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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021027025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902102702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902102702
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-10
- Tag 1902-10-27
-
Monat
1902-10
-
Jahr
1902
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Der Sonnabend, an dem es manchen Parlamentarier in den Kreis seiner Fannlie zieht, ist ja immer der ungünstigste Tag, aber die Besorgnis liegt nahe, daß viele von denen, die am Ende der Woche den Verbandlungen den Rücken gekehrt haben, es zu Hause so schön finden, daß sie das WieLerkommen vergessen. Wäre am Sonnabend eine obstruktionSlustige Minorität aus den Gedanken verfallen, durch irgend einen auf die Leere des Hauses sich stützenden Antrag zur Geschäftsordnung und durch gleichzeitige Anzweifelung der Beschlußfähigkeit des Hauses einen Tag zu gewinnen, so wäre diejer „Gewinn" unausbleiblich gewesen. Aber waS nicht war, kann noch werden. Der Abg. Bebel, der Hauptredner der Sonnabend sitzung, der über 3 Stunden lang sprach, versicherte zwar bock und teuer, daß eS ihm und seinen Fraktionsgenossen fern liege, „gewaltsame Obstruktion" zu treiben, so lange die Rechte nicht versuchen werde, ihnen durch Scklußanträge oder auf andere Weise die Redefreiheit zu verschränken; er fügte aber auch hinzu, daß im Falle eines solchen Ver suches geschehen werde, waS man bis jetzt den „Genossen" mit Unrecht als Absicht unterlege. Da- heißt mit anderen Worten: wenn die Rechte sich nicht alles von den Sozial demokraten gefallen läßt, so hallen diese alles für erlaubt. Daß unter solchen Umständen die Aussichten auch unr auf die rechtzeitige Beendigung der zweiten Lesung sehr gering sind, ver steht sich von selbst. Und das ist um so mehr zu beklagen, je mehr es am Sonnabend den Anschein gewann, als ob wenigsten- ein Teil der Mehrheit nicht abgeneigt wäre, von seinen Beschlüssen bezüglich der Minimalzölle abzugehen. Der preußische Landwirtschaftsminister v. PodbielSki richtete nämlich am Schlüße einer Rede, in der er die langen Aus führungen des Abg. Bebel zu entkräften suckle, die Mahnung an alle vaterlandliebenden Kreise, den in der Frage des Zolltarifs hervorgetretenen Gegentatz nickt zn vertiefen, sondern nach Kräften auszugleichen. Die Vorlage der verbündeten Negierungen sei bestrebt gewesen.eine Grundlage der Ausgleichung der einander widerstreitenden Interessen zu schaffen. Die sozial demokratische Agitation werde scheitern, wenn alle, die eS mit dem wirtschaftlichen Gedeihen der Nation wohl meinen, sich mit dem Bewußtsein zusammelNcklleßen, daß ein Weg der Verständigung gesunden werden müsse. Der Abg. Gamp be stätigte darauf mit erfreulicher Entschiedenheit, daß wenigstens bei dem freikonservativen Teile der agrarischen Mehr heit die Notwendigkeit erkannt werde, mit den verbündeten Regierungen zu einer Verständigung zu gelangen. Er sprach dabei von einer zu findenden mittleren Linie zwischen Reichstag-Mehrheit und Regierungsvorlage, als jedoch von der Linken die nicht unberechtigte Frage erscholl: „Also 25 Pfennige?" fügte er hinzu, eS komme ihm und seinen Fieunden nicht auf die sachliche Differenz, sondern nur auf da- „Prinzip" an, daß nämlich der Reichstag als gleichberechtigter Faktor zu seinem Recht« komme. Ta nun gerade der Abg. Gamp recht Wohl weiß, daß der Reichstag in Fragen, die nicht gerade die Minimal zölle betreffen, auf Entgegenkommen der verbündeten Re gierungen rechnen darf und also zu „seinem Rechte" kommen werde, so kann seine Auslassung wohl dahin gedeutet worden, es würde ihm und seinen Freunden lieb sein, wenn sie die zweite Lesung nochmals von vorn anfangen und be züglich der