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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.10.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001017024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900101702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900101702
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-10
- Tag 1900-10-17
-
Monat
1900-10
-
Jahr
1900
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Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes nnd Nolizei-Amtes der Stadt Leipzig. Anzeigen »Prei- die 6 gespaltene Petitzeile -S Reklamen untrr dem RrdacNouSstrtch (4 gespalten) 75 vor de» FamUiennach- richten (S gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen uud Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbeförderung .»l 60.—, mit Postbeförderung Xl 70.—. Aunahmeschlub für Tluzeigeu: Abend-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgeu-Au-gabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Pol- tu Leipzig. 53« Mittwoch den 17. October 1900. 94. Jahrgang. Die Expedition unseres Blattes ist morgen Donnerstag wegen der Leier der Grundsteinlegung zum Völkerschlacht-Denkmal von ^0 Nhv Vsrin. bis 2 Aho Naehnr. geschloffen. Die Wirren in Lhina. —p. Es muß mit der Einigkeit der Mächte doch noch nicht ganz klappen, sonst würden nicht Noten auf Noten gewechselt. Mehrere Pariser Blätter wollen wissen, daß Del-, cassä demnächst eine n e u e N o t e an die Mächte richten werde, in welcher er ein ResumL der Antworten der Mächte auf die erste französische Note geben wird. Die Absendung dieser zweiten Note werde einen Meinungsaustausch der Mächte über die ihren Vertretern in Peking zu ertheilenden Instructionen zur Folge haben. Langsam, sehr langsam nur rückt der diplomatische Karren vom Fleck. Bald wird vorn, bald hinten, bald vorn und hinten gleichzeitig angespannt, und trotz aller „gegenseitigen Zustimmung" der Mächte kommt, es nicht zu gemeinsamem Handeln. Auf Delcaffö's erste Note ist gestern die Antwort Deutschlands eingegangcn. Wie uns aus Berlin von wohlunterrichteter Seite geschrieben wird, konnte dieselbe um so mehr in cnl gegen' kommendem Sinne gehalten sein, als die Note Delcasse's ebenso, wie die Note des Grafen Bülow vom 1. October, von der Bestrafung der Schuldigen ausgeht und in den übrigen Puncten die Möglichkeit zu Modifikationen offen läßt. Nach- dem französische Blätter über den Inhalt der Note Delcasse's schon einige Zeit, bevor sie formell ausgefertigt war, Mit theilungen gemacht haben, verlohnt es sich, darauf hinzuweisen, daß die Note selbst kein Datum trägt und am 4. Oktober in Berlin übergeben wurde. Mithin gebührt der bekannten Note des Grafen Bülow vom 1. Octvbcr die Priorität. DelcassL thcilte gestern im Ministerrathe über den Erfolg seiner Note mit, daß sämmtlicheMächte sich bezüglich des Programms der Verhandlungen mit China zustimmenv geäußert und es mit als Grundlage der Verhandlungen angenommen hätten. Viel will das, nach den bisherigen Erfahrungen, wie gesagt nicht heißen, andernfalls dürfte Delcassö es nicht für nöthig be funden haben, nochmals zu schieben. Tte Expedition nach Poatingfu. Bezüglich der Expedition nach Poatingfu berichtet „Stan dard" in drei, aus Tientsin unter dem 17., 15. und 16. October datirten, Depeschen: Die Verbündeten erreichten am 13. October Tiliu, ohne auf Widerstand zu stoßen. Am 12. October passirtcn 400 Franzosen einen Ort auf dem Wege von H s i u n g - h s i e n, wo sie die dortigen Katholiken befreien wollten. Am 15. October langte in Tientsin die Nachricht an, daß die französische Truppe Paotingfu erreicht habe und die chine