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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001012027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900101202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900101202
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-10
- Tag 1900-10-12
-
Monat
1900-10
-
Jahr
1900
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Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentags nm L Uhr. Redaktion und Expedition: IobaniUSgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend« 7 Uhr. Filialen: Alfrev Hahn vorm. O. Klemm'» Lsrtt». Uniyersitätsstrave 3 (Pauliuum», Laut« LSfche, K»ch«du»Sr. »n. perrl. nnd NönigSplah D BezergS-PrsIS der Hauptexpedition oder den km GüK»» -kztrk und den Vororten errichteten Aus- ^bestellen ab geholt: vierteljährlich ^ls.öO, ein zweimaliger täglicher Zustellung in« HauS 5.50. Durch die Post bezogen jur Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandsendung in- Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Natljes und Nolizei-Aintes der Ltadt Leipzig. Anzrigen.Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4g» spaltens 50^, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40/H. Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzrichnib- Tabellarischer und Zisfernfatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuug 60.—, mit Postbrförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeizeu: Ab eud-Ausgabe: Bonnittag» 10 Uhr. Morgen-Au-gabr: Nachmittag- 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen j» ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an di» Exprdttts» zu eichte». Druck »ud Verlag vou E. Polz ku Leipzig Freitag den 12. October 1900. 81. Jahrgang. Die Wirren in China. Nun endlich, nachdem man tagelang die wider sprechendsten Angaben über die Expedition nach Paotinnf» bat in Kauf nehmen müssen, kommt, anscheinend authentische Aufklärung. Man berichtet aus: * New Nork, II. Oktober. (. Nenter'S Vnrcan".) Eine Depesche ans Tientsin vom t). Vs. Mts. besagt: Fcldmarschall (8raf Waldcrscc hat angcorvuct, Vai; die Expedition nach Paottngfn am il. Oktober abzumarschiren hat. 500VDeutsche, Franzosen, Eng länder nnd Italiener verlassen Tientsin unter dem Beichte des franlösischc» (Venerats Ba > lloadnnd vercuiigrii sich in der Nähe von Paotingsu mit einer gleich starken Eoloinic, welche unter dem Eommando des englischen (ücnerals (Vaselcc von Peking ansgebrochen ist. Bier sran- ziksischc BntaiUone, welche am 4. Oktober unabhängig von dieser Expedition von Aaiigts»» anfbrachcii, find angchaltcii worden. Sie warten auf die Haupt- trnppc. Tic Amcrikaner, Nüssen und Japaner iichmcn an der Expedition nicht Thcil. Trotz aller Bersichrrnngcn der Ehinese» vom (Vegcnthcil rechnen die Bcfchlshavcr der Verbündeten mit Widerstand. (Wiederholt.) Der Bormarsch bis zum Eintreffen in Poatingsu wird einem Telegramm des deutschen Flottenvereins aus Tientsin zufolge, daö übrigens den Ausbruch ter Expedition ans den 12. verlegt, eine Woche in Anspruch nebmen. Alsdann ist eine gemeinsame Action beider Heeressäulen beabsichtigt. Nach derselben Quelle wird Graf Waldcrscc am nächsten Sonnabend nack Peking abrcisen. Tie Deutschen warten Verstärkungen in Tientsin ab. Tann erst sollen weitere Maßnahmen getroffen werden. Im Lause der nächsten Tage wird in Taku die Ankunft der ersten Mannschaften der dritten deutschen Brigade