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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.10.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001019014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900101901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900101901
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-10
- Tag 1900-10-19
-
Monat
1900-10
-
Jahr
1900
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Morgen-Ausgabe Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. 84. Jahrgang Freitag den 19. October 1900. i t. i n s 170.50 82, - 155.50 310,— 180,25 171,70 184,SS II»,50 107.50 7/10) tu 0) von «is»«o- (IS/IO) LSSSLQt 182.50 18!.— 175.50 1847S 118.75 107.75 io. »». ld. oti L , kkov«wd«r ö,77>^, «o- ie^>. II».— 8 — ! 120,50 852,— V«> r«n Octoixr »i 1i«.bN. iltLll. r 6<XX)I. riieksit >eb nur ?»cl» ist »r v«r- >öl v«r- isbdskt. sirisit >t ntodt 6 1. NMM TllgMllü Anzeiger. ÄmtsbtaLt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Nolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. 171,25 82.25 >SS,5O 31 181,— 17280 184,80 107 AO örs« «r ri«<irir«r oliäLtiori Hibsrai» orsicvsii oe»cti»ll »rst xs- ck dsiits irsn-cks md»r<i«n ^»n tiot2 > voll«» i 4 kroc. »8", -cd -116- sllscti»kt itisv d«- > pr«i,- v6» uoä t<U»voot Die Lchre«ken»rrt1 t« Vektng. Ttr Claude »«edsnnltz übernimmt »«» L-mmauda. Der 22. Juni begann verhLngnttzvoll. Am Abend vorher theilte Kapitän Thomann, der österreichische Commandant, mit, daß er al» rangältester Officier den Ober befehl in Peking übernommen habe. Am folgenden Morgen sagte ihm ein Amerikaner, der keinerlei Stellung und Auftrag batte, die amerikanisch« Gesandtschaft sei aufgegeben, und ohne Schritte zu thun, um diese Behauptung zu controliren, gab er Befehl, daß alle Gesandtschaften östlich der Lanalstrag« zu räumen seien und die Besatzungen sich auf die britisch» Legation zurück,»ziehen hätten. Keinerlei ncnnenswerthe Zwischenfälle hatten sich zuge tragen, keine Gesandtschaft war angegriffen worden, und jeder der Commandeure, der den Rückzugsbefehl erhielt, war der Meinung, daß es eine Verrücktheit wäre. Ferner erhielten die Iapaner den stritten Befehl, den Palast oder Fu (wie ich ihn fortan nennen werde) des Prinzen zu räumen, und sie zogen sich auf ihre Gesandtschaft zurück. In der britischen Gesandtschaft war von dem Befehl nichts bekannt, als man zu Aller Erstaunen die Italiener, Oesterreicher und Franzosen die Gesandtschafts straße hinablaufen sah; etwas später folgten die Japaner und dann die Deutschen, die ihren Posten auf der Mauer eingezogen hatten und nun, ohne daß ein Schuß auf sie abgegeben worden wäre, an der Mauer entlang zur Canalstraße marschirten. Als die Amerikaner und Russen erfuhren, daß alle Stel lungen östlich der Canalstraße aufgegeben seien, und als sie sich nun, obschon ihre Verbindung nicht im Mindesten bedroht war, abaeschnitten sahen, zogen auch sie sich Hals über Kopf in die britische Legation zurück. ES war eine vollständige Panik, die in schwerem Unheil hätte enden können. Aber es wurde schnell eingegriffen. Kapitän Thom an n wurde seines CommandoS enthoben und auf dringendes Bitten deS französischen und deS russischen Gesandten, denen die übrigen sich anschlossen, übernahm Sir Claude Macdo- nald den Oberbefehl. Die Franzosen und. Oesterreicher besetz ten wieder die französische