Mmimalzölle für die Regierungsvorlage stimmen könnten. Das ist natürlich unmöglich. Und wenn die Sozial demokraten ihre Absicht durchführen, so ist nicht einmal abzu- sebcn, ob eS vor dem Schluffe der Session, der zugleich der Schluß der Legislaturperiode ist, noch zur dritten Lesung kommt. In Bayern zeigt sich in den klerikalen Kreisen seit dem Sturze des Kultusministers v. Landman» eine immer mehr wachsende Mißstimmung gegen den Hof. Zuerst wollte man den Prinz-Regenten dazu bringen, katholische oder vielmehr klerikale Elemente an die Spitze seiner Gehennkanzlci zu stellen. Die „ckinesischeMauer" sollte fallen, die den Regenten vom Volke abschließe. Klerikale Einflüsse sollten maßgebend werben. Tann kam der Abgeordnete Domkapitular Vr. Pichler, eine der tonangebenden Persönlichkeiten im Zentrumslager, und be klagte sich in einer Versammlung, daß der Regent und die Prinzen nicht unter daS Volk gingen. Wenn ter Regent aus Altersgründen das nicht mehr könne, sollten eS die Prinzen wenigstens tun. Bekanntlich tun sie da schon längst und der Regent ist überall zu sehen und überaus populär. Nun bat der Pfarrer und Landtags abgeordnete Hebel in einer an einem Wallfahrtsorte ab gehaltenen Versammlung bei Besprechung der Vorgänge bei der Feier des Germanischen Museums in Nürnberg nach den „AugSb. Neuesten Nachr." gesagt: „Wenn die bayerischen Prinzen preußische Lakaien sein wollen, gut; aber wir bleiben Bayern." Nun waren in Nürnberg auch der Regent und Prinz Ludwig. Sollte dieser letztere das Zentrum auch nicht mehr ganz befriedigen? Auch ihm gilt ja die Pichlersche Klage. Man sieht, wie webe die Land- mannaffäre dem Zentrum getan Hal und noch tut. Das zeigt auch ein neuester Zwischenfall. Der AuSichuß des zur Zeil in München tagenden deutschen Veterinärrates hat dem Minister des Innern Frh. v. Feilitzsch eine Adresse gewidmet und ihm insbesondere für die Einführung des obligatorischen Abiturientenexaniens als Vorbedingung für daS Studium der Tiermedizin gedankt. Daß Herr v. Feilitzsch diesen Dank angenommen hat, setzt das leitende Zenlrumsorgan in München in argen Zorn. Mit fetter Schrift betont e-, baß Herrn v. Landman« und dem Zentrum dieser Dank gebühre. „Wie nennt man das", sagt da? Blatt, „wenn man sich sür ein Verdienst huldigen laßt, <as man nicht erworben?" Da tritt eine besondere Animosität gegen den Minister deS Innern hervor. Der Stachel zeigte sich auch wiederholt in den letzten 14 Tagen. Sollte es Herr v. Landman» sein, der diesen Feldzug gegen den Hof und die ibm nahestehenden mchtklerikalen Kreise veranlaßt, so würde er wohl nur daS Gegenteil von dem erreichen, was er zu erreichen wünscht. Und führt die ZenlrumSpressc diesen Feld zug auf eigne Faust, so dürfte sie am Ende inne werden, daß auch ein streng katholischer Hof am Ende ultramontane Treibereien und Hcrrschastsgelüste energisch zurückzuweisen sich gezwungen sehen lann. Gegenwärtig, wo die Sprachensrage in Böhmen nnd Mähren in Eisleithanien wieder in den Vordergrunv des politischen Interesses getreten ist, haben die Ziffermäßigen Angaben über die Bevölkerungsbewegung in den genannten Kronländern ein erhöhtes Interesse. In dem soeben er schienenen Heft der „Deutschen Arbeit" erörtert Professor Heinrich Rauchberg Vas ZahlenverbältniS der Deutschen und Tschechen in Böhmen und Mähren. Danach waren unter 100 Staatsangehörigen in Böhmen im Jahre deutsch tschechisch 1880 37,17 62,79 1890 37,20 62,79 1900 37.27 62,67 Teilt man Böhmen in vier Gebiete: deutsch, über wiegend deutsche, überwiegend tschechisch und tschechische, so ergibt sich, daß die Bevölkerung der deutschen Ge biete erheblich rascher gewachsen ist als die der tschechischen. 