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Redaktioneller Teil. ^ 292, 18. Dezember 1916. verhältnismäßig reichliches Maß an Lebensklugheit und all gemeiner Begabung verfügten, deren Wissensgebiet aber viel enger war, als man bei diesen Voraussetzungen hätte erwarten müssen. Es handelte sich um Männer, die aus der Volksschule — ost aus der einklassigen Dorfschule — sofort in eine kauf, männische Lehre zweifelhafter Güte gekommen waren, und die gerade in den Jahren, in denen es darauf ankommt, nicht darauf hingewiesen worden waren, daß es jenseits vom Ladentisch und Kontorpult noch eine schöne Welt gibt, in die sich der Abgearbei- tele in seinen knappen Feierstunden zurückziehen könnte — kurz gesagt, die in den Jahren von 14 bis 30 den Weg zum Buch nicht gesunden hatten. Der Freund, der den bildungsfähigen jungen Mann diesen Weg gewiesen hätte, war nicht vorhanden gewesen. Die eigene Kraft hatte nicht ausgereicht, und die Kraft der Schau fenster der Buchhandlung auch nicht. Die Zahl der Männer, deren geistige Entwicklung dadurch verkümmert blieb, ist ungemein groß. Sie mag den dritten Teil, sicher jedoch den vierten Teil des ganzen Standes umfassen. Vor einiger Zeit schrieb das Börsenblatt für den Deutschen Buch handel in einer Betrachtung über das Weihnachtsgeschäft, daß der Kaufmann ein schlechter Bücherkäufer sei. Diese Beobachtung ist richtig. Sie fordert aber zu den Fragen heraus: was h a t der Buchhandel getan, um den Kaufmann zum Buche zu führen, und was kann der Buchhandel tun, um dem Kaufmann das Bücherkaufen beizubringen? Die Antwort auf beide Fragen muß leider negativ aussallen. Man wird die Behauptung nicht bestreiten können, daß allein im Kaufmannsstande Zehntausende und Hunderttausende von Männern vorhanden sind, die am gei stigen Leben unseres Volkes weit lebhafteren Anteil nehmen könnten, wenn in ihren Entwicklungsjahren die Erziehung zum Buche nicht gefehlt hätte. — Es ist kein Grund vorhanden, daran zu zweifeln, daß bei Technikern, Arbeitern, auch bei kleinen und mittleren Landwirten die Dinge ähnlich liegen. Aus den Hunderttausendcn, die ihre volle geistige Entwicklung nicht neh men konnten, werden also Millionen, und die Frage nach He bung des Büchermarktes erhält dadurch eine ganz besondere Be leuchtung. Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband unterhält, wie alle kaufmännischen Gehilfen-Vereine, eine Abteilung für Stellenvermittlung. Jedes Mitglied, das die Stellenvermitt lung in Anspruch nehmen will, muß einen ausführlichen Frage- bogen aussüllen und ein Bewerbungsschreiben einreichen. — Die Durchsicht einer Anzahl solcher Fragebogen ist recht inter essant, aber nicht durchweg erfreulich. Der Fragebogen läßt erkennen, welche Kenntnisse vorhanden sind, und welche teilweise oder auch gänzlich fehlen. Die Zehntausende von Fragebogen, die jahraus, jahrein bei der Leitung eines großen kaufmännischen Vereins eingehen, sagen der Verbandsleitung mit aller Deut lichkeit: s o sieht es mit dem beruflichen Wissen unserer Standes genossen aus. Es müßte schon eine ungemein kümmerliche Ver bandsleitung sein, die sich mit den Ergebnissen einfach abfände, i ohne auf den Gedairken zu kommen, Mittel zu suchen, durch die' eine durchgreifende Besserung erzielt werden könnte. Das Mittel ist aber eben die Empfehlung des Buches. Ich frage: Welche örtliche Buchhandlung ist über die Kenntnisse oder den Mangel an Kenntnissen des einzelnen Handlungsgehilfen so genau unter richtet wie die Verbandsleitung, der die Stellenvermittlungs papiere zur Verfügung stehen? Keine örtliche Buchhandlung hätte die Möglichkeit, einem einzelnen Handlungsgehilfen, der sie nicht um Rat fragt, zu sagen: Dir fehlen diese bestimmt bezeichneten Kenntnisse, und deshalb mußt du dir jenes ebenfalls bestimmt bezeichnete Buch anschafsen. Die Verbandsbuchhandlung hat diese Möglichkeit und benutzt sie. Die Verbandsbuchhandlung kennt auch, dank ihrer Erfahrung, die in Betracht kommende Fachliteratur viel genauer als eine in der Regel auf ganz andere Literatur eingestellte Sortimentshandlung. Um mit dem am Kopfe dieser Ausführungen stehenden Auszuge aus dem Börsen blatt zu reden : für den Handlungsgehilfen ist der Vertrieb des Buches durch die Verbandsbuchhandlung in zweckmäßigerer Weise organisiert als bei dem regulären Sortiment. Die Öffent lichkeit kommt bei jener besser auf ihre Rechnung als bei diesem! 