Volltext Seite (XML)
„Jens," erwiderte Hansine unter Tränen, „ist es w,'lich mir der Kummer «in mich, der Dich so ver ändert Hot? D» glaubst, ich könnte Dir untreu werden, könnte Peter Lund zum Manne nehmen, weil er reicher ist als Du? Sage offen heraus, glaubst Du das, ist das die Ursache Deiner Sorgen?" So treu, so unschuldig schauten ihn die blauen Augen der Geliebten an, sollte er da wieder eine Lüge über seine Lippe» bringen, sollte er einfach sagen, ja, das wäre der Grund? Dann würde sie nicht langer fragen. Aber sic sollte ja nun einmal alles erfahren. Ach, diese Augen würden sich dann von ihm wenden, nie wieder würden sie ihn so liebreich, so treu an schatten. d Jens raffte sich zusammen und wollte sprechen. Aber die Worte erstarke» auf seinen Lippen, er konnte cs nicht sage», das Schreckliche. Wenigstens heute konnte er cs nicht. „Liebe, teure Hanslne," brachte er endlich hervor, „so wahr ich auf Gottes Gnade hoffe, sollst Du alles erfahre», was ich auf dem Herzen habe. Nur jcht begehre cs nicht zu wissen, ich kan» nicht sprechen, ich — ich bi» keines Wortes mehr mächtig." Wie ein vom Sturm geknickter Eichbaum glitt Jens an die Düne nieder. Er fühlte sich wie ei» hilfloses Kind, alle Kräfte hatte» ihn verlassen. Hansinc neigte sich zu ihm nieder, streichelte ihm das meiste Gesicht und sagte zärtlich: „Du bist krank, lieber Jens, die Sorgen habe» Dich entkräftet. Ver zage nicht, ich habe Dich ja so lieb, so lieb. Ich will alles Leid mit Dir teilen, Gott wird uns Helsen. Was Dein Herz auch immer bedrücke» mag, wäre es auch ein schweres Verbreche», ich habe Dich darum gleich lieb. Selbst wenn Dich alle Leute vergessen würden, könnte ich nicht von Dir lasten." Jens richtete sich mühsam auf, hielt des guten Mädchens Hand fest in seiner starken Rechten und schritt so neben der Treuen her dem Vaterhause zu. „Jens ist krank, er soll gleich zu Bett," sagte Hansine z» der Mutter, die ihnen entgegenkam und mit Besorgnis ihres Sohnes bleiches Gesicht sah. Wieder leuchtete cs in der Nacht um ihn her wie ein Hoffnungsstrahl. „Sic hat Dich so lieb," klang es Jens in die Seele, „sic wird auch, wenn Du ihr alles bekannt, nicht von Dir lassen." Er ging zur Ruhe, um Kraft sammeln für den morgige» Tag, an dem alles, alles entdeckt werden sollte. Xl. Peter Nielsen kehrte in heiterster Stimmung «ach der Unterredung mit Jens in das Wirtshaus zu seinen beide» getreuen Kumpane» zurück. „Da seht Ihr eS!" rief er triumphierend aus, indem er die blanken Gold stücke, die ihm der verzweifelte Fischer eben ausgezahlt hatte, a»f den Tisch zählte. „Was sagt Ihr jetzt? Bin ich nicht wirklich ein Meister in der Spitzbubcnkunst?" fragte er selbst gefällig. „Hätte cs nicht geglaubt," erwiderte Schmidt, „dast cs Dir gelingen würde, den Burschen soweit zu bekommen. Wo kann er das Geld nur aufgetrieben babcn, sollte er den alten Steffen wirklich bestohlen haben?" Mit teuflischem Lachen erzählte Peter, was sich zngetragcn hatte und dast er bestimmt »och weitere hundert Kronen von Jens zu erpressen hoffte. „Und dann," fügte er hinzu, „wird es mir diese Nacht auch gelinge», de» kostbaren Pokal zu erbeuten. Ich traf Peter Lund soeben und lud ihn ein, heule Abend unseren wundervollen Likör zu kosten. Er kommt ganz sicher. Ihr wißt ja Bescheid, was Ihr zu tun habt. Ihr macht ihn und auch den Wirt so betrunken, dast sie Beide weder gehe» noch stehe» können. Aber seht Euch vor, dast Ihr bei klarem Verstand bleibt, das rate