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01-Frühausgabe Dresdner Nachrichten : 03.10.1928
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1928-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-19281003018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-1928100301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-1928100301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1928
-
Monat
1928-10
- Tag 1928-10-03
-
Monat
1928-10
-
Jahr
1928
- Titel
- 01-Frühausgabe Dresdner Nachrichten : 03.10.1928
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Mittwoch. A. vklober 1SL« — «vreoduer llachrichlen'' — Nr.4S7 Selke Z PoimarSS Memoiren Zum Weltkrieg« äußerten flch bisher fast alle verantwort lich handelnden Persünlichkette» der siegreichen und der be siegten Staaten. Immer Lat e» einen eigenen Net», in die Werkstatt der Meister »u schauen, in der die Gedanken aus ihren ersten Anfängen ,u gigantischer Größe auSwachsen. Bei -er Überragenden Persönlichkeit Poincarse kann man an Veröffentlichungen au» seiner Feder nicht vorübergehen. Go muß da» kürzlich erschienene Werk: »Memoiren, die Vorgeschichte de» Weltkrieges 1012—1018" von Naymond Poincarü besondere» Interesse beanspruchen. Der rührige Paul.Aretz-Berlag, Dresden, hat eine deutsche Ausgabe dieser Memoiren veranlaßt. »Im Dienste Frank reichs neun Jahre der Erinnerung" heißt das Werk, bas die Zelt von 1012 bis 1020 umfassen soll. Der vorliegende Band, in vornehmem Gewände und geschmückt mit 1ö Bildnissen, schildert zunächst die Vorgeschichte des Krieges. Recht viele Deutsche müssen das Buch lesen. Denn seit Jahrzehnten ist Poincarü Frankreichs stärkste Persönlichkeit und Deutschlands Ichärsster Gegner. Natürlich weiß Poincarü. der die Gabe der fesselnden Darstellung in hohem Maße besitzt, aus seinem reichbewegten Leben viel Interessantes, für den Politiker und Historiker oft auch viel Neues, zu berichten. Aber wie er alle» »vom französischen Standpunkte auS" sieht, wie er seinen Scheinwerfer spielen läßt und alles zum eigenen Ruhme, zur Verherrlichung de» friedfertigen Frankreichs in eine be. sondere Beleuchtung rückt — das eben ist das Charakteristische und — Gefährliche an diesem gewiß stark fesselnden Buche. Gefährlich ist es besonders für die Urteilslosen, die für unbedingt wahr halten, was da geschrieben steht. Der Herausgeber, Dr. Eugen Fischer. Sachverständiger im Unter- suchungöauSschuß des Reichstages für die Krlegsschuldfragcn, will in der Einführung »die kritischen Sicherungen für den deutschen Leser geben". Er meint: Poincarü rollt vor dem Leser den Film der Ereignisse ab. in der Absicht, sich frei und den Gegner schuldig zu sprechen. Diese Tendenz braucht der Deutsche nicht mitzulesen." — Wir sind anderer Ansicht. Ge- rade diese Tendenz zwingt unS zur Warnung. Meisterhaft versteht es Poincarü. alle Dinge zu seinen Gunsten umzu biegen. Mit der Gerissenheit des alten Advokaten trägt er alles zusammen, was seine angebliche Friedensliebe be- stätigt und häuft alle Schuld auf den Gegner. Fast zum Ucberdruß läßt er die FrledenSschalmet ertönen. Und es wird leider immer wieder Deutsche geben, die sich durch die Eirenenkläng« betören lasten. Auch Poincarü enthüllt nicht das steinerne Antlitz der Wahrhöit. Leicht stellt man fest, daß er nicht überall streng die historische Wahrheit achtet. Denn er, der aktivste aller Politiker, verteidigt sich hier und sucht seine Politik zu rechtfertigen. Irgendwie stimmt da etwas nicht. Wir misten sa, daß dem französischen Ministerpräsidenten unter seinen Landsleuten scharfe Gegner entstanden sind. Mit diesen rechnet er ab. nicht immer vornehm. Sein