1880 wohnten von je 100 Menschen 33,4, 1900 bereits 31.6 auf deutschem Gebiete. Diese Steigerung aus deutschem Boden ist eingetreten, obwohl die tschechischen Landectbeile von der Natur begünstigter sind. Der industrielle Ausschwung, der im neunzehnten Jahrhundert für die Volks- zunabme entscheidend ist, Hal sich zumeist im deutschen Sprach gebiete vollzogen. Auch die N a ch w u ch S o e r b ä l t » i s s e haben sich zu Gunsten der Deutschen geändert. Früher halten die tschechischen Bezirke einen größeren Geburtenüberschuß, heute ist berielbe in deutschen und tschechisch:» Bezirken gleich, von den gemischten stehen sogar die überwiegend deullchen günstiger. Die künftige Entwicklung der Deulschböbmen hält also von der Fortdauer der industriellen Entfaltung ab. In dem Rauckberg dies hervvrhebl, bemerkt er zutreffend: „Keine dringendere nationale Aufgabe gibt es daher, als die weitere wirtschaftliche und soziale Hebung des deutschen VolksstammeS, kein törichteres und auf die Tauer vergeblicheres Beginnen, als den Vorteil des eigenen Volkstums in der Schädigung deS anderen zu suchen." In Ungarn ist seit einigen Tagen eine lebhafte Bewegung gegen die neue Wrhrvorlage in Gang gekommen, die die Heranziehung der Ersatzrejerve bis zu 20 000 Mann für den aktiven Heeresdienst vorsiebt. Nachdem die Pester Stadtvertretung in einer Eingabe an das Parlament die Verwerfung deö „schädlichen und überslüssiaen" Ge setzes gefordert, haben sich die Studenten der Sache be mächtigt und bereits mehrere Versammlungen mit darauf folgenden Kundgebungen gegen die Vorlage veranstaltet, um gegen die Erhöhung deS RekrutenkontingentS zu protestieren. Uns mutet eS, schreiben die „Bert. Neuesten Nachr." sehr zu treffend, schon sonderbar an, daß gerade die waffenfähige Jugend sich in dieser Weise hervortut, aber noch auffälliger ist es, daß eine solche Bewegung in einem Lande derart bervortritt, dessen herrschender Berölterung ein besonders ausgeprägtes Bewußt sein von der europäischen Machtstellung ihres Staates eigen ist. Und doch lebrt jede- Blatt der Geschichte, baß der Anspruch auf Geltung eines Volkes nur dann und nur soweit Aussicht auf Erfüllung hat, wenn hinter ibm die entsprechende Macht steht. Sieht man sich die Beweisgründe, d:e wider die For derung der österreichiicken und ungarischen Heeresverwaltung insGefecht geführt werben,näher an, so findet man im wesentlichen nur den bei jeder Opposition gegen Heeresvorlageu erhobenen Einwand, daß die Forderung nickt genügend begründet sei. Der tatsächliche Sackverbalt ist folgender: Die von den Dele gationen verlangten und ihrerseits bewilligten neuen Haubitzen- Batterien sowie die Einsührung neuer SchlffStypcn in der Marine erheischen, wie von der Negierung gleich damals erklärt wurde, eine Verstärkung des Personals. Diese Er höhung der Präsenzziffer sollte bei der Artillerie 5120 Mann, bei ter Marine 750 Mann, also rund 6000 Mann betragen. Zugleich mit dieser Forderung stellte die Heeresverwaltung nun den Antrag, die Friedenspräsenz, die sich gegenwärtig auf 103 000 Mann für die Linie und 10 000 Mann für die Landwehr beläuft, um jene 6000 plus 14 000 Mann zu er höben und der Heeresverwaltung für zwei Jahre die Er mächtigung zur Heranziehung von 20 000 Mann der Ersatz reserve zu ertheilen. Von den erwähnten 14 000 Mann sollten 3000 zur AuSsüllung der durch Beurlaubungen entstehenden Lücken verwendet werden, während 11 000 Mann zur Ver stärkung der FriedenSpräsenz dienen sollten. Dies ist der Tatbestand. Die in Ungarn einzeleitete Bewegung licktet sich nun gegen die schon in den Delegationen angekündigte Erhöhung des Mannschaftsbestandes um etwa 6000 Mann übersteigende Mehrforderung von 14 000 Mann. Nach neueren Meldungen beabsichtigt die Heeresverwaltung, den Konflikt nicht auf die Spitze ru treiben, sondern uuter dem