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X hatte, eignete er sich doch das Beste und Tüchtigste an, was ihm das da- s malige Berlin geben konnte: er wurde bekannt mit der Kantischen ( Philosophie. Die Kenntniß dieses Gedankenkreises war für eine Natur, s wie die seine, von größter Wichtigkeit. Treffend sagt hierüber Schlesier:') t „Verwandt war Humboldt dem Geiste Kant's seiner ganzen Anlage nach, s ja grade in Zügen, die das System des letzteren am bestimmtesten charak- l terisiren. Verwandt in seinem Hinausstreben über die Endlichkeit — in c das Reich der Ideen, während er mit nüchternem Sinn die Natur des > Endlichen im Auge behält und dessen Grenze sorgfältig beobachtet. Die I Weise seines Erkennens war die Kantische, nämlich transcendental. i Der Transcendentalphilosoph bringt gegen das Begreifen der Wahrheit i stets eine skeptische Stimmung mit und vergißt nicht, daß das Denken i allein, ohne sich von der Sinnlichkeit einen denklichen Stoff geben zu > lassen, inhaltslos ist. Diese Besonnenheit vermissen wir in Humboldt nie- < mals; er weiß auch, wenn er sich in die höchsten Regionen begiebt, wo die philosophische Gewißheit aufhört." — Diese Richtung zur Kantischen j Philosophie war denn auch später ein Band, welches ihn an Schiller l knüpfte, wenn auch nicht das einzige, nicht einmal das hauptsächlichste. Aeußerst interessant ist es, wie sich Humboldt selbst gegen Ende seines l Lebens über Kant ausspricht in den Vorerinnerungen zum Briefwechsel, ! den er mit Schiller geführt hatte: „Kant, sagt er dort (S. 43 s.), unter- : nahm und vollbrachte das größeste Werk, das vielleicht je die philosophi- rende Vernunft einem einzelnen Manne zu danken gehabt hat. Er prüfte und sichtete das ganze philosophische Verfahren auf einem Wege, auf dem er nothwendig den Philosophien aller Zeiten und aller Nationen begegnen mußte, er maß, begrenzte und ebnete den Boden desselben, zerstörte die darauf angelegten Truggebäude und stellte, nach Vollendung dieser Arbeit, Grundlagen fest, in welchem die philosophische Analyse mit dem durch die früheren Systeme oft irregeleiteten und übertüubten natürlichen Menschen sinne zusammentraf. Er führte im wahrsten Sinne des Wortes die Philo sophie in die Tiefen des menschlichen Busens zurück. Alles, was den großen Denker bezeichnet, besaß er in vollendetem Maße, und vereinigte in sich, was sich sonst zu widerstreben scheint; Tiefe und Schärfe, eine vielleicht nie übertroffene Dialektik, an die doch der Sinn nicht verloren ging, auch die Wahrheit zu fassen, die auf diesem Wege nicht erreichbar ist, und das philosophische Genie, welches die Fäden eines weitläufigen Jdeengewebes, nach allen Richtungen hin, auöspinnt, und alle vermittels der Einheit der Idee zusammenhält, ohne welches kein philosophisches System möglich sein würde." — Wer sieht nicht, daß in Vieser außer ordentlich treffenden Schilderung Kant's Humboldt zugleich einen Theil seiner eigenen Charakteristik giebt? So also vorbereitet und gebildet bezog er im Herbst 1787 dir Hoch schule. Zunächst gingen beide Brüder nach Frankfurt, aber schon nach einem Semester vertauschte Wilhelm diese Stadt mit der Universität Göttingen, welche damals für staatswissenschaftliche, juristische und historische Studien den größten Ruf behauptete. Hier wurde ihm in dem berühmten Philologen Heyne nicht nur ein einflußreicher Lehrer, sondern auch ein treuer Freund, der ihm sein Haus öffnete und ihn in Verkehr mit einer ') A. a. O. I. S. 60 f.