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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.01.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000109021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900010902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900010902
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-01
- Tag 1900-01-09
-
Monat
1900-01
-
Jahr
1900
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Zwar wird berichtet, der Kaiser sei am Sonntag sehr ernst gestimmt gewesen und habe zu einem Hofb.eamten unmuthig geäußert, die Engländer hätten »schon wieder" ein deutsches Schiff weggenommen, aber daraus darf noch nicht geschloffen werden, daß vom BundeSralbStische aus Mittheilungen über eine entgegenkommende Antwort der englischen Negierung auf die deutschen Bvrstellunzen gemacht werden können oder auf eine ausweichende Antwort eine scharfe Gegenerklärung in Aussicht gestellt werden kann. Recht geringe Aussicht auf erfolgreiche Schritte gegen daS englische Vorgehen eröffnet »S, daß die „Nat.-Ztg." zu der Nachricht des gewöhnlich sehr unzuverlässigen „New Kork Herald", Deutschland habe in Washington wegen eines gemeinschaftlichen diplomatischen Schrittes zur Abstellung der Wegnahme von Schiffen sonvirt, der Präsident McKinley aber habe abgewinkt, die Bemerkung macht, ihr, der „Nat.-Ztg.", sei von einer deutschen Anregung zu gemein samem Vorgehen nicht- bekannt. Obschon nun die „Nordd. Allgem. Ztg." die Wolff'sche Depesche über diese „Herald"- meldnng ohne jeden Vorbehalt wiedergiebt, so ist es doch wahrscheinlicher, daß eine solche Anregung in der Tbat nicht erfolgt sei; sagt doch ein Össiciosus rund heraus, es hätte in England verstimmen müssen, wenn Deutschland an dir Regierung der amerikanischen Union sich gewendet hätte. Ferner war vorgestern die „Nat.- Ztg." zu der am Sonnabend früh von unS ausgesprochenen Ansicht gelangt, daß man in Bezug auf den „BundeSrath" die Frage, ob er überhaupt Eontrebanve führen konnte (nach Völkerrecht), bei Seite lassen und sich in England er kundigen könnte, welcher Theil der Ladung de- Schiffes al- Contrebande gelten solle. Jetzt aber scheint daS mebrfach genannte, in drlicaten Fragen enge Fühlung mit dem Aus wärtigen Amte unterhaltende Berliner Blatt ne dieser Richtung auch nichts mehr zu hoffen. Cs meint, inzwischen werde die Tireclion der Hamburger Ostasrika-Linie wohl ihre Ent schädigungsrechnung aufstellen; man dürfe inveß nicht glauben, daß die Nothwendigkeit, erheblick)« Entschädi gungen zu zahlen, Eindruck auf die Engländer machen werde; an Geld werde es ihnen noch lange nicht fehlen und e- werde ihnen auf erhebliche Summen nickt ankommen, wenn um den Preis derselben die deutsche Dampferlinien, da sie ohne Gefahr nicht mehr benutzt werden könnten, geschädigt würden. Daß man in der Thal von deutscher Seite das Hauptgewicht auf die „Deckung für den durch die Ausbringung verursachten Schäden" und nicht auf die Verhütung desselben legen werde, geht auS der folgenden, jedenfalls hochofficiösen Ber liner Depesche der Münchener „Allgem. Ztg." hervor, deren großspurige Form grell von ihrem mageren Inhalte absticht: „Die Beschlagnahme de-ReichSpostdampserS „Herzog" wird von der deutschen Regierung genau so wie die anderen Aufbringungen deutscher Schiffe behandelt. DieBerhandlungen