erwartet. Dieselbe Kat Ende August und Anfangs September auf acht Transportdampfern Bremerhaven verlassen, und soll in ter Zeit vom 11. bis 23. October in Taka eintrcffen. Sie bestellt.ans dem 5. und 6. ostasiatischen Jnfanterie'Ncgimente (je 2 Bataillone), der 4. EScadron les oslasiatischen Reiter- NegimentS,2Fcldbaubitz-Baiterien, l Gebirgsballerie, 2Muui- tionScvlonnen nnd einem Feldlazarett». Das Bi igade-Evininanto fuhrt zur Zeit Generalmajor von Trotka, soll aber später an Generalmajor Höpfner, den jetzigen Com- mandanten der deutschen Seebrigade, übergeben. Es ist ties für absekbare Zeit die letzte Verstärkung der internationalen Streitkräfte auf dem Kriegsschauplätze in Petschili. Daö deutsche ExpctitionscorpS wird nach erfolgter Landung dieser Truppen auf den Stand von 13^ Bataillonen, 4 Escadroncn, 10 Batterien, 3 Pionier- und 3 Eisenbakn- Eompaznicn mit zusammen 20 000 Mann nnd 56 Ge schützen gebracht werden und demnach an Truppenstärke alle anderen Kontingente überragen. Nach dem deutschen kommt zunächst das französische Contingent mit rund 17 000 Mann in Betracht. Dann folgen der Neike nach Japan mit 16 000, England mit 8000, Italien mit 2000 und Oesterreich-Ungarn mit 400 Mann. Bon den russischen und amerikanischen Truppen abgesehen, wird Gras Walter» see gegen Ente dieses MonatS über rund 65 000 Mann und 210 Geschütze verfügen. Das russische Eontingent kommt aber für die weiteren Operationen noch insofern in Betracht, als eS die wichtigen Küstenpuncte Peitang und Schanbaikwan, die Kohlenwerke von Kaiping und die Eisen bahn Tongku-Kintschau besetzt hält, daher den Schutz deS übrigen Occupaiionö-Gebietes im Rücken und gegen etwaige chinesische Angriffe von Norden her (senkrecht auf die ge nannte Bahnlinie) übernimmt; es bleibt somit ein Theil der übrigen Conringente, der zu diesem Zwecke dakin hätte dctacbirt werden müssen, für die Operationen im Felde ver fügbar. Rückzug der Russe». Berichte des Generalstabes vom Il./lO. melden: Unsere Truppen kamen von Peking nach Tientsin in drei Colonnen, die eiste am 13. August, worauf der Wagen park folgte, die zweite zwischen dem 20. und 24. September mit der Negimentsbagage und dem Artilleriepark. Der Ab marsch der letzten Truppen fand am 27. September statt. In Peking blieb eine Sappeur-Compagnie zur Wieder herstellung der Eisenbahn, ferner ein Bataillon Infanterie mit zwei Mitrailleusen zum Schutze des Palais und der Eisenbahn. DaS erste Fcldspital verließ Peking am 26. Sep tember. — Am 29. September ist General Lenewitsck mit seinem Stabe und einer Truppenabtheilung ans Peking in Tientsin angekcmmen. * AuS Petersburg, 11. October, wird uns noch ge meldet: Der „Invalide" bringt eine Uebersicht über die Mobilisirung russischer T ruppen a b l kei l u ng eu bis zu der Einnahme von Giren und Mukden bis zum 3. October, worauf ein kaiserlicher Befehl zur allmäkligen D e m o b i l i s i r u n g ertheilt wurde, wonach nur Erstens: die Truppen des Kriegsschauplatzes in Petschili, sowie auch die dritte, vierte und die fünfte Schützenbrigade mit ihrer Artillerie nnd auch See- streitkrästen bei Unterstellung unter das Coinmando des Biceadmirals Alexejew beibekalten werden; Zweitens: Bon den Truppenabtheilungen, die in der Mandschurei ein- marschirten und welche überhaupt die russische Grenze überschritten haben, bleiben mobilisirt nur jene Tbeile, welche nach den militärischen Combinationen der Heer führer durchaus