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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.07.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-07-31
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000731022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900073102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900073102
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-07
- Tag 1900-07-31
-
Monat
1900-07
-
Jahr
1900
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Die Morgen-Ausgabe erscheint vm '/,? Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentags um ü Uhr. Filialen: Alfred vah» vorm. v. Klemm'» T-rti». UniversitütSstrobe 8 (Paulinum* Leut» Lösche, KMtzockmM. »H, v«rl. und SönigSplatz A ve-action und Lrpeditto«: LehanniSgafle 8. Di« Expedition ist Wochentag« ununterbrochen grössnet von srüh 8 bi« Abend« 7 Uhr. VeznftS-PreiS der Hauptexpedition oder den im Ekabt- Jezirt und den Vororten errichteten AuS« «lbestellen ab geholt: viertrljührlich^is.üO, »in zweimaliger täglicher Zustellung inS Hau- X 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Krcuzbandlendung in« Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. Mpziger TagMaü Anzeiger. Amtsvkatt des Äönlgtichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Notizei-Amtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reelam«n unter dem RedactionSstrich t«-» spalten) öO/>z, vor den Fainiliennachnchtra (6 gespalten) 40 Gr oster« Schriften laut unserem Preis« verzrichniß. Tabellarischer und Ltfstrnsatz nach höherem Laris. Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ^l 60.—, mit Postbesürderung ^l 70.—. Annahmrschluß für Auzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag» »Uhr. Bel den Filialen und Annabmestelle» je ei» halbe Stunde früher. Auzetae« sind stets au di« Expehitio» »n richte«. Drnck u»d Verlag Po» E. Polz in L«i»ji» 385. Dienstag den 31. Juli 1900« 8t. Jahrgang. Herzog Alfred von Sachsen-Coburg und Gothas. In diese Zeit der allgemeinen tiefgehenden politischen Erregung ist ein neue« Ereigniß von Bedeutung gefallen, und abermals eins von trauriger Bedeutung; die osstciöse Telegraphenagentur meldet: Coburg, 31. Juli. Der Herzog Alfred von Tnchscn-Cobnrg und Äotha ist gestern Abend 10 Uhr ans Schloß Rosenau an Herzlithmung gestorben. Wir lassen der Trauerbotschaft hier zunächst einige bio graphische Notizen folgen: Alfred Ernst Albert, Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha, kvnigl. Prinz von Großbritannien und Irland, der zweite Sohn der Königin Victoria, wurde geboren am 6. August 1844 zu Schloß Windsor. Er vermählte sich in Petersburg am 23. Januar 1874 mit der Großfürstin Maria von Rußland und folgte seinem Oheim, Herzog Ernst II., am 22. August 1893 in der Regierung. Daß die Gesundheit des Herzogs schon längere Zeit zu wünschen übrig ließ, war bekannt; noch in den letzten Tagen wurden Nachrichten über ein Unwohlsein des Herzogs ver breitet, ohne jedoch in der Oeffentlichkeit ernsthafte Bedenken zu erregen, so daß die Todesnachricht immerhin völlig über raschend kommt. Daß der Herzog auö England es in besonders höheren Maße verstanden haben sollte, m der siebenjährigen Regierung seine ausländische Abstammung vergessen zu macken, ob er solches überhaupt anstrcbte, stehe dahin. Im gegen wärtigen Momente wird schon sein herbes Familiengcsckick, das ihn den im