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sie die Vorstellung der Form des allgemeinen und individuellen Daseins der Naturkörper ist. ES soll, auch in der Geschichte, durch jenen zweiten Weg nichts Einzelnes gefunden, noch weniger etwas hinzugedichtet werden. Der Geist soll nur dadurch, daß er sich die Form alles Geschehenden zu eigen macht, den wirklich erforschbaren Stoff besser verstehen, mehr in ihm erkennen lernen, als es die bloße Verstandesoperation vermag. Auf diese Assimilation der forschenden Kraft und des zu erforschenden Gegen standes kommt allein alles an. Je tiefer der Geschichtsforscher die Mensch heit nnd ihr Wirken durch Genie und Studium begreift, oder je mensch licher er durch Natur und Umstände gestimmt ist, und je reiner er seine Menschlichkeit walten läßt, desto vollständiger löst er die Aufgabe seines Geschäfts. Dies beweisen die Chroniken. Bei vielen entstellten That- sachen, und manchen sichtbaren Mährchen kann den guten unter ihnen niemand einen Grund gerade der ächtesten historischen Wahrheit absprechen. An sie schließen sich die älteren unter den sogenannten Memoiren an, ob gleich die enge Beziehung auf das Individuum in ihnen schon oft der all gemeinen auf die Menschheit Eintrag thut, den die Geschichte, auch bei Bearbeitung eines einzelnen Punktes, fordert. Außerdem daß die Geschichte, wie jede wissenschaftliche Beschäftigung, vielen untergeordneten Zwecken dient, ist ihre Bearbeitung nicht weniger, als Philosophie und Dichtung, eine freie, in sich vollendete Kunst. Das ungeheure Gewühl der sich drängenden Weltbegebenheiten, zum Theil her vorgehend aus der Beschaffenheit des Erdbodens, der Natur der Mensch heit, dem Charakter der Nationen und Individuen, zum Theil wie aus dem Nichts entsprungen, und wie durch ein Wunder gepflanzt, abhängig von dunkel geahndeten Kräften, und sichtbar durchwaltet von ewigen, tief in der Brust der Menschen gewurzelten Ideen, ist ein Unendliches, das der Geist niemals in Eine Form zu bringen vermag, das ihn aber immer reizt, es zu versuchen, und ihm Stärke giebt, es theilweise zu vollenden. Wie die Philosophie nach dem ersten Grunde der Dinge, die Kunst nach dem Ideale der Schönheit, so strebt die Geschichte nach dem Bilde des Menschenschicksals in treuer Wahrheit, lebendiger Fülle und reiner Klar heit, von einem dergestalt auf den Gegenstand gerichteten Gemüth em pfunden, daß sich die Ansichten, Gefühle und Ansprüche der Persönlichkeit darin verlieren und auflösen. Diese Stimmung hervorzubringen und zu nähren, ist der letzte Zweck des Geschichtschreibers, den er aber nur dann erreicht, wenn er seinen nächsten, die einfache Darstellung des Geschehenen, mit gewissenhafter Treue verfolgt. Denn der Sinn für die Wirklichkeit ist es, den er zu wecken und zu beleben bestimmt ist, und sein Geschäft wird subjektiv durch die Entwick lung dieses Begriffs, so wie objektiv durch den der Darstellung umschrie ben. Jede geistige Bestrebung, durch welche auf den ganzen Menschen gewirkt wird, besitzt etwas, das man ihr Element, ihre wirkende Kraft, das Geheimniß ihres Einflusses auf den Geist nennen kann, und was von den Gegenständen, die sie in ihren Kreis zieht, so sichtbar verschieden ist, daß sie oft nur dienen, dieses auf neue und veränderte Weise vor das Gemüth zu bringen. In der Mathematik ist dies Jsolirung auf Zahl und Linie, in der Metaphysik die Abstraktion von aller Erfahrung, in der Kunst die wundervolle Behandlung der Natur, daß Alles aus ihr genom men scheint, und doch nichts auf gleiche Weise in ihr gefunden wird.