darüber werden sehr lebhaftgesührtonddieBegenvorstellungen sind äußerst nachdrücklich gehalten. Die Lage nach Auffassung unterrichteter Kreis« ist äußerst ernst. Di» Engländer, überreizt durch ihre kriegerischen Mißerfolg« zu Lande, suchen Anlässe, um sich durch Erfolge zur Ser zu entschädigen. Das internationale Serreckt ist schwankend. Seiten- unsrer Diplomatie wird indessen Alle- ver- ücht, um Deckung für den durch die Aufbringungen verursachten Schaden zu erreichen. Die öffentliche Meinung darf ruhiges Blut bewahren, da die Regierung ihre Pflicht in vollem Umfang thun wird." Daß die Engländer, wie die „Nat.-Ztg." vermuth»t, mit der Beschlagnahme auch ein kleines Geschäft im engeren Sinne zu machen gedenken, haben wir nie bezweifelt. Aber die Anschauung, daß die englische Regierung die Besitzer der deutschen chicanirten, aufgehaltenen oder weggeschlcppten Schiffe entschädigen werde, halten wir für recht naiv. Die Direktion der Ostafrika-Linie — es kommt übrigens noch ein anderer Rheder in Betracht — wird für sich allein in London keinen rothen Heller ,,loSeisen", geschweige denn die erheblichen Summen ihre- wirklichen Schaden-. Und die Berliner Regierung? Nun, was berechtigt zu der An nahme, sie werde sich ihr Verhalten in dem Falls »der Gebrüder Den Hardt nicht zum Muster nehmen? Die Necktsbeständigkeit der Forderungen dieser Herren an die britische Negierung ist sonnenklar. Trotzdem hat man sich in Berlin mit der Erklärung Großbritanniens, daß eS nicht zahlen werde, begnügt und, damit die Sache doch nicht gar zu arg wurde, den Gebrüdern Denhardt eine Entschädigung auS — der deutschen Tasche bewilligt. Der Reichstag hat im vorigen Tagungsabschnitte die Summe genehmigt. So wird «S auch jetzt wieder geben, zumal da die Ostafrika- Linie auS guten volkswirthschaftlichen Gründen vom Reicht subventionirt wird und eS doch nicht wohl an geht, daß daS Reich ein Unternehmen, weil dessen Wirk- jamkeit gemeinnützig ist, mit Betriebsmitteln beispringt und jeden Ersatz verweigert, wenn da- Geld von einer be freundeten Macht dem Unternehmer wegeScamotirt wird. DaS Reich ist durch die britischen Gewalttbaten gegen die Schiffe der Hamburg-Ostafrika-Linie unmittelbar ge- sckädigt, eine Thatsache, Vie für Nichtdiplomaten oder Diplo maten der älteren Schule die neuesten englischen Freundschafts beweise nicht gerade genießbarer macht. AuS Anlaß der Rückkehr des Freiherrn v. Hertling auS Rom theilte bekanntlich vor einigen Tagen die „Germania" mit, ihr römiscker Correspondent habe sich an „der allein maßgebenden Stelle" erkuudigt und erfahren, daß diese maßgebende Stelle da- „Bestehen", sowie den „weiteren Ausbau" der katholisch-theologischen Fakultäten nicht nur gut heiße, sondern sogar fördern und unterstützen werde, unter der selbstverständlichen Bedingung, daß die Staats organe dem bochwürdigen EpiScopat den unumgänglich nöihigen Einfluß auf diese Fakultäten gewähren. Weiter berichtete zu gleicher Zeit ein bayerisches CentrumS- organ, die Errichtung einer katholisch - theologischen Facultät an der Universität Straßburg — der Hauptzweck der Hertling'schen „Unterhandlungen" in Rom — sei nicht unwahrscheinlich. Demgegenüber hört die „Nat.