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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.12.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-12-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001229024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900122902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900122902
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-12
- Tag 1900-12-29
-
Monat
1900-12
-
Jahr
1900
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Ämtsölatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Valizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Sonnabend den 29. December 1900. Anzeigen-PreiS » ^ie 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem RcdactionSstrich (4gelp«r!trn) 75 vor den Familienncich- richtcn ^gespalten) 50 L,. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. - - Gebühren für Nachweisungen und Lffertenaunahme 25 (excl. Porto). Ertra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderung tiO.—, niit Postbrsörderung 70.—. Annahvttschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet oon früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Lerlag von E. Pol» in Leipzig. SL Jahrgang. Die Wirren in China. Annahme -er Friedensbedingungenk Aus Shanghai meldet „Reuter's Bureau" nnterm 28. December: Nach hier umlaufenden Gerüchten auS chine sischer Quelle hat ein hober Beamter in Singanfu nach Shanghai telegraphirt, daß die FriedenSbedrngungen dem Kaiser und der Kaiserin unterbreitet worden seien und daß diese beschlossen hätten, die Bedingungen an zunehmen. Diese Mitlheilung bedarf natürlich der Be stätigung; sie findet hier inzwischen wenig Glauben. Ein ueuer Kaiserk .Standard" berichtet aus Shanghai unter dem 28. December: Nach Privatmittheilungen aus Schansi hat die Kaiserin, als der Hof sich in Taiyenfu aushielt, einen fünfzehnjährigen Knaben mit Namen Tunghsu heimlich zum neuen Kaiser ernannt. In dem betreffenden Ernennungsacte war das Verbot enthalten, die Nachricht von der Thronbesteigung des neuen Kaisers zu veröffentlichen. Der neue Kaiser wurde in einer kaiserlichen gelben Sänfte nach Singanfu gebracht. So er klärt es sich, daß der Kaiser Kwanghsu die Erlaubniß erhielt, rach Peking zurückzukebreu. Der Kaiser Kwanghsu hat seinen Freunden von der Reformpartei die Mittheilung gemacht, daß er nach Peking zurückkehre und um ihre Unterstützung bei der Leitung der Regierungsgeschäfte ersuche. Die Nolle Italiens. * Rom, 28. December. (Senat.) Bei der Berathung des Budgets deS Arußeren erklärte der Minister des Auswärtigen, Visconti-Venosta, auf eine Interpellation Vitelleschi's über die Lage in China: Man habe die Ausgabe, die Interessen Jtalieus und seiner Staatsangehörigen wahrzunehmrn, nicht Anderen überlassen können. Italien habe ebensalls Wenugthuung für die Verletzung des Völkerrechts verlangen müssen und müsse auch wünschen, daß Cdina dem internationalenHandel geöffnet sei. AufdieEntschließungen LerRegierung hätten Erwägungen höherer Art eingewirkt. Seitdem sei in allgemeinen Fragen ein Einvernehmen erzielt und mehr noch: seitdem ganz Europa bezüglich der großen Humanitären Ziele einmüthig vorgehe, dürfte Italien als jüngste Groß, macht nicht fehlen. Die Regierung wolle weder eine Abenteuerpolitik in China treiben, noch erstrebe sie anderwärts eine Ausdehnung. In erst-r Linie sei jede Okkupation von Ländergebieten ausgeschlossen. Die Entwickelung der Dinge habe dir Erklärungen, die er seiner Zeit im Senate abgegeben, bestätigt. Seitdem die Gesandtschaften entsetzt seien, dürfe man sich nicht wundern, ivenn