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13 körperlichen und geistigen Gestalten, die Wahrheit in dem unabänderlichen Wirken jeder Kraft nach dem ihr inwohnenden Gesetze, daS Recht in dem unerbittlichen Gange der sich ewig richtenden und strafenden Begebenheiten. Für die menschliche Ansicht, welche die Plane der Weltregierung nicht unmittelbar erspähen, sondern sie nur an den Ideen erahnden kann, durch die sie sich offenbaren, ist daher alle Geschichte nur Verwirklichung einer Idee, und in der Idee liegt zugleich die Kraft und das Ziel; und fo ge langt man, indem man sich bloß in die Betrachtung der schaffenden Kräfte vertieft, auf einem richtigeren Wege zu den Endursachen, welchen der Geist natürlich nachstrebt. Das Ziel der Geschichte kann nur die Verwirklichung der durch die Menschheit darzustellenden Idee sein, nach allen Seiten hin und in allen Gestalten, in welchen sich die endliche Form mit der Idee zu verbinden vermag, und der Lauf der Begebenheiten kann nur da abbrcchen, wo beide einander nicht mehr zu durchdrungen im Stande sind. So wären wir also dahin gekommen, die Ideen aufzufindcn, welche den Geschichtschreiber leiten müssen, und können nun zurückkehren zu der oben zwischen ihm und dem Künstler angestellten Vergleichung. Was diesem die Kenutniß der Natur, das Studium deS organischen Baus, ist jenem die Erforschung der als handelnd und leitend im Leben auftretenden Kräfte; was diesem Verhältniß, Ebenmaß und der Begriff der reinen Form, sind jenem die sich still und groß im Zusammenhänge der Welt begebenheiten entfaltenden, aber nicht ihnen angehörenden Ideen. Das Geschäft des Geschichtschreibers in seiner letzten, aber einfachsten Auflösung ist Darstellung des Strcbens einer Idee, Dasein in der Wirklichkeit zu gewinnen. Denn nicht immer gelingt ihr dies beim ersten Versuch, nicht selten auch artet sie aus, indem sie den cntgegenwirkenden Stoff nicht rein zu bemeistern vermag. Zwei Dinge sind es, welche der Gang dieser Untersuchung festzuhalten getrachtet hat: daß in Allem, was geschieht, eine nicht unmittelbar wahr nehmbare Idee waltet, daß aber diese Idee nur an den Begebenheiten selbst erkannt werden kann. Der Geschichtschreiber darf daher nicht, Alles allein in dem materiellen Stoffe suchend, ihre Herrschaft von seiner Darstellung ausschließen; er muß aufs mindeste den Platz zu ihrer Wirkung offen lassen; er muß ferner, weiter gehend, sein Gemüth empfänglich für sic und regsam erhalten, sie zu ahnden und zu erkennen; aber er muß vor allen Dingen sich hüten, der Wirklichkeit eigenmächtig geschaffene Ideen anzubilden, oder auch nur über dem Suchen dcö Zusammenhanges des Ganzen etwas von dem lebendigen Reichthnme des Einzelnen aufzuopfern. Diese Freiheit und Zartheit der Ansicht muß seiner Natur so eigen ge worden sein, daß er sie zur Betrachtung jeder Begebenheit mitbringt; denn keine ist ganz abgesondert vom allgemeinen Zusammenhänge, und von Jeglichem, was geschieht, liegt, wie oben gezeigt worden, ein Theil außer dem Kreise unmittelbarer Wahrnehmung. Fehlt dem Geschichtschreiber jene Freiheit der Ansicht, so erkennt er die Begebenheiten nicht in ihrem Um fange und ihrer Tiefe; mangelt ihm die schonende Zartheit, fo verletzt er ihre einfache und lebendige Wahrheit.