-Lib. Torr.", daß die angekündiate Zustimmung des Vatikans zu der Er richtung einer theologischen Facultät in Straßburg vorläufig als ein „Schanbrod" anzuschen sei. Zu einem positiven Er- gebniß haben die Verhandlungen deS Herrn v. Hertling in Rom bislang nicht geführt, und zwar darum nicht, weil die maßgebenden Stellen im Vatikan sich für Straßburg und anderwärts ein eigene- Ideal von einer katholisch- theologiscken Facultät zurechtgezimmert haben. Darunter versteht man nämlich eine „Facultät", deren Angehörige von den Bischöfen ernannt und nä nutum ab gesetzt werden können. Daß sich irgend rin Staat im deutschen Reiche dazu hergeben werve, die Stätten der Wissenschaft sich also verunzieren zu lassen, ist ausgeschlossen. Gegen die Einrichtung einer Facultät in Straßburg, die gemäß den Traditionen deS deutschen Universität-Wesens ein gerichtet würde, wendet sich mit aller Schärfe der reichS- ländische KleruS und an seiner Spitze der Trierer Bisckos vr. Ko rum, der bereit- Material zu einer Monstreadresse gegen die Errichtung der Facultät im Elsaß sammeln läßt. Unter solcken Umständen erscheint eS fraglich, ob auS der ganzen Angelegenheit, hinter welcher der klerikale „Elsässer" bezeichnender Weise „teuflische" Bemühungen der Professoren Krau- und Schell sucht, trotz der Mühe des Freiherrn v. Hertling etwas wird. Wir hatten die russische Probemobilmachung an der Grenze von Afghanistan richtig beurtheilt. DaS zeigt der im heutigen Morgenblatt auszugsweise mitgetbeilte, sickrrlich nicht ohne Genehmigung des russischen Auswärtigen Amte- publicirte Artikel der deutschen „St. Petersburger Zeitung", welcher England zu verstehen giebt, es möge die nötbigen Folgerungen aus der Sache ziehen. Vorerst will man in Petersburg mit der „Lösung dieser akademischen Auf gabe" anscheinend nur einen Druck auf dir Londoner Diplomaten auSüben, damit sie sich in Verhandlungen über verschiedene Rußland (und Frankreich) in Central- und Ostasien sowohl wie in Afrika (Egypten, Boerenkrieg) interessirende Fragen gefügig zu machen, läßt aber durchblicken, daß, wenn England sich nicht nachgiebig zeigt, Rußland bereit ist, die durch den Gang der Ereignisse in Südafrika geschaffene, für England höchst bedenkliche Lage, im günstigsten Moment auSzunützen und zu bandeln, ohne die Herren Chamberlain und Salisbury noch lange zu fragen. Eine Folge aber dürfte daS Erscheinen fast eine- ganzen Armeecorp» auS dem Kaukasus an der Afghanistan - Grenze — um 2000 Kilometer zurUck- zulegen, brauchte die Truppe nur wenige Tage — schon jetzt haben. Afghanistan und Indien wird dadurch die Schwäche Eng land» deutlich aä oculos demonstrirt und zu Unruhen wird damit geradezu berauSgefordert. Brechen solche in Afghanistan aus, so wird Rußland nicht zögern, einzumarschiren, kommt eS in Indien zu einem Aufruhr, so ist England gezwungen, seine dortige Armee zu verstärken, statt, wie eS erst geplant war, Truppen aus Indien nach Südafrika zu Wersen. Der Eintritt einer der beiden Eventualitäten — auch im ersteren Falle müßten Ersatztruppen nach Centralasien geschickt werden — wäre für die Boerrn natürlich eine große Erleichterung, ja würde voraussichtlich das Ende deS Kriege- in Südafrika bedeuten. Hoffentlich genügt schon der russische Wink, um hie leitenden Staat-männer zu der Einsicht zu bringen, daß e- klüger ist, mit den beiden kleinen südafrikanischen Republiken ihren Frieden zu machen, die lediglich ihre Unabhängigkeit wollen, al- den Krieg mit