sischen Behörden die Stadt ohne Weiteres übergeben hätten. Die Franzosen, heißt es, bewachen jetzt die Eisenbahn. Das Telegramm vom 16. October be richtet: Da die Expedition nach Poatingfu lange vorher an-1 gekündigt war, hatten die chinesischen Beamten und die wohl- j habenden Bewohner von Poatingfu alle Werthsachen nach der Grenze von Honau gesandt; die Stadt ist fast verlassen. Alle Berichte stimmen nunmehr darin überein, daß die aufständische Vcwcgung im Tüdc», die in der Provinz Kwantung ihren Mittelpunkt zu haben scheint, im Wesentlichen eine Erhebung der Reform partei gegen die Mandschudynastie ist. Ihr Führer, der Arzt vr. Sunyatsen, ist ein Freund und in politischer Hinsicht ein Schüler K a n g y u w e i' s, des bekannten Berathers des Kaisers Kuangsü bei dessen reformatorischen Bestrebungen, denen der Staatsstreich der Kaiserin den Garaus machte. Bis vor Kurzem lebte er unter englischem Schutze in Singapore, wo vor einigen Monaten gedungene Mörder einen mißglückten Anschlag auf sein Leben machten. Kangyuwei ist bis jetzt nicht in den Vordergrund getreten, und die Behauptung, er sei vor einiger Zeit in Shanghai und am Jangtse gesehen worden, hat sich nicht bestätigt. Jedenfalls sind auch er und seine Anhänger eifrig an der Arbeit, ein Zeichen dafür ist, daß die Bewegung am oberen Jangtse trotz des rücksick/tslosen Ein schreitens des VicekönigsTschangtschitung nicht zur Ruhe kommen will. Die Reformer im Süden haben offenbar den im Volke weitverbreiteten und gefürchteten Geheimbund Samhopwui, die Dreifaltigkeitsgesellschaft, für ihre Zwecke gewonnen, die von jeher die Gegnerschaft der Chinesen gegen die mundschurischen Eindringlinge und die fremde Dy nastie verkörperte. Als kluge Politiker haben sie die Parole aus gegeben, daß die Fremden und ihr Eigcnihum zu schonen seien und die Bewegung sich ausschließlich gegen dke reform feindliche Centralregierung und deren Beamte zu richten habe. Sie betrachten vorläufig die Fremden, die mit ihrer verhaßten Kaiserin im Kriegszustände sich befinden, als ihre natürlichen Bundesgenossen, obschon auch sie im Grunde — die vielen Schriften Kangyuwei's beweisen das — ebenso fremden feindlich sind, wie die Mandschu. „Es wäre daher, schreibt die „Köln. Ztg." officiös, verfehlt, wollte man diese Reformer unter stützen und von ihnen eine durchgreifende Besserung der Zu stände und das Nachlassen der fremdenfcindlichen Stimmung im Lande erwarten. Man kann vielmehr mit Sicherheit annehmen, daß Aufruhr und Bürgerkrieg sich vereinigen würden, wenn es ihnen gelingen sollte, größere Erfolge zu erringen und ihrer Sache weitere Ausbreitung zu verschaffen. Das wäre aber nicht nur für die Fremden und die Zukunft ihres Handels ein großes Unglück, sondern müßte die Dynastie selbst noch viel schwerer treffen, als das militärische Vorgehen der Mächte es gethan hat. Deshalb sollte diese Bewegung (wie auch im „Leipz. Tagebl." schon ausgeführt wurde) für die Kaiserin ein Wink sein, daß es Höch st e Zeit sei, mit den Mächten I ihren Frieden zu machen." „Standard" berichtet aus Tientsin unter dem 15. October: Eine unerläßliche Vorbedingung des befriedigenden Fort schritts in der Regelung der chinesischen Frag- ist dieWieder - Herstellung der Autorität des Kaisers. Das allein wirksame Mittel ist die Erklärung, der Kaiser müsse an einem bestimmten Termine nach Peking gebracht werden, sonst würden die Gräber der Ming-Dynastie zerstört und die Mandschu-Dynastie beseitigt werden. Selbst die Kaiserin-Wittwe würde einer Drohung Gehör geben. Dem „Berl. Loc.