ich Euch. Schwatzt mir kein dummes Zeug, kein Wort von Kopenhagen!" Schmidt und Boysen versprachen, es an nichts fehlen zu lassen, und die drei Spitzbube» sahen voll guter Hoffnung dem bedenlungsvollen Abend entgegen. Peter Lund stellte sich zur verabredeten Stunde im „schnellen Segel" ei». Schmidt begrüßte ihn erfreut und sagte dann mit wohlgelungcnem Ausdruck des Bedauerns: „Leider kann Peter sich heute Eures an genehmen Besuches nicht erfreuen, mein Lieber, er ist »ämtich gegen Abend schrecklich unwohl geworden. Er klagt über Stiche in de» Seiten und wird wahr scheinlich wieder eine Lungenentzündung bekommen. Kommt nur einmal mit herein und tröstet shn ein wenig, er ist ganz verzagt." Lund folgte dem Schwindler in das anstoßende Zinnncrchcn und sah Peter Nielsen stöhnend und winselnd zu Bette liegen. „Ich fürchte, es wird dieses Mal sehr schlimm, o weh, o weh, wie das sticht, wie das schmerzt!" seufzte der Spitzbubcnkönig, und alle 'Augenblicke nahm er einige von de» beruhigenden Tropfen, die ihm der Arzt verschrieben hatte, wie er sagte. Peter Lund bedauerte den Acrmstc» von Herzen und verlor angesichts des Elends fast die Lust, heute de» vielgcrllhnitcn Likör zu schmecke». Aber aus vieles Zureden der Dicbcsgenossen und des Kranken selbst, verstand er sich schließlich doch, in der Schänkstube mit jenen beiden und dem Witt, ein Gläschen von dem edlen Getränk nach dem anderen auf deS leidenden Freundes Gesundheit zu leeren. Ihm und dem biederen " aulsen ging« dabei nicht anders als neulich Jens. Sic vergaßen Kummer und Sorgen, fühlten sich frei und froh und wurden schnell vollkommen berauscht. Als Schmidt dann, nachdem die Karaffe geleert war, gar noch zwei Flaschen Sherry Herbeiholte, kam es, noch ehe Peter das Bett verlassen hatte, soweit, daß die beiden Berauschten sinnlos betrunken wurde». — Der Spitzbubenkönig hatte sich durch eine Maske unkenntlich gemacht. Dann steckte er einen Schlüssel bund, allerlei Handwerkszeug, als Zange, Brecheisen, Feile re. und einen Dolch zu sich, barg eine Blend laterne unter seinem weiten Mantel und machte sich so ausgerüstet auf den Weg. Den Hofhund, der Solgaard bewachte, brachte er durch einige ebenfalls mitgenommene Kleischbissen zum Schweigen. Alles stand gut, so gut, daß ei» Dieb es sich nicht besser wünsche» konnte. DaS Fenster von Peters Schlafstube, die nach dem Garten zu lag, war nicht fest verschlossen, es ließ sich ohne Handwerkszeug össnen. Der Dieb stieg hinein in das Zimmer, zündete vorsichtig seine Blendlaterne an und probierte an der Kommode, in der ja der Schatz verborgen war, einen Schlüssel nach dem andere». Keiner wollte passen; das war unangenehm. Doch mittels eines Dittrichs gelang cs, die obere Schublade zu öffnen. Das ging nun nicht so ganz geräuschlos ab; aber wer sollte den quietschenden Ton, den das Aufziehen der mit allerlei Dingen gefüllten Schublade verursachte, gehört haben? Im Nebenzimmer schlief ja niemand. Der Pokal war nicht unter den vielen wertlosen Sachen. Er' mußte sich also in der anderen Schublade befinden. Auch die war nur mit großer Mühe und nicht ohne Geräusch zu öffnen. Aber hier stand der Becher! Wie er glänzte beim matte» Schein der Laterne! Mit gieriger Hand ergriff der Dieb den Pokal und schob die Schublade zu. Wenige Sekunde» nur und der Spitzbubenkönig wäre mit seinem neuem Raube iu Sicherheit gewesen. Aber — „Hölle und Satan!" stößt er plötzlich aus da stürzt jemand auf ihn zu. Ein großer, kräftiger