Februar des vorigen Jahres erfolgten Tod des einzigen Kindes, deö Erbprinzen Alfred, betrauern lassen mußte, die Gemülher seiner Landcskinder wehmütbig bewegen. Irgend welche Unsicherheit über die Thronfolge wird dem Lande erspart bleiben, nachdem im vergangenen Jahre der Tod des Erbprinzen die völlige Regelung dieser damals offenen Frage veranlaßt bat. Leopold Karl Eduard Georg Albert, Herzog von Albany, der jetzt 16jährige Bruder sohn des tobten Herzogs, wird sein Nachfolger sein, nachdem der Herzog und der Prinz von Eonnaught, die nächsten zur Thronfolge bestimmten Agnaten, zu Gunsten Karl Evuard'S auf die Thronfolge verzichtet haben. Die ganze Frage kam zum Abschluß durch rin vom Landtage am 3. Juli 1899 angenommenes Gesetz, welches die Reihenfolge der zur Thronfolge Berechtigten festlegt. Bis zur Großjährigkeit des jetzigen Herzogs Karl Eduard muß nun auch in diesem deutschen Bundesstaate wie schon in vier anderen, nämlich Bayern, Braunschweig, Mecklenburg, Lippe-Detmold, eine Regent schaft eingesetzt werden. Doch auch diese ist bereits gesetzlich festgelegt, indem bestimmt wurde, daß der jetzige Vorniuud des Herzogs von Albany, der etwa 30jährige Erbprinz von Hohenlohe-Langenburg, ein Sohn des Statt halters von Elsaß-Lothringen und Schwiegersohn des ver storbenen Herzog« Alfred, die Regierungsverwesung zu übernehmen habe, falls der Herzog von Albany vor seiner Großjährigkeit das Thronerbe anzutreten haben svllie. Dieser Fall ist jetzt eingetreten, und der Erbprinz von Hohen lohe-Langenburg wird bis zum 19. Juli 1902, dem 18. Ge burtstage de« Herzogs Karl Eduard Coburg-Gotha regieren. Zu seiner Charakterisirung möge dienen, was von ihm in der Begründung der dem Landtage im vorigen Jahre vor gelegten RegentschastSgesetzentwurf gesagt wurde; es hieß da: „Als Vormund ist «in deutscher Prinz, der Gemahl einer in den Herzogthümern geborenen und erzogenen Tochter des regierenden Herzogs gewählt worden, der mit den Verhältnisse» des Landes auf das Eingehendste vertraut und Lurch seine persönlichen Eigenschaften zur Führung der Negierungsgeschäste besonders ge- eignet ist; treffen alle wünschenswerthen Eigenschaften in seiner Person zusammen, so ist derselbe auch noch nach seiner Consejsion befähigt, den Anforderungen des 8 20 des Staatsgrundgesetzes zu entsprechen." König Humbert's Ermordung. —p. Das Hauptinteresse nach der blutigen Katastrophe, welche dem italienischen Volke sein edles, mit so viel Negenlen- und Menschentugenden gekröntes Haupt jählings raubte, lenkt sich naturgemäß auf die Person des Mörders. Wie aus'Monza berichtet wird, ist Bressi ein junger, großer, kräftiger Mensch mit dunkelbraunem Haar. An scheinend war er vier Tage in Prato und kurze Zeit in Bologna, von wo er nach Monza ging. Er kam von Paterson in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo Malatesta und Biancavilla einige anarchistische Zei tungen Herausgaben. Weiter wird gemeldet: * Paterson (New Jersey), SO. Juli. Die Rach forschungen, die die Polizei bei den hiesigen Italienern angeftcUt hat, ergaben, Satz ein Seidenweber Namens Angelo Bressi, 37 Jahre alt, bis zum 7. Mai in einer hiesigen Leidenfabrik gearbeitet hat nnd Sann nach Italien abgereist ist. Leit seiner Abreise hat man keine Nachrichten von ihm. Er hielt sich hier ungefähr sechs Monate auf. Seine Bekannten sage», er sei in mcr ruhig und harmlos gewesen. Es hritzt, Satz