sich zwischen den Mächten vorübergehende Meinungsver« schiedenheitrn gezeigt hätten, aber sie seien stets beigelegt worden, da allgemein der Wunsch nach Einigung geherrscht habe. Das hohe Streben nach Solidarität habe niemals ausgedört, im Rathe der Mächte vorzuherrschen Diesem Solidaritätsgesühle sei Italien stets treu gewesen. Die Verhandlungen seien nicht leicht gewesen. Nach dem Entsätze der Gesandtschaften hätten die Mächte Genugthuung für die Vergangenheit und Bürgschaften für die Zukunft verlangen müssen. Italien habe den Grundsätzen zu- gestimmt, die für die Einigung unter den Mächten maßgebend waren. Eine Tbrilung Chinas in große Sphären, auch in solche handelspolitischer Art, würde ein« Maßnahme sein, zu der sich Italien nicht bereit finden ließe, im Gegentheile sei eine Politik ersprießlich, die diejenigen chinesischen Häsen, wo die Beziehungen mit Europa am stärksten entwickelt seien, dem internationalen Handel öffnet. Diese Friedensqrundlagen seien von den Cabiuetten ihren Vertretern in Peking mitgetheilt worden, die sie zum Gegenstände einiger Ergänzungen gemacht hätten, über die sich dir Mächte weiterhin geeinigt hätten. Nunmehr seien die end.» gütigen Friedeusbedingungen den chinesitchen Unterhändlern mitgetheilt worden. Darin sei vor Allem eine von der Gerechtigkeit erforderte Sühne inbegriffen, ferner Entschädigungssorderungen für die privaten Gesellschaften, wie auch für die Regierungen, die sich für ihr Bertheidigungswerk große Opfer hätten auserlegen müssen. Man werde die Bertheid igungSmaß» ah men zu dauern den machen. Außerdem würden die fremden Gesandten in Peking zu ihrer größeren Sicherheit mit ständigen Streitkräften versehen werden. Andere Bedingungen beträfen die wirthschastlichen Interessen zwischen den Mächten und China. Die Mächte wünschten, diese Frage und die damit verbundenen schweren Verantwortlichkeiten endgiltig zu regeln. Italien seinerseits werde in seiner loyalen, gemäßigten Tvestnahme sortfahren, sich dieselben Schadenserjatzleistungen und Bürgschaften zu sichern, die die anderen Mächte erlangen würden. (Beifall.) Vitelleschi erklärt sich durch die Mittheilungen des Ministers be friedigt, woraus das Budget des Aeußeren bewilligt wird. Der Krieg in Südafrika. Wodurch die Erneuerung -cs Aufruhrs im Caplan-e herbeigrführt wurde. Unser mit boerischen Kreisen in enger Fühlung stehender Mitarbeiter in Capstadt sendet uns unterm 5. December einen «Bericht, der dadurch besonders interessant ist, weil er darthut, was den erneut ausgebrochenen Aufruhr in der Capcolonie her vorgerufen hat. Der Bericht lautet: Hier in der Colonie geht ein Schrei der Entrüstung über die moderne Kriegführung, die nach dem Vorbild eines Alba und Turenne, eines Tilly und Wallenstein geführt wird, den Krieg gegen wehrlose Frauen und Kinder. Beraubt, ausgehungert und entblößt von Allem, sind viele der Frauen und Kinder nach Port Elizabeth gebracht worden. Die Reise dahin, ohne genügenden Schutz gegen die Unbill der Witterung, und mancherlei Entbehrungen haben das Leiden dieser Unglücklichen nur vermehrt; gab es doch manche Masernkrante unter ihnen (hier zu Lande höchst lebensgefährlich) und Frauen, die ihrer Entbindung entgegensahen. — Für ihr Unterkommen in einem Kamp war anfangs sehr schlecht gesorgt, Zelte und Wellblechhütten nicht genugsam vorhanden, einzelne Kaffern- hütten, die ihnen angewiesen wurden, wimmelten von Ungeziefer, Ratten und dergleichen. Hin und wieder gab es als große Be quemlichkeit ja eine alte Blechbüchse oder ein wackeliges Kistchen, das wenigstens als Stuhl dienen konnte für die Mütter, die