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IX eine Lebensbeschreibung W. v. Humboldts, was die Gründlichkeit der Forschung und die Darstellung der Sache selbst anlangt, genügen dürfte. Der volle Titel dieses 641 Seiten langen Buches ist: „Wilhelm v. Hum boldt. Lebensbild und Charakteristik von R. Haym." (Berlin 1856, Verlag von Rudolf Gärtner.) Dies sind die beiden einzigen größeren Werke, welche sich die Aufgabe gestellt und erfüllt haben, das Leben W. v. H. in umfassender Weise darzustellen. Nicht unerwähnt bleiben darf sedoch besonders für den weiteren Kreis von Lesern eine kleine, nur 32 Seiten lange, aber vortrefflich geschriebene Schrift von H. Steinthal: „Gedächtniß- rede auf Wilhelm von Humboldt an seinem hundertjährigen Geburtstage, Sonnabend, den 22. Juni 1867 gehalten" (Berlin, Ferd. Dümmlers Ver lagsbuchhandlung.) In der klaren übersichtlichen Weise, wie wir es an diesem Gelehrten gewöhnt sind, führt er uns die Bedeutung W. v. H.'s mit gerechter Begeisterung für seinen Gegenstand vor die Augen. Außer den drei genannten Werken sind von mir natürlich die Schriften W. v. H.'s selbst, das Leben Steins von Pertz und die Denkwürdigkeiten Varnhagens von Ense zu der vorliegenden Darstellung benutzt worden. Der Vater des großen Brüderpaars war der Major und Kammerherr Alexander Georg von Humboldt; die Familie der Humboldt's gehört dem alten brandenburgischen Adel an und bekleidete von jeher Staatsämtcr und Ehrenstellen am Hofe und in der Armee. So haben wir hier ein seltenes Beispiel, daß mitten aus dem märkischen Junkerthum heraus, dessen Inter essen und Leidenschaften im klebrigen sich nach einer diametral entgegen gesetzten Richtung zu erstrecken pflegen, zwei Brüder entstanden, die für das geistige Leben nicht nur ihrer Nation von hoher Wichtigkeit werden sollten. In Folge dessen scheinen sich auch Beide unter ihren Staudes- genossen ziemlich vereinsamt gefühlt zu haben, und die Mehrzahl ihrer Freunde stand außerhalb des Kreises, dem sie selbst durch ihre Geburt an gehörten. klebrigens erhielt Wilhelm v. H., der, wie schon oben ange deutet, am 22. Juni 1767 zu Potsdam geboren wurde, die sorgfältigste Ausbildung schon von früh an. Den größten und wichtigsten Antheil an seiner Jugenderziehung müssen wir dem bekannten Philosophen für die Welt, Engel zuschreiben, der, wie Haym sagt, „seinen jugendlichen Geist mit jener bescheidenen und moderaten jener praktisch-verständigen, menschen freundlichen und liebenswürdigen Philosophie vertraut machte, in deren Vortrag er neben Garve und Mendelsohn sich anszeichnete." Engel wies seinen Schüler auf das Studium der alten Philosophie hin, und diesem Einfluß verdanken wir die erste schriftstellerische Leistung W. v. H's., einen Aufsatz „Sokrats und Platon über die Gottheit, über die Vorsehung und Unsterblichkeit", welcher in dem von Zöllner herausgegebenen Lesebuch „für alle Stände" einen Platz fand. Humboldt war damals 19 Jahr alt. Durch Engel nun wurde er gleichzeitig in Len Kreis der Berliner „Auf klärer" eingeführt und mit einzelnen derselben, namentlich mit Biester, dem Herausgeber der Berliner Monatshefte, und David Friedländer eng be freundet. Die Gefahr indessen, zu sehr von der allzu nüchternen, teil weise platten Richtung jenes Kreises beeinflußt zu werden, entrann er durch seinen Abgang zur Universität. Ohne also von der seichten Aufklärerei und dem ideenlosen Treiben der absoluten Mittelmäßigkeit fortgcrissen zu werden, welche damals unter Nicolai's Auspicien beim Tode Friedrichs II. in Berlin ihren Hauptsitz