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kierung im hiesigen Bezirke im letzten Sommerhalbjahre überall zur Durchführung gebracht. Die Geselligkeit suchte der Verein durch mehrere Unterhaltungsabende zu pflegen. So hielt Herr Lehrer Grcger aus Chemnitz im Winter vorigen Jahres im Saale der „Pclzmühle" einen sehr fesselnden Lichtbildervortrag über „Eine Reise vom Pockau- in das Egcrtal". Herr Kantor Schiinhcrr bot im Juli im „Schwcizerhaus Siegmar" eine interessante Nciscskizzc durch den Ilntcrharz. Kurt darauf fand das übliche Soinmcrfcst statt, welches sich ans Konzert und Ball zusainnicnsetztc. Am 8. Februar plant der Verein im Gasthofc zum „Goldenen Löwen" sein diesjähriges Winterfest abznhalte». Berliner Stimmungsbild. Bo» H. P. Im entlegenen Norden der Neichshauptstadt, wohin kein Fremder sich verirrt, wo es weder Paläste noch Cguipagcn gibt, dort, wo die Hintcrtrcppcnroinane der Wirklichkeit sich abspiclcn, steht ein großes, ernstes Gebäude, das allabendlich das Ziel einer traurigcn Wallfahrt ist, das Männcrasyl für Obdachlose. Sieben hundert Unglücklichen öffnet es Nacht für Nacht seine gastlichen Tore, siebenhundert Opfern unserer Kultur, Opfern eigener und fremder Schuld, schuldlosen Opfern der modernen Großstadt. Als wollte man an diesen Hunderten sühnen, was die Zeit an Hunderttansendcn sündigt, habe» sich mitfühlende Männer und Frauen jeden Standes in edlem Wetteifer zusammcngctan, um hier eine Stätte zu schaffe», wo der halb zu Tode Gehetzte, wenn auch nur auf wenige Stunden, einmal anfatmc» kann. Von der deutschen Kaiserin bis zu Singer ist ein weiter, viclgcstrciftcr Weg politischer Positionen, aber in diesem Werke der Nächstenliebe haben sich alle die Hand gereicht. Wir folgen dem Schwarm gedrückter Gestalten, die sich aus dem naßkalten Wetter in den Hof der Anstalt flüchten und Einlaß begehren. Ein Wärter innstcrt stc und läßt sic passieren, nur Betrunkene und Knaben ist er verpflichtet, abznwcisen. Drin in der gcränmigcn mollig durchwärmten Vorhalle sitzen schon einige Hundert ans langen Holzbänkcn. Mehr oder minder verwahrlost sehe» sic alle aus, mit müden, stumpfen, vielfach finsteren und mürrischen Gesichtern. Man hört kein lautes Wort, nur ein dumpfes Stimmen- schwirrcn. Truppweis werden sie in de» Waschraum Hinübcrgeführt, wo es ihnen freistcht, ein marines Bad zu nehmen oder de» Oberkörper gründlich zu wasche». Nebenan steht ein Apparat, in dem nach Bedarf ihre Kleider in heiße» Dämpfe» desinfiziert werden. Wer den Pflichten der Reinlichkeit genügt hat, tritt an einen Schalter, wo er nichts als sei» Lebensalter anzngcbcn hat und gelangt »nn ins Innere der Anstalt. Hier steht für jeden eine große Schüssel kräftiger Suppe bereit und ei» handfester Keil Brot. Dann vcrtrnbcln sich die Leute auf siebe» Schlafsälc zn je hundert Betten, wo sic sich, meist in de» Kleider», ans ihr federndes Drahtgeflecht legen. Es geht eine seltsame Metamorphose mit den »leisten vor. Als Vagabunden oder nicht viel besseres sind sie hcreingekonnnen; nun umgibt sie, vielleicht feit Monalc» znm erstenmal, eine reine, behagliche Atmosphäre und schonend liebevolle Rücksicht. Wie manchen hat die Verzweiflung, trotz des besten Willens keine Aröcit zu finden, mit zerschlagenen Gliedern und einem grollenden Fluch im Herzen hineingetriebcn! Wie mancher ist der fahndenden Polizei mit genauer Not entgangen! Nun sind sic sicher für eine Nacht im Schutze der Asylfreiheit. Niemand darf sie nach Hei mat, Namen oder Stand fragen, kein Schutzmann hat Zutritt zu ihrem Obdach. Die