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— 4l — finden weniger nothwendig, und das Lernen stumpft selbst die Kraft dazu ab. Dagegen ist es unleugbar, daß, wenn die physische Mannigfaltigkeit geringer wurde, eine bei weitem reichere und befriedigendere intellectuelle und moralische an ihre Stelle trat, und daß Gradationen und Verschieden heiten von unserem mehr verfemten Geiste wahrgenommen, und unserem, wenn gleich nicht ebenso stark gebildeten, doch reizbaren kultivirten Charak ter ins praktische Leben übergetragen werden, die auch vielleicht den Weifen des Alterthums, oder doch wenigstens nur ihnen nicht unbemerkt geblieben wären. Es ist im ganzen Menschengeschlechte, wie im einzelnen Menschen gegangen. Das Gröbere ist abgefallen, das Feinere ist geblieben. Und so wäre es ohne allen Zweifel segenvoll, wenn das Menschengeschlecht Ein Mensch wäre, oder die Kraft eines Zeitalters ebenso als seine Bücher oder Erfindungen auf das folgende überginge. Allein dies ist bei weitem der Fall nicht. Freilich besitzt nun auch unsere Verfeinerung eine Kraft, und die vielleicht jene gerade um den Grad ihrer Feinheit an Stärke übertrisft; aber es fragt sich, ob nicht die frühere Bildung durch das Gröbere immer vorangehen muß? Ueberall ist doch die Sinnlichkeit der erste Keim, wie der lebendigste Ausdruck alles Geistigen. Und wenn es auch nicht hier der Ort ist, selbst nur den Versuch dieser Erörterung zu wagen, so folgt doch gewiß soviel aus dem Vorigen, daß man wenigstens diejenige Eigen- thümlichkeit und Kraft, nebst allen Nahrungsmitteln derselben, welche wir noch besitzen, sorgsältigst bewachen müsse. Bewiesen halte ich demnach durch das vorige, daß die wahre Ver nunft dem Menschen keinen anderen Zustand als einen solchen wünschen kann, in weichem nicht nur jeder Einzelne der un gebundensten Freiheit genießt, sich aus sich selbst in seiner Eigenthümlichkeit zu entwickeln, sondern in welchem auch die physische Natur keine andere Gestalt von Menschenhänden empfängt, als ihn jeder Einzelne, nach dem Maaße seines Bedürfnisses und seiner Neigung, nur beschränkt durch die Grenzen seiner Kraft und seines Rechtes, selbst und willkür lich giebt. Von diesem Grundsätze darf, meines Erachtens, die Vernunft nie mehr nachgcben, als zu seiner eigenen Erhaltung selbst nothwendig ist. Er mußte daher auch jeder Politik, und besonders der Beantwortung der Frage, von der hier die Rede ist, immer zum Grunde liegen. In einer völlig allgemeinen Formel ausgedrückt, könnte man den wahren Umfang der Wirksamkeit des Staates alles dasjenige nennen, was er zum Wähle der Gesellschaft zu thun vermöchte, ohne jenen oben aus geführten Grundsatz zu verletzen; und es würde sich unmittelbar hieraus auch die nähere Bestimmung ergeben, daß jedes Bemühen des Staates verwerflich sei, sich in die Privatangelegenheiten der Bürger überall da einzumischen, wo dieselbe nicht unmittelbaren Bezug auf die Kränkung der Rechte des einen durch Len andern haben. Jndcß ist es doch, um die vor- gelegte Frage ganz zu erschöpfen, nothwendig, die einzelnen Theile der ge wöhnlichen oder möglichen Wirksamkeit der Staaten genau durchzugehen. Der Zweck deS Staates kann nämlich ein doppelter sein; er kann Glück befördern, oder nur Uebel verhindern wollen, und im letzteren Falle Nebel der Natur oder Uebel der Menschen. Schränkt er sich auf das letztere ein, so sucht er nur Sicherheit, und diese Sicherheit sei es mir er laubt, einmal allen übrigen möglichen Zwecken, unter dem Namen des