seine Krau und sein Sind sich in Hobokcn bei New Port ausgrhalteu haben, doch Weitz man nicht, wo sie jetzt sind. Noch nicht ganz aufgeklärt, aber wahrscheinlich bejahend zu beantworten, ist die Frage, ob ein Komplott vorhanden und ob noch andere an der Thal betheiligt waren. Unter einer öffentlichen Tribüne auf dem Platz des Wett- lurnens sand man einen zweiten Revolver, was auf Complicen hinzudeuten scheint. Auch die Polizei hegt nach dieser Richtung hin Verdacht, da sie in Monza noch fünf Verhaftungen vornahm. Von wesentlichem Belang ist die nachstehende unser im heutigen Morgenblatt abgedruckte Grazer Privattelegramm ergänzende Meldung: * Paris, 30. Juli. Ter „TcmpS" tüeilt mit, die italienische Regierung sei am 20. Anni von den öster reichischen Behörden in Senntnitz gesetzt worden, datz eine geheime Gcs ellschOft Sen Tod des Königs von Italien beschlossen habe. Tie österreichische Polizei hätte an jenem Tage in Pontasel ein Individuum verhaftet, welches erklärte, er fei von einer Anarchistcngrnppc, der er angehöre, auserwähli worden, den ltönig Humbert zu ermorden. Bier andere Sonvcränc seien von den Anarchisten eben falls znm Tode vcrnrtheilt worücn. Tao betreffende Individuum habe hinzngefiigt, seincBerhaftung vcrhinSere nicht dir Ausführung des llrtheilssprnchs, denn ein anderer Anarchist sei dazu bezeichnet worden, ihn rn ersetzen. Sobald nun der italienische Minister des Innern die Trpcschc der österreichischen Regier««» empfangen habe, sei von ihm der Sicherheitsdienst sür de» König Humbert verstärkt nnd diese Maßregeln seien von dessen Nachfolger Saraeeo aufrecht erhalten worden. Ter König habe aber bemerkt, datz er stärker überwacht werde, und verlangt, datz bezüglich seiner Bewachung Alles beim Alten bleiben sollte. Der „Tribuna" zufolge glaubt man an das Vorhandensein einer Verschwörung, da ein Anarchist, der nicht der Partei der Tbat angcbört, erklärt hat, vor einiger Zeit habe eine anarchistische Versammlung in Paris stattgefunden, in der auSgeloost worden sei, wer den König Humbert er morden sollte. Aus Berlin, 30. Juli, wird unS geschrieben: Es ist ein höchst eigeiilbümliches Zusammentreffen, daß das hiesige Aliarchisten-Organ in seiner letzte» Nummer folgende sehr bemerkenswerlhe Notiz enthält: „Unsere tapferen, allezeit regen italienischen Genossen in der Schweiz sind wieder an- die Herausgabe eines neuen Blattes „Jl Ri 8 veglio " geschritten. Indem wir Ihnen von Herzen Glück wünschen ..." und genau vor zwei Jahren wurde die Herausgabe eines anderen anarchistischen Blattes in der Schweiz angekündigt. „Agitator«", das war das Blatt, welches der Verbrecher Luccheni mit Vorliebe las und das, in Neuenburg erscheinend, die Propaganda der Thal in ungeschminktesten Worten predigte und eine Sprache führte, daß der bekannte Socialistenführer Robert Seidel, Redakteur des socialdemokratischen Organs „Volksrecht" in Zürich die Vermuthung aussprach, man habe es mit einem italienischen Lockspitzelblatt in der Schweiz zu thun. Und das Berliner Anarckistenorgan meint jetzt: „Wir wollen doch sehen, ob diesmal die Socialdemokraten davon absehen werden, „Jl Risvcglio" in derselben erbärmlichen Weise zu beschimpfen und zu verdächtigen, wie seiner Zeit die „Agi tator!". — Es ist bekannt, daß massenhaft italienische Anarchisten ihren Wohnsitz nach der Schweiz verlegt haben, und es steht ferner fest, daß gerade die