einem gewaltigen Gegner zu ri-kirrn, der nicht- Geringere- im Schilde führt, als Eng land- Vormacht in Asien zu brechen. Freilich pflegen dir Götter den, den sie verderben wollen, mit Blindheit zu schlagen. Der Krieg in Südafrika. —9. Nach der letzten zusammenfassenden Meldung des Generals White über die Schlacht bei Ladysmith, welche vom Sonntag datirt ist, wären sämmtliche Angriffe der Boeren abgeschlagen und diese schließlich auch au- der einen den Engländern genommenen Position am Sonnabend Abend wieder vertrieben worden. Die Lage wäre also die striche wie vorher. Recapituliren wir vorerst nochmal- die -eliographischen Mittheilungrn White'S an General Buller, die der Presse in verkehrter Reihenfolge übermittelt worden sind, richtig der Zeit nach: Wbite meldet am Sonnabend an Buller um 11 Ubr Vormittags, bei Buller eingegangen um 1 Uhr Nach mittag-. „Der Angriff des Feinde-, der von Süden aus Verstärkung erhalte» hat, dauert fort." Wbite meldet um 12 Uhr 45 Nachmittags mittels des Heliographen an Buller: „Ich habe den Feind jetzt zurückgeschlagen, aber ich werde noch von großen Massen feindlicher Trupven um ringt. Besonders ist im Süden ein neuer Angriff wahrscheinlich." General Buller fügt seiner Depesche hinzu, daß er, da die Sonne nicht mehr scheine, erst am folgenden Tage Weiteres erfahren könne. Später scheint jedoch die Verbindung wieder ermöglicht worden zu sein, denn um 3 Uhr 15 Min. Nachmittags erhielt Buller von White nochmals folgende Meldung: „Angriff erneuert, bin stark bedrängt." Damit schließen die amtlichen Meldungen vom Sonnabend. Dann folgt am Sonntag daS schon erwähnte Resumö. Angenommen nun, daß jedes Wort der White'scken Meldungen der Wirklichkeit entspricht und nicht weitere Kämpfe gefolgt sind, deren Resultat da- Londoner Kriegs amt noch verschweigen zu müssen glaubt, erscheint doch der Satz des Rapport-: „Ich werde (wahrscheinlich außer halb de« Lager-. D. Red.) noch von großen feind lichen Truppenmassen umringt" nicht zurückgenommen. DaS, was Wbite also bezweckte, nach Süden gegen den Tuflela durchzubrecken und sich mit Buller zu ver einigen, ist ihm völlig mißglückt und insofern der Tag für die Engländer wieder ein Unglückstag gewesen. Zwischen Ladysmith und Colenso ist jeder Berg und jeder Hügel von den Boeren stark befestigt. Ein „Hindurch!" giebt es hier für White nicht. DaS Gerücht, das sich in Buller'- Lager bei Frere verbreitet batte, 400 Boeren seien gefangen genommen, bestätigt sich nicht, sonst würde White nicht verfehlt haben, das große Ereigniß an Buller zu beliographiren. Er sagt aber kein Wort davon. Von den Verlusten der Boeren weiß er nicht-, al- daß sie „große" gewesen seien; über die seinigen will er erst berichten, wenn die Verlustlisten vollständig sind. Demnach durften sie wieder »norm koke Ziffern aufweisen. Da» große Lob, das Wbite seinen Truppen zollt, ist auch verdächtig und er weckt den Anschein, als wolle er über den Schmerz seine negativen Erfolg- besser hinweghelfen. Kläglich ist die Rolle, die Sir RedverS Buller nun zum zweiten Make gespielt. Hat er nur demonstrirt, wie er sagt, so werfen englische Blätter ihm mit Recht vor, daß er den in Ladysmith Eingeschloffenen nur sehr schwächlich und unzulläng- lich zu Hilfe gekommen ist; bat er, was man als das Wahr scheinlichere bezeichnen muß, den Uebergang über