nnumgängliä, auf Kriegsfuß zu bleiben haben; Drittens: Alle die Militärabtheiltingen und Behörden werten ans Fried en sfnß gesetzt einschließlich der Reserve- abtheilnngen, welche die Grenze nicht überschritten haben, wobei jedoch die nicht temobilisirten sünslen Bataillone einiger sibirischer Regimenter wie auch der von SkrjetenSk, und Tscknta des amnrischen Mllilärbezirks bestehen bleiben, während die Regimenter zu vier Bataillonen in Reserve bataillone umgcwandelt werden. Auf Lieser in dem Kaiser befehl gegebenen Grundlage werden die Truppen des Gebiets von Semirjetschensk auf Friedensfuß gesetzt, zugleich mit der Zurückberufnng der Thcile der turkeslanischen Schützen brigade in ihren früheren Garnisonsort mit Ausnahme eines Bataillons, welches zur Zeit noch in SemirjetschenSk zu bleiben habe. Bei den unter Bunct drei genannten Truppen, sowie auch bei dem dritten Schichcnpark wird die Zahl der Artillcriepferde nur soweit sie zum Transport und für Svckäler unumgänglich notkwendig sind, beibekalten, die übrigen werden demobilisirt. Bon den Kosakentruppen werden so gleich demobilisirt die Neservcregimenter, sowie auch die Neservebattcrie, ferner die Kvsakcn-Jnfanteriebrigade. Tie Regimenter der zweiten Reserve können zur Zeit im ,Falle dringendster Nolbwcndigkeit noch mobilisirt bleiben. Wenn in Folge Wiederherstellung der Ruhe in China nach dem Gange der Unterhandlungen es sich als möglich erweist, dann werden infolge des kaiserlichen Befehls alle Militär- abtheilungen demobilisirt, welche bis zu dieser Zeit noch in ihrem Bestände sich befanden und sodann nach dem euro päischen Rußland in ihre früheren Garnisonen überführt. Tie Verurthciltc». Zwei der angeblich zur Enthauptung verurtbeilten Man darinen, Kangyi und Tschaoschutschiao, sind von An fang an als Häupter der frcmdenfeindlichen Bewegung genannt worden. Kangyi war Gouverneur von Schaust (1885), Kiangsu (1888) und Kwantung (1892); nach Beginn der vom Kaiser Kwangßü unterstützten Reformbewegnng wurde er nach Peking berufen, und er soll es gewesen sein, der der Kaiserin die Gefahr der Reformen vorstellte und sie für die Anschauung zu gewinnen wußte, daß alles Fremde im Reiche ausgerottet werden müsse. Um die Geldmittel für diesen Feldzug aufzutreiben, wurde er als besonderer Commissar nach Kiangsu und später nach Kanton gesandt und zeichnete sich durch das sinancielle Geschick ans, mit dem er diese Aufgabe zu lösen und der Centralregieruug neue Geldquellen zu erschließen verstand. Seine Hauptstütze bei der Vorbereitung der Frcmdenbctze war ter aus Scheust gebürtige Tschaoschutschiao, der eben falls im Jahre 1892 als Taotai von Wentsckou in Tscke- kiang nach Peking in die Umgebung der Kaiserin berufen wurde, Minister im Tsung li Hamen nnd Gouverneur von Peking war. Gemeinsam mit Kangyi soll er die Boxer ver anlaßt haben, in Peking einzudringen und die Gesandtschaften anzugreifen. Der Name des dritten der angeblich zum Tode verurtheilten Mandarinen, Iiughien, ist bisher nicht ge nannt worden, vielleicht ist damit der berüchtigte Jübsien, Gouverneur von Schaust, der sich von jeher durch seinen Fremdenhaß hervorgelhan bat, gemeint. Die angeblich bestraften Mitglieder deS kaiserlichen HauseS sind außer dem Prinzen von Tuan, dessen Nolle bekannt ist, ebenfalls wenig genannt worden, doch scheinen es Prinzen des ersten Grades zu sein, die in dirccter Linie von Söhnen der beiden Giündcr der Dynastie Taitsn