-Anz." wird aus Shanghai, 16. October, telegraphirt: Aus Hantau liegen Meldungen vor, daß der chinesische Hof in Singanfu angekom men sei. (Desselbe wurde bekanntlich schon der „Frkf. Ztg." gemeldet.) Große Schiffsladungen mit Geld und Nahrungs mitteln, sowie Waffen für den Hof treffen noch ständig aus den Jangtse-Provinzen ein. Der Jangtsefluß wimmelt von Dschunken, beladen mit Truppen, Lebensmitteln und Munition, die von Hankau fluß aufwärts nach Hantschung fahren, von wo zwei Canäle nach dem Hoango, und zwar in die Nähe von Singanfu, führen. Dieser Wasserweg würde für Waldersee'Z etwaige Operationen gegen Singanfu von größter strategischer Bedeutung sein. Tie Vicekönige im Jangtsethal sind sehr auf geregt über die Ernennung Jutschang's zum Gouverneur von Hupeh, die gegen Tschangschitung's Willen erfolgte. Es heißt auch, daß der Hof ein geheimes Edict erließ, das die Enthauptung aller Vicekönige und Gouverneure anbefiehlt, die sich geweigert hatten, die kaiserlichen Befehle auszuführen, d. h. die Ausländer zu ermorden. Die Rebellion im Süden scheint sich zu einer Anti-Mandschubewegung zu entwickeln. Die kaiser lichen Truppen wurden bei Wutschau von den Tuangsi-Rebellen geschlagen, die sich den Aufrührern'in Kwantung anschlicßcn wollen. Die „Times" melden aus Shanghai: AuS guter Quelle verlaute, Linkunyi habe telegraphisch Sir Robert Hart gebeten, nach Kräften auf eine friedliche Beilegung der Streitigkeiten hinzuarbeiten. Hieraus geht hervor, daß der ge nannte Vicekönig von Nanking eine Ausdehnung der Unruhen befürchtet, wenn man den derzeitigen Zustand fort dauern läßt. Die Gilden von Shanghai petitionirten an die Consuln in ähnlichem Sinne. Die Ankunft der Leiche von Kctteler'S wird demnächst in Shanghai erwartet. Auf Befehl Li-Hung- Tschang's machte der dortige Taotai das Anerbieten, einen Trauergottesdienst abhalten und dabei Trankopfer darbringen zu lassen. AuS vcr Mandschurei. Beim Generalstab in Petersburg sind gestern folgende Meldungen cingetroffen: Beim Vorrücken der Amurtschen Trup pen nach Telin kam es zu einigen unbedeutenden Gefechten mit chinesischen Truppen. — Am 27. September nahm eine Colonne des Obersten Rutkowski, bestehend aus einem Schützen regiment, 6 Geschützen und einer Schwadron, Lalintschen. Die Bevölkerung bereitete den Truppen einen sehr freundlichen Em pfang. Der chinesische Gouverneur und die übrigen chinesischen Beamten veranstalteten Festlichkeiten für die russischen Officiere, die Bevölkerung bewirthete die Soldaten. In Lalintschen kam die Colonne des Obersten Rutkowski mit den Truppen deS Gene rals Aigustow in Fühlung. Weitere Meldungen. * Hongkong, 16. Octobrr. („Reuters Bureau ") Der Aufstand in dem Hinterlande Kaulung dauert fort, die Aufrührer ziehen nach dem Lstslusse. Admiral Ho zögert, obgleich er 4000 Mann befehligt, vorzurücken. Eine englische Streitmacht langte an der Grenze an, wo sie sich gelagert hat. * Paris, 16. Oclober. Minister DelcassL theilte dem Minister» rathe mit. Las Li-Hung-Tschang den Schwarzflagge» und Truppen aus Kwangsi, welche auf dem Marsche durch die Provinz Hünen sich befanden, um zum Hofe in Scheust zu stoßen, befahl, nach Canton zurückzukehren. ———- . F- Die TchreckenSzeit in Peking. Tie Vorbereitung der Fremden zur Bcrtheidigung. Die Londoner Mission und die Gesellschaft zur Ausbreitung des Evangeliums übergaben ihre Gebäude den chinesischen Be hörden, die sie für deren Sicherheit verantwortlich machten, und alle Missionare mit ihren Familien begaben sich in die britisch: Gesandtschaft.. Die amerikanische Boardmission überantwortete ihr Eigcnthum unter derselben Bedingung der chinesischen Re gierung und zog sich nach der großen methodistischen Episkopalmission beim Hatamenthor«, außer halb des Fremdenviertels, zurück. Dort waren bereits eine An zahl Missionare aus Tungschau mit ihren Familien und mehr«w- Hundert chinesische Christen versammelt. Man ging daran, die Gebäude zu befestigen. Unter der Leitung des Herrn F. D. Gamewell wurden tiefe Gräben ausgehoben, Erdwerkc äufgeworfen und Hindernisse von Stacheldraht gelegt. Wachen wurden eingerichtet und Posten ausgestellt, Dorräthe wurden ein gelegt, kurz, alle Vorbereitungen wurden getroffen, um einer Be lagerung widerstehen zu können. 