Gesandtschaft, aber die Barricade in der Zollstraße war verloren. Nur ein Deutscher war gefallen, aber die Stellung war gerettet. Der Schnitzer hätte verhängniß- voll werden können. (Die „Wiener Abendpost" hat gegen diese Darstellung deS Verhalten» des später gefallenen Fregatten- Kapitäns Thomann lebhaften Einspruch erhoben und eine Wider legung in Aussicht gestellt. Auch daS „Fremdenblatt" bezeichnet die Behauptung, daß Kapitän Thomann des Commandos ent setzt worden sei, als durchaus erfunden, Thomann habe vielmehr bis zu seinem ehrenvollen Tode daS Obercommando geführt. Allerdings sei es Thatfache, daß der englische Gesandte Mac- donald während der kritischen Tage in Peking die erste Rolle habe spielen wollen, was ihm in diesem Falle aber nicht gelungen sei. Daß die englische Gesandtschaft davon nicht erbaut gewesen, sei begreiflich, gebe aber dem Berichterstatter der „Time»" kein Recht zu leichtfertigen und unwahren Auslassungen.) Ste Brandstiftungen der Chinese». Von Anfang an war Aar, daß der britischen Ge sandtschaft durch Brandlegung mehr Gefahr drohte, als durch das Gcwehrfeuer, denn von drei Seiten war sie von leicht brennbaren chinesischen Gebäuden eingeschlosien. Bevor Zeit ge funden wurde, um den Raum rings um die Gesandtschaft frei zu legen, wurden die hinter Herrn Cockburn's Hause gelegenen Gebäude angeziindet, und da der Wind auf uns zuwehte, schien es unmöglich, die Gesandtschaft vor dem Uebergreifen des Feuers zu schützen. Mit dem Wasser mußte gespart werden, venn der Wasserstand in den Brunnen war niedriger als seit Jahren, und doch mußte den Flammen Einhalt geboten werden. Die Kugeln fegten durch die Straßen und der Soldat Scadding, der erste Engländer, der fiel, wurde erschossen, während er bei den Ställen in der Nähe Posten stand. Männer und Frauen bildeten eine Kette und in Eimern wurde Las Wasser zu einer kleinen Feuer spritze weiter gereicht, die auf die Flammen gerichtet wurde. Mauern wurden durchbrochen, Bäume in aller Eile gefällt, und so rettete verzweifelte Arbeit die Gebäude. Es war die erste Probe bei hochgradiger Erregung. Dann machten sich die Männer ein- müthig ans Werk und bis tief in die Nacht hinein rissen sie den Tempel und die übrigen der Legation benachbarten Gebäude ein. Am nächsten Morgen wurde die Arbeit fortgesetzt, als aber vor geschlagen wurde, ein unwichtiges, zur Hanlin - Akademie gehöriges Haus niederzulegen, erhob sich Widerspruch. Eine solche Entweihung, hieß es, würde die Empfindlichkeit der chine sischen Regierung verletzen; eS sei daS heiligste Gebäude in China. Es dürfte also nicht Hand daran gelegt werden, selbst dann nicht, wenn es Halt, das Leben der belagerten Frauen und Kinder zu retten, weil dadurch die Empfindlichkeit der chinesischen Regierung verletzt werden könnte! So wenig verstehen selbst die Aeltesten unter uns die Chinesen. , Ein heftiger Wind blies von der Hanlin-Akademie zur Legation herüber; die nächsten Gebäude waren vom Hause de» Gesandten nur wenige Fuß entfernt. Fing eines davon Feuer, so war auch die Wohnung des Gesandten gefährdet. Plötzlich ertönte Feuerlärm. Aus der Hanlin-Akademie stieg Rauch em por; das am meisten verehrte Gebäude in Peking, die große kaiserliche Akademie, der Mittelpunkt aller chinesischen Gelehrsamkeit mit den kostbaren Büchereien und Manuskripts« mm lungen stand in Flammen. Wer eben