Vorbehalt, aus ihre Forderung zurückzukommen, sür das nächste Etatsjahr sich mit den mehrfach erwähnten 6000 Mann für Artillerie und Marine, sowie mit 3000 Mann als Ersatz für die Urlauber zu begnügen. Auf der Grundlage dieses Kompromisse- hofft man eine Verständigung zu erzielcu. Der „Central NrwS" wird au- Madrid gemeldet: Eine Depesche aus Tanger gibt jetzt Einzelheiten über die Er- morvunn des britischen Missionars (Looper in Marokto und bas Schicksal des Mörders. Der Vorfall er eignete sich in Fez, während der Sultan in der Stadt war. Cooper ging ruhig durch die Hauptstraße, als ein Fanatiker auf ibn zustürzte und ihn totstach. Dann flüchtete der Mörder sofort in bas Heiligtum von Muley DriS, eines der ersten Heilig tümer in Marokko. Als der Sultan von dem Morde erfuhr, geriet er in einen furchtbaren Wutanfall und erließ Befehle, daß der Mörder sofort auS dem Heiligtum« herausgezerrt und vor ihn gebracht würde. Die Offiziere deS Sultans waren entsetzt und fürchteten einen Bolksaufstand, wenn der Befebl des Sultans, daS Asyl deS allverehrten Heiligtums zu verletzen, selbst unter der größten Provozierung zur Aus führung käme. Der Sultan bestand aber auf der Aus führung seines Befehles uud er wurde auch auSgesührt. Der Mörder wurde von einer großen Truppenabteilung durch die Hauptstraßen der Stadt geführt und fast bei jedem Schritte gepeitscht. Dann wurde er vor der großen Moschee enthauptet. Der Sultan zeigte einen so be merkenswerten Mut und Energie nicht nur aus Furcht vor dem möglichen Eingreifen der englischen Regierung, sondern auch weil er wußte, daß, wenn er Schwäche oder Wankelmut zeigte, fick dann die Volksmenge erhoben und alle Europäer in Fez ermordet baben würde. Ein Komplott solcher Art war tatsäch lich entdeckt worden. Die „Times" bemerken hierzu, daß diese Nachricht und ein Brief, der in Belfast eingelausen sei, erkennen ließen, daß eine anti-europäische Stim mung in Marokko zum AuSbruch reif sei. Der Brief bemerkt nämlich, daß des Sultans Neigung für europäische Dinge großen Anstoß errege. Zwei Ingenieure, die den Weg von Fez nach Mekinez für den Motorwagen des Sultans auSbessern sollten, wurden vom Volke beinahe gesteinigt. Selbst die gebildeteren Leute in Fez erklärten, wenn der Vater und der Großvater deS Sultans zufrieden gewesen wären, reiten zu können, brauche er auch nichts weiter. Es herrsche allgemein der Argwohn, daß die Christen sich in das Land drängen würden, um sich dieses anzueignen. Es wird jetzt vielfach eine alte Prophezeiung zitiert, die den Wortlaut hat: „Die Pferde der Christen werden einst das Kari-oween als Stall benutzen." Das Kari-oween ist die Universität von Fez. — Neber die Hinrichtung de- Mörders meldet der „Times"- Correspondent aus Fez unter dem 18.: „DaS prompte Ver fahren deS Sultans, der die Hinrichtung des Fanatiker- an ordnete, der gestern Or. Cooper ermordete, wird von der Be völkerung sckarf kritisiert. Man mißbilligt die Nichtachtung der heiligen Zufluchtsstätte und auch, daß der Hingerichtete für den Mord eines Christen mit dem Tove büßen mußte. Trotzdem wird die Maßregel ibren guten Eindruck auf die Einwohner, die meistens Feiglinge sind, nicht verfehlen. Die Vezire, ein Vertreter des englischen Konsuls und ich selbst waren bei der eine Stunde nach dem Morde vollzogenen Hinrichtung zugegen." Feuilleton. Compania Elyador. 