Kamps mit dem politischen Gegner Fabre-Lnce, den er einen »nn- entwegten Spaßmacher" nennt, interessiert uns weniger. Pein lich dagegen berührt eS, wenn Poincarü Acußerungen Toter, wie des Botschafters Jöwolsky, der eine treffende Charak teristik PoincarüS gegeben hat. zynisch abtut, und wenn er bereits veröffentlichten amtlichen Schriftstücken stets dann eine untergeordnete Bedeutung beilegt, wenn sie gegen ihn sprechen. Als »deutsche Kronzeugen" für seine nur dem Frieden gewidmete Arbeit führt Poincarü den »berühmten deutschen Schriftsteller" Maximilian Harden an sowie den be kannten Pazifisten Professor Foerster, den »aufrichtigen Deutschen mit großen Eigenschaften". — Unter dem Eindruck des Marokkostreites wurde Poincarü 1812 Ministerpräsident. Er schildert zunächst das dcutsch-fran- Mche Marokkoabkommen und den tripolitanischen Krieg. Sarkastisch behandelt er den „Panthersprung vor Agadir" und widmet ein besonderes Kapitel dem „deutschen Rätsel — das Volk und der Kaiser". Natürlich ist Immer nur der böse Deutsche der rätselhafte Störenfried. So weit ging — nach Poincarü — Frankreich, daß es sogar „aus Liebe für den Frieden und die Menschen den Gedanken eines Revanche- kriegcs beiseite schob". — Freilich, „wenn der Friede durch Deutschland gestört werben sollte, bann hätten wir die große Ausgabe zu erfüllen, den Krieg bis zum Siege zu treiben und de» Sieg bis zur Befreiung der annektierten Provinzen" — Eingehend schildert Poincarü die Rntonto aoräials mit allen Mänkespielen. Keiner traut dem andern. „Wir kannten Rußlands Schliche nur zu genau. Zwischen uns gab es weder Intimität noch rückhaltloses Vertrauen." Natürlich hat nach Poincarü das Militärabkommen 1012 zwischen Frank reich und Rußland nur einen „defensiven und friedfertigen Charakter". Vergeblich sucht Poincarü den Zaren zur Waffcnhilfe anläßlich der Marokkokrtse zu bestimmen. Aber der Zar „denkt an einen Krieg nur wegen ganz lebend- wichtiger Interessen". Protokollarisch erklären die russischen und die französischen GcneralstabSchess, daß das Wort „De fensivkrieg" im Militärabkommen »nicht im Sinne eines defensiv zu führenden Kriege» auSgelegt werben dürfe. Sie bestätigen im Gegenteil die unbedingt« Notwendigkeit für die russischen und di« französischen Heere» eine stark« und soweit nur möglich, gleichzeitige Osfensiv« zu unternehmen." Diese hochwichtige Stelle in Poincarü» Buch sei absichtlich hervor, grhoben. — Nervös wirb man in Part», al» der kürzlich verstorbene Lord Haldane in Berlin wegen de» Flotten- abkommen» zwischen England und Deutschland verhandelt. Den König Eduard VlI. nennt Poincarü einen Mann, »der in der Tat friedfertig au» Veranlagung und Neigung wie aus Ueberzeugung war". — Besondere» Interesse dürsten die Aeußerungen Poincarü» über die Verhandlungen mit Eng. land und Belgien für den Fall eines deutschen Durchmarsches beanspruchen. Gewiß hält auch Poincarü diesen Durch- marsch für möglich, aber er hofft, baß Deutschland vor diesem »Attentat aus das Völkerrecht" doch noch zurückschrecken werde »durch ein letztes Erwachen des Gewissens". Im Jahre 1012 besuchte Poincarü Rußland. Ans der Unterredung mit dem Zaren sei als charakteristisch folgendes hervor, gehoben: „Der Kaiser sagte mir aus eigenem Antriebe, er verfolge mit großem Interesse, was er bas militärische und nationale Erwachen Frankreichs nennt. Er findet es unsinnig, daß man das als Chauvinismus bezeichnet. Um stark zu sein, muß eine Nation militärischen Geist besitzen". Und der Zar beglückwünscht die französische Negierung, daß sie diesen militärischen Geist »wachhält und fördert". Poincarü schildert sodann die Bemühungen