1522 Die Verbandsbuchhandlung weiß, dank ihrer Verbindung mit dem Verbände, welches Wissen zur jeweiligen Zeit gesucht und gewertet wird. Sie weiß, ob zu viele oder zu wenige brauch bare Buchhalter vorhanden sind, sie weiß, ob es an tüchtigen Reklame-Männern, an besseren Verkäufern, an Stenographen mangelt oder nicht, sie weiß, welche Sprachkenntnisfe sich am vorteilhaftesten verwerten lassen. Sie kann auch mit ziemlicher Sicherheit voraussehen, welche Sprachen an Wert gewinnen und welche an Bedeutung einbützen werden. Die Deuischnationale Buchhandlung hat sich in Verbindung mit dem Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband z. B. seit 1915 veranlaßt gesehen, auf die Wichtigkeit der türkischen Sprache hinzuweisen. Sie hat in kurzer Zeit viele Hundert türkische Lehrbücher verkauft. Welche örtliche Buchhandlung hätte eine solche Wirkung ausüben können? IV. »Es hindert Sie ja niemand, Bücher zu empfehlen. Je mehr Sie Bücher als Bildungsmittel empfehlen, um so dank barer wird Ihnen der Buchhandel sein müssen. Wenn Sie aber selber Bücher verkaufen, so wird die Dankbarkeit anderen Gefühlen Weichen müssen« — sagte mir vor einiger Zeit ein »zünftiger« Buchhändler. Der Mann hatte insofern recht, als der Sortimentsbuchhändler tatsächlich die Verbandsbuchhandlun gen nicht liebt. Er erblickt in ihnen eine Konkurrenz, die er am liebsten beseitigt sehen möchte. Unrecht hatte der Herr aber mit seiner Ansicht, die auf Trennung der Empfehlung des Buches und des Verkaufs des Buches hinausläuft. Die Trennung ist undurchführbar. Rein äußerlich: Eine gelegentliche Empfehlung des einen oder des anderen Buches ist so gut wie zwecklos. Es gehören starke, sogar sehr starke Mittel dazu, um Tausende dazu zu be wegen, sich dem Buche oder vorerst einmal dem einen oder dem anderen Buche zuzuwenden. Gelegentliche Bücherbespre chungen würden da wirken wie der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Nur eine unausgesetzte Arbeit auf allen Wegen, die überhaupt zur Verfügung stehen oder ausgeklügelt werden können, führt zu Erfolgen. Diese Arbeit kann nicht so neben bei, sie kann nicht von jedermann geleistet werden. Wer will die vielen tausend Mark bezahlen, die allein in einem Ver bände ausgegeben werden müssen, wenn eine erhebliche Wirkung erzielt werden soll? Soll der Verband lediglich säen und der »reguläre« Buchhandel lediglich ernten? Eine solche Art der Arbeitsteilung erscheint denn doch etwas einseitig. Jede Arbeit mutz sich so oder so selber bezahlt machen, denn jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert. — Zudem: die Zweckbuchhandlungen übernehmen die Arbeit in denjenigen Schichten, die der Sorti mentsbuchhandel bisher nicht oder so gut wie nicht bear beitet hat. Sodann aber ist eine Übersicht über den Büchermarkt eigent lich nur dem Buchhändler möglich. Nur derjenige, der das Bör senblatt für den Deutschen Buchhandel liest, der alle buchhändle- i rischen Prospekte und Ankündigungen erhält, nur der, dem die ' buchhändlerischen Fachkataloge zur Verfügung stehen, kann lite rarischer Berater sein. überhaupt, die gelegentlichen Besprechungen von Büchern! Ist es nicht ein Krebsschaden, daß dabei durchweg nur neue Bücher besprochen werden? Wie manches gute Buch ist we nige Monate nach der Drucklegung schon tot! Ist es richtig, daß wertloses Reue wertvolleres Alte verdrängt? Weil bei dem heutigen System der Bücherbesprechungen die neuen Bücher un gebührlich bevorzugt werden, deshalb liegt es im allgemeinen Interesse, wenn von anderer Seite mit anderen Mitteln ge arbeitet wird, die weniger auf den Augenblick eingestellt sind. Die Verbandsbuchhandlung weiß, welche Bücher für die Kreise der Verbandsmitglieder von besonderem und bleibendem Wert sind. Sie arbeitet deshalb, wenn die Wirkungen einer einmaligen Besprechung längst verflogen sind, immer wieder durch Prospekte, Empfehlungen und Hinweise aller möglichen Arten für das gleiche Buch. Sie fragt dabei nicht, ob das Buch vor einem Jahre oder vor zwei oder vor zehn Jahren erschienen ist. Natürlich er reicht sie auf diese Weise unverhältnismäßig mehr als durch eine gelegentliche Besprechung des neuen Buches.