den Tugela Fertilleton. Sj Die ganze Hand. Roman von Hans Hopfen. Nachdruck vrrkoien. Und da hockte auch schon ein einbildungskräftiges Teufelchen von Gedanken dicht an seinem Ohr, und es zauberte ihm Bilder vor die inneren Augen, daß er hätte rasen mögen, daß er sich in den Aermel und manchmal auch in den Arm biß, um nicht laut aufzuheulen, damit nicht der Wärter käme und ihn barsch be- f-hlerffch zur Rühe verwiese, sonst müßte er Anzeige ertstatten und seine Bestrafung heöbeffiilhren. Dann sah er deutlich zum Greifen vor sich: die buntbehangene Stube Nanda'S mit der kleinen Staffelei vor dem großen Nord- lichtseiffter, den Fächeüst reifen glatt auf ein Reißbrett gespannt und darüber di» weiße, schlankfingerige Hand mit einem langen, spitzen Pinsel auf matte Seide tolle Dinge malend. An der Hand war ein Arm, ein halbnackter Arm, unter zurllckfallendem Aermel weichen Stoff», und am Arme eine Schulter, eine Büste, ein lächelnde» Haupt und ein ganze», schmiegsame», verführe risch«», wunderbare» Wesen, da» seiner Kunst so innig hingegeben unk von Hinz unp <Kuyy Iso Überlaufen und belästigt und um schmeichelt war, daß,» tagsüber wohl kaum Zeit fand, an den verliebten und geliebten Narren zu denken, der sich im Ueber- muth eine» politischen Dilettanten, in einer ihm jetzt selbst unbe greiflichen Leichtfertigkeit von ihr hatte trennen lassen. Wer »inen kostbaren Schatz hat, soll ihn hüten und mit zehn facher Sorgfalt, wenn dieser Schatz der Welt in die Augen sticht. Wie würde er sein höchste» Gut wiederfinden, wenn er in zwei, in drei Monaten, rin entlassener Sträfling, ein vollkommener Bettler, zurückkehrt,? Und mit "vom gangen (selbstquälerischen Eifer eine» unbe schäftigten und von seiner Leidenschaft erfüllten Geiste» malte er sich alle Gelegenheiten, alle Gefahren, alle Verführungen au-, denen sein Liebchen nun preiSgegeben war, ohne Schutz, ohne Rückhalt. Ohne Rückhalt? War nicht der Vater da, der ehrenstrenge, stolze Geheimrath, der lieber in» Elend gegangen war und lieber, was er besessen, ohne Zögern hingegeben hatte, al» ein Fleckchen auf seinem Rufe zu dulden? Nein, dieser Daker war kein Schutz und kein Rückhalt. Ein phantastischer Projecteschmied, saß er immer und überall abseits von der Wirklichkeit und rechnete und rechnete irgend einen närrischen Plan aus, wie er nach seiner Einbildung Tausende und Millionen gewinnen müßte, wenn und wenn und wenn die wirklichen Dinge, die er nur im Nebel seiner Hypothesen sah, anders wären, als sie eben waren. Er glich den Leuten, die auf wissenschaftlichem Wege sicher dahinterzukommen überzeugt sind, wie man die Bank von Monte Carlo sprengt, die Vierung des Kreise» findet oder »in Allheilmittel für sämmtliche Gebrechen der vielgeplagtrn Menschennatur entdeckt. Heute war er nahe daran, und morgen fand ers ganz gewiß; aber niemals kamS zum Bor schein. Wa» wollte neben seinen weltbewegenden Schlußfolge rungen solch eine Kleinigkeit bedeuten, wie die, daß bei seiner Tochter ein schöner Bursche wie Spindler saß, der alle Künste der Verführung in» Gefecht führen möchte, oder jener bärtige Don Juan mit dem idealen Ernst und der schlagfertigen Erfahrung eine» Wendewalt? Und daß der Eine oder der Andere oder auch ein Dritter und vierter und Fünfter, von dem er nichts wußte, bei dem viel begehrten Mädchen vor der Staffelei