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818 gekommen. Den 14. Septbr. reiste ich Mittag 1 Uhr von Halle weg. Meinen Paß habe ich nicht bekommen; sollte er sich in Euren Händen befinden, so hebt ihn sorgfältig auf, damit ich,' wenn ich einmal wieder nach Deutschland komme, keine Unannehm lichkeiten habe. Den 16. Septbr. Abends 5 Uhr kam ich in Bremen an, wo ich sogleich zu Herrn Lüdering ging. Dieser sagte, daß ich keine Papiere brauche. Da war ich sehr froh. Den 19. Septbr. schiffte ich in Bremerhaven ein. Das Schiff war großartig gebaut, was man nur ansah, war schön; doch das Unglück, was uns späterhin betreffen sollte, stand nicht daran ge schrieben. Den 20. Septbr. fuhren wir auf die Rhede, wo wir bis zum 28. Septbr. vor Anker lagen. Den 28. Septbr. f.üh 6 Uhr kam ein Dampfer, welcher unser Schiff in die offene See schleppte. Die Sonne schien heiter und warm, und neunzehn andere Schiffe liefen mit dem unfern zugleich in See. Alle Segel waren gespannt und es sah aus, als wollten sie miteinander wett eifern. Alle Paffagiere waren auf dem Verdeck, Alles jubelte und freute sich auf die Reise und die neue Heimaih. Wir hatten zwei Musikanten; diese spielten und wir tanzten zwei Abende flott. Doch diese Freude sollte nicht lange dauern und bald in Trübsal verwandelt werden. Den 4. Tag nach unserer Abfahrt bekamen wir fürchterlichen Sturm. Die Seekrankheit war bei den mehrsten Paffagieren schon vorüber, als der Sturm anfing, doch viele hatten sie bis zuletzt. Ich habe mich dreimal übergeben, doch nur vor Ekel, als ich es bei den Andern sah; krank war ich nie. Sterbefälle hatten wir vom ersten Tage an; es herrschte eine Art Cholera; heute gesund und morgen todt. Die Kost war äußerst schlecht. Vorrath war genug da, aber wir bekamen ihn nicht; einen gelernten Koch hatten wir auch nicht, so daß man die Speisen öfters nicht essen konnte, und das Fleisch war sehr scharf gesalzen. Manche waren in dessen Genüsse sehr ungenügsam und aßen die Portionen Anderer mit, worauf sie heftigen Durst bekamen; Bewegung hatte man auch wenig, und so kam es denn, daß Viele krank wurden und sterben mußten. Das Wasser konnte man zuletzt gar nicht mehr trinken; es roch schlecht. Die Leichen waren noch nicht kalt, so wurden sie von den Matrosen eingenäht und über Bord geworfen. Wir hatten im Ganzen 39 Leichen. — Als wir ungefähr vierzehn Tage auf dem Wasser waren, verloren wir durch Sturm den hintern Mastbaum! Da entstand ein ent setzliches Jammern und Klagen; doch ich blieb mir ziemlich gleich. Vierzehn Tage später kam vom Sturm getrieben eine solche Welle auf's Deck geschlagen, daß es die Küche kurz und klein zerschlug. Das Wasser auf dem Deck stand über 3 Fuß, unten im Zwischendeck stand es 1 Fuß hoch. Bekanntlich sind zwei Schlafstellen übereinander; von diesen war die untere völlig unter Wasser, und mußten die Inhaber derselben zu uns retiriren. ES war Mittags 1 Uhr, als wir gerade beim Essen waren ; die Welle gab einen solchen Stoß, daß sich im Zwischendeck die Kisten losriflen und Menschen und Kisten untereinander flogen, Messer und Gabeln in den Händen, und dennoch passirte kein Unglück. Ich flog über meine Kiste weg und so wieder retour gegen die Bettstelle, an welche ich mich fest anklammerte. Wir dachten Alle, es wäre unser Letztes. Ein Mädchen von 18—20 Jahren war auf dem Deck gewesen und wurde von der Wette in's Zwischen deck geschleudert, bei welchem Falle ihr durch nachstürzendes Holz und Steine der linke Fuß zerschmettert wurde. Fässer und Steine, auch ein Kessel schwammen über Bord. Dem Mädchen wurde nach fünf Tagen das Bein über dem Knie abgenommen. Der Doctor wollte dasselbe mit einer gewöhnlichen Holzsäge, geschränkt und verrostet, losschneiden; das ging mir durch und durch. Da brachte ein Tischler einen Fuchsschwanz und bot denselben dem Schinder (Doctor) an, welcher es durch seine Dummheit und Nach lässigkeit so weit hatte kommen lassen, daß der Fuß abgenommen werden mußte; doch ehe die Operation zu Ende war, gab das . Mädchen ihren Geist auf. Acht Tage später schlug eine Welle da- Schiff so furchtbar vor die Brust, daß es einen starken Leck bekam und wir Passagiere einander ablösend Tag und Nacht pumpen mußten. Dieses fehlte uns noch zum bösen Kampfe — Noch zu bemerken, daß das Wasser beim Einsturz der Küche einen Kessel zerschlagen hatte, und daß wir von jetzt an nur noch einen Kessel hatten, der gut war. Die Küche wurde wieder aufgebaut; wir hatten Maurer und Aimmerleute bei uns, Kreide lag unten im Schiff genug, diese wurde gestoßen und vermauert. Der eine Kessel, der noch da war, war aber nicht hinreichend für alle . Passagiere; es konnte daher blo- für die Hälfte der Mannschaft gekocht werden, so daß heute die eine Hälfte etwa- zu essen bekam und morgen dir andere. Für