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XXXVI HW seinen Sitz im Staatsrathe, den er im Jahre 1819 zugleich mit seinem Portefeuille verloren hatte, zurück. Er nahm ihn an, ohne sich indessen wesentlich an den Geschäften des Staates zu betheiligen. Bis in sein Alter bewies Humboldt stets die gleiche Spannkraft und Elasticität des Geistes und Körpers, erst im letzten Jahre sing er an zu kränkeln; am 8. April 1835 starb er im Alter von 68 Jahren. So haben wir versucht, in kurzen Zügen das Leben eines Mannes zu schildern, dessen Wesen zu begreifen ebenso leicht erscheint, als es schwer ist, dasselbe anschaulich vorzuführen. Denn Alles an ihm ist klar und durch sichtig, ruhig und großartig, harmonisch und abgerundet. Man darf in der Thal bei ihm beinahe den sonst verpönten Ausdruck eines „vollkom menen Menschen" gebrauchen. Von früher Jugend au standen ihm die Ideale, nach denen er sich richtete, klar vor der Seele, und ihnen ist er in unermüdlicher Treue nachgegangen in den verschiedensten Lagen seines äußeren Lebens. Mit beispielloser Gewissenhaftigkeit hat er an seiner Selbstbildung gearbeitet und keines der ihm anvertrauten Pfunde vergraben. Im Handeln, Schaffen und Forschen war er gleich groß, Das Studium einer solchen Individualität macht auf uns einen ähnlichen Eindruck, wie das der Alten, und diese seine Congenialität mit dem hellenischen Geiste kann uns am ehesten helfen, ihn zu erfassen. Und obwohl ganz Grieche in der Physiognomie seines Geistes, war er doch auch wieder ein echter Sohn seiner Zeit, die sa eben aufs Neue ein Bündniß mit dem Genius der Hellenen zu schließen bemüht war. Das Geheimniß seiner Größe liegt in der Harmonie und der fast Alles umfassenden Kraft seines Wesens. Er kannte die Begeisterung, ohne ein Schwärmer zu sein, war Idealist in des Wortes tiefster Btdeutung, ohne jede Spur von phantastischer Ideo logie, zu der es dem Zeitgenossen der Schclling und Hegel wahrlich an Versuchung nicht fehlte, er war antik und modern, — kurz, stets frei von jedem tadelnswertheu unschönen Extrem, ein voller, ganzer Mensch, dem gegenüber Bewunderung schließlich das Einzige ist, was wir zu empfinden vermögen. Ein solcher Charakter kann verschieden beurtheilt, flacher und tiefer erfaßt aber doch eigentlich nicht mißverstanden werden, — so wenig wie je zwei nur leidlich vernünftige Menschen in Betreff Homers und Sophokles' der Melischen Venus, der Götheschen Muse, des Bethovenschen Genius in Uneinigkeit sein können. — Mag denn das Bild, das wir von seinem Leben und Wirken entworfen haben, Manchem eine Veranlassung zu ge naueren Studien über ihn sein, mag es vor Allem dazu dienen, die vor stehenden Aufsätze von ihm bekannter und gelesener zu machen. Für mich erübrigt nur noch, daß ich meinen großen Vorgängern auf diesem Gebiete, vor Allem Schlesier und Haym, auf deren Arbeiten ich mich im We sentlichen gestützt habe, Dank und Anerkennung zolle.