Provinz Mailand, in welcher Monza liegt, am meisten vom Anar chismus durchwühlt ist. Man muß sich doch immer daran erinnern, daß diese italienische Provinz der Hauptherd der anarchistischen Unruhen im Mai 1898 gewesen ist; bei einer Massenverhaftung von Anarchisten am 12. August 1877 wurden Bomben gefunden, Briefe beschlagnahmt, aus denen hervorging, daß die Verhafteten die engsten Beziehungen mit den Mordbuben Caserio und Acciarito gepflogen hatten. Leider wurde diesen Ver haftungen damals nicht genug Bedeutung bei gelegt, erst die Mailänder Revolte zeigte den Umfang der anarchistischen Bewegung. Man hat nicht genügend die Thatsache gewürdigt, daß am 20. März 1898, dem KO. Jahres tag der Mailänder Revolution, an einem Festzug sich neben 5000 Republikanern, 12 000 Socialisten, auch 3000 Anarchisten betheiligte». Die Unruhen Mitte Februar 1898 in Cicilien sahen die Anarchisten in Mailand in ungeahnter, rühriger Thätigkeit. Der Streik der Eiseubahnbedicnsteten, welcher gleichzeitig mit der Revolution auSbrach, öffnete dann Allen die Augen. Die Anarchisten der ganzen Welt sandten Sym pathiekundgebungen nach Mailand; der damals noch er scheinende „Arme Conrad" in Berlin rief triumphirend aus: „Das italieniscke Volk kämpft mit dem Muthe der Verzweifelung. Steine und Stöcke sind seine einzige Waffe. Ihm gegenüber steht die wohlbewaffnete, pom sauer erworbenen Gelbe des Volkes ausgerüstete Soldateska. Unsere Genossen sind nicht unlhälig geblieben. Große Dinge scheinen sich für nicht allzu ferne Zeit in Italien anzukündige», der freie Socialismus sorge dafür, daß sie große Menschen finde." In London hat 1897 und zwar am 28. Juli eine Conferenz der Anarchisten aller Länder stattgefunden, in welcher unter dem lebhaftesten Beifall gerade der italienischen Anarchisten die Beseitigung aller Throne als das wünschens wertbeste Ziel bezeichnet wurde. Das Socialistenblatt „Avanti" hat angesichts der Chinapolitik der italienischen Regierung eine Sprach: geführt, die wenig oder gar nicht der der anarckistiscken Blätter »achstand. „Der Naturalismus der Boxer", so schrieb „Avanti", ist um kein Haar breit barbarischer als der unserer Chauvinisten". Angesichts der Tbatsache,daß bei einem jetzt erfolgten Streik der Erntearbeitrr in Apulien die Regierung den Grundbesitzern Soldaten zur Verfügung gestellt hatte, sind die allerwüthendsteu Angriffe gegen die Machthaber von der socialistischen Preffe gerichtet worden. Die italienischen socialistischen Abgeordneten wollten deshalb in der Kammer eine Interpellation einbrinzen. Wie in Deutschland, so ist auch in Italien von de« Anarchisten der 11. November der Tag der Hinrichtung der vier Anarchisten (SpieS, Parson«, Engel, Fischer in Chicago) festlich begangen worden; also Alles getban, um den anarchistischen Rachegedanken wachzurufen; der ge plante anarchistische Weltkongreß in Paris, sür Len namentlich die Italiener Feuer und Flamme gewesen sein sollen, hat die anarchistische Bewegung (Mailand, Monza) stark anschwellen lassen. Ter italienische anarchistische Ge- FeriMstsn«. Graf Egon's neue Nachbarin. Novelle von G. von Stokmans (Germanis). ÄlaLtruN vkvdolen. Wenn die Unterhaltung zu lebhaft wurde, nahm sie schnell ein Buch und las ihm vor, oder sie reichte ihm sein Skizzenbuch und sagte energisch: „So, nun zeichnen Sie, Gras, und ich schreibe indessen hier einen Brief. Dabei beruhigen sich Ihre