quälenden Stimmen der Sorge und der Verbitterung sind einmal zum Schweigen gebracht, auf verhärmten Gesichter» zeigt sich ein Schimmer von Zufriedenheit, und einer große» Anzahl dieser Gejagten ist cs eine willkommene Zer streuung, ehe sic zu Bett gehe», nach den Büchern der reichhaltigen Anstaltsbibliothek zu greifen. lieber einer zerlescnen Nummer des „Daheim" ge beugt, saß unter den andern ei» langer, hagerer Mcnfch mit leicht gelocktem Haar. Seine Züge fiele» aus, sic waren interessant und durchgearbeitet, seine vcr- fchlcierten, grauen Augen sahen nicht aus, als o'> sie immer so finster drcingcblickt hätten. „Das ist so einer mit einem echten Berliner Schicksai", bemerkte der Beamte der Anstalt, der mich begleitete. „Ein bedauernswerter Kerl, dem allein sein gutes Herz die ganze Teufelssuppe cüiaebrockt hat. Er war schon oster hier — Sie müsfen wissen, die Leute dürsen viermal im Monat inS Asyl kommen — da hat er mir neulich sein Herz ansgcschüttct." Und min er zählte er die traurige Geschichte. Als Korrespondent eines großen Geschäfts mit einem recht soliden Aus kommen, lernte der junge Mann vor Jahren in später Stunde eine von den hübscheren Varictccstrencii kennen. Er verliebte sich Hals über Kopf in sic, knüpfte mit ihr an und cröfsnctc ihr seine ernsten Absichten. Was konnte dem Mädchen willkommener sein? Ein Leben ohne Mühen und Sorgen begann für sic. Um sie ihrer Umgebung zu entreißen und ihr die Möglichkeit zn verschaffe», bei ihren Eltern zu leben, setzte er ihr von seinem Gehalt monatlich„ei»e erkleckliche Summe aus. Aber damit war nichts gewonnen. Die Eltern, verkommene Leute, die in einer der berüchtigten Keller wohnungen hausten, waren keine Erzichnngskapazitätcn für eine lockere Chansonette, und das reichliche Geld, die viele freie Zeit waren erst recht eine Gefahr für den leichte» Vogel. Dem guten Jungen mußten die Augen aufgehcn, aber — er liebte sein Nickchen wirk lich. Er konnte und wollte sich nicht von ihr los- reißcn, und sie hängtc sich wie eine Klette an ihn. — „Ach, sic war nicht schlecht! Nur ihre Eltern — die Bande!" lind er zahlte weiter alles für sie, eine langwierige Krankheit, ei» gitkcs Rad, seidene Kleider. Seine Einnahmen reichten kaum mehr aus, oft hatte er nur ein Stück trockenes, altbackenes Brot vorm Schlafengehen — aber Nickchen war ja glücklich. Er ging auf Reisen, bekam in Rußland, in England vor zügliche Stellen — aber all sein Erspartes wandcrte »ach Berlin, um der weitherzigen Braut ein schulden freies Lotterleben zu garantiere». Endlich vor einem Jahre heiratete er sic und machte damit sein Unglück voll. Seine alte Mutter konnte ihm diese Torheit nicht verzeihen n»d starb unversöhnt. Nickchen aber, die von der Wirtschaft nicht eine Spur verstand, vernachlässigte und betrog ihn schändlich, er suchte beim Branntwein seine Zuflucht, er tobte und schlug sic — aber er liebte sie weiter. Seine Stellung wurde ihm gekündigt, eine neue fand sich nicht, Er sparnisse waren nicht vorhanden, die Not pochte an — und siehe da, binnen acht Tagen war das hübsche Nickchen auf Nimmcrwicderseh» verschwunden. Jetzt war cs um die. Widerstandskraft des armen Teufels geschehen. Der Alkohol und eine Gefängnisstrafe gaben ihm den Rest. „Und das Ende vom Liede", schloß mein Begleiter, „nun ist er auch einer von unsere» Siebenhundert." — Einer von siebenhundert! Mir grauste. Welche Unsummen von Elend bargen diese Mauern allnächt lich. Ich trat hinaus i» die unwirtliche Nacht und fuhr zur Stadt zurück. Wie immer füllte ein Strom geputzter Menschen