sitzen und mit teuflischen Argumenten es ihm abspenstig machen würde, das schien ihm nur allzu wahrscheinlich. ES schien ihm nicht nur so, er wußt' es, er sah'» vor sich, wenn er die Augen zumachte, greifbar, unwider leglich sah er'» vor sich, wie mit einem zweiten Gesicht, mit einer verlängerten und verstärkten Sehkraft, die Meilen übersprang und fester Wände spottete. Er sah das Gigerl Spindler mit dem dünnen, blonden, steil aufwärt» gequälten Schnurrbart, zu ihren Füßen, die so schmal und kokett mit neugierigen Spitzen unter dem Rocksaum vorguckten. Er sah Wendewalt's schweren, dunkelbraunen Reiterschnurrbart auf die feine Ohr muschel der Geliebten Schatten werfen, so daß man nicht wußte, sagte er ihr blos etwa», das Niemand hören sollte, oder drückte er ihr zu gleicher Zeit einen Kuß und ein Äeheimniß wie einen Ohrring an, den sie nun nicht mehr entfernen konnte, obwohl- seine Spur kein andere» Auge sah, al» des von seinen Gedanken gemarterten Gefangenen im fernen Plötzensee. Sah er im Geiste keinen dieser beiden Rivalen bei der Ge liebten, so sah er den einflußreichen Kritiker antreteu, mit dem er selbst sie vor Jahr und Tag bekannt gemacht hatte, damit dessen Empfehlung ihrer Kunst gesteigerte Aufmerksamkeit zuwende. Der immer noch jugendliche Herr im breiten Dollbart war nicht unempfindlich für die Ehre, schöne Klientinnen zu begönnern. Wo ihn süßer Lohn möglich rfllnckte, säete ec freigebig Lob, um gelegentlich Liebe zu ernten. . So lange Winkler dazwischenfahren konnid, war ihm die Aufdringlichkeit des feisten Schmarotzers nur ein Gelächter werth. Aber unter den Zeitungen, die er jüngst hatte lesen dürfen, war ihm ein Ausstellungsbericht desselben Burschen in die Hände gefallen, der über einen Fächer, den Nanda jüngst vollendet hatte, von überschwenglichen, man möchte sagen kosenden Lobsprüchen überfloß. DaS mußte wirken, das brachl, Namen und Kundschaft, denn so dumm ist die Welt: sie mag einen Mann mit Grund mißachten, und hört doch auf sein ge drucktes Wort und bildet die eigene Meinung von einer Neuig keit blindlings nach seiner Werthschätzung, weil auf seinen Ge schmack zu schwören Mode geworden ist. Und dafür mußte Nanda sich zu DarH verpflichtet fühlen. Und Derjenige, welcher ihr diesen Vortheil verschaffte, ge wohnt, halb MäcenaS, halb Pascha, breitspurig überall hinzu treten, versäumte gewiß nicht, durch sein persönliches Erscheinen Nanda'S Werkstatt ,u beglücken und auf den Dank, den ihm die anmuthigr Künstlerin schuldet», mehr oder weniger galant anzuspirlen. Ueber die zuckende Schulter hinweg ging seine Hand nach der werdenden Arbeit auf der Staffelei, und sein erprobtes Kunsturthril verbitterte sich und ließ Schlimmes für di« Zukunft besorgen, wenn er ungeladt und ungeschmeichelt abfahren mußte, wie er angetreten war. Unverfroren, wie er sich gegen seine „Protectionskinder" über all gab, würde er wohl noch deutlicher sprechen, klopfte nicht just noch «in anderer Seladon an di» Thür der Werkstatt: der liebe College vom Porträtfach, der langhaarige, talentvolle Hans wurst mit dem unmöglichen Dialekt und den selbsterfundenen Röcken, der schon seit Jahr und Tag das schöne Fräulein von Msselbrunn malen möchte, was ihm die beste Gelegenheit gäbe, es mit verliebten Augen stundenlang jeden Tag eines Monat anzuschmachten und zu verhimmeln? Immanuel