Mann ist es, offenbar der alte Lund. Mit Donnerstimme ruft er: „Steh, nichtswürdlger Spitzbube, Du bist verloren!" Blitzschnell reißt der erschreckte Dieb seinen Dolch hervor und springt mit gewaltigem Satze auf den Mann zu. Doch dieser — «S war der alte Lund — weicht auS und che der Angreifer zu einem neuen Stoße aushole,i kann, feuert Lund das Terzerol, das er in der Hand hielt, aus ibn ab. Peter Nielsen stürzt, mitten Ins Herz getroffen, zu Boden. — Durch den Schub geweckt, war das Gesinde und auch die alte Frau Lund rasch zur Stelle. Mit Grausen und Entsetzen sahen und hörten sic, was geschehen war. Der alte Lund hatte schlaflos zu Bett gelegen und voll Besorgnis auf seines Sohnes Rückkehr aus dem Wirtshause gewartet. Mötzlich hatte er gehört, wie der Hofhund bellte, und bald darauf war ihm in der Stube seines Sohnes ei» verdächtiges Geräusch ausgefallen. Mißtrauisch, wie ihn die vielen in letzter Zeit vorgekommenen Diebstähle gemacht hatten, war er aufgestanden, um zu sehen, was da vor sich ging. Und so kam es, daß der erfahrene und geschickte König der Spitzbuben ertappt wurde. Nun hatte man den Toten seiner Larve und des Mantels entledigt. „Es ist ja der reiche Peter Nielsen!" riefen Lund und die Knechte einstimmig auS, starr vor Verwunderung Der reiche Badegast, der vornehme Herr ein Spitz bube? Das schien ganz unmöglich zu sein und doch war es so. Sofort eilten einige Knechte ins Dorf, um die Polizei und den Arzt zur Stelle zu rufen, und einer lief zum „schnellen Segel", um Peter, den man ja bei dem feinen Herrn wähnte, von dem ungeheuerlichen Geschehnis zu benachrichtigen. Peter und der Wirt rissen die Augen weit auf starrten den Knecht, der mit der schauerlichen, ent setzlichen Kunde totenbleich ins Zimmer stürzte, ver ständnislos an. Sie waren eben sinnlos betrunken. Doch Schmidt und Boysen, die eingedenk deS Rates ihres Meisters und Gebieters, ziemlich nüchtern geblieben waren, verstanden den Sinn der Worte zu genau. Sie waren an schnelles Denken und Handeln gewöhnt, darum machte sie die große Ucbcrraschung auch jetzt nicht kopflos. Während der Knecht sich noch mühte, den beiden anderen den Vorgang klar zu machen, waren sie schon aufgesprungen, hatte» ihre Habe zusammengcrafft und eilten jetzt, so schnell sse Ihre Küste nur zu tragen vermochte», in die mondhelle Nacht hinaus, land einwärts. Wenige Minuten später hatten sich auf dein Sol gaard schon viele Leute auS dem Dorfe versammelt, um auS Lundes Munde die Bestätigung des unheim lichen Gerüchtes zu hören. Die Polizei hatte sich sofort zum Wirtshaus be heben, um die beiden Genossen deS entlarvten Spitz- uben dingfest zu machen. Wohl wurden sofort Männer »ach allen Richtungen zur Verfolgung der Flüchtlinge ausgesandt, aber man entdeckte keine Spur von ihnen. Sie waren auch dieses Mal der strafenden Gerechtig keit entgangen. Peter Nielsens Leiche wurde ins Wirtshaus be fördert. Da lag er nun, gerichtet vom ewigen Richter, der ränkevolle, kluge Spitzbubenkönig, an derselben Stätte, an der er sich einige Stunden zuvor seines Talentes gerühmt und in vermessenem Sinne heillose Pläne ersonnen hatte. Sein Treiben hatte ein Ende. Jens Olufsen hatte sich schlaflos die ganze Nacht in seinem Bette gewälzt und mit Schrecken des kommenden Tages geharrt. Jetzt leuchtete das erste Frührot durch das kleine Fensterlein in seine Kammer und verkündete ihm den Beginn des schweren Tages, a» dem seine Eltern um seinetwillen Tränen des bittersten