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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lffertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesördrrung 70.—. Iinnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ZK «47 Sonnabend den 20. Dezember 1902. ök. Jahrgang. Die Exekution gegen Venezuela. Tie Blockade bat, wie wir meldeten, begonnen, und zwar mit dem Hafen La Guayras. Sie richtet sich, waS nochmals besonders bervor- gehoben werden mag, nur gegen venezolanische Schaffe. Mit diesem Modus haben die Mächte den einzig möglichen Weg beschritten, einen Weg, der außeidem sowohl den Inter essen der Union wie der übrigen Neutralen, denen Deutsch lands und Englands und Venezuelas selbst entsprich', und den wir bereits früher als den zweckmäßigsten bezeichneten. Denn mit seiner Befolgung wird nicht nur nicht der Handel der Union mit Venezuela unterbrochen, sondern vermag auch der Handel der Neutralen, und womöglich selbst derjenige DeutlcklandS und Englands, seine Fortsetzung zu finden und vermögen auch ferner die Seehandelszölle einzu gehen und von den Koalierten mit Beschlag belegt zu werden und als Kompensation ihrer Forderungen zu dienen. Gleichzeitig aber wird Venezuela die Haupt ader seiner Einkünfte nicht unterbunden und fällt somit ein mit Rückuckt auf seine Finanzlage sehr gewichtiger Grund, im Widerstande zu beharren, für dasselbe fort. UeberdieS dürfte dieses Vorgehen der Mächte nebst der Weg nahme der venezolanischen Flotte und dem Ausschluß ter eigenen Handelsschiffahrt Venezuelas, der dasselbe zur kost spieligen Benutzung fremder Flagge nötigt, einen voraus sichtlich genügenden Druck auf die Entschließungen seiner Ne gierung ausüben. 3ur Stellungnahme Nordamerikas zur Blockadcfragc. Der Entschluß der nordamerikanischen Negierung, gegen die allgemeine absolute Blockierung der venezolanischen Küsten Einsprache zu erheben, wird in der New L)o»ker Presse folgendermaßen begründet: Dlaatssckretär Hay habe schon in seiner ersten Note die Regierungen Deutsch lands und Englands, sowie in den persönlichen Besprechungen die Botschafer beider Machte darauf hingcwiesen, daß eine Blockierung venezolanischer Häsen den gesetzlichen Schiffsverkehr unter nort- amerikantscher Flagge nicht beschränken dürfe. Während des vorangezangenen Meinungsaustausches sei nur davon die Rede gewesen, daß Zwangsmaßregeln gegen vene zolanisches Staatseigentum in Anwendung kommen sollten, weshalb nur der Schiffsverkehr unter venezolanischer Flagge unterbunden werben könne. Die Präzedenzfälle der Blockierung Griechenlands unv Kretas seien hierbei für Amerika nicht maßgebend, da eö sich in jenen Fällen um rein europäische, unter der richterlichen Oberhoheit der europäischen Großmächte siebende Angelegen heiten bandelte und da hierbei auch sämtliche Großmächte milwirkten. Eine vollständige Blockierung Venezuelas setze dagegen voraus, daß zwischen den die Blockade verhängenden Mächten und Venezuela der offene Kriegszustand erkläit worden sei. Beide Mächte aber hätten der nord amerikanischen Negierung ausdrücklich versichert, daß sie einen Krieg gegen Venezuela nicht zu führen beabsichtigten. Sei jedoch inzwischen der Kriegszustand eingetreten, so sei auch für Nordamerika eine neue Lage geschaffen, di: andere Entschließungen erheische. * Caracas, 19. Dezember. (Meldung des Neuterschen Bureaus.) Tie Gemahlin des deutschen Geschäftsträgers v. Pilgrim beqibt sich morgen nach Eura^ao. Die Lage ist hier unverändert. In der Stadt herrscht Ruhe. