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9246 Lvrl-nblatt s. b, Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 218, 18. September 1907 lung können aber, weil sie früher als der jetzige deutsch- französische Vertrag festgesetzt wurde, die Franzosen auf Grund der neuen Meistbegünstigungsklausel nicht in An spruch nehmen. Wir werden also sorgfältig alle Punkte aufzudecken haben, wo die Amerikaner auf Grund der deutschen Landesgesetze in Deutschland größere Vorteile genießen, als die Franzosen auf Grund des Vertcagsrechts. Dies, soweit die Zukunft in Betracht kommt. Allein nun wurde von autoritativer Seite behauptet, die Franzosen hätten schon auf Grund der Meistbegünstigungsklausel des frühem Vertrags von 1883 in Deutschland die gleiche landesgesetzliche Behandlung geltend machen können wie die Amerikaner, also z. B. schon seit 1. Januar 1902 vollen Übersetzungsschutz in Deutschland gehabt. Ist diese These richtig, dann gewinnen die Franzosen mit dem neuen Vertrag in den Hauptpunkten nicht nur nichts Neues, sondern ver lieren etwas, das sie im alten Vertragsverhältnis besaßen, nämlich den Anspruch auf völlige Gleichbehandlung mit den Deutschen, sofern das deutsche Gesetz die Berner Übereinkunft und den neuen Sondervertrag an Liberalität übertrifft! Die Erörterung dieser Frage hat nicht bloß darum grundsätzlichen Wert, weil, wenn die angeführte Behauptung sich als zutreffend erwiese, der neue Vertrag in ein sonderbares Licht gesetzt würde, sondern auch noch darum, weil in der Frage der Rückwirkung, insbesondre hinsichtlich des Übersetzungs rechts, gewichtige Interessen auf dem Spiel stehen. Wir dürfen uns daher bei dem Zwiespalt der Meinungen über diesen wesentlichen Punkt des internationalen Rechts diese prinzipielle Auseinandersetzung und diese Abrechnung mit der Vergangenheit nicht verdrießen lassen. In einer Abhandlung betitelt »Die mittelbaren Folgen des deutsch-amerikanischen Urheberrechtsvertrags-! hat Professor Köhler in der Januarnummer 1906 der Osterrieth'schen Zeitschrift »Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrechte aus geführt*), daß seit Inkrafttreten des deutsch-amerikanischen Vertrags von 1892 und Gleichstellung der Amerikaner mit den Deutschen alle vertraglichen Abmachungen zwischen Frankreich und Deutschland durch die Meistbegünstigungs klausel »von selbst« dahin abgeändert worden seien, daß die Franzosen in Deutschland die vollen Autorrechte der Deut schen hätten, ebenso wie umgekehrt die Deutschen in Frank reich die Autorrechte der Franzosen genössen; dadurch seien alle Beschränkungen weggefallen; es sei somit nicht mehr die geringere Schutzfrist anwendbar; Übersetzungs- und Auf führungsrechte seien nach dem Landesgesetz vollwertig ge schützt; die ungünstigeren Vertragsbestimmungen betreffend Entlehnungen fielen dahin, und namentlich sei das liber gangsrecht nach dem Landesgesetz, d. h. bedeutend günstiger zu bemessen. Köhler begründete seine Ansicht damit, daß Frankreich die Voraussetzung der Gegenseitigkeit, die im Ar tikel 16 des Vertrages von 1883 (s. oben) stehe, durch das bekannte Dekret vom 28. März 1852 erfüllt habe, das allen Fremden die Autorrechte der Franzosen gewährt, so daß ohne weiteres die gegenseitige Gleichbehandlung ein getreten sei. Diese Ansicht ist nicht haltbar. Fürs erste wäre auch ans einer solchen Grundlage die Gegenseitigkeit keine voll gültige, sondern eine beschränkte gewesen, da das Dekret von 1852 infolge ausdrücklicher Weglassung des Artikels 428 des Ooäs xSnsl bei der Aufzählung der Sanktionen das Aufführungsrecht gar nicht schützt. Sodann bestimmt das Dekret in Artikel 4, den es mit den Worten »nsavmoins« *) Die gleiche Meinung, zwar nicht mehr so ganz apodiktisch wie zu Anfang (Börsenblatt Nr. 61, 15. März 1906), vertritt De. Fuld (Börsenblatt Nr. 109, 13. Mai 1907; Nr. 156, 8. Juli 1907). »gleichwohl« einleitet, daß die Klage erst nach Erfüllung der in Frankreich geltenden Bedingung der Hinterlegung ange