20 Seesolvaten und ein Kapitän wurden von der amerikanischen Gesandtschaft als Schuhwache dorthin geschickt und einige wenige Büchsen stellte di britische Gesellschaft zur Verfügung. Die chinesischen Christen wurden mit Speeren und Messern bewaffnet, und man war ent schlossen, einem Angriff Stand zu halten. Die Mission war je doch auf Gnade und Ungnade in der Gewalt einer jeden Truppe, welche die hohe Stadtmauer und das Hatamenthor besetzte. Ohne in der Lage zu sein, das Feuer auch nur zu erwidern, wäre I die kleine Besatzung von der Mauer aus, die nur einen Stein - I Wurf von den Gebäuden entfernt ist, zusammengeschoflen worden. Feuilleton. 7s Der Sundschuh. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck veibole«. Es lag gewiß Niemandem viel an einem so versoffenen Lump, wie «S der Läpplin war, aber gleichwohl wünschte Herr von Rappoltstein, ein so summarisches Verfahren zu verhüten. Er wollte Klarheit, wollte wissen, was um ihn her geschah. Em solches Gerücht, wie es Läpplin verbreitet, war zu giftig, zu ge fährlich, und vor Allem zu fein erdacht, als -daß es Läpplin auf eigene Faust erfunden und verbreitet haben könnte. Es staken also verborgene Feinde dahinter, Leute, welche die Rappoltsweiler Bürger und Bauern direct gegen ihre Herrschaft, gegen ihn, Herrn Ulrich von Rappoltstein persönlich, aufwiegeln wollten. Diese Leute mußte er kennen, wenn er nicht riskiren wollte, bei Nacht und Nebel einmal in feinem Schlosse überfallen, er mordet oder doch davon gejagt zu werden. „Junker von Hohnack", rief er deshalb diesem laut und be fehlerisch zu, „Ihr haftet mir dafür, daß Läpplin jetzt sofort in sicheren Gewahrsam gebracht wird- Alles Weitere soll der Gerichtshof dann entscheiden. Fort mit ihm." Trotzdem hielt es schwer, Läpplin vor der wüthenden Menge in Schutz zu nehmen, die sehr geneigt war, mit dem Trunkenbold kurzen Proceß zu machen. Erst in der Dunkelheit und mit Auf bietung einer großen Anzahl von Söldnern der Stadtmiliz ge lang rS, Läpplin in den inneren Thurm zu bringen. VN. Da» erste Gefühl Walfriedens, nachdem sie in der schrecklichen Weise auS ihrem unschuldigen LiebeStraum am Dusenbach ge weckt worden, war tiefe Scham, als ob sie über einer Todsünde ertappt worden wäre. Dieses Weibergekreisch um sie her, dieses Fragen und Tuscheln der Klatschbasen und Tanten war ihr schrecklicher als der Tod. Sie hätte in die Erde sinken mögen, blos um diesen Fragen zu entgehen. Was er für Zauber mit ihr aufgestellt habe, ob sein Mantel naß gewesen, sein linker Fuß ein Pferdefuß und seine rothe Feder auf dem Hute eine Hahnenfeder gewesen sei, wollte man nebst vielem anderen tollen Zeug, dessen Sinn sie nicht einmal verstand, von ihr wissen. Salz und Dille wurden ihr wider ihren Willen gewaltsam in die Schuhe gestreut, um, wie man behauptete, die Behexung wirkungslos »u machen. . . . . . > Manchmal war es ihr ob all' dieses sinnlosen und abergläu bischen Geschwätzes, als wenn wirklich mit ihr eine unerklärliche Veränderung, ein süßer Zauber vorgegangen, denn in all' ihrem Unglück und — wie sie meinte — in ihrer Schande sah sie wie durch Zauberei greifbar