Nerven wieder." Bei einer solchen Gelegenheit fiel einmal sein Skizzen buch herab, und als sie es aufhob, fragte sie lächelnd: „Ich be wundere Ihre Federzeichnungen so sehr und Sie haben mir noch so wenig gezeigt — darf ich mir diese einmal nach Herzenslust ansehen?" Er nickte mit listigem Augenblinzeln, und eifrig betrachtete sie Blatt um Blatt, aber nach und nach stieg die Gluth in ihre Wangen, und sie wurden 'immer röther und röther, denn überall trat ihr das eigne Bildniß entgegen, und zwar stets in stark idealisirter Auffassung, während sonst seine Stärke im Cariciren lag. „Aber Graf Egon", sagte sie vorwurfsvoll, „so etwas ist ja gar nicht erlaubt! Immer und immer dieselbe Person. Wann haben Sie denn alle diese Bilder gemacht?" „O, während der letzten Monaite — wie Zeit und Gelegen heit es gerade gab." „Aber sic sind gar nicht ähnlich, nicht die Spur." „Weshalb denn nicht?" „Ich bin in meinem Leben nicht so hübsch gewesen." „Möglich — aber Sie sind es jetzt. Dem Künstler ist eS vergönnt, vorahnend in die Zukunft zu schauen " Sie lachte. „Das ist die erste Schmeichelei, die ich von Ihnen höre. Ach, Graf — ich habe Mich überhaupt bitter in Ihnen getäuscht." „Oder sind Sie absichtlich getäuscht worden!" „Auch das noch?" „Ja, kennen Sie nicht den Grundsatz: Der Zweck heiligt die Mittel?" Sie nickte stumm, denn sein dringender, forschender Blick verwirrte sie, und als «ine wahre Erleichterung empfand sie es, daß Johann gerade mit der Posttasche kam. Graf Egon schloß sie auf, und als er die eingegangenen Briefschaften musterte, flog ein Leuchten über sein kluges, scharf geschnittenes Gesicht. „Baronin", sagte er, „thun Sie mir den einzigen Gefallen und lassen Sie Ihre Postsachen auch hierher kommen. Ich gehe jede Wette ein, daß Sie dieselbe Mittheilung erhalten haben, wie ich", und er hielt ihr triumphirend ein großes, unver schlossenes Eouvert entgegen, daS eine ausländische Marke trug. „Sehen Sie einmal, was ist das?" „Eine Anzeige wahrscheinlich." „Woher?" „ Das wird wohl der Poststempel verrathen." „Der heißt: Abbazia!" „Und die Adresse? Ist das nicht die Handschrift Ihrer Schwägerin?" „Allerdings — groß, schön, schwungvoll, elegant!" „Aber ich bite Sie — wie sollte, wie könnte —" Er lachte. „Allerdings, Gabriele selbst hat nichts anzu zeigen — aber bedenken Sie, meine Gnädige, man adreffirt auch mitunter für andere Leute, besonders in Fällen, wo diese selbst verhindert sind. Der Oberst befindet sich seit Wochen ebenfalls in Abbazia." „Und Sie meinen — er — er könnte sich verlobt haben? O, das wäre ja himmlisch — göttlich schön, aber so sehen Sie doch endlich nach, wer es ist!" „Das brauche ich gar nicht, ich weiß es schon." „Sie wissen es schon?" „Ich errathe es wenigstens! Sie kennen die Dame — sie hat Ihnen einmal sogar sehr nahe gestanden." — „Mir? — Die jetzige Braut des Obersten?" »Ja, Ihnen, und nun will ich Sie auch nicht länger quälen — lesen Sie selbst." Er reichte ihr das geöffnete Blatt, auf das er vorher einen flüchtigen Blick geworfen hatte, und sie ergriff es eifrig — aber im nächsten Augenblick fiel es schon wieder aus ihrer Hand und sie war völlig fassungslos. „Das, das ist nicht möglich", stammelte sie, „der Oberst und Miriam — meine eigne Schwägerin — o Gott, ich glaube, Sie treiben Ihren Scherz mit mir! Wie sollten die Beiden, die sich gar nicht kannten, dazu kommen, sich zu heirathen?" Er