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. Dezember. „An das arbeitende Volk Deutschlands" wendet sich die sozialdemokratische Reichstags- sraktion iu einer von allen ihren Mitgliedern unterzeichneten Kundgebung. Auf die darin enthaltenen Tiraden über Zoll wucher und Vergewaltigung der Minderheit braucht nicht mehr eingegangen zu werden. Dagegen verlohnt es sich, aus gewisse Punkte der Kundgebung, soweit sie anderer Natur sind, nack- diücktich aufmerksam zu macken. Tahin gehört vor allem die Bearündung, die von der sozialdemokratischen NeichStagS- fraktion für die Obstruktion gegen den Zolltarif an erster Stelle geltend gemacht wird. Tiefe Begründung lautet: „Ausschlaggebend für unfern zähen Widerstand gegen die über hastete Durchberatung des Zolltarifs war, Lag eine Maßregel von jo ungeheurer Tragweite für das gesamte Wirtschaftsleben unsres Volkes nicht halte beschlossen werden dürfen, ohne daß das Volk selbst bei allgemeinen Ne uwah len Stellung Lazu nehmen konnte. Damir haben die Negierungen und die ReichStagsmehrheit den berechtigten Einfluß Les Volkes auf die Gesetzgebung unterbunden." Als die sozialdemokratische NeichStagSsrakt-on mit dieser Behauptung vor das arbeitende Volt Deutschlands trat, reckneie sie sicherlich damit, daß das arbeitende Volk voll ständig vergessen haben würde, was dieselbe Ne ichs- lagSfraklion am 10. April 1898 in einer gleichfalls von jedem einzelnen sozialdemokratischen NcichstagSabgeorbncten unterschriebenen Kundgebung gesagt lalle. Mag solche Ncchnunz auf die Vergeßlichkeit der Massen auch immerhin richtig sein, so schafft sic roch nicht die Tallache aus der Welt, daß die sozialdemokratische NeickSIagöfiaklion fick beute zu dem Gegenteil des am 10. April 1898 Gesagten be kennt. Denn der Wahlaufruf der sozialdemokratischen Neicks- tagüfraktion, der an jenem Tage erlassen wurde, enthält folgende Stelle: „Andere Fragen, die in dem kommenden (d. h. dem gegen- wärligen. Redaktion) Reichstag von höchster Bedeutung für die Lebensinteressen der arbeitenden Klasse sind, betreffen die Handels- nnd Agrar-Politik... Bei Ablauf der Handelsverträge in den Jahren 1903 bis 1904 wird ihre Erneuerung und Erweiterung erforderlich. Statt dessen wünschen die vereinigten Gegner eine sehr erhebliche Steigerung der Zölle auf Getreide und andere not- wendige Nichrungs-mid Lebensmittel.. .Das wirtschaftspolitische Ideal der Agrarier ist in erster Linie der Schutz und die llulcrslützunz der großen Grundherren und ihrer Pächter auf Kosten der indu striellen, gewerblichen und handeltreibenden Bevölkerung . . . Wähler! Tiefe Politik der Ausbeutung, Unterdrückung und Ent- rechtung wird siegen, seid Ihr nicht auf der Hut und thut Ihr nicht Eure Pflicht bei Len Wahlen!" Da eine Steigerung der Zölle notwendig die Ausarbeitung eines neuen autonomen Tai iss voraussetzi, so gehl aus den vorstehenden Sätzen des sozialdemokratischen Wahlaufrufs unwiderleglich hervor, daß die sozialdemokratische Reichstags- sraktlorr im Jahre 1898 die Erledigung der Zvlljrage durch den gegenwärtigen Reichstag als selbstverständlich be trachtete. Heute nennt die sozialdemokratische Reichstags fraktion eS ausdrücklich eine „ielbstverstäudliche Forderung", daß der ueue Zolltarif erst dem 1903 zu wählenden Reichstage vorgelegt werde! Und dabei sind es überwiegend dieselben sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, die sowohl den Wahlaufruf von 1898, wie die heutige Kundgebung namentlich unterzeichnet haben. Kann es einen drastischeren Beweis dafür geben, daß die sozialdemokratischen Volksvertreter skrupellos zu den Waffen der Unwahrheit und der Verdrehung im politischen Kampfe greifen'? Freilick räumt die sozialdemokratische Ncichsiagsfraktion mit einer Unwahrheit, mit der besonders die sozialdemokratische Presse jetzt wiederholt gewirtschaftet bat, gründlich auf. Denn in der neuen Kundgebung heißt es wörtlich: „Tas ist die Lage, in welche die deut'che Arbeiterklasse dadurch kommt, daß sie in ihrer Mehrheit in bedauerlicher Verblendung bei Leu Wahlen ihren schlimmsten Gegnern