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22 Stärke, Tapferkeit und Geschicklichkeit des Einzelnen ankömmt. Wie ver derblich muß es nun sein, wenn beträchtliche Theile der Nationen, nicht bloß einzelne Jahre, sondern oft ihr Leben hindurch, im Frieden, nur zum Behufe des möglichen Krieges, in diesem maschinenmäßigen Leben erhalten werden? Vielleicht ist es nirgend so sehr, als hier, der Fall, daß, mit der Aus bildung der Theorie über die menschlichen Unternehmungen, der Nutzen derselben für diejenigen sinkt, welche sich mit ihnen beschäftigen. Unleug bar hat die Kriegskunst unter den Neueren unglaubliche Fortschritte ge macht; aber ebenso unleugbar ist der edle Charakter der Krieger seltener geworden. Seine höchste Schönheit existirt nur noch in der Geschichte des Alterthums; wenigstens — wenn man dies für übertrieben halten sollte — hat der kriegerische Geist bei uns sehr oft schädliche Folgen für die Natio nen, da wir ihn im Alterthume so oft von den heilsamsten begleitet sehen. Allein, unsere stehenden Armeen bringen, wenn ich so sagen darf, den Krieg mitten in den Schooß des Friedens. Kriegsmuth ist nur in Verbindung mit den schönsten friedlichen Tugenden, Kriegszucht nur in Verbindung mit dem höchsten Freiheitsgefühle ehrwürdig. Beides getrennt — und wie sehr wird eine solche Trennung durch den im Frieden bewaffneten Krieger be günstigt? — artet diese sehr leicht in Sklaverei, jener in Wildheit und Zügellosigkeit aus. Bei diesem Tadel der stehenden Armeen sei mir die Erinnerung er laubt, daß ich hier nicht weiter von ihnen rede, als mein gegenwärtiger Gesichtspunkt erfordert. Ihren großen unbestrittenen Nutzen — wodurch sie den^ Zuge das Gleichgewicht halten, mit dem sonst ihre Fehler sie, wie jedes irdische Wesen, unaufhaltbar zum Untergange dahin reißen würden — zu verkennen, sei fern von mir. Sie sind ein Theil des Ganzen, welches nicht Plane eitler menschlicher Vernunft, sondern die sichere Hand des Schicksals gebildet hat. — Wie sie in alles Andere, unserem Zeitalter Eigenthümliche, eingreifen; wie sie, mit diesem, die Schuld und das Verdienst des Guten und Bösen theilen, das uns auszeichnen mag: müßte das Ge mälde schildern, welches uns, treffend und vollständig gezeichnet, der Vor welt an die Seite zu stellen wagte. Auch müßte ich sehr unglücklich in Auseinandersetzung meiner Ideen gewesen sein, wenn man glauben könnte, der Staat sollte, meiner Meinung nach, von Zeit zu Zeit Krieg erregen. Er gebe Freiheit; und dieselbe Freiheit genieße ein benachbarter Staat. Die Menschen sind in jedem Zeitalter Menschen und verlieren nie ihre ursprünglichen Leidenschaften. Es wird Krieg von selbst entstehen; und entsteht er nicht, nun! so ist man wenigstens gewiß, daß der Frieden weder durch Gewalt erzwungen, noch durch künstliche Lähmung hervorgebracht ist: und dann wird der Frieden den Nationen freilich ein ebenso wohlthätigeres Geschenk sein, wie der fried liche Pflüger ein holderes Bild ist, als der blutige Krieger. — Und ge wiß ist es, denkt man ein Fortschreiten der ganzen Menschheit von Gene ration zu Generation; so müßten die folgenden Zeitalter immer die fried licheren sein. Aber dann ist der Frieden aus den inneren Kräften der Wesen hervorgegangen; dann sind di? Menschen, und zwar die freien Menschen, friedlich geworden. Jetzt — das beweist Ein Jahr europäischer Geschichte — genießen wir die Früchte des Friedens, aber nicht der Friedlichkeit. Die menschlichen Kräfte, unaufhörlich nach einer gleich-