und Taitsnng ab stammen. Bei der Bestrafung des Prinzen von Tuan wird nicht aug^.den, ob er lebenslänglich oder nur zeitweilig verbannt ist, die Nebenstrafe der Zwangsarbeit, die ihm auferlegt sein soll, wird sehr häufig mit der Verbannung verknüpft. ES fehlen übrigens noch viele Namen, deren Träger als Hauptschuldige im Laufe der Unruhen genannt wurden sind; so Tnngfuhsiang, der bekannte General der Kansulruppen, der den Sturm auf die Ge'anttschasten leitete, Lilaifu, der Häuptling der Boxer, Juuglu, der Oberbefehlshaber, dessen Nolle immer noch nicht ktargestcllt ist, der Großsekretär Hsiitung, der freilich einem Gerücht zufolge gestorben sein soll, der Herzog Tschun gyi, Schwieger vater deS Kaisers Tnngtschi, und andere. Damit vergleiche man nun die weitere Meldung, daß Cbang-weih-hong, der der Kaiserin-Regentin angeralken hatte, die Boxer in die Armee anfznnehmen, zum Gouverneur der neuen Hauptstadt Singanfu, wo der Hof beute eintreffen soll, ernannt wurde. — General Juan-sch i-kai ver mehrt seine Armee um vierzigtaniend Mann aus Furcht vor Deutschlands angeblichen Plänen in Schantung. Aus Shanghai, 10. October, wird dem Deutschen Floltenverein berichtet: Die Lage in Lüd-Ehina ist eine sehr kritische, es wurde ein Angriff gegen zwei Handelsschiffe gemacht und dabei zwei Leute schwer verwundet. Der District Huna befindet sich im Aufruhr. bommandant Laus. Der „Kölnischen Zeitung" wird, wie schon in einem Theil der Auflage des Morgenblattes kurz erwähnt, auS Wesel unter dem 10. October geschrieben: „Vom Corvetten- capitän Lans ist heute bei seinen hiesigen Verwandten ein am 10. October in Jokohama aufgezebeneS Tele gramm mit den brieflich verabredeten Slichworten ein- gelrosfen, welches besagt, daß eine größere Operation an der Bruchstelle des Beines vvrgenommen worden und der Ver lauf bis jetzt ein guter ist. Es handelt sich bei der Operation vermuthlich um nochmalige Oeffnunz der bereits zugeheilten Wunde zur Entfernung einiger Knochensplitter. Tie Mil- tbeilunz von einem Beinbruch ist damit erfreulicher Weise als irrig zu bezeichnen." Tie französische Eirc»lar»ote. Ans Washington, 11. October, wird uns berichtet: In der Antwort der Vereinigten Staaten auf die Note des französischen Ministers des Auswärtigen Delcassö beißt eS: „Die Negierung der Bereinigten Staaten ist mit Frankreich der Ueberzcuzung, daß man eine genügende Genuglhunng für die geschehenen Frevel und ernste Bürgschaften für die Zukunft erhalten müsse. Prä sident Mac Kinley ist glücklich, in den Borschlägen der Note vom 4. Oktober den Geist wiederzusinden, welchen die bisher von allen betheiligten Mächten abgegebenen Erklärungen athmeten. Es würde ihm angenehm sein, wenn die Friedensverhandlungen sogleich nach Prüfung der Vollmachten ihren Anfang nähmen. Be züglich der Bestrafung der schuldigen Würdenträger sagt die Antwort, daß die chinesische Regierung zwar schon ikre Geneigtheit zeigte, eine gewisse Anzabl Schuldiger zu be strafen, daß aber die Vertreter der Mächte nach Eröffnung der Verüandlungen diese Liste noch ergänzen könnten. Hinsichtlich des Verbots der Waffeneinfuhr nach China beißt eS, dasselbe werde zweifellos nicht für immer bestehen bleiben; man werde über die Eiiiz>.!heiten sich im Laufe der Ver handlungen besprechen können. Zur Frage der zu leistenden Entschädigungen bemerkt die Antwort, eS sei der Wunsch aller Mächte, ausreichende Entschädigungen zu erhalten. Rußland