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32 mittlerem Pfad gelangen. Extreme müssen, gleich großen in die Ferne leuchtenden Maßen, weit wirken. Um der feinsten Ader Blut zu ver schaffen, muß eine beträchtliche Menge in den großen vorhanden sein. Hier die Ordnung der Natur stören wollen, heißt moralisches Uebel an- richten, um physisches zu verhüten. Es ist aber auch, meines Erachtens, unrichtig: daß die Gefahr des Sittenverderbnisses so groß und dringend sei. Und so manches auch schon zu Bestätigung dieser Behauptung im Vorigen gesagt worden ist, so mögen doch noch folgende Bemerkungen dazu dienen, sie ausführlicher zu beweisen: 1) Der Mensch ist an sich mehr zu wohlthätigen, als eigennützigen Handlungen geneigt. Dies zeigt sogar die Geschichte der Wilden. Die häuslichen Tugenden haben so etwas Freundliches, die öffentlichen des Bürgers so etwas Großes und Hinreißendes, daß auch der bloß unver dorbene Mensch ihrem Reiz selten widersteht. 2) Die Freiheit erhöht die Kraft, und führt, wie immer die größere Stärke, allemal eine Art der Liberalität mit sich. Zwang erstickt die Kraft und führt zu allen .eigennützigen Wünschen und allen niedrigen Kunstgriffen der Schwäche. Zwang hindert vielleicht manche Vergehung, raubt aber selbst den gesetzmäßigen Handlungen von ihrer Schönheit. Freiheit veranlaßt vielleicht manche Vergehung, giebt aber selbst dem Laster eine minder unedle Gestalt. 3) Der sich selbst überlassene Mensch kömmt schwerer auf richtige Grundsätze; allein sie zeigen sich unaustilgbar in seiner Handlungsweise. Der absichtlich Geleitete empfängt sie leichter; aber sie weichen auch sogar seiner, doch geschwächten, Energie. 4) Alle Staatseinrichtungen, indem sie ein maunichfaltiges und sehr verschiedenes Interesse in eine Einheit bringen sollen, verursachen vielerlei Kollisionen. Aus den Kollisionen entstehen Mißverhältnisse zwischen dem Verlangen und dem Vermögen der Menschen; und aus diesen Vergehungen. Je müßiger also — wenn ich so sagen darf — der Staat, desto ge ringer die Anzahl der letztem. -Wäre es, vorzüglich in gegebenen Fällen, möglich, genau die Uebel aufzuzählen, welche Polizeieinrichtungen ver anlassen, und welche sie verhüten; die Zahl der erstem würde allemal größer sein. 5) Wieviel strenge Aufsuchung der wirklich begangnen Verbrechen, gerechte und wohl abgemessene, aber unnachlaßliche Strafe, folglich seltene Straflosigkeit vermag, ist praktisch noch nie hinreichend versucht worden. Ich glaube nunmehr für meine Absicht hinlänglich gezeigt zu haben, wie bedenklich jedes Bemühen des Staats ist, irgend einer — nur nicht unmittelbar fremdes Recht kränkenden — Ausschweifung der Sitten ent gegen oder gar zuvor zu kommen; wie wenig davon insbesondere heilsame Folgen auf die Sittlichkeit selbst zu erwarten sind; und wie ein solches Wirken auf den Charakter der Nation, selbst zur Erhaltung der Sicher heit, nicht nothwendig ist. Nimmt man nun noch die im Anfänge dieses Aufsatzes entwickelten Gründe hinzu, welche jede auf positive Zwecke ge richtete Wirksamkeit des Staats mißbilligen, und die h>er um so mehr gelten, als gerade der moralische Mensch jede Einschränkung am tiefsten fühlt; und vergißt man nicht, daß, wenn irgend eine Art der Bildung