neben ihren todtkranken Kindern auf spärlichen Decken auf bloßer Erde liegen mußten. Wer fühlt da nicht mit, wenn aus oiesem Kampf mit dem Elend die Todes-Anzeigen der Zeitung zu lesen sind: „Gestorben als Kriegsgefangener Carl R. Hertzog im achten Lebensjahre; oder eine andere etwa in den Worten: „Erlöst Vurch -en To- von -er Kriegsgefangenschaft unser dreijähriges Töchterchen"? Viele der gefangenen Frauen stammen zudem aus der Cap- colome, wo ihre Eltern Alles aufbieten, sie wie ihre Kinder zu befreien und für sie zu sorgen — leider bis jetzt ganz vergebliche Liebesmühe. Gewiß eine recht harte Probe für die loyalen Cap- colonisten, ruhig Blut zu behalten. Bringt schon der Anblick dieser Jammergestalten das Blut in Wallung, so erregen noch mehr ihre Erzählungen von dem, was sie in den Republiken von der Kritischen Soldateska zu leiden hatten. Die Boerenfrauen sollten den Engländern quasi als Hilfstruppen gegen die eigenen Männer dienen. Sie sollten das Herannahen der Boerencommandos auf ihre einsam gelege nen Farmen selbst bei Nacht verhindern (also etwas, was selbst englische Truppen nicht zu verhindern vermögen), bei Strafe, daß ihre Häuser verbrannt würden. Die Frauen in den Städten wurden vielfach ausgesandt, ihre Männer zu bewegen, die Waffen niederzulegen. Vielfach weigerten sie sich, das zu thun, oder ermuthigtcn statt dessen vielleicht die Männer noch, aufs Aeußerste zu widerstehen, sie (die Frauen) wollten Alles willig ertragen. Und was haben diese tapferen Frauen nicht Alles ertragen und müssen sie noch ertragen! Eine „Blumen lese" ihres Elends erfreut kein menschlich fühlendes Herz. In Standerton wurden sie (Schuldige wie Unschuldige) in ihren Häusern viele Wochen lang gefangen gehalten und durften mit Niemand «in Wort sprechen. Nur Sonntags war es erlaubt, einmal zur Kirche zu gehen, wovon natürlich mit dem ersten Glockenklang ausgiebig Gebrauch gemacht wurde, um auch einig: Augenblicke Zeit zu finden, sich gegenseitig in dem Elend zu trösten. In Heidelberg ist den Frauen, deren Männer noch kämpfen, aller Hausrath bis zur Nähmaschine confiscirt, den sie erst zurückerhalten sollen, wenn die Männer die Waffen niedergelegt haben werden. Inzwischen müssen sie es ruhig an sehen, wie ihr Hausrath gegen Spottpreise an Farbige und Kulis verkauft wird, so daß sie also nie etwas zurückerhalten werden. Dazu ist es bei k» Pfun- Sterling (100 Mt) Strafe verboten, an solche Frauen Lebensmittel zu verkaufen. Die Frauen sollen ausgehungert werden, um die Männer mürbezu machen. Daraufhin zielt ja auch die Verordnung von General Bruce Hamilton, oder wie der Frauen mund ihn bezeichnender nennt: Brüte Hamilton, vom 1. No vember, als er die halbe Stadt Ventersburg eingeäschert, weil Boeren die Eisenbahn in der Nähe öfter angefallen. „Ihr Frauen, obschon durch Proclamation britische Unterthanen, müßt die Boerencommandos aufsuchen, wenn Ihr nicht den Hungertod sterben wollt; denn von meiner Seite wird alle Zufuhr von Lebensmitteln nach Ventersburg nun abgeschnitten." Mit dem Niederbrennen von Farmen hatte man es so eilig, daß, wo solche Mordbrennerei des Nachts stattfand, den FrauenundKindernnichtZcitgegeben wurde, sich anzukl«iden; die Decken, in welche man in der Eile die Kinder gehüllt, wurden abge nommen und ins Feuer geworfen, sammt Bündel- chen mit Kleidern, die man zu retten suchte. * Johannesburg, 28. December. („Reuter s Bureau".) Gestern wurden die Batterien von Newkleinfontein und ChimeS durch die Boeren beschädigt. * Rom, 28. December. Commandant Grober Botha, ein Bruder Louis Botha's, ist mit seinem Sekretär hier