habe vorgeschlagen, man möge, falls in dieser Frage die Meinungen auSeinandergingen, die Angelegen heit einem internationalen Schiedsgericht im Haag unterbreiten. Weiter beißt es in der Antwort, die Negierung könne ohne die Z n sti m m u n g des Congresses nicht die Verpflichtung übernehmen, eine ständige Schutz- truppe in Peking zn belassen, sie sei jedoch entschlossen, unter den gegenwärtigen Verhältnissen zeitweilig eine genügende Wachmannschaft daselbst zu halten. Be züglich der Schleifung der Forts von Taku behält sich der Präsident vor, seine Ansicht zu äußern, da er hierzu neue Informationen über die Lage in China erwartet. Für die Frage der Besetzung verschiedener Puncte zwischen Peking und Tientsin gilt, wie die Antwort bemerkt, der gleiche Vorbehalt wie der bezüglich des Haltens einer ständigen Schutztruppe in Peking gemachte. Der Präsident könne im Namen des Landes keine Verpflichtung I zu einer dauernden Theilnahme an einer solchen Occu- I pation übernehmen, jedoch halte er eS für wünschens- I werth, daß die Mächte von China Zusicherungen er- Fsttilletsn. 81 Der Bundschuh. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck rcrboirn. Der Mond stieg herauf und lachte traulich durch den schwarzen Tann auf den einsamen Spielmann herab, als ob er Mitleid mit ihm habe und ihn nicht so ganz allein seine nächtliche Straße ziehen lassen wolle. Aber Beit in seiner Sehnsucht und Weh- muth achtete nicht darauf. Er dachte an seine Mutter, an die gute Mutter Gretlein, die gewiß nicht ahnte, daß ihr Nesthäkchen mitten in schweigender Nacht, allein und verlassen von aller Welt, auf einsamer, unheimlicher Landstraße irrte. Es mochte fast Mitternacht sein, als er aus Rebenhügeln und Tannenwäldern heraustretend, plötzlich vor sich im Mondes glanz eine Stadt liegen sah, die sich, wie ein versteinerter Fluß, lang und schmal von einer lichten Anhöhe zum Thal herabsenkend, vor ihm ausbreitete. Hinter ihr auf steiler Höhe lagen drei schöne Schlösser, eine große Herrenburg auf dem höchsten Gipfel der Umgebung, und dicht darunter, auf isolirten Felsen, noch zwei andere Schlösser minderen Umfanges. Das tonnte nur Rappoltsweiler mit den weitberühmten Rappolt- steiner Schlössern, und zwar dem Hoh-Nappoltftein, der Ulrichs- burg und der Giersburg sein. Er war also endlich doch noch am Ziele seiner Reise angelangt, aber — das Ziel war verschlossen. Die Thorr zu, die Zugbrücken der „wohlverwahrten" Stadt auf gezogen, und dem späten Wanderer blieb nichts übrig, als vor dem Thore den Anbruch des Tages zu erwarten. Die Nacht war lind und still, glänzend und trügerisch wie ein Traum lag der Mondschein über der schönen Landschaft, und als sich Veit am Blauelhof (dem späteren Herrengarten) vor dem Niederthor ins Gras legte, beschlich ihn die Muse. Er hakte sein Instrument von der Seite, strich einige Mal mit dem Bogen darüber hin und sang dann mit seiner sympathischen, weichen Stimme in die mondbeglänzte Nacht hinaus: Zaunschlllpferlein, so arm und klein, Du bist Dein König im Neste, Es laubt im Walde, es grüßt die Halde Für solche Frllhlingsgäste. Nur ich zieh' meine Straßen Verlassen verlassen verlassen. Der Sumbert *) schallt durch Feld und Wald, Und Alles eilt zur Linden, Die Fiedel klingt, im Tanz sich schwingt, Was Lieb' und Lust verbinden Fremd zieh' ich meine Straßen Verlassen verlassen verlassen. Nicht Liebeshand, nicht Vaterland — Kein Glück winkt mir auf Erden, Ein