der euro. päischen Mächte, den Valkankrieg zu lokalisieren, und die Sorge Rußland», baß die vulgaren in Konstantinopel «In. rücken, damit sich König Ferdinand in der Hagia Sofia di« Krone de» Ortentkatser» auf» Haupt setze. Den Schluß dcS Buches bildet die Friedenskonferenz in London. — Seinen Zweck, Deutschland al» den alleinigen Kriegsschuldigen, sich selbst aber al» FrtedenSmann hinzustellcn, wird das Buch nicht erreichen. Im Gegenteil. Jeder aufmerksame Leser wird bas wahre Gesicht Potncarüs erkennen. Recht viele Deutsche müssen da» Buch lesen, aber recht eingehend. Sie werden auch viel daraus lernen können. Und jeder Leser sollte immer daran denken, daß derselbe Poincarü noch heute in Frankreich regiert, der nicht gewillt ist, «ohne Gegen, letstung" das deutsche Rheinland zu räumen, der aber dauernd versichert, daß „nicht der mindeste Zweifel über die menschlichen und friedlichen Gefühle bestehen, die jederzeit die Tätigkeit der französischen Diplomatie geleitet haben". Poincarü hat — nach den Angaben des Verlegers — der Ucbersetzerin d«S vorliegenden Buches gegenüber erklärt: „Ich bin glücklich, einmal direkt zu dem deutschen Volke sprechen zu können, damit eS sieht, daß ich nicht so schlimm bin, als angenommen wirb." Nun, darüber mag sich jeder selbst ein Urteil bilden. DaS Buch sei vor allem denen emp. sohlen, denen Locarno. Völkerbund und Kelloggpalt-Weih. rauch den klaren Blick verschleiert haben. Dr. Curt Treitschke. Krankhafte DeiMtMMgst in Wen §aleskis Phantasien Posen, 2. Oktober. Der polnische Außenminister Zaleski, der seine außenpolitischen Mißerfolge dadurch zu verwischen sucht, daß er andauernd Deutschland und die deutsche Presse beschimpft, hat Pech. In denselben Tagen, in denen sich Herr Zaleskt nicht genug über die angebliche Verbreitung unwahrer Nachrichten über Polen durch die deutsche Presse beklagt, kommt der »Kurier Podsnanski" mit „Enthüllungen", die selbst in den HundStagen kaum noch Eindruck hätten machen können. DaS Polenblatt hat, wie es behauptet eine schauer liche Entdeckung gemacht. Es hat herauögesunoen, daß in Polen eine deutsche Nebeuregierung besteht. Ursprünglich hat diese Nebenregierung den Namen „Dcutschtumsbunü" geführt. Jetzt heißt sie »Deutsche Ver teidigung" mit dem Sitze in Bromberg. Zum Beweise dieser Behauptung weist der »Kurier Podsnanski" ans die Einheit lichkeit der deutschen Presse in Polen in bestimmten Fragen hin. So sei zu einer gewissen Zeit in der Presse aus eine einheitliche Parole hin an die Deutschen in Polen die Mahnung ergangen, in Polen zu bleiben. Jetzt sei die Reihe an das Schulwesen gekommen. Es sei dies eine sehr systematische Arbeit und eS sei an der Zeit, daß man dem ein Ende mache. Es dränge sich die Frage auf, wer diese selt same Nebeuregierung finanziere. Die zuständigen Stellen sollten einmal untersuchen, ob dies nicht vielleicht die Haupt- rcg^crung in Berlin sei, die indiskret über die nachbarliche Grenze schaue. DaS Polcnblatt kündigt seinen scniationS- hungrigen Lesern noch wettere Enthüllungen in dieser Richtung an. Die »Deutsche Rundschau" in Bromberg schreibt zu diesen Enthüllungen: Ihr armen Leute, wie leid ihr «nS tut. Jetzt seid ihr bereits ein Jahrzehnt am Enthülle« nnd habt noch nicht ein Körnlein Wahrheit hinter den Schleiern ««rer Slngsttränmc entdeckt. Das ist sehr peinlich für euch und hat unS bei den letzten Wahlen viel polnische Stimmen zngefiihrt. Die polnischen Waffen in den Borkricgökämpsc«, das Mittel der Verschwörung nnd den planmäßigen Staatsverrat, lehnen wir ab. Das aber können die Polen nicht begreifen, nnd darum suchen sie überall bei uns nach Wünschen, hinter denen