eingetroffen .'irk alsbald über Turin u«ch dem Haag weitergcreisr, um mit dem Präsidenteu Krüger zusammenzutreffen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. December. Daß der sogenannte Toleranz-Antrag der CentrumS- fraction deS Reichstags unter anderen Zwecken auch den ver folgt, daS im Jahre 1876 erlassene sächsische Gesetz, be treffend das LberanfsichtSrechl über Vie katholische Kirche, mit Hilfe der Reichsgesetzgebung zu beseitigen, ist bekannt. Hat doch der Centrumsabgeordnete vr. Pichler am 5. d. M. bei der Berathung des Antrags im Reichstage besonders auf den 8 26 dieses Gesetzes, nach dem einzelne geistliche Handlungen nur von Personen vorgenommen werden dürfen, welche zu einem hierzu ermächtigen den Amte oder zur Stellvertretung oder zur Hilfeleistung in einem solchen Amte berufen sind, hingewiesen und diese Be stimmung als eine der Ungeheuerlichkeiten bezeichnet, denen ein Ende gemacht werden müsse. Es hat daher hier und da Aufsehen errege, daß der königlich sächsische Wirkl. Geb- Rath, außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister Or. Graf von Hobeotbal und Bergen am Schlüsse der Rede, in der er den Beschwerden des Abg. vr. Pichler über Vie Lage der Katholiken im Königreich Sachsen ent- gezentrat, nach dem stenographischen Berichte wörtlich erklärte: M. H., auch ganz abgesehen davon, ob es erwünscht ist, diese Gesetzgebung abzuänderu, worüber ich mich augen blicklich nicht äußern will, werden Sie mir doch selber zu geben, daß es ziemlich schwierig ist, alte Gesetze, namentlich ein Gesetz wie dieses, das eigentlich weiter nichts ist als eine Codification deS seit der Zeit der Reformation im Königreich Sachsen geltenden Rechtes, zu modificiren. DaS ist nicht so einfach gemacht, wie die Herren sich das vorstellen. Man hat hie und da aus diesen Worten schließen zu dürfen geglaubt, daß die königlich säcksische Regierung, wenn sie auch ihren Widerstand gegen ein Uebergreifen der Reichs gesetzgebung auf ein durch die NeickSversassung den Einzel staaten vorbekalteneS Gebiet nickt aufgeben wolle, dock nicht ganz abgeneigt sei, auS eigener Initiative die Schwierigkeiten zu überwinden, die einer „Modifikation" deS Gesetzes vom 23. August 1876 entgegenstehen. Nach unseren Informationen ist dieser Schluß irrig; das, so versichert man unS, gehe schon auS dem Verhalten der königlichen Regierung in der Weckselburger Angelegenheit und aus ihrer bekannten Erklärung bezüglich des Priesters Prinzen Maz hervor; sowohl jenes Verhalten, wie diese Erklärung lasse erkennen, daß die königliche Regierung eine Abbröckelung deS betreffenden Gesetzes nicht beabsichtige; Gras von Hohenthal und Bergen habe, da dem Reichstage die Stellungnahme der Regierung in der Wechselburger und der Prinz Max-Affäre bekannt gewesen sei, nicht nötbig gehabt, auf die Frage einer Revision des bezeichneten Gesetzes näher einzugeben. Wir haben keine Ursache, dieser Versickerung zu mißtrauen. Da aber auch Minister einander ablösen und mit den Trägern von Regierungsgrundsätzen nicht selten auch diese wechseln, so ist es für unS um so werthvoller, hierdurch seststellen zu können, daß die von unS vor einiger Zeit in einem Artikel über die Wechselburger Angelegenheit gemachte Andeutung, an einen hervorragenden national liberalen sächsischen Landtagsabgeordneten solle.nicht ohne allen Erfolg kllS Ersuchen herangrtreten sein, die Bestrebungen nack Ncvision,oder Aufhebung deS Gesetzes von 1876 durch seine» Einfluß auf die Parteigenossen zu unterstützen, auf eine, wenn überhaupt begründet gewesene, so jedenfalls der Vergangenheit angehörige