23j Roma» von WolLcmar Urban. viaLrruck veriicter. Der Kutscher blieb zum großen Bebauern des neu gierigen Herrn Voggcnhuber stumm. Aber dieser war nicht der Mann, der sich durch solche Kleinigkeiten ab- schrecien ließ. „Wie stcht's denn eigentlich mit seiner Gesundheit?" fuhr er fort. „Ich hörte, die Aerzte wollten ihn nach Cannes, an die Riviera schicken. He? Das geschieht doch wohl auch nur, weil man kein anderes Auskunftsmittel weist, nm die Begegnung von Vater und Sohn zu ver hindern. Wie?" Ter Kutscher saß in stummer Würde auf seinem Bock und sagte nichts. „Er hat'S denn doch auch zu bunt getrieben", fuhr Herr Vl'ggenHuber noch immer in der Hoffnung, den Kutscher zum Sprechen zu bringen, fort. Läuft da mir nichts dir nichts zum Hause hinaus, macht Schulden, duelliert sich — das sollte einmal einer von meinen Jungen probieren! Ich glaube, ich schüttelte ihm die Knochen zum Leibe heraus. Sechzehntauscnd Mark in so kurzer Zeit! Das ist doch kein Spaß." „Herr Voggenhubcr", bemerkte der Kutscher in einem drohenden Tone, „ich würde Ihnen Vorschlägen, nicht Sachen zn behaupten, die Sie nicht beweisen können." „Was denn, Herr Berger? Ich weiß doch ganz genau, daß Herr Habicht junior sechzehntauscnd Mark durch die Vermittlung von Simon Söhne ausgenommen hat. Ich iveitz auch, wer der eigentliche Geldgeber, -er hinter der Firma steht, ist und wie hoch sich die Zinsen belaufen. ES ist eine ganz gehörige Krawatte, die sich da Herr Habicht junior um den Hals geschlungen hat, und ich will ihm ernstlich wünschen, daß sic ihm nicht mit der Zeit zu eng wird. Man kennt das. Ich habe damit weiter nichts lagen wollen, als daß der alte Habicht fehr recht hat, wenn er von seinem Sohne nichts wissen will. Ich machte cs genau so." „Und ich sage Ihnen, Herr Voggcnhuber", fuhr der Kutscher drohend fort, „daß weder Simon Söhne, noch irgend ein anderer irgendwelche Forderung an meine Herrschaft ober an den jungen Herrn Habicht hat. Wer etwas anderes behauptet, macht sich einer verleumderischen Beleidigung schuldig. Sie wissen, was daS unter den ob waltenden Umstanden zu sagen hat!" Herr Vvggenhnbcr lenkte vorsichtig ein. „Herr Berger, Sic kennen mich doch!" fuhr er mit einer gutmütigen Geschwätzigkeit und Aufrichtigkeit fort. Bin ich jemand, der andere Leute verlemndet oder ab sichtlich beleidigt? Eher beiße ich mir die Zunge ab. Ich gehöre nicht zu denen, die sich ins Fäustchen lachen, wenn cs anderen schlecht geht. Aber was wahr ist, ist doch wahr! Der Buchhalter von Simon Sühne, der ein entfernter Verwandter von einer Pate meines ältesten Lohnes ist, lat mir die Geschichte bis ins einzelnste erzählt. Die Schuld besteht, oder, um ganz korrekt zu sein, hat be standen, denn cs könnte ja sein " Hier unterbrach sich Herr Voggcnhuber selbst, pfiff leise vor sich hin und machte ein besonders schlaues Gesicht, als ob er den Stein der Weisen entdeckt habe. „Ach, so meinen Sie das, Herr Berger", schwatzte er dann weiter. „Ja, daS muß dem Menschen nur gesagt werden. Also die Geschichte ist beglichen? Bezahlt? Wie? AuS der Welt geschafft? Ich konnte mir'S denken. Alter Echafskopf, der ich bin! So was nicht gleich zu begreifen. Frau Gertrud hat natürlich einmal etwas tief in die Wirtschaftskaffe gegriffen — oder wie? Der Alte selbst? Natürlich. Und er bat recht. Es ist doch ein ver- dammtes Ding, wenn man ruhig zusehen soll, wie sich so etwas immer enger am Halse zuzieht, noch dazu, wenn es der eigene Sohn ist und man die Anwartschaft hat, schließ lich doch bezahlen zu müssen! Hätte ich auch so gemacht. WaS hilft denn das alles. Er ist doch sein Einziger. Nicht, Herr Berger? Wie?" „Ich weiß wirklich von nichts, Herr Voggenhubcr", be hauptete der Kutscher nochmals. In diesem Augenblick bemerkte der alte Boggenhuber, wie der Rechtsanwalt Habicht; I mit Frau und Tochter und dem Hauptmann von Wehlen in der Tür des Hauses erschien und durch den Garten nach dem Wagen schritt. Ob er nun Grund hatte, sich von den Herrschaften nicht im Zwiegespräch mit dem Kutscher überraschen zu lassen, oder ob er endlich doch begriff, daß aus Herrn Berger nicht mehr hcransznholen war, oder er schließlich einen anderen Grund