Kummers vergießen würden. Noch schliefen die Liebe». Jens ging vor die Tür und atmete die kräftige, erfrischende Seeluft, als gelte cs, diesen Genuß aus lauge Zeit zu entbehren. Da kamen einige Leute vom Dorfe daher. Sie stürzten auf ihn zu und riefen: „Dein Freund Peter Nielsen ist über Nacht von Luno erschossen worden! Er war ein gemeiner Dieb, den Pokal wollte er stehlen, dabei wurde er ertappt. Er stürzte sich mit einem Dolche auf den allen Lund und der erschoß ihn. Schmidt und Boysen sind ent flohen." Die Leute erwarteten, daß der junge Fischer ent setzt über diese Nachricht sei» würde, doch Entsetzen war cs nicht, was in seinen Mienen zu lesen war, rcude, Vergnüge» war das, wenigstens für einige -ekunden. Dan» freilich inachte Jens ein recht ernstes Gesicht und stammelte, fast wie im Traum: „Gottes Wege sind wunderbar, er ist ein strenger Richter, niemand kann seiner Gerechtigkeit entrinnen." „Ein seltsamer Kauz ist derJens Olufsen geworden," sagten nachher die Leute unter sich. „Er wird noch einmal ebenso wunderlich wie der alte Einsiedler. Nannte er den noble» Herrn bis auf diese» Tag feinen beste» Freund, und jetzt lacht er fast, wo er hört, daß derselbe belm Diebstahl ertappt und erschossen wurde. Das ist unerklärlich." Peter Nielsen tot! Ich bin frei, das Netz, in das ich mich von ihm in meiner unsagbaren Torheit locke» ließ, ist jäh zer rissen. Er ist beim Diebstahl ertappt und ihn hält mau natürlich auch für den, der Onkel Steffens Kasse bestohlen hat. Auf seine Rechnung geht, was ich bezahlen sollte, ans des Toten Rechnung, dessen Mund für immer geschloffen ist. Jetzt kann ich den Eltern den Kummer ersparen. Warum soll ich meine Schuld eingestehcn, wo ich sicher sein kann, daß sie nie ans Tageslicht komme» wird? Die 150 Kronen werde ich mir ersparen und dem Onkel Steffen zurückgeben: ebenso heimlich, wie ich sie nahm, lege ich sie wieder in die eiserne Kiste. Das alles sagte der junge Fischer sich zu dieser Stunde. Es war ihin zu Mute, wie einem Menschen, der dem Ertrinken nahe war und plötzlich, als alle Hoffnung auf Rettung geschwunden, von unsichtbarer Hand auf sicherem Eiland geborgen wurde. Ihm war es bei seinen beständigen Grübeleien in der letzten Nacht zur vollen Gewißheit geworden, daß Peter Nielsen gar kein reicher Maun sein konnte, daß derselbe ein Schwindler, ein gemeiner Gauner sein mußte. Darum überraschte ihn die Kunde, daß der, dem er vor kurzem noch als einem wahren Freunde volles Vertrauen geschenkt, plötzlich als Spitzbube entlarvt war, gar nicht so sehr. Erkannte er nun auch wohl, eine wie schwere Strafe eS für den Elenden sei, mitten in seinen Sünden abgerissen und vor den ewigen Richter gestellt zu werden, so erblickte er, wenigstens jetzt, doch ohne sich dessen recht bewußt zu sein, auch eine gewisse Genugtuung für das ihm er wiesene Unrecht darin. „Du bist frei, du bist frei!" jubelte es immer wieder In ihm. Und eS war ihm, als rufe ihm wieder und wieder eine Stimme laut und deutlich zu: „Jauchze doch und freue dich deiner Freiheit!" Aber, trotzdem dem jungen Fischer durch das auf regende Ereignis der letzten Nacht eine Centnerlast von der Seele gewälzt war, vermochte er dennoch jener Stimme nicht zu folgen. Wohl war sein Gesicht heiterer als gestern, aber von einer großen Freude war nichts daraus zu lesen. „Du bist noch nicht frei," mußte er sich ja gestehen. „Du bist schuldig, du darfst die Schuld nicht auf dir lasten lassen, du mußt sie sühnen."