ihre Stimme gab!" Wie oft haben wir jetzt gehört, es stehe nicht die Mehr heit des Volkes hinter der Mehrheit des Reichstages, nur infolge der „WablkreiSgeometrie" sei die jetzige Mehrheit zu stände gekommen! Endlich erregt in ter neuen Kund gebung diejenige Stelle Interesse, die besagt: „Keine Zu stimmung zu einem Vertrage, der Hunger- und Wucherzölle enthält." Will die sozialdemokratische Reich-tagöfraklion Handelsverträge, welche die erhöhten Getreivezölle sest'etzcn, verwerfen? Die Dringlichkeit, mit welcher iu der Kund gebung von der Nviweudigkeit, Handelsverträge zu schließen, geiprvchen wird, deutet unverkennbar darauf hin, daß es sich bei obiger Wendung um eine nicht ernst zu nehmende Redens art handelt. Ter komischste aller Borwürfe, die von liberaler Seile gegen die nationalliberale' Neichütagsfraktion wegen ihrer Stellungnahme zum Zolltarif erhoben worden sind, ist der, daß die Fraktion durch diese Stellungnahme den Einfluß des Zentrums und der Konservativen verstärkt und demgemäß ihren eigenen vermindert habe. Mau könnte es allenfalls begreiflich sindeu,wenn irgendwo im Auslanee,wo man die seltsamstenjVor- stellungen von den politischen und parlamentarischen Verhältnissen in Deutschland hat, ein derartiger Vorwurf aufgetaucht wäre; daß er aber im Reiche selbst laut werden konnte, ist uns schlechterdings unbegreiflich. Daran, daß d'e von allein An sang au der Vorlage günstige Stellungnahme ter großen Mehrheit der nationalliberaleu Fraktion zu der Vorlage ganz wesentlich dazu beigetragcn hat, das Zeutrum und die nicht gänzlich im Schlepptau der"" Führer dcS Bundes der Landwirte befindliche» Konservativen zum Einlenken ;u bewegen, kann kein Zweifel austommen; haben dock die Organe dieser Konservativen bis zum Ueberdruß versichert, die Nationalliberalen hätten es iu der Hand, durch Unter stützung der kleiikal-tonseivativen Kompromißforderungen die verbündeten Negierungen zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Ebenso klar liegt es aber zu Tage, daß die nationallibeiate Partei infolge ihrer verhältnismäßig geringen Stärke das Zentrum und die nicht extremen agrarischen Kon servativen nicht weiter als bis zu den Zugeständnissen nötigen konnten, auf Grund deien dann der Zolltarif zur Annahme gelaugte. Hätten nun die Nationallideralen, weil ihnen riese Zugeständnisse nicht genügten, gegen den Tarif summen und sich auf die Seile der Sozialdemokraten, der Freisinnigen und der Bundeesührer stellen wollen, so wäre nur zweierlei möglich gewesen: der Tarif wäre mit ganz geringer Mehrheit vom Zentrum und den nichtbüud- lerischen Konservativen gegen die Nationalliberalen und die übrigen Neinsaaer angenommen, oder aber mit einer geringen, aus eben den Nationalliberalen und den übrigen Neinsagern gebildeten Mehrheit abzelebnt worden. In dem einen, wie in dem anderen Falle hätten die „reaktionären Parteien" allein das Verdienst gehabt, in der für die verbündeten Regierungen wie für unser ganzes wirtschaftliches Leben so überaus wichtigen Frage die Hand zu einem Ausgleiche ge boten zu haben, und in dem einen, wie in dem anderen Falle hätte die Nationalliberalen der Vorwurf getroffen, nut den Sozialdemokraten, den Freisinnigen und denBündlerführern allen Mahnungen des Reichskanzlers und der übrigen Vertreter der verbündeten Regierungen nicht nur, sondern auch der großen wirtschaftlichen Korporationen unzugänglich gewesen zu sein. Gan, selbstverständlich wäre in jedem der beiden Fälle der Einfluß der „reaktionären Parteien" riesengroß gewachsen, der der Nationalliberalen dagegen in demselben Maße gesunken. Kein Mensch hätte sich dann Wundern und kein Mensch es verhüten können, daß die Regierungen dem Zentrum und den Konservativen bis an die Grenze des Möglichen entgegen gekommen wären und mit ihrer