hatte, sich schlcnnigst zn verziehen, daS war nicht recht klar. Tatsächlich zog er sich, flüchtig grüßend, eilig zurück und ging quer über den Platz nach der Pferdebahn zu. Dabei lachte er in seiner Art über das ganze Gesicht weg, blies in die Hände und murmelte für sich: „Tas ist ja ein unbezahlbarer Spaß! Wenn das so ist, wie ich denke, daß der Sohn das Geld seines eigenen Vaters gepumpt und vertrödelt hat Ah! Ich muß mit Bvfcl reden. Bofel muß das -och wissen." Bvfcl war nämlich der Buchhalter bei Simon Söhne, der Verwandte des Paten, der bei seinem ältesten Sohne — vor fast vierzig Jahren — Gevatter gestanden. Bofel hatte, als ihm der alte Voggenhubcr die Geschichte von den sechzehntauscnd Mark abgefragt, flüchtig hingcworfen: „Es bleibt in der Familie!" Daraus besann sich jetzt der alte Voggenhubcr wieder, und er legte sich das jetzt so zurecht, als ob Bofel damit habe sagen wollen, daß daS Geld, welches man dem jungen Herrn Habicht gegen acht Prozent Zinsen vorgcstrcckt, ursprünglich von dessen Vater stamme. Solche Geschäfte werden, wie Herr Voggen- huber, der das Gras wachsen hörte, wohl wußte, häufig gemacht. Tie Posten gingen natürlich durch drei, vier oder noch mehr Hände, wobei in jeder Hano ein Pro- zentchen oder mehr hängen blieb — für das Risiko, das angeblich dabei zu übernehmen war. Tatsächlich benntzten die Geldgeber die Zwischenhände, um die Geschäfte zu verschleiern und das Anrüchige des Wuchers, das ihnen anhängt, von sich abzuwenden. Daß Habicht I solche Ge schäfte mache oder doch früher gemacht habe, war für den alten Boggenhuber so gut wie sicher, und wenn der Fall auch etwas verwickelt und geheimnisvoll lag, so war er doch nicht der Mann, der sich in seinem Wissensdurst da- durch abjchrecken ließ. „Das wollen wir schon rauskricgcn!" murmelte Herr Voggcnhuber, als er in die Pferdebahn stieg, um seinem alten Freund Bofel einen Weihnachtsbesuch abzustattcu. Inzwischen begleitete der alte Herr Habicht seine Fran und seine Tochter durch den Garten nach dem Wagen. Er war ohne Hut und im einfachen Rock, schien aber vor eigentümlicher Aufregung und Geschäftigkeit leine Kälte zu empfinden. „Diese Geheimniskrämerei ist denn doch zu toll", sagte er in einer ungeduldigen, neugierigen Spannung zu seiner Frau. „Du wirtschaftest im ganzen Hause herum, rückst die Mtbel hin und her, fährst aus, kommst wieder und jährst wieder ßort. Und wenn ich dann frage, was das alles zu bedeuten hat, so antwortest du: ich weiß es nicht! Man stürzt doch nicht das ganze Haus um, wenn man nicht weist, weshalb?" „Tu wirst dich erkälten, Papa", warf seine Tochter da zwischen. „Kümmere du dich um dich und um Herrn von Wehlen", antwortete er flüchtig. „Mein Gott, du bist so ungeduldig, wie ein kleines Kiud vor Weihnachten", erwiderte Frau Gertrud, „denke doch auch, eS handle sich um eine Wcihnachtsüberraschung, und gedulde dich, bis alles so weit ist." „Ich bin doch kein Kind. Ich will diesen Hokuspokus nicht " „Aber mein Gott, Lorenz " „Sage wir eins, GertNid", fuhr der Rechtsanwalt etwas leiser, aber eindringlicher und bestimmter fort, „kommt Lorenz zurück oder kommt er nickt?" „Ich weiß es nicht, wirklich nickt! Meinst du, ich würde cs dir nicht sagen, wenn ich es wüßte?" „Du mußt es wissen. Du bist ja mehr bei ihm, als bei mir!" „Das geht doch nicht anders. Aber ob er hierher kommt, weiß ich trotzdem nicht. Er spricht nickt davon, und ich will nicht in ihn drängen. Du mußt nicht vergessen, daß er noch immer sehr krank ist und daß er nur auf ein paar gute Tage wartet, um nach Cannes übcrznsicdeln. Doktor Henscher würde ihn lieber heute als morgen svrtschicken und sagt, daß sich seine Heilung in unserem Klima ewig hinausziehen könne."
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