deutlich vor sich die Gestalt Veit Led's, seinen feinen, zierlichen Mund und das gutmllthige, innige Glänzen seiner treuen Augen. Dann glaubte sie selbst an den Zauber, aber nicht an Veit's schlechten Willen. Im Gegentheil weinte sie still und trostlos, wenn sie daran dachte, vatz ihn rohe Söldnerknechte gefesselt fortgeführt. Was würde mit ihm ge schehen? Was mußte sie thun, um ihn zu retten? Das waren die Fragen, die ihr in ihrer Trostlosigkeit zuerst auftauchten. Aber sie war an dem Tage so niedergeschmettert, so ver schüchtert, daß sie zu keinem Menschen ein Herz fassen, keinem trauen mochte. Ihre Stimmung war ihr selbst so neu, so glück lich und traurig zugleich, daß sie nicht hoffen durfte, von Jeman dem verstanden zu werden, selbst wenn sie es über sich vermocht hätte, davon zu reden. Und ein altes Volkslied, das sic schon als Mädchen irgendwo gehört hatte, spiegelte die sonderbare Ge- füblswelt, die sich in ihr so unerwartet heftig und hinreißend erhoben, wider und kam ihr deshalb nicht mehr aus dem Sinn. Es hieß darin: WaS hab ihr mich zu fragen, Wie heimliche Liebe thut? Es haben drei Reitersknechte Geschlagen mein Lieb' zu todt. Und haben drei ReiterSknechte Geschlagen Dein Lieb' zu todt, Ein anderes sollst du dir kiesen Und tragen frischen Muth. Sollt' ich einen Anderen kiesen, Das thut meinem Herzen so weh, Ade, lieb' Vater und Mutter, Ihr seht mich nimmermeh'. Ade, lieb' Vater und Mutter Und mein jüngstes Schwestrrlein, Will geh'n zur grünen Linden, Da liegt der Liebste mein — —. Das war ein uraltes, kunstloses Lied mit einer einfachen Me lodie, und doch wurde sie es nicht wieder los und war ihr ein ziger Trost an jenem schrecklich-schönen Tage. „Du mußt ihn vergessen", predigte die alte Machtild mit stundenlanger Ausdauer auf sic ein, „und sollten darüber neun Jahre und neun Tage vergehen. Laß mich nur machen. Den stärksten Zauber breche ich, wenn Du gehorchst. Du wirst doch gehorchen, Friedel? Denk' an die Gräfin Hungerstein. Soll es Dir auch so gehen? Kennst Du die Geschichte von der schönen Gräfin Hungerstein?" „Laß mich in Ruhe mit Deinen alten Geschichten, Muhme Machtild. Ich mag sie nicht wissen", meinte Friedel. Gott mochte wissen, was die alte, schwerhörige Machtild verstanden hatte, denn unmittelbar darauf fuhr sie, die Geschichte von der schönen Gräfin erzählend, fort: „Da war der alte Graf Wilhelm von Hungerstein, der hei- rathet ein bildschön Weib. Und das war behext durch einen Troßbuben, der schlug den alten Graf Wilhelm in der Nacht zu todt. Da führten sie die schöne Gräfin hinaus vor Schlettstadt und wollten sie im Jllfluß ersäufen, aber da sie des Teufels war, ging sie nicht unter und zogen sie wieder aus dem Wasser heraus und brachten sie" „Ich will Deine schrecklichen Geschichten nicht wissen, Muhme Machtild, hörst Du? Ich will nicht", schrie ihr die arme Wal frieds zu, aber das nützte ihr Alles nichts. Muhme Machtild erzählte ihre schreckliche Geschichte von der schönen Gräfin Hungerstein weiter, wie sie in den Thurm der Ul- richsburg kam und Hungers sterben sollte, aber heimlich von hölli- Geistern gespeist worden, und schließlich nach allerhand Aben teuern vom leibhaftigen Gottseibeiuns geholt worven war. Muhme Machtild hatte vielleicht, wenn sie nicht auS reiner, per sönlicher Vorliebe für solche Mord- und Gespenstergeschichten erzählte, dabei die Absicht, Walfrieda möge sich an der Verhexung der schönen Gräfin ein warnendes Beispiel nehmen, aber die dunklen Bilder einer durch rohe Zeiten, Aberglauben und Volks verdummung verdorbenen Phantasie hafteten bei der jugend frischen, zum ersten Male durch den Sturm einer süßen Leiden