ergriff ihre Hand. „Es ist die volle Wahrheit", sagte er, „und nichts Unnatürliches dabei, aber ich gestehe Ihnen offen, ich habe in diesem Falle ein bischen Vorsehung gespielt und meine theure Gabriele auf di« betreffende Fährte gebracht, indem ich sie auf die Anwesenheit der trostlosen jungen Wittwe aufmerksam machte und einige werthvolle Angaben über ihre Vermögens verhältnisse hinzufügte. Sind Sie mir deshalb böse?" Sie schüttelt« den Kopf. „Nein? Nun gut. Sehen Sie, ich wußte, meine Schwägerin würde sich auf irgend eine Art mit ihr bekannt machen, und, wenn die Persönlichkeit ihr gefiel, sogleich ihren Bruder kommen lassen. Das Erwartete ist, Wie Max mir sagte, auch wirklich geschehen, und als mein Bruder hier war, sah er der Verlobung bereits mit ziemlicher Gewißheit entgegen." Die Baronin konnte diese Neuigkeit kaum fassen. Zu viel stürmte mit einem Male auf sie ein. Wohl freute sie sich, daß eine schwere Last ihr von der Seele genommen war, aber zu- gleich mit dieser Freude erwachte auch die Erinnerung an Alle-, waS sie einst durchlebt und durchlittcn hatte, und unfähig, ihre I wachsende Erregung zu verbergen, eilte sie, unter einem Bor- I wand, in ihr« Gemächer und kehrte an diesem Tage nicht mehr I zurück. Graf Egon zürnte ihr deshalb nicht. Er wußte, daß mit Miriam's Verlobung das letzte Hinverniß fiel, das noch trennend zwischen ihnen stand, und er hoffte, daß, wenn der erste Ein druck überwunden war, auch sie den Muth finden würde, glück lich zu sein. Am nächsten Nachmittag war das Wetter so schön und mild, daß er die Thür der Halle öffnen ließ und in dem Sonnen schein und Frühlingsduft, der den weiten Raum verheißungsvoll durchfluthete, erschien die Baronin Wie eine Lichtgestalt, die ge kommen war, um auch die letzten Schatten von seinem Kranken lager zu verbannen. Sie hatte ein weißwollcnes Kleid angezogen, das ihr entzückend stand, ihr dunkles Haar besonders kleidsam aufgesteckt und den Gürtel mit frischen Blumen geschmückt. Ein rosiger Hauch lag auf ihrem Antlitz, wie der Widerschein einer tief verborgenen, inneren Gluth, und sie sah so jung und schön, so strahlend aus, daß Graf Egon sie mit leuchtenden Blicken betrachtete und sehn süchtig die Hand ausstreckte, um sie an sich heranzuziehen. Aber sie schien diese Hand nicht zu sehen, hielt sich absichtlich in einer gewissen Entfernung von ihm und machte sich aller hand zu thun, um ihre steigende Aufregung und Befangenheit zu verbergen. Auch eine rechte Unterhaltung ließ sie nicht auf kommen, und als sie den Kaffee bereitet und alles für ihn zurecht gestellt hatte — sie selbst nippte nur, denn der Hals war ihr wie zugeschnürt —, setzte sie sich an das Fußende seines Sophas und begann eifrig vorzulesen. Dabei beobachtete sie ihn aber heimlich unausgesetzt, und plötzlich ließ sie das Buch finken, sah ihn strafend an und sagte: „Mir scheint, Graf, Sie passen gar nicht auf." „O doch, Baronin", versicherte er. „Dann sagen Sie mir, bitte, wo wir sind." „Das weiß ich nicht!" „Sehen Sie, ich habe Recht — aber weshalb lese ich Ihnen dann überhaupt noch vor?" „Damit ich Ihre Stimme hören und Sie nach Herzenslust betrachten kann." „Das ist doch nicht der Zweck der Uebung!" „Für mich, ja, und zwar der allerbeste und allerschönste Zweck. Aber mir geht auch etwas im Kopfe herum. Kommen Sie einmal ein bischen näher heran, dann will ich es Ihnen anvertrauen." „Geht es