allmälige Ver minderung de- täglichen Quantum- setzt schon einen festen Vor satz voraus und hat wohl nur in wenigen Fällen zur gründlichen Heilung geführt; ein Zusatz von verdünnter Schwefelsäure oder einer geringen Quantität Brechweinstein zum Branntwein ist mit mehr Erfola angewendet worden, indem dadurch bald eine an dauernde Abneigung gegen denselben hervorgerufen wurde; diese Abneigung wird in sehr hohem Grade erregt, wenn allen Speisen und Getränken etwa- Branntwein beigemischt wird, wie e- in Schweden und England bei den polizeilicher Aufsicht und Behand lung unterstellten rückfälligen Trunkenbolden geschieht, welche nach ihren eignen Au-sagen jede härtere Strafe dieser probaten Cur vorziehen. — n. — Stadttheater. Au dm wenigen Opern der neueren und neuesten Zeit, welche sich eine dauernde Stelle auf dem Repertoir der deutschen Bühnen errungen haben, gehört de- leider zu früh verstorbenen Otto Nicolai komische Oper „die lustigen Weiber von Wind, s o r." ES verdient diese- Werk auch ^.vorzugsweise die allgemeine Anerkennung, die ihm geworden, da eS bei allen keineswegs zu mißbilligenden Concessionen für den Zeitgeschmack den Stempel künstlerischer Gesinnungstüchtigkeit trägt und den großen Vorzug de- Bühnengeschicks vor vielen anderen deutschen musikalisch-dra matischen Erzeugnissen voraus hat. — Bleibt eS immer eine sehr schwierige Aufgabe, ein ShakeSpeare'scheS Stück, und besonder- ein Lustspiel dieses Dichter-, in ein Opernbuch umzugestalten, so muß man doch dem geistreichen Mosenthal e- zugeftehen, dass ihm dieser gewagte Versuch so gut gelungen ist, als da- über haupt möglich. Wir möchten daher Mosenthal- Arbeit zu den besten Libretti rechnen, die wir überhaupt haben. Die Musik Nicolai'- ist in leichtem und elegantem Styl gehalten und lehnt sich in dieser Beziehung an da- Genre der französischen komischen Oper an. Es ist da- keineswegs ein Vorwurf, den wir damit dem hübschen Werke machen wollen, denn da- ist nun einmal nicht hinwegzulä'ugnen, daß die Franzosen und selbst auch die Italiener, was da- Formelle in höherem Sinne betrifft, uns in der komischen Oper überlegen sind — daher ihre Werke trotz de- oft wenig bedeutenden Gehalt- und selbst der nicht seltenen Leichtfertigkeit dennoch über alle Theater gehen und vom Publicum gern gesehen werden, während viele in geistiger Beziehung bedeu tendere deutsche Werke diese- Genre- kaum über die Mauern der Stadt hinaus kommen, in der sie entstanden oder auSgeführt worden sind — wenn sie überhaupt jemals da- Lampenlicht er blickt haben. Trotz de- fremdländischen Anstrich-, denNicolai' s Oper hat, verläugnet sich in dieser Musik doch auch die deutsche Tüchtigkeit und die Hand de- gediegenen Componisten nicht. Neben einem bedeutmden Talent für anmuthige, scharf rhythmisirte und daher sehr eindringliche melodische Gestaltungen zeigt sich eine vollkommen freie und geistvolle Handhabung der harmonischen Mittel bei einer für die Menschenstimme sehr vortheilhaften Schreib art und einer äußerst brillanten und geschmackvollen Orchestration. Ihrem geistigen Inhalte nach ist die Musik höchst charakteristisch, von Witz und Laune übersprudelnd, stet- schön gedacht und, wo e- Gelegenheit dazu giebt, auch von tiefer gehender Empfindung. - Die Oper ist seit vielleicht fünf Jahren bei un- nicht gegeben worden; sie hatte bei der diesmaligen in allen. Theilen sehr leben digen und frischen Aufführung einen schönen Erfolg und wird daher voraussichtlich von jetzt an wieder öfter gegeben werden. Die hübsche und dankbare Partie der Frau Fluth gab Fräu lein von Ehrenberg vom Stadttheater zu Hamburg als zweite Gastrolle. Wir können der Gastin zu dieser Leistung nur Glück wünschen. Die Befangenheit, welche der jungen Sängerin bei ihrem ersten hiesigen Auftreten zu schaffen gemacht, war die-mal so weit überwunden, daß Fräulein von Ehrend erg vom An fang der Oper an frei und ungehindert von dergleichen äußeren Einflüssen ihre Aufgabe lösen konnte. In dem musikalischen Theile der Partie zeigte sie sich auch die-mal al- eine für da-