sie sich selbst in alte» Zeiten zu verstecken beliebten. Auch -ie Ukraine wir- schikaniert Warschau, 2. Okt. Meldungen aus den ukrainischen Ge bieten zufolge sind seit der Teilnahme ukrainischer Volks vertreter an der Interparlamentarischen Union in Berlin und seit ihrem Beitritt zum Minderheitenkongreß in Genf deutliche Anzeichen dafür vorhanden, daß sich der Druck der polnischen Behörden sowohl auf das allgemeine öffentliche, als auch aus daS politische Loben der Ukraine verschärft. Seit Wochen mehren sich die Fälle von Schikanen und Repressalien. Den ukrainischen Abgeordneten wird entweder verboten, ihre Wählcrvcrsammlungen abzuhalten, oder es werden den Ver- sammlungen Schwierigkeiten in den Weg gelegt. In den meisten Fällen werden die Versammlungen überhaupt nicht zugclasscn. Schließungen von Versammlungen erfolgen völlig willkürlich, Proteste bleiben erfolglos. DaS Absingen nativ- naler Lieder ist verboten. Es sind Fälle vorgckommen, daß Leute, die eine Versammlung trotz Einspruchs des dienst- tuenden Polizeibeamten weitersühren wollten, vcrlmstei und wegen Hochverrats angeklagt wurden. In einigen Bezirken der Ukraine wurden Turnvereine aufgelöst. Den Mitgliedern wurde die Uniform beschlagnahmt. Das Tragen von Uni» formen ist den ukrainischen Turnerorganisatione» überhaupt verboten worden. Gefan-ter Rauscher fährt nach Berlin Berlin» 2. Oktober. Der deutsche Gesandte Rauscher be gibt sich heute nach Berlin, um an der nächsten Kabinetts- sitzung tcilzunehmen, in der offenbar auch wirtschaftliche Frage», die die deutsch-polnischen HandelsvertragSvcrhand» langen betreffen, behandelt werden sollen. Rauscher wird in der nächsten Woche in Warschau zurückcrwartet. Aman Allahs Ginkäufe Berlin, 2. Okt. Wie auS Kabul gemeldet wird, fand beim König Ullah ein« große Beratung statt, an der sämtliche Mi- nister, die Kaufmannschaft und andere Bcvölkerungsgruppen vertreten waren. Der König begrüßte zunächst die jungen Afghanen, die sich zum Studium nach dem AuSlandc begeben. Zum ersten Male befinden sich unter diesen Studierenden auch Frauen. Hierauf gab der König einen Ueberblick über dis Einkäufe auf seiner Auslandsreise. Unter den Einkäufen be finden sich Maschinen für die Rüstungsindustrie, rund 54 000 Gewehre, 6 Maschinengewehre als Muster. 10« Kanonen, 6 Tanks und 5 Panzerzttge. Wegen des Ausbaues des afghanischen Eisenbahnnetzes hat der König auf seiner ReiseVer- träge mit deutschen und französischen Gesellschaften abgeschlossen. Für die Linie Kabul—Kanüagar—Herat—Kuschka sollen die Vorarbeiten in einem Jahre beendet sein. Das vollständige Projekt soll innerhalb drei Jahren auSgeführt sein. 8um Anschlag tn Tokio 47 Personen verhastet Tokio, 2. Oktober. Im Zusammenhänge mit dem An- schlag der japanischen Anarchisten gegen den japanischen Kaiser hgt die Tokioter Polizei 47 Verhaftungen in Tokio vorgenommen. Die japanische Arbeiterpartei „No io Naminto" wurde aufgelöst und die Vertreter der Arbeiterpartei in daS Gefängnis gesteckt. Man beschuldigt sie, den Anschlag gegen den japanischen Kaiser angestiftet zu haben. Die Zeitung „Hoci" fordert die Ausweisung aller russischen Kommunisten, weil sie die Anstifter des sozialen Bürgerkrieges seien. Will »IrBSUFH 1V»I»«nk»u»»tr. IL 8 Ste WIosophie zur KM der Vorkögeimlnschast Tagung der Dentschen Philosophische» Gesellschaft in Leipzig Zum ersten Male seit ihrer Begründung hält die Deutsche Philosophische Gesellschaft in diesen Tagen eine größere Veranstaltung ab. Sie tut dies in der Universität Leipzig. Zum Gegenstände ihrer Erörterungen hat sie ein Problem gemacht, das tief In das Leben der Gegen wart etnschnetdet: Volk und