Blatt im Wind, ein hilflos Kind —> Was soll aus mir noch werden? Fremd zieh' ich meine Straßen — Verlassen verlassen verlassen. HI. „Muhme Machtild! Muhme Machtild! hörst Du das Klingen und Singen?" „Nein, Friedel, ich höre nicht, aber ich weiß, daß es klingt und singt, die ganze Nacht hindurch." „Muhme Machtild, woher weißt Du, daß es klingt und singt in der Nacht da drauß', wenn Du es nicht hörst?" „Ich weiß es, daß es klingt und singt, weil heute Walpurgis nacht ist, Friedel. Da stürmt der Böse mit seinem wilden Heer nach dem Blocksberg, und alle Hexen und Teufelsbrut stürmt ihm nach. Das ist das Locken und Singen der bösen Geister, Walfrieda, höre ja nicht darauf, mache kein Fenster auf und keine Thür. Durch jedes Loch in der Mauer fährt der Unhold herein, bläst Dir die Augen blind oder macht Dich taub oder verwirrt Deine Sinne." „Du hast wohl einmal die Fenster aufgemacht, weil Du so schwer hörst, Muhme Machtild?" „Laß das gut sein, Friedel. Es ist schon lange her. Nimm Dich nur in Ächt vor dem Locken böser Geister." „Ach, Muhme Machtild, so lockt kein böser Geist. Hörst Du nicht die weiche, schöne Stimme." „Fremd zieh' ich meine Straßen, Verlassen verlassen!" klang es in das stille Frauengemach des Herrn Richbert's Haus, das nicht weit vom niederen Thor in der guten Stadt Rappolts weiler stand, und die hübsche Tochter des Herrn Richbert, Wal- fricda, hielt das leise surrende Spinnrad an, um mit etwas vor gebeugtem Oberkörper auf die wehmüthige, süße Melodie des nächtlichen Wanderers zu lauschen. Es war ein prächtiges, stim mungsvolles Bild, das die beiden Frauen.mit ihren surrenden Spinnrädern hinter den Butzenscheibenfenstern in der gemüth- *) Eine besondere Art Trommel aus Hundshaut. lichen, vor Alter etwas gebräunten und wie gebeizten Wohn stube in Meister Richbert's Hause darboten. Die alte Muhme Machtild, etwas schwerhörig und stumpfsinnig, die reichen grauen Haare mit einem rothen Tuch um den Kopf festgebunden, mit den trockenen, etwas zittrigen Händen den Faden drehend, ewig die Finger mit der Zunge anseuchtend, mit dem grauen, runze ligen Gesicht, der behaarten Warze am Kinn und den abergläu bisch-furchtsamen Augen sah aus wie eine echte Märchengroß mutter, und das junge Blut, das neben ihr saß, frisch und rosig, im Glanze ihrer achtzehn Jahre, neugierig, übcrmüthig, ewig un ruhig, ewig hoffend und vertrauend, mit den frischrothen feuchten Lippen, den großen, dunklen und fragenden Kinderaugen, die manchmal schon recht bedenklich fragten, war die verkörperte Jugendfrische, der lebhafteste Gegensatz, den man sich denken konnte. Oft sinnig und zierlich, oft neckisch und ungläubig, wenn ihre Muhme Machtild an langen Winterabenden die alten, schrecklichen Heidengeschichten erzählte, oft muthwillig und be herzt, dann wieder zaghaft schüchtern — so wuchs Herrn Nich- bert's Töchterlein in der Hut Machtild's allmählich heran, wie das Veilchen unter dem alten knorrigen Epheugewucher an der Kirchhofsmauer hervorlugt. Ihre Mutter, die „Richbertin", war schon längst todt, während der ehrbare Schlossermeister und Rathsherr in der Stadt Rappoltsweiler, der ihr Vater war, von anderen Beschäftigungen und Sorgen in Anspruch ge nommen war, und sich nur selten um sein hübsches Kind küm merte, und dann auch gewöhnlich in der derben, handfesten Art, die ihm eigen war, und Walfrieda mehr verschüchterte als bildete. Friedel horchte mit ihrem jugendlich ahnenden