dienstfrei war, eilte nach der Rückseite der Gesandtschaft. Während der Nacht hatten kaiserliche Soldaten in der Hanlin campirt, und in ihrer Begierde, die Fremden auSzurotten, waren sie nicht davor zurückgescheut, Fever an die Gebäude zu legen. Zunächst mußte der Tempel fortgeräumt werden. Es wurde ein Loch in Ne Mauer gebrochen, und Capitän Pool sprang an der Spitze einrr Anzahl Matrosen und Freiwilliger hindurch, suchten die Hose ab und kehrten zu dem Hauptgebäude mit seinen prächtigen Pfeilern und Ahnentafeln zurück. Au» anderen brennenden Gebäuden stürzten Chinesen dem Haupteingang zu; sie wurden überrascht, und viele wurden getödtet; sie erhielten den Lohn für ihre Uebelthaten. Anderwärts sind große Büchereien von den Siegern zerstört worden, die in Feindesland einbrachen; wa» aber soll man von einer Nation denken, die selbst ihr heiligster Gebäude, den Stolz ihrer Gelehrten durch Jahr hunderte hindurch, nirderbrennt, um zornige Rach« an ein paar Fremden zu nehmen- Um di« Gesandtschaft zu retten, war e» nöthig, da» Zerstärungtwerk fortzusetzen und die Bibliotheks- gebäude niederzulegen. Unter großen Schwierigkeiten und mit unzulänglichen Werkzeugen wurden dt« Häuser eingerifsen; Bäume, die unsere Stellung gefährdeten, wurden gefällt. Es wurde noch ein Versuch gemacht, einiae der werthdollsten Hand schriften zu retten, aber da dir Gefahr drängte, konnten nur wenige herausgeholt werden. Sobald da» Feuer entdeckt worden war, sandte Sir Claude Macdonald einen Voten zum Tsung li Namen und ließ den Ministern sagen, sie möchten einige Beamte senden, die in Sicherheit brächten, wa» noch zu retten sei, aber diese höfliche Benachrichtigung fand keinerlei Beachtung. Die niederländische Gesandtschaft wurd« am 22.Juni niedergebrannt; am foloenden > Soldaten Feuer an dt« rusfisch-ch Aimahmrschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bet de» Filialen und Annahmestelle« je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an di» Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geüffnrt von früh 8 bis Abends 7 Uhr. griagr, zumeip geyeimer vcarur. Aver, um einige -oeiipicw r aazuführen, Jedermann weiß einerseits, daß Fürst Hohenlohe I mit der Colonialbockbeinigkeit seine» Vorgänger», de» Grafen > Caprivi, gründlich gebrochen, andererseits, daß er, der sich stet» eine gemäßigte liberale Gesinnung bewahrt, an der Aufnahme, nicht aber au dem Mißglücken von Abenteuern, wie der preußische BereinSgefetzentwurf rin» war, uubetheiligt ge wesen und daß die fortschreitende, bald der Vollendung ent- gegengehende Klerikalistruna der preußischen Verwaltung nicht ihm, dem gläubigen Katholiken, sondern evangelischen Macht habern zuzuschreiben ist. Man bat noch in diesen Tagen, al» sein Rücktritt bereit» bevorzustehen schien, in der Press« bemerkt, der Fürst Had ia den letzten Jahren, namentlich im lebten, seinen „BerhHterruhm" durch sein Bleiben beeinträchtigt, denn e» sei ihm im dritten Drittel der Kanzlerschaft auch iu dieser Richtung weniger zu thun vergönnt gewesen. Wenn e» aber Hohenlohe um irnen Ruhm zu thun gewesen wäre, so hätte er die Berliner Aemter nicht erst augetretea, und wa» die Andeutung von dem Schwinden auch de» retardirenden Einflüsse» angeht, so ist hierin «ine Anspielung auf Hohenlohe'» Stellung zur jüngsten Chinapolitik zu suchen, und über dies« breitet sich z. Z. noch ein