mißverständlicke Annahme sich gründet und daß alle nationalliberalen sächsischen Landtagsabgeordneten wie alle ihre einflußreichen Parteigenossen fest auf dem Stand- puncte stehen, der in der am 9. d.M. erlassenen program matischen Kundgebung des Landesausschusses der nationalliberalen Partei im Königreich Sachsen Ausdruck gefunden bat. Und nicht minder erfreulich ist es uns, im „Neuen Sächs. Kirchenbl.", da- aus mehr als einem Grunde diese programmatische Kundgebung freudig begrüßt, die Mitlheilung von kundiger Seite zu finden, „daß jetzt der ganze Landtag einschließlich der Rechten fest gegen die Aufhebung oder Abbröckelung deS Gesetzes von 1876" sei. Ist auch diese Mitlheilung wahr scheinlich in Bezug auf die socialdemokratischen Mit glieder der Zweiten Kammer, die schwerlich geneigt sein dürsten, sich in dieser Frage von ihren ReichStazScollegen zu trennen, zu optimistisck, so bleibt von ihr doch genug übrig, um am Schlüsse des Jahres und deS Jahrhunderts unS die tröstliche Gewißheit zu geben, daß, wenn nicht Reichstag und Bundesrath dem „Toleranzantrage" des Centrums im Laufe Fsriilletsn. e, Nauhfrost. Novelle von I. Fichtner. SialttruU verboten. VII. „Geh' «in Viertelstündchen hinaus, es wird Dich erfrischen, geh', Kind, thu' es mir zu Liebe!" bat Frau v. Kronau, indem sie besorgt in die matten Augen Elli's blickte. Ununterbrochen, Tag um Tag bis in die Nacht hatten diese armen Augen über den Büchern gelegen, um sich die Geheimnisse des Wissens einzu prägen, nun waren sie von dunklen Rändern umschattet, und ihr Glanz war erloschen. Mit aufwallendem, heißem Mitgefühl drückte die Mutier den Kopf ihres Kindes an die Brust — ach, sie fühlte es, sie wußte es, das Kind war nicht zu ernsten, schweren Pflichten geboren, wenn es auch den redlichen Willen dazu hatte und cs an keiner Mühe fehlen ließ. Das ganze Naturell, das san guinische, sonnige und doch träumerische Temperament sträubte sich dagegen, ebenso wie die zarte Gestalt, das süße, weiche, blumenhafte Gesichtchen. Und doch — sollte es wirklich ihr Schicksal sein, kämpfend und ringend hinauszutreten in die Arena des Lebens, unbeschützt, ohne Heimath — ohne Liebe? — Längst war die stille Hoffnung des Mutterherzens erblaßt — es war eine Täuschung mehr gewesen. Zürnen konnte sie ihm des halb nicht, es war auch gekommen, wie sie sich bald hätte denken müssen, ein Arzt aehört in das öffentliche Leben, braucht Ver bindungen, reiche Mittel — nur gut, daß Elli davon unberührt geblieben — so dachte das sorgende Herz, indem es der Tochter Niedergeschlagenheit nur der Last des Studiums zuschrieb. „Du hast recht, Mama, ich werde gehen und mich mit nach Lotte umsehen. Aber kannst Du nicht mitkommen?" Elli's Stimme hatte einen müden Klang. Die Mutter zeigte auf eine Stickerei — „das soll heute noch fertig werden, Du mußt schon allein gehen!" „Immer und immer arbeiten, aber das soll nun bald ein End« haben, wenn ich erst angestelli bin, — ach, Mama, wären nur erst diese schrecklichen drei Tage vorüber!" Sie seufzte tief auf. „Muth, mein Liebling, Du hast Dich so gut vorbereitet, daß der Erfolg nicht fehlen kann!" „Nicht wahr, Mama, das denke ich auch! Ich wünschte mir nur mehr Freudigkeit zu dem Beruf!" „Das wird sich Alles finden", tröstete die Mutter gegen ihre Ueberzeugung; „gehe nun, sonst ist die Sonne hinunter und Du siehst draußen auch Alles grau in grau!" Das junge Mädchen trat hinaus, der scheidende Herbsttag trug etwas von der Fröhlichkeit des Sommers, leicht und be lebend wirkte die Luft, die/sich mischte mit dem eigenthllmlichen Duft des fallenden Laubes, das im Stadtpark vom