Volltext Seite (XML)
Leseprobe Neu renoviert Vielleicht ist das Laster der Gewohnheit schuld daran, daß neu renovierte Wohnungen kein Ärgernis erregen. Wie dem auch sei, vorübergehende Passanten waren es, die mich vor kurzem auf eine dieser vielen neu renovierten aufmerksam machten, die mir sonst entgangen wäre. Sie standen kopf schüttelnd vor dem Schild mit der Inschrift und behaupteten, sie nicht zu verstehen. Da ich an einen schlechten Scherz glaubte, schickte ich mich an, weiterzugehen, wurde aber durch die Frage zum Stehenbleiben genötigt, ob ich über die Be deutung von „neu renoviert" Auskunft geben könnte. Ich sagte, es hieße soviel wie „neu hergerichtet oder instand gesetzt", und während ich dies aussprach, siel es mir wie Schuppen von den Augen, und ich wußte, daß man mich nicht zum Besten halten, sondern belehren wollte. Zwar han delte es sich nur um eine Kleinigkeit, für manchen des Auf hebens nicht wert. Aber es steckte mehr dahinter, als auf den ersten Blick hin deutlich werden konnte: Nachlässigkeit der Rede, die auf einen gewissen Unverstand hinwies. „Neu reno viert" heißt ja wörtlich „neu erneuert", und wer etwas neu renoviert, weiß entweder nicht, was „renoviert" auf deutsch heißt, und sollte es deshalb nicht gebrauchen, oder er weiß, was es heißt und sollte cs erst recht nicht gebrauchen. Indem ich mich bei denen, die mich auf die sonderbarste Weise zu dieser Einsicht gebracht hatten, bedankte und ver abschiedete, kam es mir in den Sinn, daß ich ihnen in Ge danken etwas abzubitten hätte, nämlich die Bezeichnung „vorübergehende Passanten", durch die ich sie mit der neu renovierten Wohnung gewissermaßen gleichgestellt hatte. Als vorübergehende Passanten waren sie vorübergehende Vor übergehende. Ich gelobte mir, diesen Ausdruck für ihresglei chen, der leider noch häufig angewendet wird, von nun an aus meinem Wortschatz zu streichen und es fernerhin mit „Vorübergehenden" genug sein zu lassen. Ein löblicher Vor satz, den ich alsbald durch einen bösen Seitensprung wieder zunichte machte. „Mit allen Guten in gemeinschaftlicher Zu sammenarbeit ...", so etwa dachte es nämlich in mir weiter. Das Sprachgewiffen, wieder zur Ruhe gehend, wurde plötzlich aufgeschreckt durch diesen neuen heillosen Verstoß. Gemeinschaftliche Zusammenarbeit, gibt es denn das? Wenn man zusammenarbeitet, arbeitet man doch sicherlich mit an deren gemeinschaftlich? Wenn man gemeinschaftlich oder in Gemeinschaft arbeitet, arbeitet man doch mit anderen zusam men? Ich sehe mit Entsetzen, daß mich die vorübergehenden Passanten mit ihrer neu renovierten Wohnung in die Nähe des alten Greises und des runden Kreises gebracht haben. Ich beginne mich zu fürchten vor den Schlingen und Fallen, mit denen das Denken die Sprache beständig bedroht. Aus: Neue Glossen zur deutschen Sprache vom Verfasser des erfolgreichen Buchs „...und bitten wir Sie..." Jeden gehen sie an, der eS ernst meint mit seiner Muttersprache, ob gelehrt oder ungelehrt. ^Die Sammlung gehört ^u urteilt die Kölnische Zeitung. Allen Buchhanolern liefern wir i Leseexem plar mit Höchstrabatt! 150 Seiten. Pappband RM 2.50, Leinen RM z.20 S KnorrL MH, München Alleinauslieferung für Österreich: vr. Franz Hain, Wien I, Wallnerstr. 4 6tz9 Börsenblatt f. -. Deutschen Buchhandel. 104. Jahrgang. Nr. 221 Freitag, den 24. September 1VS7 4101