Erwachsene ging e- noch, aber für Kinder war es schlimm. Manchmal schlugen uns die Wellen beim Pumpen über den Kopf, so daß wir uns durchnäßt auf unfern Strohsack legen mußten ; dann nicht- Warmes zu essen da, und wenn wir etwas bekamen, taugte eS nicht viel. Es war ein Elend! Doch dies war noch nicht alles Unglück, auch nicht da- größte. Warme Tage hatten wir wenig; ich hatte stet- zwei Röcke an. Wir hatten einigemal starkes Schloßenwetter. Der Doctor, welcher sich überhaupt sehr schmuzig gegen die Passagiere betrug, sagte einstmals: Ihr müßt noch Alle crepiren, wie die Hunde. Für gereichte Medicin machte er große Rechnungen und ließ sich viel bezahlen. Waren sie todt, so pfändete er die Leichen aus und verkaufte die Sachen gleich wieder an Andere, ehe die Leichname seiner Kunden kalt und begraben waren; doch Gottes Strafe blieb an ihm nicht aus. Die Steuerleute und Matrosen waren so roh und so frech, wie ich noch keinen rohen Menschen auf Erden gesehen habe; auch der größte Theil der Passagiere, welche aus Alt- und Rheinbayern, Kurheffen, Oesterreichern, viel Böhmaken und Schlesiern bestanden, grö'ßtentheils Bauern, waren sehr roh; auch befanden sich viel Juden darunter, welche ebenfalls sehr roh und ungeschliffen waren; nur wenige Handwerker waren unsere Reisegefährten. Mit einem Worte, ich befand mich nicht wohl unter diesen Menschen. Es wurde zwar einigemal Betstunde ge halten, doch nicht mit der rechten Andacht. Ein Schauspieler hielt die Vorträge; doch während der Andacht fing da- Schiff zu schaukeln an, so daß Alle hin- und herrutschten und Mancher darüber lachte. Ich zog mich davon zurück und betete für mich allein, habe auch mit Niemandem große Bekanntschaft gehalten. Die mehrsten Frauenzimmer führten sich schlecht auf, denn es lag Alles untereinander; es lagen 2—3 Mädchen zwischen Manns leuten und so wieder umgekehrt; es war mit einem Worte ein H.-Kasten. Mancher hat sich dadurch den Tod zugezogen! Die letzten Tage unserer Reise hatten wir immer starken Nebel. Am 13. Novbr. begann der verhängnißvolle Tag, den Niemand erwartet hatte. O Gott, was geschah — wir scheiterten! Zwei aufeinander folgende Stöße brachten uns Alle in Vewirrung; sie waren so heftig, daß wir auf unfern Strohsäcken in die Höhe flogen und Alle zu schreien anfingen und daß Keiner wußte, waS er zuerst anfangen werde. Viele besaßen Betten, unter denen sie ausgekleidet schliefen; ich lag stets angezogen, bis auf Rock und Schuhe, auf meinem Strohsacke; ich zog daher die Schuhe an, den Rock nahm ich auf den Arm und balancirte auf der Treppe, wo ich dicht dabei schlief, hinauf, worauf mir Viele, halb und ganz Nackende, nachfolgten. Die Wellen schlugen hin und wieder auf dem Verdeck und wir standen ziemlich bis an'S Knie im Wasser. Viele konnten sich nicht halten und wurden vom Wasser hin- und hergeschleudert. Der größte Theil retirirte sich in die erste Cajüte, auch oben darauf, Andere in die zweite, auch Viele an die Mastbäume, wo ich einer der ersten war; ich stieg auf den Bord, wo ich einige Minuten stehen blieb. Als aber die Wellen immer heftiger wurden, stieg ich die Strickleiter bis in die Spitze hinauf. Als ich auf's Deck kam, folgte ein dritter Stoß, und somit sing das Schiff an zu sinken, aber ganz langsam. In Zeit von einer Stunde stand da- Schiff unter Wasser; e- hing auf einer Seite. Auf der Seite nach dem Lande zu stand das Bord ungefähr 1*/, Fuß außer Wasser, an der andern Seite war nichts mehr vom Bord zu sehen, auch waren wir ungefähr noch einen Steinwurf vom Lande mtfernt. Die Nacht war neblig und stürmisch. Der Capitain, ein großer S—, scheint eS mit Absicht gethan zu haben; denn als er sich mit seinen Matrosen gerettet hatte, kümmerte er sich nicht mehr um unS; die Matrosen hörten nicht mehr auf das Commando de- CapitainS; einige Passagiere, welche mit in den Kahn sprangen, in welchem die Matrosen waren, wurden von selbigen zurück auf'- Schiff ge worfen; die Matrosen zogen ihre Messer und ballten die Fäuste gegen uns, daß sich Niemand unterstehe, in den Kahn zu springen, und so zogen diese Hall unken mit lachendem Muthe ab. Da- war ein schlechter Trost für uns. Zwei d e u t s ch e Matrosen waren dabei ; diese waren die schlechtesten auf dem Schiffe. Alle Passagiere konnten nicht auf das Deck kommen, weil die Wellen zu heftig waren und die Treppen wegriffen, weil da- Wasser zu stark in'S Zwischendeck stürzte. Darum mußten Viele im Zwischendeck ertrinken; Strohsäcke und Leichen kamen herauS- geschwommen.— Hier empfing auch der Doctor seinen Lohn. Er war der Zweite, der ertrinken mußte; er wollte in einen Kahn springen, sprang fehl und in'S Wasser, hielt sich aber noch mit den Händen an ein Tau ; aber Niemand bemühte sich, ihn zu retten, Niemand bedauerte ihn. In Zeit von 1V Minuten warm