Hülfe die Nationallibe ralen ebenso bekämpft hätten wie die Sozialdemokraten. Wenn nun, nachdem die nationalliberale Fraktion eine so riesengroße Dummheit nicht begangen, die Regierungen trotz etwaiger reaktionärer Neigung-n sich genötigt sehen, Rücksichten auf den gemäßigten Liberalismus zu nehmen und etwaigen Forderungen des Zentrums und der Konservativen gegenüber eine küble Reserve zu beobachten, so ist das auS» s ckließlich der nationalliberalenFraktion zu verdanken. Gerade auf liberaler Seile hätte man also Anlaß, der national liberalen Fraktion dankbar zu sein und ihr daS Zugeständnis zu machen, daß sie es gewesen ist, die der Besorgnis vor beaklionären Konzessionen der Regierungen den Boden ent zogen hat. Wer das Gegenteil behauptet, verwirkt das Recht, in politischen Dingen mit dem Anspruch auf Gehör das Wort zu ergreifen. Das französische Budget für 1S08. Ter Budgetausschntz der französischen Kammer hat, wie bereits gemeldet, seine Vorarbeiten beendigt und sich bis zum 8. Januar nächsten Jahres vertagt. Der Entwurf der Negierung hatte zur Herstellung des Gleichgewichtes die Ausgabe von 33 Millionen kurzfristiger Schatzvbliga- tivnen vvrgeschlagcn. Ueberdics fehlten dem Budget des Marineminislcrillms die notigen Kredite für die Fort setzung der Bauten der drei in Angriff genommenen Panzerschiffe und die Beibehaltung der vollen Effektiv bestände des Mittclmeergcschwaders, zusammen 13 Mil lionen. Des weiteren ergibt sich aus dem Umstande, daß das Budget frühestens am 1. Mürz in Kraft tritt, und daß somit die neuen Stenervvrschristen erst von diesem Datum an angewcndct werden können, ein Verlust von 11 Mil lionen, so daß der Bndgetentwurf mit einem Fehlbeträge von rund 57 Millionen abschloß. Diesen deckte der Budget ausschuß U durch Abstrich all den Krediten der einzelnen Ministerien in Gesamthöhc von 31 Millionen, 2) durch Herabsetzung der Zinscngarantic der Eisenbahnen um 4 Millionen, 3» durch Mehreinnahmen ans der Erbschafts steuer iu Höhe von lü Millionen, 4s durch Mehreinnahmen ans den Posten nnd Telegraphen in Hohe von 2 Millionen. 5> durch Mehreinnahmen bei der Herstellung der Nickel münzen in Hohe von 3 Millionen, und 6) aus dem Mehr- Feuilleton, Nhenania sei's panier! Roman aus dem Studentenlebcn von Arthur Zapp. Nachdruck Noch an demselben Nachmittag richtete Paul Berger den Auftrag der drei Damen ans. Der Verwnndete, der nur noch geringes Fieber hatte, griff mit freudiger Hand zu, als ihm der Kommilitone Else Wredcnkamps Strauß überreichte. Verstohlen führte er die duftenden Blumen an die Lippen. Dann schloß er seine Augen nnd tat, als ob er schliefe. In Wirklichkeit aber hing er seinen beglückenden Gedanken nach. Seine Phantasie malte ihm das bewunderte junge Mädchen in all seiner Schönheit und Anmut vor, nnd ein stolzes Jauchzen er hob sich in seiner Brust, während sich seine Finger mit zärtlichem Druck nm die Stiele des ihm gespendeten Straußes legten. Dieter liebenswürdige duftige Gruß be seligte ihn umso mehr, als er ihm ganz überraschend tam, nnd er segnete im Stillen sein Mißgeschick, das ihr stolzes Herz erweicht nnd ihr ein wärmeres Interesse für ihn ein geflößt zu haben schien. Freilich, auf der anderen Seite verwünschte er seine Vcrwnndnng, die ihn nun, ans wer weiß wie lange Zeit, an das Zimmer bannte und ihn hinderte, morgen auf dem Lawn Tennis-Platz ihr Partner zu sein. Eine leise Unruhe regte sich iu ihm bei dem Ge danken, daß der Baumeister morgen freies Spiel haben nnd ihr nach Herzenslust den Hof machen würde, während er an sein Schmerzenslager gefesselt war. Und zugleich mit dieser Besorgnis kam ihm die Erinnerung an die Abmachung, die er während der letzten offiziellen Kneipe mit Herrn Rusche getroffen hatte. In der weichen, ein wenig rührseligen Stimmung, in die