leichten Windhauch umhergetrieben wurde. Aufathmend in dem lang entbehrten Genuß, füllte sich das in letzter Zeit so bedrückte Herz mit Hoffnung uno Jreuve. Wie schön war es Doch, jung zu sein und hoffen zu dürfen! Leichten, flüchtigen Ganges, hier und da einen Blick auf die Auslagefenster werfend, gelangte Elli in die Anlagen; der Wind wehte leicht und fuhr spielend in das sich unter dem Hut hervordrängende lockige Haar, ihre Wangen färbten sich höher, die Elasticität der Jugend gewann wieder die Oberhand. Suchend streifte ihr Blick durch die Gänge, vorbei an Bäumen und Hecken, wo mochte nur Lotte stecken? Sie war unter dem Schutze größerer Mädchen hinausgegangen und tummelte sich schon einige Stunden hier herum. Da — der kleine Wildfang stürmte heran, winkend und rufend — die Hellen Augen hatten die Schwester schon gesehen. Athemlos flog ihr Lotte in die Arme. „Sollst Du so unartig herumspringen?" schalt Ellinor, und machte ein strafendes Gesichtchen, das aber dem vor Lebens lust sprühenden G«sichtchen gegenüber nicht Stand hielt. „Warum bist Du denn nicht früher gekommen? Der Doctor war da — ich hab' ihn gesehen!" rief Lottchen triumphirend. Elli's Körper durchlief ein Zittern, ihre Knie schwankten, sie sah eine Bank in der Nähe und zog das Kind mit hin. „Was — wo?" fragte sie mit zögernder Stimme, sich auf die Bank niederlastend. „Ich bin ihm gerade in den Weg gelaufen und er hat mich aufgefangen!" erzählte Lotte. Des jungen Mädchens Augen leuchteten auf, eine heiße Röthe überflog ihr Gesich» ja das war er — so wie sonst. „War er gut zu Dir?" fragte sie, die Bestätigung froh erwartend. Aber Lotte besann sich einen Augenblick. Elli hatte die kleine Schwester fest an sich gezogen. „Nun?" fragte sie, den ernst werdenden Ausdruck des rosigen Gesichtchens gewahrend. „O, er war schon gut, aber gar nicht so lustig!" „Nicht lustig", sprach Elli, leise lächelnd, nach. „Und eine Dame hatte er am Arm, die hat mich geküßt!" erzählte Lottchen wichtig. „Eine — Dame?" In Schreck und Angst hat Elli da» Wort hervorgestoßen, und erstaunt blickt das Kind auf die Schwester. „Eine ganz schöne Dame", setzt es wie beruhigend hinzu, „noch größer wie Du und ganz schwarzes Haar!" Nun glaubt Lotte ihre Erzählung gut gemacht zu haben und blickt heraus fordernd auf Elli. Vor deren Augen aber ist es dunkel geworden, die Welt um sie herum hat Licht und Glanz verloren — ihr ist, als müsse sie plötzlich versinken, als löse sich eine unsichtbare Hand von ihr, die sie bisher in leichter, sonniger Höhe getragen. Bleich und stumm lehnt sie sich an die Bank zurück, und ihre zitternden Hände sinken kraftlos in den Schooß. Bei dieser Bewegung entgleitet Lotten der Ball und rollt den Gang ent lang, sie eilt ihm nach und ist wieder mitten drin in Kinder lust und Fröhlichkeit. Jndeh ringt das junge Herz im heißen Kampf mit der ersten, stillen und doch so mächtigen, tief ver schwiegenen Liebe, die, wortlos erblüht, nun auch wortlos dahin sterben muß. Aus ist es mit der sonnigen Frühlingspracht ihres Herzens; zerstört, verwüstet, vom eisigen Windhauch durchweht, in Schmerz und Qual zusammenzuckend, wie die blühende Erde, wenn jäh und unerwartet ein Nachtfrost ertönt, das stille Leben und Weben vernichtet, so sieht es in d«r Brust des armen Mädchens aus, das nun auf sein geduldiges, hoffnungsvolles Warten die Antwort gefunden hat. — Kein Zweifel steigt in ihr auf — sie weiß es, sie fühlt es, daß er für sie verloren ist. Schmerzhaft ringen sich die kleinen Hände ineinander, die bleichen Lippen schließen sich zu fester, qualvoller Abwehr — sie muß ihn ja