Gemeinschaft. In feierlicher Sitzung in der Aula der Universität wurde die Tagung am Dienstag bet starker Beteiligung durch den Vorsitzenden der Gesellschaft, den Leipziger Professor der Philosophie und Psychologie Dr. Kruegcr, eröffnet. Im Namen der Sächsischen StaatSrcgierung sprach Ministcrial- direktor Dr. Woelker BegrüßnngSworte. Kein Volk sei in seinem philosophischen Wissen wahrscheinlich besser bestellt als das deutsche: was freilich das Handeln angehe, so stünden wir da weit hinter den anderen znrück. Die Philosophie diene zuerst der reinen Erkenntnis der Wahrheit, aber sie würde ihre höchste Sendung verfehlen, wollte sie sich mit ihren Er- kcnntnissen nicht mitten ins Loben hinein st eilen. Wenn es eine Aufgabe der Tagung bedeute, daS deutsche Wesen zu erfassen, so sei dazu zu bemerken, daß die nativ- nalc Idee sicherlich der sorgsamsten Pflege bedürfe. Sie müsse dazu denen anvcrtrant werden, die tn ihrem NolkStume fest verwurzelt stünden. In Frankreich und England sei daS VolkStum »um Volköinstinkt geworden, habe sich biirchgeseht auch in den Volksschichten, die zur vollen Teilnahme an der volklichcn Kultur erst emporstrebten. Mir sind tn diesem Sinne noch kein Volk. Um so wärmer sei jede Be- wcgimg zu begrüßen, die das VolkStum zu ihrer Aufgabe mache. Rektor Vethe schloß sich Im Namen der Universität, Bürgermeister Hosmann für die Stadt Leipzig diesen Worten an. Man trat dann in die Verhandlungen ein. und es sprach als erster der Professor der Soziologie an der Universität, Hans Freyer. übrigens ein gebürtiger Dresdner, über Gemeinschaft un» Kolk Der Besinnung dartlber, so führte er aus, kann sich heute kein lebensnahes Denken mehr entziehen, ob nnd wie heute Gemeinschaft möglich ober vorhanden oder anch nur denkbar und in den Voraussetzungen gegeben sei. Aber auch die Frage waS ein Volk sei. hat sich unendlich verschärft. Seit Fichte- Tagen ist dir Realität der Klasienkämpse hcrvor- gebrochen und cS erscheint nun al» ein dringliche» Anliegen, zu prüfen, ob ein Volk nur mehr de» Boden für den AuStrag der sozialen Spannungen darstelle »der etwa doch noch mehr. Gemeinschaft entsteht, wo viele einzelne durch da» Bewohnen des gleichen Raumes zusammcngeschlossen werden Innerhalb dieses SchicksalSraumcS erneuert sich eine Gemein schaft wohl beständig tn der Folge ihrer Geschlechter aber sie selbst ist unsterblich, sie steht außerhalb der Geschichte. Ihr Sinnbild ist der Baum, ist die Hausctche, die Dorfeiche, die Stammcseiche. Wird ein Individuum abgespalten. tnS »Elend" verwiesen, so macht das ihm allein etwas Entscheiden de» aus. der Gemeinschaft nicht. Der Wechsel der Geschlechter bewegt sie wohl, aber er verändert sie nicht. Dazu kommt ein »wette», kommt der Vollbesitz de» geistigen Gehaltes dieses SchlcksalSramne» durch alle, die ihm angehörcn, kommen Sprache, Ueberlieferung, Er leben u. a. m. Alle Gemeinschaft hat zur Bedingung, daß die selbe geistige Welt tn den Seelen ihrer Mitglieder bereit liege, daß an diese nur apelliert zu werden braucht. Und dazu kommt als drittes, daß die einzelnen mit ihrer Verschiedenheit am Ganzen teilhaben. Nicht handelt es sich darum, die vorhandenen Unterschiede auszulöschen, sondern alles Gemeinsame verteilt sich in der Gemeinschaft sogleich auf die verschiedenen, diese Aufgabe auf die Jün linge. jene auf die Greise. Erst hiermit wird die Gemeinscha ein festes Gefttge von Leistungen, ein »sozialer Körper". Nun aber der Begriff Volk. Er hat in Europa eine zwtefältige Ausbildung erfahren, tn Westeuropa, speziell in Frankreich, und tn Deutschland. Die entscheidende Begebenheit für die westeuropäische Prägung des BegrisfeS