Herzen noch immer auf den nächtlichen Sänger da draußen, und während Herr Richbert noch auf der Rathsstube mit seinen Kollegen bc- rathschlagte, wie sie ihre Stadt am besten gegen das immer mehr überhand nehmende Gesindel der Landstraßen sicherten und schützten, lauschte sein Kind immer gespannter, immer erregter und hingerissener auf das Liedchen eines dieser „Fahrenden", daß ihr Herz es mächtig ergriff, daß sie plötzlich aufstand, um ans Fenster zu eilen und besser zu hören. Dabei stieß sie an den Tisch und die kleine Oekkampe, auch so ein furchterregendes Ungethüm, wie es sich nur unsere mittel alterlichen Voreltern leisteten, fiel um und erlosch. „Was ist Dir, mein Kind", sagte Machtild erschrocken, „was hast Du? Bleibe ruhig sitzen, bis ich wieder Licht hole. Hörst Du, Friedel? Bleibe still sitzen." Damit stand sie auf und tastete sich langsam aus der dunklen Stube hinaus, um Licht zu holen. Einsam und tiefergriffen stand Friedel am Fenster und horchte mit ungehaltenem Athem nach dem Gesang. Müde und unendlich traurig klang der End reim von der Landstraße herein: „Nur ich zieh' meine Straßen Verlassen — verlassen — verlassen!" Sie wußte nicht, wie ihr geschah. Ihr war plötzlich, als ob Niemand auf der weiten Welt so verlassen und einsam sein könne, wie sie selbst, und daß der Sänger in seiner Einsamkeit ein Trost für sie in der ihren sei. Hastig stieß sie das Fenster auf und beugte sich hinaus in die Nacht. Eben begann der Gesang von Neuem. Sie fürchtete sich nicht vor der wilden Jagd, die in der Walpurgisnacht zum Blocksberg zieht, keine höllischen Geister und kein Spuk, mit dem Muhme Machtild seit Jahr und Tag ihre Ohren anfüllte, machten ihr Graus, sie hörte nur die sympathische, ihr so sehr zu Herzen gehende Stimme des Sängers und den leisen Ton seiner Fiedel. Das konnten keine bösen Geister sein, und wenn es doch Geister waren, die da draußen ihren Zauber vollbrachten, so mußten es gute sein, die den Menschen glücklich und sroh- gemuth machen. So fand sie die mit der Lampe zurückkehrende Machtild. „Hilf Himmel, Walfrieda", entsetzte sich diese, „was thust Du da? Fort, schließe das Fenster. Willst Du, daß Dir die bösen Geister die Augen ausblasen? Fort, schließ' das Fenster. Willst Du weg? Fort, sage ich." Dabei zerrte und zog sie an Walfriedens Kleidern, um sie vom Fenster wegzubringen, aber vergeblich. Walfrieda lehnte sich steif wie Eisen mit todtblassem Gesicht und thränenden Auges hinaus in die Nacht und sang unwillkürlich leise den Endreim des Liedes mit: „Fremd zieh' ich meine Straßen Verlassen — verlassen — verlassen!" In diesem Augenblick betrat Herr Richbert heimkehrend die Stube. „Gott steh' uns bei, Herr Richbert, Herr Richbert", jammerte die alte Machtild, „die Friedel ist behext." Dabei wies sie mit der alten runzeligen Hand zitternd nach dem Mädchen hin und glotzte Herrn Richbert drohend und mit dem Kopfe nickend an, als wollte sie sagen: „Sieh' nur selbst hin und überzeuge Dich, daß sie verhext ist und daß ich nicht Schuld daran bin." Ruhig, aber fest und kräftig nahm Herr Rickbert Walfrieda in seine Arme und lehnte ihren Kopf an seine Brust. „Was hast Du, mein Kind?" fragte er ungewöhnlich weich und theilnehmend, denn er sah wohl, daß Friedel blaß, aufgeregt und auch sonderbar traurig war; sie fiel ihm schluchzend und zuckend um den Hals und konnte vor Thränen und Rührung
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