Schleier: die Erwerbung Kiaut- schau» allerdings, da» steht fest, hat er «rst al» vollendete Thatsache in Erfahrung gebracht. Von jungen Jahren an bi» in rin Greisenalter, da» Bis- marck zwar erreichen, aber nicht sür da» Vaterland nützen durfte, hat Hohenlohe Deutschland aebient, in öffentlicher Stellung, al» Parlamentarier, wie al» hocharstellter Privat mann, al» welcher «r in den Kreisen seiner süd deutschen Gtaudr-genossen erfolgreich den Gedanken der Einigung mit Preußen verfocht. Ihm folat der Dank eine» großen Volke» in «inen in seltener Die Wirren in China. Da» Ttrafediet de» Kaiser». Der chinesische Gesandte in Washington Wu-ting-fang bezeichnet es als eine widersinnige Behauptung, daß das Edikt, das die Bestrafung von Personen anordnet, die für die Unruhen verantwortlich seien, eine Fälschung sei, und sagt, es würde leicht sein, die Identität desjenigen festzustellen, der ein falsches Dekret aukgebe; die Hinrichtung wäre ihm sicher. Wer's glaubt! Es verlautet, der chinesische Gesandte in London habe vorgestern Abend einem Journalisten gegenüber geäußert, die Mächte hätten den Chinesen da» Gebäude deS Tsung-li- Aamens als BerathungSstätte zurllckerstattet und e» begönnen jetzt in Peking Arteden»untrrhau-llln»en. Es habe sich gezeigt, daß seit der Reise des Hofes nach Singanfu derVerkehrmitdiesemsehrerleichtert sei. So habe er, der Gesandte, ein vom 14. Oktober datirteS Telegramm vom Hofe erhalten. Er glaube, daß die Eröffnung der Friedensunterhandlungen einen günstigen Einfluß auf die Unruhen in Südchina ausüben werden, da die dortigen Auf rührer den Umstand, daß die Centralregierung Friedensver- handlungen nicht zu Stande brächte, als ein Zeichen von Schwäche auSgelegt haben würden. Unmöglich ist es nicht, daß der Hof angesichts der antl- dynastischen Erhebung in Südchina, die ihm gefährlicher ist, als die Anwesenheit der fremden Truppen in Peking, endlich einlenkt und zu einem Friedensschluß um jeden Preis bereit ist. Des halb hat der Washingtoner Gesandte auch ein wesentliches Interesse, die Authenticität des angezweifelten StrafedictS zu behaupten. Man wird ja bald klar sehen. Zu wünschen wäre es dringend, daß das heuchlerische Spiel der chinesischen Macht haber ein Ende findet und sie, der Noth gehorchend, nicht dem eignen Triebe, ihre Zuflucht zur Ehrlichkeit nehmen, obwohl daS Gegentheil davon ihnen zur zweiten Natur geworden ist. * Washington, 17. October. (Meldung des „Rruter schen Bureaus".) Eine Depesche aus Peking vom 15. Oktober besagt, daß im Norden von Peking sich eine erneute Thätigkeit der Boxer bemerkbar mache. Die kaiserlichen Truppen wollen im Stande sein, dieselben niederzuwerfen. Longee und die Generale Chaffee und Wilson hoben heute Nachmittag den Besuch Lt- Hung-Tschang's erwidert. Prinz Tsching Hot heute mit Li-Hung-Tschang berathen, um den Tag für ihre erste Zusammen- kunft mit den auswärtigem Gesandten frstzusetzen. Deutsche Verlustliste Nr. 1. (Zeit der Ucbcrfahrt vom 27. Juli bis einschl. 25. September.) Armee-Obercommando: 1) Sanitäts-Sergeant Eduard Fuchs, gebürtig Höllbruck, Kreis Eggenfelden; früher Württemb. Feld-Artillerie-Regiment König Karl; todt 80. August Aden, Hitzschlag, Dampfer „Sachsen". — 3. O st - asiatisches Infanterie-Regiment. 3. Com pagnie. 