war bte französische Revolution, war die Besinnung eines Volkes auf seine Eigenschaft al» handlungsfähige Gesamtheit. Hier wird der Begriff „Nation" ein RechtSbegrtff, hier gilt etn „Vaterland" für gegeben erst, wo bestimmte staatsrechtliche Forderungen, Forderungen der polittjchen Selbstbestimmung, erfüllt sind. Die Einheit der Nation wird so zum politischen Bekenntnis, zum fortgesetzten Volksentscheid: kein Wunder, daß dieser Begriff vom Volk zeitweilig geradezu identisch mit „Demokratie" werden konnte. Ganz ander» in Deutschland. Seit Herder» Tagen wird bter „Volk" verstanden al» ein naturhafter Zusammen- Hang des Blute» und der Seele, al» schöpferischer Ur grund alles geistigen Wirken». AuS der Kraft seine» Volks- tumS heraus vermag der einzelne allein zu schaffen. Die „VolkSgctstcr" gelten geradezu al» Wesenheiten von über irdischem Rang. Das „Volk" ist keine politische Ordnung, sondern eine geistige Gestalt. eS ist nicht Staat, sondern geistiaeS Wesen. Aber da» VolkStum, die Idee einer BolkSpersönkichkeit. will verwirklicht werden tn geschichtlicher Letstung. Dazu bedarf eS eine» Dreifachen: de» Erwachen» dcS volklichcn Selbstbewußtseins, der Gewinnung einer politischen Form und der Gestaltung einer gesellschaftlichen Ordnung. DaS Erwachen beS NationalbewußtsetnS bezeichnet kein Vohren tn sich hinein, kein nervöses Forschen, was deutsch sei; daS zersplittert. DaS VolkStum repräsentiert sich tn den Werken, im Wollen und im Gefühl. Der Geist beS Volkes stellt sich tn den Menschen nicht von selbst her: hier muß er erarbeitet werden. Die politische Gestaltung gipfelt in dem Suchen nach dem gemeinsamen LebenSraum. ÄolkSräume und Völker fügen sich in der Geschichte nicht von selber zusammen: auch sie müssen. daS ist etn wesentliches Moment der Bvlk- werdung, gewonnen werben. Die gesellschaftliche Ordnung schien seit den Tagen de» Absolutismus fest zu stehen. Die moderne Klasicn- bildung, die Verwandlung großer Teil« des Volkes in Flug- fand hat sie auSetnanbergertsien, droht, die Volkseinheit selbst zu vernichten. Die gesellschaftlichen Kräfte positiv einzu- gliedern in den Zusammenhang der Arbeit und Kultur des Volke», sie etnzugliedern tn bewußter Arbeit, durch eine „Sozialpolitik tm ernstesten Sinne, ist bte drängendste Auf gabe der Gegenwart. Die NachmtttagSverhandlungen zogen sich mit den ausgedehnten Diskussionen bis tief in den Abend hin. Sie brachten in den Borträgen ein späterhin stark umstritte, ne» Referat von ltc. Dr. Delekat (Berlin) zu dem Thema: aS tst und wie entsteht Gemeinschaft? Ein Referat, da» tn der Feststellung gipfelte, daß der Mensch Ge. meinschaft überhaupt nicht „machen" könne, daß diese sich nur ergebe au» der sich aufdrängenden Gemeinsamkeit einer Auf- gäbe, einer Not u. L. Den letzten Bortrag dieses Tage» vielt der bekannte Her. auSgeber de» „Deutschen BolkStumS" tn Hamburg, Dr. Wilh. Stapel über Volk un» Staat. In geistvoller Analyse entwickelte er den Begriff zweier LebenSreihen. AuS Familie, Sippe und Stamm entsteht, was wir etn Volk nennen: eine Gemeinschaft de» Blutes, deren Gestalt In zweiter Linie durch die freiwillige Angliede- rung einzelner, durch da» Zusammcnwachsen ursprünglich ge- trenntcr Volkheiten und durch die Berselbstigung eines Teil» eine» vormals größeren Ganzen bestimmt wird. Di« natttr- liche Aufgabe dieses Gebilde» ist seine Fortzeugung. Der Staat ruht auf dem allmenschlich gegebenen Verhältnis von Ueber- und Unterordnung. An einem einzelnen, einem „Führer", entspinnt sich dies Verhältnis, strebt aber, um seiner Erhaltung über den Gründer hinan» willen, alsbald
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