zurückdrängen, den Schrei des Herzens, Niemand, kein Mensch darf es ahnen, wie thöricht sie gewesen — Niemand, selbst die Mutter nicht! Und während sie so reglos vor sich hinstarrt, der Abend niedersinkt, hat sie keine andere Sehnsucht, als mit den fallenden Blättern niederzusinken, tief hinein in die dunkle Erde. „Essi — gehen wir jetzt? Ich habe Hunger." — Die kräftigen Händchen Lotten's schütteln sie und rufen sie mit diesen Worten in das kalte, nüchterne Leben zurück. Sie erhebt sich und Lotte faßt, fragend zu ihr aufsehend, sie an der Hand. Sie gehen — doch ach — wie schwer ist der Fuß, wie wüst der Kopf und wie weh das arme, junge Herz — ihr ist, als sei die Jugend von ihr geflohen — sie plötzlich alt und kraftlos geworden. Noch immer sitzt Frau v. Kronau emsig bei ihrer Stickerei, ihr Auftraggeber ist streng und sie muß pünktlich sein, um berücksichtigt zu werden. Wie diele heimliche Seufzer und Thränen hat ihre Armuth sie schon gekostet. Nun mischte sich ein Strahl von Hoffnung auf bessere Tage in ihr unermüdliche» Schaffen; wenn bis jetzt ihr Name sie vor Armuth schützen konnte, vielleicht nützte er nun doch ihrer Tochter zur Er reichung einer baldigen, besseren Anstellung. So sann und grübelte die sorgende Mutter, ohne zu bemerken, welch tiefe Niedergeschlagenheit Elli befallen. Diese begab sich zeitig zur Ruhe, ohne jedoch dieselbe finden zu können, in stummer Resignation verträumte sic Stunde auf Stunde, und nur der Anblick ihrer Mutter, als sic, noch einmal schreckhaft emporfahrcnd, dieselbe immer noch rastlos arbeiten sah, rief ihr die nahezu vergessene morgige Aufgabe mahnend ins Gedächtniß. Wie würde sie nun damit zurechtkommen, die nächsten Tage überwinden? Eine schwere Angst legte sich beklemmend auf ihr Herz, sie glaubte ersticken zu müssen unter der Last des Lebens, und es mußte — mußte doch überwunden werden, um der lieben Mutter willen — sie durfte nicht enttäuscht werden, nicht ihrer Hoffnung verlustig gehen. Heiße Kindesliebe durchzitterte das Gemllth des jungen Mädchens, das sich immer so innig mit ihrer Mutter eins ge wußt, deren Kümmernisse und Sorgen sie kannte, so lange sie denken und urtheilen konnte. Für einen Augenblick drängte dieses Gefühl alle Regungen in den Hintergrund, es litt sie nicht länger, in drängender Hast stand sie auf, warf ein Gewand über und eilte lautlos zu ihr, sie mit den weichen Armen umschlingend und die klopfenden Schläfe an ihre Brust bergend. „Ich kann nicht schlafen, wenn Du Dich so abquälen mußt. Ach Mutter, Mutter, wie unglücklich sind wir doch!" Die er stickte Stimme brach in leidenschaftliches Schluchzen, und hoff nungslos sank das jung« Mädchen an der Seite der Mutter nieder. Tief erschreckt ließ Frau v. Kronau die Arbeit sinken und strich mit zitternder Hand über das blonde Haupt ihres Kindes. „Aber Kind — ich denke, Du schläfst längst — und nun regst Du Dich so auf, fasse Dich, bald ist Alles überwunden!" tröstete sie mit liebevoller Zärtlichkeit, ohne den Grund dieser hoffnungslosen Verzweiflung zu kennen. „Laß mich — laß mich weinen!" flüsterte Elli, und un aufhaltsam rannen die Thränen — ihr Körper bebte in der tiefen seelischen Erschütterung. „Das ist die Reaction der Lberangestrengten Geisteskräfte, aber es ist am Ende gut, daß sie sich ausweint!" dachte Frau v. Kronau und drängte die bittere Frage an das Schicksal zurück, warum es gerade mit ihr und ihrem unschuldigen Kindern so herb verfahre. Sie zog das in Schmerz und Thränen aufgelöste Mädchen fester an ihre Brust, und zärtliche, schmeichelnde Lirb«»worte,
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