2) Feldwebel Grams, früher Sergeant, Füsilier- Regiment Prinz Albrecht von Preußen; todt 20. August Co lombo, Hitzschlag, Dampfer „Rhein". — OstasiatischeS Feld-Artillerie-Regiment. Leichte Munition»- Colonne. 3) Kanonier Johann Brodtrück, früher Feld- Artillerie-Regiment Nr. 34; todt 19. August Hospital Aden, Bauchfellentzündung, Dampfer „Sardinia". -7. Leichte Feld-Haubitz-MunitionS-Colonn«. 4) Kano nier Häußler, früher Feld-Artillerie-Regiment Nr. 57; seit der Nacht vom 27. zum 28. August vermißt, Grund un bekannt, Dampfer „Aachen". — Ostasiatische» Batail. lon schwerer Feld-Haubitzen. Schwere Feld- Haubitz-Batterie Nr. 1. 5) Kanonier Juliu» Hofschulz, todt 11. August im Englischen Hospital in Port Said, Gehirn hautentzündung, Dampfer „Halle". ZUM Lanzlerwechsel wird un» aus Berlin geschrieben: „Dreißig Jahre deutsches Reich und drei Reichskanzler — daS ist nicht viel. Und zieht man auch den Charakter Wilhelm'» I. und sein auf ein BiSmarck'scheS Entlassungs gesuch geschriebenes „Niemals" und de» ersten Kanzlers überragende Größe in Rechnung, so bedeuten zehn Jahre ohne Bismarck und zwei Reichskanzler gleich- falls noch keinen starken Personenverbrauch im ersten Amte de- Reiches. Der Grund dieser Stetigkeit dort, wo sonst Unstetigkeit absolut herrschte, ist bekannt. Er liegt in der Thatsache, daß die Wirksamkeit eine» verantwortlichen Reichskanzlers, emeS Staatsmannes also, der ohne seinen Willen und ohne sein Wissen ergriffene Maßregeln nachträg lich zu decken abgeneigt ist, seit BiSmarck'S Rücktritt aus geschlossen worden ist. Als Fürst Chlodwig zu Hohenlohe vor genau sechs Jahren — damals schon so betagt, wie Fürst Bismarck bei seiner Entlassung gewesen — die Stellungen über nahm, die er jetzt verläßt, hatte sich der erfahrene, scharf beobachtende und klug wägende Politiker sicher keiner Täuschung über die veränderte Natur deS Kanzler- und de« MinisterpräsibeatenamteS hingegeben. Fürst Hohenlohe war nach dem jähen, aus persönlichen Gründen erfolgten Sturze deS Grasen Caprivi dem an ihn nach Berlin telegraphisch ergangenen Rufe gefolgt, um dem Kaiser die Gründe barzulegen, die ihm die Berufung irgend eine» Anderen zum Kanzler angemessen er scheinen ließen. In der Hauptstadt angekommen, die Dinge und Persönlichkeiten auS nächster Nahe betrachtend, überzeugte sich der greise Patriot, daß er als nächster Beamter am Throne verhältnißmäßig noch am nützlichsten zu wirken im Stande sein würde, nicht wie ein Kanzler, wie er sein sollte, sondern als AuSfüller eine- Platzes, der nicht leer bleiben konnte. Hierin hat sich der Fürst nicht getäuscht. „Der Mann, der da» Wenn und daS Aber erdacht", wird in der StaatS- kuust gemeiniglich mit Recht verspottet. Dennoch sei die Be hauptung gewagt: wenn statt deS Fürsten Hohenlohe, de» Klugen, deS von einer hochverdienten Vergangenheit und von einer bocharistokratischen Abkunft Getragenen, ein anderer der 1894 überhaupt in Betracht kommenden Männer berufen worden wäre, Deutschland würde heute in der Hinterlassenschaft Wilhelm'S I. und BiSmarck'S noch mehr Abgänge zu verzeichnen haben, als ohnehin zu beklagen sind. Wir schließen uns ohne Vorbehalt dem Urtbeile der „Köln. Ztg." an, die Hobenlohe'S dankenSwerthe Kanzlerwirksamkeit vornehmlich im „Dämpfen und Zurückbalten" erblickt, und wir wiederholen mit Absicht den Zusatz, daß diese Thätigkeit — die vielfach ein Wieder gutmachen in sich schloß — im vollen Umfange erst späteren Generationen