68 Lebensgefahr auf dem Orinoco. die Wasserfläche schief durchschnitt. Der Horizont war von einem Waldgürtel begrenzt, aber nirgends traten die Wälder bis ans Strombett vor. Breite, beständiger Sonnengluth ausgesetzte Ufer, kahl und dürr wie der Meeresstrand, glichen in Folge der Luftspiegelung von Weitem Lachen stehenden Wassers, und verwischten viel mehr die Grenzen des Stromes, statt sie für das Auge festznstellen. So, sagt Humboldt, hat jeder Fluß wie jedes Land seinen eigenthümlichen Charakter, und dieser beruht auf einer Gesammtheit von Verhältnissen, die leichter aufzufassen, als zu beschreiben sind. ' Schon am ersten Tage auf dem Orinoco betraf die Reisenden ein Unfall, der ihnen den ganzen Ernst ihrer Lage vor die Seele führte. Es hatte sich plötzlich ein heftiger Sturm erhoben, und bei einer ungeschickten Wen dung warf ein Windstoß das gebrechliche Fahrzeug so auf die Seite, daß es sich im Augenblick über die Hälfte mit Wasser füllte. Bücher, Papiere, getrocknete Pflanzen schwammen umher, und die Indianer sprangen in das, Wasser, um sich schwimmend an das Ufer zu retten. Nur Bonpland, der in der Mitte der Pirogue geschlafen hatte, verlor seine Kaltblütigkeit nicht und bat Humboldt, wenn es nöthig würde, sich auf seinem Rücken von ihm schwimmend durch die Fluthen tragen zu lassen. „Wer das Schicksal wollte nicht", schreibt Humboldt an seinen Bruder, „daß wir in dieser Wüste umkommen sollten, wo 10 Meilen im Umkreise kein Mensch weder unfern Untergang noch die geringste Spur von uns entdeckt haben würde. Unsere Lage war wahrhaft schrecklich; das Ufer war über eine halbe Meile von uns entfernt, und eine Menge Crocodile ließen sich mit halbem Körper über dem Wasser sehen. Selbst wenn wir der Wuth