nommen werde. Der vom Dekret ausstrahlende Schutz wird also ausdrücklich abhängig gemacht von der Erfüllung von Förmlichkeiten im Einfuhrlands, und es geht nicht an, das Dekret als Ganzes so zu zerreißen, daß man nur dessen günstigere Bestimmungen herausnimmt, die ungünstigern aber beiseite läßt. Die Gegenseitigkeit, hätte sie überhaupt bestanden, wäre durch den Förmlichkeitszwang viel zu teuer erkauft worden. Entscheidend ist aber, daß in Frankreich die gesamte Fachliteratur mit Ausnahme eines einzigen Schriftstellers darin einig ist*), das Dekret von 1852 könne von den Autoren derjenigen Länder nicht angerufen werden, die nach 1852 einen Vertrag mit Frankreich geschlossen hätten, oder, wie Darras in seinem bekannten Werke »Du äroit äss autsnrs st äss artistss äans Iss rapports intsrnatio- vaux, S. 429 sagt! »llous Iss traitss, ä'aprds nous, tont öslrss S.U äderst äs 1852«. Pouillet versuchte, in seinem llraitö (2. Ausl. x. 773) eine Ausnahme aufzustellen für die vom Kaiserreich abgeschlossenen Verträge, die »saus l'intsrvsntiou äu pouvoir Isgislatik« genehmigt worden seien; allein auch er gibt zu, daß, wenn ein späterer Vertrag in Frankreich durch ein Gesetz angenommen worden sei, dann der Vertrag gelte, nicht das Dekret! »lla loi xsut moäiüsr 1a toi.« Pouillet erklärt auch (S. 773), warum dies so sein müsse: »Die Tatsache, daß die fremden Staaten einen Vertrag unterzeichnen, der für sie ungünstiger ist als das Gesetz, ist nicht unerklärlich; die ihnen vertraglich eingeräumten Rechte sind ihnen für einen genau bestimmten Zeitabschnitt zuge sichert, während das Dekret von 1852 plötzlich durch eine Abänderung der Gesetzgebung verschwinden und die Fremden schutzlos lassen kann. Es ist dies die Anwendung des volks tümlichen Sprichworts: »Ein Sperling in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dache«. Nun ist sowohl der Vertrag von 1883**) wie die Berner Konvention in Frankreich durch Gesetz promulgiert worden***) und bildeten Alleinrecht zwischen den beiden Staaten. Das Dekret von 1852 war und ist auf die Deutschen in Frank reich gar nicht anwendbar. Auch sonst enthält weder das französische, noch das deutsche Gesetz die Reziprozitätsklausel, *) Osmavgsat, lournol äu äroit intern, privg, 1874, x. 108; OuvsrKior, ^.nnnlss äs la xroprisig inäustrislls, 1860, p. 48; kagu^, p. 99 st s.; Lataills, ^.ovales äs ln propr. inä., 1856, p. 72; 1867, p. 236; ksvault, äournnl äu äroit intsrn. privs, 1878, p. 460; kullstin äs la sooists äs lö^islatioa oomparss, 1881, p. 249; Dürrns, Du äroit äss uutsurs st äss nrtistss ärins Iss rapports intsrnntio- uaux, n" 195 st s., x. 244; Vksiss, Vraits tbsorigus st pratigus äu äroit intsi national privs, II, p. 246. Oontra: örieou, Des äroits ä'autsur äans Iss rapports intsrnationaux, p. 50. Bricon stellt in seinem kleinen Werk einfach die Behauptung auf, der Gesetzgeber, indem er einen Vertrag ratifiziere, ändre das Gesetz nicht ab (natürlich nicht für die Inländer; gemeint ist, er ändre es auch nicht ab für die Ausländer); der Schriftsteller eines mit Frankreich durch Vertrag verbundenen Landes könne aä libitum sich an das Gesetz halten; -der Vertrag ist bloß ein Abkommen für einen am nützlichsten hierdurch zu erreichenden Zweck, und der Autor ist frei, davon keinen Gebrauch zu machen». Diese Theorie ist die Negation des Vertragsrechts , der Auffassung des Abkommens als einer Gesamtheit von gegenseitigen, oft unter großen Schwierigkeiten erreichten Zugeständnissen, und würde jene instabilits bisu äangsrsuss äans lss raxports intsrnationaux gerade erzeugen, die Bricon vermieden wissen will. Mit Ausnahme dieser nicht bewiesenen Meinung ist also die französische Doktrin einig, den Ltterarverträgen die richtige verbindliche Stellung an zuweisen. **) Gesetz vom 7. Juli 1883, Dekret vom 21. August 1883, lournal okkioisl vom 22. Aug. 1883. ***) Gesetz vom 28. März 1887 und Gesetz vom 15. April 1897. (S. Näheres in m. Kommentar zur Berner Übereinkunft, S. 53 u. 54.)