bekannt werden wird. WaS die späteren Generationen zu dem durch den dritten Kanzler Verhinderten, Abgeschwächten, Neparirten sagen werden, nun, daS mag den späteren Generationen überlassen bleiben. Dagegen Mitlebende, die mehr wissen, als in die Zeitung kommen dürfte, vermögen sich eine Vorstellung davon zu machen. Fürst Hohenlohe hat sechs Jahre als Reichskanzler und Ministerpräsident auSgeharrt. Daß er nicht als „Streber" in dies Amt eintrat, da» er gegen den lieb gewordenen, von ihm mit Behagen umkleideten Straßburger Statthalter- posten eintauschte, ist zum Ueberfluß bereits bervorgehoben worden. Und daß er nicht als „Kleber" diese lange Zeit geblieben, dafür liegt neben vielem anderen Bekannten die Vergangenheit deS ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten vor, der sich, nachdem die Landtags wahlen gegen ihn und seine preußenfreundliche Politik entschieden, allsogleich aus dieser Stellung zurückzog. Die Spuren jener bayerischen ministeriellen Wirksamkeit sind dennoch unvertilgbar geblieben, sie füllen schöne Blätter der so verwickelten Vorgeschichte der Reichsbegründung. Wie der nun sn» Privatleben Tretende Jahre lang einem BiSmarck zu Dank den Pariser Botschafterposten versah, ist von uns schon früher ebenso gewürdigt worden, wie sein zugleich versöhnliches und festes Verhalten al» Statthalter von Elsaß-Lothringen. Positives aus seiner Wirksamkeit als Kanzler und Minister präsident ist wenig hervorruheben und das Negative ist, wie gesagt, zumeist geheimer Natur. Aber, um einige Beispiele Treue verdienten Ruhestand. Sein Nachfolger ist in der Person deS Grafen v. Bülow bereits ernannt und zwar ist — wahrscheinlich infolge herrschender Unordnung, jeden falls mit Außerachtlassung schuldiger Aufmerksamkeit gegen die Person deS Scheidenden — die Besetzung der beiden Aemter frü her bekannt gegeben worden, als die Erledigung. Graf Bülow tritt in Stellungen, von denen er noch viel genauer, als e» dem Fürsten Hohenlohe vor sechs Jahren bekannt sein konnte, weiß, in welchem Umfang er sie nicht al» ein verantwortlicher Staatsmann wird bekleiden dürfen. Diese Resignation enthüllt die nächste Zukunft insoweit, al» wir darauf gefaßt sein müssen, daß die Entwickelung der deutschen und der preußischen Regierungs verhältnisse nach der Richtung des selbst in absolutistisch regierten Staaten Ungewöhnlichen weiter gehen wird. Dem neuen Kanzler fehlt dazu die ererbte und erworbene Autorität de- Vorgänger-, ein Mangel, den die gesprochene und papierene Bewunderung, die dem in der Behandlung von Par lamentariern und Prcßoertretern geschickten Diplomaten gerne entgegengebracht wird, schwerlich ausgleichen dürfte. Immerhin, Graf Bulow iss geschulter Diplomat und bat in langjähriger Berliner Thätigkeit Gelegenheit gehabt, Blicke in tue innere Politik zu werfen. Ob er die extremen Agrarier, die seinen Vorgänger haßten, zufriedenstellen wird, steht dahin. Den „starken Mann", wie Jene ihn nennen, dürfte der neue Kanzler und Ministerpräsident jedenfalls nicht spielen, auch wenn er könnte. Eher steht zu befürchten, daß jene lang jährige Verbindung mit den auswärtigen Angelegen heiten ihn handel-vertragSdurstiger, als gut wäre, gemacht hat. Aber er ist eben nur Reichskanzler und Minister präsident, und daS will heutzutage für die Leitung der deutschen und der preußischen Politik so gut wie gar nicht