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XXIII und Zeitgenossen und wie überhaupt je ein selbständiger origineller Denker. Die Thätigkeit Humboldt's und sein Eifer für die gute Sache ver dient um so größere Bewunderung, je kürzere Zeit ihm dafür gegönnt war. Seit Steins Verbannung war er vereinsamt im Ministerium; um ihn nichts als schwache, Haltungslose Leute. Schwierige Verhältnisse zu besiegen ist für einen guten Kopf und gesunden Menschen eine lockende Aufgabe, aber die Trägheit und Beschränktheit der Menschen zu über winden, mit denen man zu verkehren gezwungen ist, das ist eine Arbeit, die für einen Menschen von Geist und Gemüth unerträglich werden kann. Auch Humboldt fühlte sich ihr auf die Dauer nicht gewachsen; er trat aus dem Ministerium Altenstein aus und kehrte zur Diplomatie zurück. Er nahm den Gesandtschaftsposten in Wien an, eine Stellung, welche sich mit dem Jahre 1812 in eine äußerst complicirte und schwierige verwandelte. Hier beginnt nun der Höhepunkt von Humboldt's praktischer diplo matischer Wirksamkeit. Wir müssen aber dabei von vornherein bescheiden gestehen, daß unsere Feder zu schwach sein würde, seine Thätigkeit während der großen Jahre 1813—15 und dann bei den Verhandlungen, welche dem Kriege folgten, richtig und ihrer selbst würdig darzustellen. — „Einen Staatsmann von Perikleischer Hoheit" — so hat ihn Aug. Böckh genannt und dabei, wie mir scheinen will, mit divinatorischer Sicherheit ihn aufs umfassendste und tiefste charakterisirt. Ein Staats mann war er im vollsten Sinne des Wortes: das hat er bewiesen durch seine Stellung zum Vaterlande, dessen Vortheil er in den verschiedensten Lebensstellungen mit verschiedenen Mitteln, aber mit stets gleicher Treue zu wahren gewußt hat, sei es nun, daß er als Minister Wissenschaft und Bildung förderte, oder als Gesandter am österreichischen Hofe einen Metter nich den Plänen feiner Regierung geneigt zu machen suchte, oder auf dem Eongreß zu Wien und bei den Fricdensverhandlungen in Paris einem Heer feindseliger Diplomaten gegenüber die Rechte seines Landes mit allen Mitteln der Dialektik und Rhetorik zu wahren wußte. Ein Staatsmann war er an Universalität feines Wissens und an Harmonie seiner Bildung, an psychologischer Kenntniß, erworben durch jahrelangen Verkehr mit den verschiedensten Charakteren, endlich an Geschmeidigkeit und Elasticität seines Wesens, — ohne doch bei allen diesen Vorzügen je in die bekannten Fehler der Durchschnittsdiplomaten zu verfallen. Charakterlosigkeit unv Falschheit galten als unzertrennlich mit der Person eines Diplomaten, und Lies allgemeine Nrtheil ist richtig, wenn man die Regel ins Auge faßt, ohne die seltenen Ausnahmen zu beachten. Humboldt bildet eine so entschiedene Ausnahme, wie nur Wenige außer ihm in alter und neuen Zeit. Der große Athener ist jedenfalls der, neben den man ihn stellen muß, wenn man Beiden zugleich Gerechtigkeit wiederfahren lassen will. Uebrigens brachte die Zeit des Wiener Congresses für Humboldt eine unendlich angestrengte, fast übermenschliche Thäiigkeit mit sich. Harden bergs Wirken, der Humboldt beigeorduet war, tritt fast völlig zurück gegen das, was Humboldt leistete. Treffend schildert ihn Haym (S. 322): „Ein Funke von jener vaterländischen Begeisterung von dem volksthümlichen Aufschwünge des Jahres 1813 ist in seine Seele geflogen; bis auf einen gewissen Grad ist ihm die politische Unabhängigkeit Deutschlands, die militärische und staatliche Ehre Preußens zur Herzenssache geworden. Er setzt dehhalb seinen ganzen Willen und seine ganze Kraft an die großen