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Mangel aller gesellschaftlichen Ordnung. 123 sich ohne Schwierigkeit in diese Auszeichnung und zeigte sich auch durch ein selbstbewußtes, sicheres, vielleicht etwas zu herablassendes Auf treten ihrer würdig, wodurch er unsere Vermuthung nur noch mehr bestätigte und die Anzahl seiner Geschenke vermehrte. Späterhin überzeugten wir uns jedoch davon, daß wir hierbei einen großen Jrrthum begangen hatten, und daß es heutzutage weder anerkannte Häuptlinge noch sonst eine Spur gesellschaftlicher Ordnung bei den an der Küste wohnenden Tschuktschen gibt. Während der frühern kriegerischen Zeiten dieses Volkes war das Verhältniß vielleicht ein anderesjetzt jedoch herrscht Hierselbst die vollständigste Anarchie, vorausgesetzt, daß man mit diesem Namen einen gesellschaftlichen Zustand bezeichnen kann, wo Verbrechen und Strafen unbekannt, oder doch wenigstens sehr selten sind. Bei den im Innern des Landes wohnenden Renthier-Tschuktschen scheint jedoch eine Art Häupt lingsschaft vorzukommen; wenigstens finden sich unter ihnen Män ner, welche Vollmachten von den russischen Behörden aufznweisen vermögen. Ein solcher Mann war der Starost Menka, dessen Besuch ich bereits früher besprochen habe. Alles aber weist jedoch darauf hin, daß sein Einfluß äußerst unbedeutend war; er konnte ebenso wenig russisch sprechen wie lesen und schreiben und hatte von dem Dasein eines russischen Zaren keine Ahnung. Alle die Steuern, welche er seit mehrern Jahren gegen Empfangsbescheinigungen, die uns vorgelegt wurden, abgeliefcrt hatte, bestanden aus nur wenigen Fuchsfellen, welche wahrscheinlich als Marktabgabe bei Anjni oder ' In den Nachrichten, welche zn Anfang des 17. Jahrhunderts bei Anadyrsk über die Tschuktschen eingesammelt wurden, ist auch erwähnt, daß dieselben ohne jedwede Obrigkeit leben. Im Gegensatz hierzu wird iu M. von Kruscnstern's „VozmZv autour ciu monäs 1803—1806" (Paris 1821, II, 151), nach dem Gouverneur Ka schelest, die Beschreibung einiger Unterhandlungen mitgetheilt, welche derselbe mit einem „Chef der tschuktschischen Nation" gepflogen hat. Ich nehme jedoch als aus gemacht au, daß diese Chcsschaft nicht viel zu sagen hatte, denn Koschelefs's ganze Beschreibung seines Zusammentreffens mit dem angeblichen Chef trägt einen allzu lebhaften europäisch-romantischen Charakter, als daß sie einigermaßen natur getreu sein könnte. An derselben Stelle wird ferner gesagt, daß ein Bruder des Gou verneurs Kaschelest im Winter 1805—6 eine Reise unter den Tschuktschen gemacht, und deren Beschreibung nach seiner Rückkehr mit Beifügung einer Liste tschuktschischer Wörter Krusenstcrn zugesandt habe.