Volltext Seite (XML)
13V, 7. Juni 1916. Redaktioneller Teil, Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Neueinrichtung« zeugt das vornehm ausgestattete, vom Augs burger Stadtbibliothekar vr. Richard Schmidbauer besorgte Ver zeichnis von Reichhaltigkeit und Mannigfaltigkeit. So erfreulich dies« Mitteilung an und für sich ist, — noch erfreulicher wäre es, wenn derartig« Hotelbllchereicn zu den Selbstverständ lichkeiten des modernen Hotelbetriebs gehören würden. Nesenbächler. Mein erstes Buch. (Zum 80. Geburtstage Prvf. I). Leopold Wittes (9. Juni 19 16j.) Unter dieser Überschrift schilderte im Börsenblatt für den Deut schen Buchhandel (1915 Nr. 263) aus Anlaß ihres 60. Geburtstages Emilie Mataja, mit dem Schriftstellernamen Emil Mar- riot, die Geschichte ihres im 17. Lebensjahre verfaßten ersten Romans »Egon Talmors«. Die Schriftleitung des Börsenblatts hat auch mich freundlich auf- gcfordert, bei Gelegenheit meines bevorstehenden 80. Geburtstages am 9. Juni ihr über »meine Beziehungen zum Verlagsbuchhandel, sei es in ernster oder in scherzhafter Form« einige Äußerungen zugehen zu lassen. In meiner Verlegenheit betreffs Inhalt und Form der gewünschten Auslassungen bat ich um Zusendung ähnlicher Artikel literarischer Arbeitsgenossen. Umgehend erhielt ich deren nicht weniger als acht, mit der liebenswürdigen Bemerkung: »Vielleicht regt Sie der eine oder der andere Aufsatz an, es diesen Schriftstellern gleich- oder zuvorzutun«. Das ist geschehen, und Emil Marriots betrübliche Mitteilungen über das Geschick ihres Egon Talmors haben die obige Überschrift ver anlaßt. Freilich, so tragisch ist es mir bei meinem ersten Buche: »Das Evangelium in Italien« nicht ergangen. Die arme Emilie Mataja mußte, weil sie keinen Verleger fand, ihr Büchlein auf eigne Kosten drucken lassen, und die den Vertrieb zögernd übernehmende Wiener Buchhandlung bekannte achselzuckend: »Etwa 80 Exemplare dürften abgcsetzt werden«. »Und wenige Jahre nach der Ausgabe habe ich«, so teilt die Verfasserin niit, »alle noch vorhandenen Exemplare abholen und meinen einst mit so viel Begeisterung geschriebenen, so heiß ge liebten Talmors einstampfen lassen«. Mir ist's bei meinem »ersten Buche«, wie gesagt, besser geglückt. Und ein gut Teil des freundlicheren Erfolges für meine weitere Lebens- riestaltung verdanke ich, wie sich demnächst ergeben wird, dem überaus gefälligen Entgegenkommen meines ersten Verlegers, Rudolf Besser in Gotha. Nach vierjährigem Universitätsstudium in Heidelberg und Halle machte ich im Januar 1858 mein erstes theologisches Examen. Zur Erholung ging ich alsdann auf einige Monate nach Berlin zu lieben Verwandten mit ausgedehntem Verkehrskreise. Es traf sich, daß in derselben Zeit der damalige preußische Gesandte am päpstlichen Hofe in Rom, Hermann v. Thile, mit seiner Gemahlin in Berlin war. Er suchte gerade einen Hauslehrer für seinen einzigen neunjährigen Sohn, und ein gütiges Geschick fügte es, daß wir znsammengeführt wurden, und die Eltern mir ihr Vertrauen fiir meine Aufnahme in ihr Haus schenkten. Zwei überaus reiche und bedeutungsvolle Jahre habe ich dann in Rom verleben dürfen. Allerdings nur kurze Monate in der so liebens würdigen und geistig wie seelisch gleich anregenden Familiengcmein- schaft des Thileschen Hauses. Am Abend des Peter-Panlstages, 29. Juni 1858, während die Donnerschläge des bei kirchlichen Festen in Italien niemals fehlenden Feuerwerks vom Monte Pincio über die ganze Stadt dröhnend hallten, fiel mein kleiner Schüler Hans im Pa lazzo Eaffarelli auf dem Kapitolsberge plötzlich in schweren Zuckungen bewußtlos zusammen, und cs entwickelte sich bei ihm ein epileptisches Leiden, das schließlich den Austritt des Herrn v. Thile aus dem Staatsdienste und die Rückkehr der Familie in die deutsche Heimat zur Folge hatte. Günstige Umstände erlaubten es mir, meinen eigenen Aufenthalt in Nom noch länger auszudehnen. Als »tutor« zweier Söhne des amerikanischen Gesandten in Nom, eines Mr. Stockton, die ich zu unterrichten hatte, konnte ich, in eigner Wohnung am Kapitol verbleibend, mit herrlichem Ausblick auf das ganze Forum im Zentrum der alten Stadt, noch bis Ende April 1860 in Nom verbleiben. Die unermeßlichen Eindrücke dieser Zeit habe ich ein halbes Jahrhundert später in meinem Büchlein »Vor fünfzig Jahren in Rom«, 1910, Vel- hagen L Klasing, zu schildern versucht. In dem größeren Werke: »Aus Kirche und Kunst«, 1913 in zweiter Auflage bei Max Niemeyer in Halle erschienen, klingen die großen Eindrücke dieser Jahre in noch vollerem Chore nach. Meine Rückkehr nach Deutschland konnte ich damals aber ver binden mit der eingehenden Kenntnisnahme eines kirchlichen ArbeitS- und Lebensgebietes, das durch die Ergebnisse des französisch-italienisch österreichischen