ihn seine körper liche Schwäche und die ihm bewiesene Anteilnahme Fräulein Wredenkamps versetzt hatten, erschien ihm sein an der Kneiptafel gemachtes prahlerisches Anerbieten als höchst unziemlich, ja fast brutal, und heiße Beschämung durchglühte ihn. Wenn sie's erführe, was mußte sie von ihm denken! Der Gedanke quälte ihn so stark, daß er eine heftige Bewegung machte und ihm der Eisbeutel vom Kopfe rutschte. Sogleich sprang einer der anwesenden Korn« rnilttonen auf. „Pscht! Wirst du wohl still liegen, Gravenhorst! Was hast du denn ?" „Wasser!" stöhnte der Kranke. „Ich weiß nicht, mir ist so furchtbar heiß." Der andere reichte ihm die Limonade, die der Arzt ihm gestattet hatte, nnd legte ihm den Eisbeutel wieder auf die Wunde. Gravenhorst aber fühlte sich von einer brennenden Unruhe verzehrt. „Wenn ich nur erst wieder auf könnte!" grollte er. „Verwünscht, daß man hier liegen muß, während —" „Na, was denn?" fragte der Kommilitone, als die Worte des Kranken iu einem unverständlichen Gemurmel erstarben. „Hast du solche Sehnsucht nack dem Kolleg? Du hast doch wahrhaftig keine Eile damit!" Der Verwundete sah finster vor sich hin, obgleich der Kommilitone mit seinem Einwurf vollkommen recht hatte. Er — Gravenhorst — befand sich allerdings in der glück lichen Lage, sich seine fröhliche Studentenzeit nicht von der Furcht vor einem Examen verkümmern lassen zu brauchen. Eine sorgenlose Zukunft lag vor ihm. Er hatte von seinem verstorbenen Vater ein großes Rittergut ge erbt, das zur Zeit verpachtet war und dessen Bewirt schaftung er nach Schluß des Semesters selbst zn über nehmen gedachte. Nachdem er bereits mehrere Semester Landwirtschaft studiert hatte, horte er jetzt zum Abschluß seines Studiums nur noch ein paar Vorlesungen über Agrikttltnrchcmie nnd Nationalökonomie. „Also Ruhe und Geduld!" mahnte der Kommilitone. „Du hast ja nichts zn versäumen, alter Kerl." Gravenhorst machte eine grimmige Miene und wehrte mit einer ungeduldigen Handbcwcgung ab. In seiner Gcmütöstimmung berührte ihn die tröstende Zusprache des anderen wie blutiger Hohn. Wie konnte er sich in Geduld fassen, während er sich vergegenwärtigte, wie der Banmcistcr morgen um Else Wredenkamp hcrnm- schcrivenzeln würde! Und wenn der alte Herr der Frankonen sich gar entfallen ließ, sein — Gravenhorsts — Vorhaben zn verraten? Er biß die Zähne zusammen nnd bemühte sich, die in ihm gärende Unruhe und den in ihm bohrenden Unmut die ihn pflegenden Kommilitonen nicht merken zu lasten. Zugleich versuchte er sich durch allerlei tröstliche Erwägungen selbst zu beruhigen. Daß Rusche oder einer der anderen Kommilitonen, die zu gegen gewesen waren, plaudern würde, ließ sich doch gar nicht annehmen. Unbedingte Diskretion war doch ganz selbstverständlich Ehrensache für alle Beteiligten. Und was die Sache selbst betraf, war es wirklich nötig, bah er sich jetzt mit allerlei Skrupeln und Selbstvorwürfen herumschlug? Else Wredenkamp gefiel ihm, sie gefiel ihm sogar ganz ausnehmend, und wenn er nun den Wunsch nnd das Bestreben in sich fühlte, sie zu küssen, so war doch das etwas ganz Natürliches. Und wenn er dann, sobald ihm das gelungen war, in der Freude seines Herzens den Kommilitonen eine Tonne Bier spendierte, so würde anch das doch nichts so UngeheucrlichsS sein. Ueberhaupt, war von ihm als flottem Brnder Studio zn verlangen, daß er noch dazu in der Bierlanne jedes Wort auf die Gvldwagc legte? Sechstes Kapitel. Am zweiten Sonnabend nach der Mensur erschien zwar Kurt Gravenhorst auf dem Lawn Tennis Platz, aber am Spiel selbst durste er noch nicht teilnehmen, denn die Wunde, die ziemlich tief gegangen war, hatte sich noch nicht ganz geschlossen, und er trug unter dem kleinen runden Käppchen, das verwundete Studenten im Ge brauch zu nehme» pflegen, immer noch den