die Hauptstraße. Um schlanke weibliche Figuren straffte» sich im schwereil Winde die kunstvolle» Kleider und fesselten die Satyrblicke eleganter Dandys. Unter all den geschmückten, lächeln den, verführerischen Frauen — welche war wohl Nickchen? — Original-Roman von Irene v. Hellmuth. (13. Fortsetzung.) Die Hand aUsdäsHerzgcprektjMien Ebü völlig ihre Fassung verloren z» haben, — doch nur einen Augen blick. In der nächsten Minute richtete sie sich ans, ein Ausdruck von fester Entschlossenheit lag ans dem schönen, bleichen Gesicht, nur um den kleinen, blassen Mund zuckte cs wie verhaltenes Weine». Sic bemerkte nicht, wie der junge Mann sie mit verzehrenden Blicke» betrachtete, sic sah den heiße» Strahl nicht, der ans seinen Augen brach, denn sic hielt die ihrige» gesenkt, als wollte sie die Trümmer und Splitter des Wasserkrugcs zählen. „Eva!" Die Stimme des Doktors bebte leidenschaftlich, er vermochte kaum Herr seiner Aufregung zu werden. Hastig ergriff er ihre Hand und wollte sie an seine Lippe» ziehen. Vergessen war in diesem Moment alles, was er sich vorgenonunen, vergessen, daß sic ihn gestern gekränkt, beleidigt, daß sic ihn so bitter weh getan. Er sah nur die holde, mädchenhafte Erscheinung vor sich, sah das liebliche Gesicht mit dem schönen, wie gewöhnlich in zwei Zöpfen um de» Kopf geschlungenen Haar, und der Wunsch, stc zu besitzen, stieg über mächtig und heiß in seinem Herzen auf. Mit einer hastigen Bewegung zog Eva die Hand zurück und trat einen Schritt von ihm weg. Er starrte das Mädchen an, als hinge von der nächsten Minute Tod und Leben für ihn ab. „Eva?" fragte er bestürzt, „was bedeutet dies? Warum weichen Sie so scheu zurück? Weshalb sind Sie so unnahbar? So antworte» Sie!" „Lassen Sie mich, — ich bitte Sie!" Ein Ausdruck flehender Angst lag in den wenigen Worten. Er trat ganz nahe an das Mädchen heran, seine Stimme sank zum Flüstern herab. „Eva, — so wüßtest Du es wirklich noch nicht, daß ich Dich liebe, wie nur ein Mann ein Mädchen lieben kan», daß jeder Gedanke meines Herzens, jeder Pulsschlag Dir gehört, — Dir allein? Du hättest cs nicht erraten, was meine Lippen Dir bisher ver schwiege»? — Doch Eva, — doch, — Du mußt cs wisse», denn in Deinen Augen habe ich oft die Ant wort ans meine stumme Frage gelesen! Ich warb um Dich, wenn auch nicht mit Worten! — Du ver standest mich doch! Und jetzt laß mich die süße, beglückende Antwort hören, — Eva, hast Du mich lieb? Willst Du die Meine werden?" Es klang so süß, dieses Geständnis, so weich und bittend. ! Er wollte das Mädchen au sich reißen, cs an seine Brust drücken. Da geschah das Unerhörte, das, was er nicht begreifen konnte. Eva wollte, ohne ein Wort zn erwidern, an ihn« vorüber. Man sah es ihr an, sic war in einer furcht baren Aufregung. Der junge Man» vertrat ihr den Weg. „Du weichst mir ans? — Eva, — wie ist das möglich?" „Sie werden mich verstehen, — wenn ich Ihnen gesagt habe, — daß ich nie — die Ihre werden kann!" Nur mühsam und gepreßt hatte sic es hervor- gestoßc». Er sah stc an, als hätte er nicht recht gehört. „Eva" — er rang nach Atem, — „das ist nicht möglich, — das kann ja nicht sein!" „Doch, es ist so!" „Mädchen, bedenke doch, es gilt mein ganzes Lebensglück, nieine Zukunft! Ich flehe Dich an, rede, — sprich, — weshalb weisest D» mich zurück? Noch fasse ich es nicht!" Sic sah die Onal in seinen Singen und fühlte ihre Standhaftigkeit mehr und mehr schwinden. „Ich bitte — erlaffen Sic mir die Antwort, — kommen wir zu Ende." „Und — Du heißest mich gehen? — Du — mich?" Er umspannte mit