nicht auch so?" „Nein, denn es ist ein Geheimntß, und das kann man bei offnen Thüren nicht so ausplaudern. Ich darf es Ihnen nur ganz leise ins Ohr sagen." Sie erröthete und schob ihren Stuhl ein wenig vor. „O", rief er, „das tst noch nicht genug! Aber ich weiß schon, was Sie zurückhält. Sie haben keine Courage, Baronin — Sie fürchten sich vor einem armen, kranken Mann." Der Vorwurf traf. — Sie stand schnell auf, trat dicht an ihn heran und, magnetisch angezogen von seinem zwingenden Blick, hingerissen von der Allgewalt der Liebe, die ihr daraus ent gegenflammte, beugte sie sich zärtlich über ihn und küßte ihn heiß und innig auf den Mund. Eine Weile war es ganz still im Gemach — nur eine Fliege flog summend hin und her, und von draußen hörte man das jubilirende Frühlingslied der gefiederten Sänger, dann plötzlich schreckte Bernhardine von Scram verwirrt empor, und, sich ab wendend, flüsterte sie: „O, mein Gott, wenn Jemand uns sehe — was sollte er denken?" Graf Egon sah sie strahlend an. „Daß wir uns lieb haben, Dina — weiter nichts." „Aber mein Ruf!" „Ist ohnehin schon gefährdet durch Dein barmherziges Sama- riterthum. Ich glaube wahrhaftig, um ihn in tadelloser Rein heit wieder herzustellen, wird uns nichts übrig bleiben, als uns zu heirathen!" Sie nickte voll scheinbarer Betrübniß und Schelmerei. „Ich fürchte es auch, mein armer Egon." „Trotz unserer unüberwindlichen Ehescheu!" „Und früheren gegenseitigen Abneigung!" „Es ist ein schweres Opfer, das wir bringen." „Und ein warnendes Beispiel, daß man keine Lorurtheile hoben soll." Beide lachten, und dann überkam sie wieder Vie tiefe Rüh rung, die von jedem großen Glück unzertrennlich ist. Ihre Blicke hingen an einander in neuer, trunkener Seligkeit, ihre Hände fanden sich zum stummen, festen, heiligen Gelöbniß, und Graf Egon flüsterte zärtlich an Dina's Ohr: „Nun, sage mir noch Eins, mein Liebling — seit wann weißt Du, daß wir zusammen gehören für Zeit und Ewigkeit?" Ein Schauer überlief ihre schlanke Gestalt, und, neben ihm kmeend, verbarg sie an seiner Schulter ihr Gesicht, doch dann erwiderte sie ernst, fast feierlich: „Seit jenem schrecklichen Morgen, der mir so schnell und grausam die Binde von den Augen riß. Bis dahin war ich wirklich vollkommen verblendet gewesen und hatte an unsere gute Freundschaft und Nachbar schaft geglaubt, in dem Augenblick aber, wo ich Dich tödtlich verwundet glaubte, erkannte ich mit einem Schlage die Wahrheit und wußte, wie theuer, wie unentbehrlich Du mir warst. Auch über Deine Gefühle war ich nicht mehr im Zweifel, und nun baul ich Gott, daß wir uns gefunden haben und einer schönen, gemein samen Zukunft entgegengehen. Nur eine Frage beunruhigt mich noch: Dein Bruder ist liebenswürdig und leicht zu gewinnen und ich bin überzeugt, er freut sich selbstlos an unserem Glück — aber Gräfin Gabriele — meinst Du, daß ich auch ihr als Deine Braut willkommen bin?" Er lachte herzlich. „Jetzt, wo der Oberst so gut versorgt ist, gewiß. — Da sei ganz ohne Sorge, moin Lieb. Sie wird überall erzählen, unsere Verbindung sei eigentlich ihr Werk, und im Grunde hat sie auch so Unrecht nicht. Ohne ihren aus gesprochenen Erwerbssinn, ihre Findigkeit, wärest Du nie meine Nachbarin geworden, und zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich der bösen Schwägerin aufrichtig veopflichtrtl" Ende.
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