hatte Mühe ge habt, die Entscheidung zu Hintertreiben, die Nanda gern zu Gunsten de» unermüdlichen Bittstellers gegeben hätte, denn sie wünschte sehr ein gutes konterfei ihrer jetzt s» günstigen Gestalt zu besitzen, und der verfluchte Ungar ward nicht müde, sie zärtlich zu bestürmen und zu schwören, datz ,r mit ihrem Bilde sein Meisterstück machen und sein wahrer Ruhm erst von dem Tage datiren würde, da er ihr Bild ausstellen dürft«. Und er kam immer wieder, und jetzt war kein Winkler da, sein Andringen auszuheben, und ganz gewiß gab Nanda nach und beschönigte diese Schwäche noch mit der eitlen Au-red«, sie wollte dem der Hast Entlassenen mit ihrem Bild eine Freude machen. Da saß der ungarische Pinselhcld vor ihr und stellte seine Staffelei gegen die ihrige, und sie arbeiteten Beide weiter in kollegialen Gesprächen, und er erzählte ihr haarsträubende Ge schichten, die sie erröthen und doch auch wieder lachen machten, und sein verliebtes Auge tastete all' ihre Züge ab, die Augen be gegneten einander öfter und ijfter, und wenn in kaum einge standener Unruhe Nanda zuweilen aufstand und in wirklicher oder künstlerischer Neugier sehen wollte, ob dem Magyaren ikr Bild gelänge, begegneten sich nicht nur die Augen, sondern wohl auch die Hände, und wär's auch nur zur Abwehr. Nicht, daß Immanuel eingestanden fürchtete, Nanda'S Stand haftigkeit möchte schon jetzt solch einem Bewerber unterliegen, nein, aber all' dieses Begehren und Umfreien und einander in galanter Zudringlichkeit Ueberbieten erhitzte doch die Luft, in der ' sie, vom Geliebten getrennt, athmete, und bedrängte das darbende Herz mit beunruhigenden Gedanken und ungesunden Vor- stellungen. Wie, wenn einer der kundigen Verführer eine schwache Stunve benutzte — wer hat nicht einmal eine schwache Stunde im Leben? — wie, wenn nur ein Hauch ihre Lippe streifte, nur eine Hand ihren schlanken Nacken berührte — war ihm seine Heilige dann nicht entweiht? Ihm war dabei, als erwürgten ihn seine Gedanken, und er glaubte das Unglück geschehen, weil er eS fürchtete, denn seine Klassiker sagten ihm: aus den Augen, aus dem Sinn — da» Weib ist treulos wie die Welle — das Weib ist bitter. Er hatte die Jahre hindurch nur allste Süßigkeit des Mibe? genossen. Aber wie viel Bitterniß in dieser Süßigkeit steckte, wie selbst die allersüßeste so gallenbitter schmecken tonnte, das auszutosten hatte er jetzt unbeschränkte Zeit, und er nützt» si, aus als galt eS, sich krank und toll zu machen binnen kurzer Frist. Er kam von Kräften, er konnte nicht essen, die Äefängniß tost widerte ihn mehr und mehr an, seine Augen bekamen einen stieren Ausdruck, einen wunderlichen Glanz. Die Gefängnis Wärter, die ihn in seiner Klause laut und leidenschaftlich mit sich selber reden hörten, meinten, er würde hier und da von Wahn vorstellungen geplagt, oder er phantaflre doch. Er fühlte den Rückschlag seiner eifersüchtigen Grübeleien in sich und um sich, und doch konnte er nicht von ihnen lassen denn sein liebster Gedanke war der an Nanda, und wenn er an sie dachte, kam mit der Sehnsucht unfehlbar alle Qual über sein jetzt schleckt genährtes und allzeit unbändiges Gehirn. Wenn dann der Teufel ihm immer Aergere» und AergereS vorspirgeln wollt».... und der Teufel versichert», er könnte da» ... . und
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