schaft bewegten Walfrieda nicht. Aus dem wüsten Troß der alten Weiber, die Machtild auf geboten hatte, um ihr Pflegekind aus den Krallen des Bösen zu befreien, war noch eine bei Machtild zurückgeblieben, die in Rappoltsweiler unter dem Namen der Waid-Urschel sehr bekannt und als weise Frau berüchtigt war. Direct wagte sich die Waid- Urschel nun freilich nicht an Walfrieda heran. Dieser gegenüber begnügte sie sich, daS Kreuz zu schlagen, sie mit scheuen Blicken zu beobachten, dabei allerlei Zaubersprüche zu murmeln und ähn lichen Blödsinn zu treiben. Aber Walfrieda hörte doch, selbst wenn sie nicht wollte, was die Waid-Urschel mit der alten Mach tild verhandelte, und schon das machte ihr Grauen. „Die nächste Leiche, die zum niederen Thor hinausgetragen wird", flüsterte die Waid-Urschel der alten Machtild geheimniß- voll wichtig ins Ohr, „muß daS Friedel in die rechte große Zehe beißen. Das bricht den stärksten Zauber und muß auch ihren brechen. Ich will's schon richten, daß eS geht. Sorgt nur, daß sie eS thut." Walfrieda war entsetzt über solche Zumuthungen und über all' den blühenden Unsinn, aber inmitten all' dieser abenteuerlich grotesken Bilder und Vorstellungen einer noch halb barbarischen Zeit, der noch die Spuren des Heidenthums anhafteten, keimte in ihrem Innern doch still, aber zäh und kräftig, die Blüthe ihrer kindlich-reinen, jugendlichen Liebe. Die unverdorbene, frische Naturkraft in ihr trotzte all' diesem mittelalterlich rohen Spuk. Mochte es Zauber sein oder nicht, in dem sie sich gefangen fühlte, sie wollte gar nicht daraus erlöst sein, weder durch die vorgeschlagenen, noch durch andere Mittel. Der Zustand gefiel ihr ganz wohl, nur mußten natürlich Mittel und Weg« gefunden werden, daß Veit befreit und mit ihr vereinigt werde. Wenn Walfrieda daran dachte, daß Veit unter den royen Söldnern vielleicht schlimme Zeiten durchzumachen und möglichst gar einer peinlichen Befragung ausgesetzt war, überschlich sie ein banges Zittern, und sie strengte sich an, um Hilfe und Rettung zu schaffen. Aber was konnte sie allein thun? Ihr Vater war wieder fortgegangen. Die Stadt war an mehr al» einem Puncte in Unruhe und Aufruhr. Die Leute prügelten sich draußen vor dem Jungfernthore, wo das Walpertsfest begangen wurde, und auch in der Stadt vor dem Rathhause, und Herr Richbert war bald hier, bald da. Allein aber konnte Walfrieda in dieser wilden Zeit nichts auSrichten. Auf Muhme Machtild war unter solchen Umständen nicht zu rechnen. Geschehen mußte aber etwas, und zwar sofort, noch heute, denn wer konnte wissen, was Alles in der bevorstehenden Nacht oder selbst den Abend geschah? In dieser hilflosen Noth konnte Walfrieda, wie die damalige Zeit nun einmal lag, nur eine Lösung, nur eine Rettung finden, und das war — die Herrschaft. Durch hundert kleine und «roße Bande war Bürger und Bauer jener Zeit an seine Herr schaft, mehr als an Regierung und Kaiser und König, geknüpft. Die Herrschaft war Richter in allen Dingen, war Besitzer von all' und jedem, und daS abhängige Gefühl, in dem Bürger und Bauer zu ihr stand, war ein patriarchalische» und wurzelte nicht nur in der Zeit, sondern auch in der Tradition. Nun war Wal frieda mehrere Male beim Kranzsingen, an früheren Walpertik- tagen oder anderen festlichen Gelegenheiten mit Sdelind« von Rappoltstein zusammengekommen und sogar in schmeichelhafter Weise bevorzugt worden. Sie war öfter auf dem Herrenschloß ge wesen. Es war also nur natürlich, daß sie sich jetzt v» ihrix Noth auf ihre einflußreiche und mächtige Freundin besann und diese für ihre Zwecke einzunrhmen suchte.
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