Krieges von 1859 eine neue Bedeutung gewonnen zu haben schien, und das nun wirklich die Veranlassung zu meinem »ersten Buche« gegeben hat. Schon einige Jahrzehnte hindurch hatten sich im stillen, zumal durch die evangelischen Waldenser, hier und da in Italien kleine evan gelische Gemeindekreise gebildet. Die Geisterbewegung der Kriegs zeit, die Ausbrcitungsmöglichkeit in dem so mächtig erweiterten Pie mont, gaben neue Anregungen. In Florenz lernte ich eine Anzahl führender Männer auf diesem Gebiete kennen, deren Zeugnisse mich tief ergriffen. Dort hörte ich, daß vom 15. Mai ab vier bis fünf Tage lang die alljährliche Waldensersynode stattfinden sollte, die sich dies mal ausdrücklich mit der Evangelisation in Italien beschäftigen würde. Da entschloß ich mich schnell, meinen Neiseplan, der mich eigentlich durch Südfrankrcich in die Heimat führen sollte, abzuändern und über Genua und Turin nach Pinerolo, am Eingänge der cottischen Alpen, zu fahren. Dort, in den »Waldensertälern«, in Perouse, tagte die Synode. Ich erhielt daselbst eine solche Fülle reichhaltigsten Stoffes über die Geschichte der Waldenser, ihre Vergangenheit, ihre jetzige Arbeit in Italien, ihre Absichten und Pläne für die Zukunft, daß ich, noch mitten in der ragenden Herrlichkeit der Alpenwelt, den Entschluß fassen konnte, darüber »mein erstes Buch« zu schreiben, über Genf (wo ich bei längerem Aufenthalt mit Männern der Universität und Kirche in Beziehung trat, die sich längst mit der Evangelisation Italiens be schäftigten und mich auch zu einem Vortrage über meine jüngsten Erleb nisse und Erfahrungen bei den Waldensern in der Venerable Oom- imxnio cl68 I^teurs veranlaßten) kehrte ich nach der alten Vaterstadt Halle zurück. Am 8. Juni 1860 traf ich dort mit geistigen Schätzen beladen, dankbar und froh wieder ein. Auch in Halle erhielt ich noch weitere von befreundeter Hand seit Jahren gesammelte Quellen zu meiner Arbeit. Ich setzte mich als bald daran und konnte schon am 31. Oktober das Vorwort schreiben, das mit dem fertigen Manuskripte an Rudolf Besser in Gotha abging. Eine fast zweifelhafte Genugtuung wurde mir dadurch zuteil, daß noch im Jahre 1861 eine holländische Übersetzung des Merkchens er schien. Weder der Übersetzer, »C. W. Pape, Lmeritu8 preclicaut van UsuLOen«, noch der Verleger »M. I. Visser in'sGravenhage« hatten sich dazu mit mir oder Besser in Verbindung gesetzt. So konnte es ge schehen, daß mich die Herren zum »Uoxleeral- te ttalle« beför derten, wobei sie, mir nicht zur Nnehre, mich mit meinem Vater, dem Professor Karl Witte in Halle, dem Danteforscher und genauesten Kenner Italiens, verwechselten. Sein Ruhm kam also fiir Holland meinem bescheidenen Schriftchen in freundlichem Halbdunkel zugute. Aber noch aus einem besonderen Grunde erhielt ich damals Anlaß zum Danke gegen meinen Verleger. Nach Fertigstellung des Manuskripts zu meinem Bruche wollte ich endlich in behaglicher Gründlichkeit Anstalt machen, mich auf mein zweites theologisches Examen vorzubereiten. Da erhielt ich die Auf forderung, schon am 11. November eine Probepredigt in Cöthen bei Falkenberg in der Mark zu halten. Der Patron der Stelle, Major v. Jena, wollte mich zum Nachfolger seines ins Wuppertal berufenen Pastors, des späteren Generalsuperintendenten in Magdeburg Leopold Tchultze, machen. Nichts lag mir ferner, als der Gedanke ans Amt! Aber man drängte mich zur Zusage. Und als ich nun nach gehal tener Predigt dem lieben Major erklärte, ich müsse ja doch erst noch ein Examen machen, gab er mir lächelnd ein Schreiben an das Magde burger Konsistorium in die Hand: das müsse ich sofort persönlich dort übergeben: er hätte in seiner Eingabe die Sachlage erörtert, und ich würde rechtzeitig, d. h. Anfang März 1861, in Cöthen antreten können. In Magdeburg fand ich wohl freundliches Entgegenkommen. Aber die schriftliche, wissenschaftliche Arbeit, zu der man ein Vierteljahr Frist bekam, wo sollte die Herkommen?! Wann sollte ich sie schreiben? Zögernd kam ich damit heraus, daß ich eben ein Buch versaßt und das Manu skript dem Verleger nach Gotha geschickt hätte. Ob das als gxeeimsr» eruclitionis, als Nachweis für die nötige wissenschaftliche Bildung dienen könnte? Ja, wenn es rechtzeitig cingeliefert würde: das nächste Examen sollte am 15. Januar 1861 stattfindcn. Da mußte denn der Verleger helfen! Ich schilderte ihm meine Lage — und wurde verstanden! Im Sturme wurde der Druck voll zogen, das Büchlein eingesandt und das Examen glorreich bestanden. Mein Verleger hatte mir den so frühen Eintritt ins geistliche Amt möglich gemacht! So sind meine »Beziehungen zum Verlagsbnchhanöel« aufs lie benswürdigste eingeleitet worden, und sie sind es geblieben, so oft und so lange ich dazu Veranlassung hatte. O. Leopold Witte. 7L7