Verband. Mit nngeheuchelter Herzlichkeit begrüßten ihn die drei jungen Damen und die anwesenden Kommilitonen; nur die Miene des Baumeisters erschien dem Rekonvales zenten etwas säuerlich und der Ton, in dem jener seinen Glückwunsch darbrachte, klang ihm gezwungen nnd hohl in die Ohren. Es war für Gravenhorst ein großer Genuß, dem Spiel der anderen zuzuschcn. Mit bewundernden Angen weidete er sich an dem Anblick der Anmut und Geschick lichkeit, die Else Wredenkamp wieder entwickelte. Trotz dem schlug sic heute häufiger vorbei als sonst, offenbar war sie heute nicht mit derselben Ruhe, mit derselben Hin gebung bei der Sache wie früher. Aber als Herr Rusche, der schon hier nnd da zornige Blicke nach dem Zusckxincr hatte hinüberschießcn lassen, sich einmal die Bemerkung gestattete: „Sie sind heute etwas zerstreut, gnädiges Fräulein. Auch mich irritiert es immer, wenn Un beteiligte zugegen sind", da entgegnete sie, ihre Brauen unmutig zusammenziehend: „Sic irren, Herr Rusche, mich stört das Zuschauen gar nicht. Man ist selbstverständ lich nicht immer gleichmäßig disponiert." Als nach Schluß des Spieles Kurt Gravenhorst an sie hrrantrat, um ihr bezüglich ihres trotzdem sieghaften Spieles ein paar Komplimente zn sagen, da wehrte sie ab: „Nein, nein. Herr Rusche hatte ganz recht, ich war wirk- lich zerstreut." Ein schneller Blick huschte zu seinem Scheitel empor. „Misten Sie, was mich so nachdenklich gestimmt hat, baß ich gar nicht recht bet der Sache war?- „Nein, gnädiges Fräulein", erwiderte er erstaunt. „Ihr ungewohntes Aussehen — die Kappe da — der Verband. Ich sagte mir, wie können erwachsene Menschen nur so leichtsinnig sein, ihre Gesundheit, ihr Leben zn gefährden wegen — ja, wegen was denn eigentlich? Meine Freundin Klara Hellwig, die mit den studentischen Bräuchen ja besser vertrant ist als ich, erklärte mir: Sie hätten pro pulriu gefochten — fürs Vaterland." „Jawohl, gnädiges Fräulein, fürs Vaterland, das heißt in unserem Falle für die Ehre unserer Verbindung. Für jeden Evnleurstudcnten bedeutet die Verbindung, der er angehört, Vaterland und Familie." „Aber ich begreife nicht", versetzte sie und sah ihn, über den Ernst seiner Worte verwundert, an, „ich be greife nicht, warum Sie sich Ihrer Verbindung zu Liebe gegenseitig mit scharfen Waffen bedrohen. Tas kommt mir gar nicht passend vor für junge Leute, die sich doch den Wissenschasten widmen. Ich finde, in dem ganzen studentischen Mcniurwesen drückt sich eine Rauflust aus, die etwas Rohes, Barbarisches an sich hat. Verzeihen Sie mir meine Offenheit, aber das ist nun einmal meine ehrliche Meinung." Ans den Rhcnanen wirkten diese offenherzigen Acußcrnngcn des jungen Mädchens nichts weniger als verletzend, im Gegenteil, er empfand es als eine Aus zeichnung, daß sic ihn einer ernsten, ehrlichen Aussprache würdigte. „Ich habe Ihnen gar nichts zu verzeihen, gnädiges Fräulein", sagte er, „im Gegenteil, ich danke Ihnen für Ihre Offenheit. Daß Sic die Sache mit anderen Augen ansehen als wir, die wir mitten darin stehen, begreife ich sehr wohl. Sie stehen außerhalb und sehen eben nur die Außenseite, die vielleicht etwas Lächerliches und Ver letzendes haben mag, aber den Geist und die (Besinnung, die uns beleben, sehen Sic nickt. Wir betrachten das Mensurwcsen nicht als rohe Spielerei, sondern wir wollen uns wehrhaft erhalten und uns auch körperlich elastisch machen. Wir streben, uns die besten Eigen schaften des Mannes: Mut, Geistesgegenwart, Disziplin und Selbstvertrauen anzueignen. . . ." Die anderen beiden Paare hatten sich bereits auf den Heimweg gemacht. Kurt Gravenhorst folgte jetzt mit Fräulein Wredenkamp. Den ganzen Weg über sprachen sie eifrig miteinander. „Lehen Sie, gnädiges Fräulein", sagte der Rhenane, während der Eifer und die Ueberzengung, die ihn Vs«