eisernem Griff das Handgelenk Evas, daß sie beinahe ansgcschriecn hätte. „Du wirst mir jetzt Antwort geben ans meine Frage, — jetzt, auf der Stelle, — ich will cs, — hörst Dn?" In seine Stirn stieg die Nöte des Zornes, auch Eva hob den Kopf und schaute dem jungen Manne, dessen Erregung ins Maßlose gestiegen war, fest in die blitzende» Augen. „Und wenn ich diese Antwort nicht geben kann, wenn ich sie verweigere, verweigern muß, was dann?" Er schleuderte heftig ihre Hand weg, als hätte er ein giftiges Reptil berührt. „Ach Dn, — Du —." Ein bitteres, herbes Wort wollte sich ihm über die Lippen drängen, er unterdrückte cs rasch. „So war also alles Lüge, alles Verstellung! Dein Lächeln, Deine süßen Blicke nichts als die Koketterie eines eitlen, herzlosen Weibes! Dn wolltest mich zu Deinem Sklaven machen, wolltest den Triumph haben, mich als schmachtenden Liebhaber zu sehen, und ich ging wie ein Tölpel, wie ein Gimpel in die aus- gespannten Netze einer falschen, giftigen Spinne! Nun sie mich darin zappeln sieht, hat sic ihr Werk vollendet. Aber nimm Dich in Acht, daß Dn nicht büßen mußt, was Du heute verbrachst! Du nimmst mir in diesem Augenblick viel, fast alles! Den Glauben an die Wahrheit, an die Reinheit, Du nimmst mir die Hoffnung aus die Zukunft! Das alles hast Du mir gestohlen, und cs müßte leinen Gott im Himmel geben, wenn diese Tat ungerächt bliebe! Mit einem Herze» voll froher Hoffnungen kam ich hierher, und ärmer als ein Bettler fühle ich mich jetzt! Zum Narren hast Du mich gehabt, — o, wie Du lachen wirst über den blöden Toren, der all sei» Lebensglück von Dir erwartete! Nimm nur jenen andern, der eben sortging; denn ich weiß es jetzt, Du liebst ihn, um seinetwillen stießest Dn mich zurück. Aber Glück wird Dir nicht erblühen auf Deinem fer neren Lebenswege — Du falsche Komödiantin!" Damit stürzte er fort. Eva stand und starrte mit weit anfgcrisscnen Augen nach der Stelle, von der er verschwunden war, — dann brach sic mit einen« dumpfen Schmcrzenslant zusammen. Halb bewußtlos lag sie auf den kalte» Stelnslicßen, bis die Mutter kam und das wankende Mädchen ins Zinnncr führte. Die alte Frau wußte, was vorgcgangcn war. Die laute, zu letzt fast schreiende Stimme des Doktors war wohl zu ihr hinein gedrungen. IX. Eine Woche war vergangen. Siegreich zog jetzt der Frühling ein in die Lande und streute Blume» und Blüten aus alle Wege. In der Stadt selbst war eS heute auffallend still, denn der schöne Sonntag- Nachmittag hatte alt »nd jung hinaus gelockt ins Freie; ans der Straße sah man nur einige spielende Kinder, die lachend herumtollten und sich mit Ball- wcrfen vergnügten. Frau Linde saß aus ihrem ge wöhnlichen Platz am Fenster und strickte. Um ihren Mund hatten sich in der letzten Zeit einige tiefe Fitti chen gegraben, was dem gütigen, rundlichen Gesicht einen Ansdruck von Strenge verlieh. Auch die sonst so milde blickenden Augen hatten etwas von ihrer früheren Freundlichkeit verloren. Von Zeit zu Zeit spähte stc den Weg entlang, so weit sie ihn übersehen konnte; manchmal schüttelte sic wie mißbilligend den Kopf und wandte sich enttäuscht wieder ihrer Arbeit zu. Nur der herbe Zug in ihrem Antlitz verschärfte sich noch mehr. Dann klapperte» die Nadeln um so rascher aneinander, als gelte es, die Arbeit so schnell als möglich zu vollenden. Das junge Dienstmädchen trat schüchtern ein. „Darf ich jetzt den Kaffee bringen, Frau Sekretär?" „Warte damit, bis mein Sohn kommt. Er wollte nur einen Spaziergang machen und versprach, bis t Uhr zurückzukehren. Heute, an meinem Geburtstag,