mehr besagen." So unser Berliner Q-Correspondent, dessen Beurtheilung der Verdienste deS geschiedenen Kanzlers, der Schwierigkeit seiner Stellung und der noch schwierigeren Ausgaben seiue» NachfolaerS wir uns rückhaltlos anschließen. Auf den Grund, der den Fürsten Hohenlohe bewog, seinen Rücktritt kurz vor dem Wieverzusammentritte de- Reichstag» zu vollziehen, obgleich er wissen mußte, daß sein Nachfolger weder im Auslande, noch bei den Fraktionen de» Reichstag« bi- weit in die Linke hinein nicht da» unbedingte Vertrauen genießen kann, da- er selbst, der viel erfahrene und erprobte Politiker und Diplomat, sich er worben, geht unser Correspondent nicht näher eia. Au- feiner Bemerkung, daß über der Stellung Hohenlohe'» zur Chinapolitik noch ein Schleier liege, ist zu schließen, daß er die Möglichkeit einer Abneigung des geschiedenen Kanzler», die Verantwortung für diese Politik vor dem Reichstage zu übernehmen, nicht für ausgeschlossen hält. Auch was die „Köln. Ztg." über die Gründe deS Kanzlerwechsels angeführt hat, war nickt geeignet, volles Licht über den Grund deS plötzlichen Rücktritts des Fürsten zu verbreiten und die Besorgniß völlig auszuschließen, daß er sich nicht nur physisch, sondern auch moralisch außer Stande fühle, alle auf kaiserliche Initiative erfolgten Maß nahmen seines Nachfolgers zu vertreten. Um so werthvoller ist eS, daß in der „Rat.-Ztg." voller Aufschluß über die Motive des plötzlichen Rücktritt» gegeben wird. Auf Grund zweifellos authentischer Informationen meldet nämlich, wie uns der Telegraph meldet, das genannte Blatt: „Betreffs der äußeren Hergang? beim Kanzlerwcchsel wird uns bestätigt, daß Fürst Hohenlohe sein Entlassungsgesuch am Dienstag dem Kaiser persönlich vorgetragen hat. Wenn ein solches jemals durch „Gesundheitsrücksichten" veranlaßt war, so war es hier der Fall. Fürst Hohenlohe hatte sich überzeugt, daß er am Ende seiner Kraft war. Noch nach der Rückkehr aus Werki hatte er die Absicht geäußert, ein« Kundgebung zu veröffentlichen, durch die er die Nichteinberufung des Reichstages begründen und ferner constatiren wollte, daß die China-Politik des Grafen Bülow im vollen E i n v c r st ä n d n i ß mit ihm, dem Fürsten Hohenlohe, geführt worden; er wollte also weiter politisch wirken; die körperliche Gebrechlichkeit machte sich dem greisen Staatsmanne aber so fühlbar, daß er darauf verzichtete und den Entschluß des Rücktritts faßte." DaS ist tief betrübend und doch auch beruhigend zu gleicher Zeit. Betrübend, weil eS daS völlige Versagen der Kraft des hochverdienten Staatsmannes constatirt, beruhigend insofern, als eS die Besorgniß verscheucht, der Fürst hab« irgend welches Bedenken getragen, für die Chinapolitik seine kaiserlichen Herrn und deS Grafen Bülow verantwortlich einzutreteo. Dies muß manche Besorgniß bezüglich de» Vergangenen verscheuchen; dafür, daß auch in Zukunft die geeigneten Mittel in Anwendung kommen und daß Graf Bülow denselben mäßigenden Einfluß erlangt, den sein greiser Vorgänger au-zuüben in der Lag« war, liefert e» freilich keine Gewähr. In dieser Hinsicht ist dir Zukunft ebenso verschleiert, wie beiüglich der inneren preußischen Politik, die nach der Andeutung der ,Föln. Ztg." dazu beigetraaen haben soll, die Kräfte de» Fürsten Hohenlohe zu erschöpfen. Den Schleier der Zukunft zu beben, ist natürlich dir auswärtige Preffe noch weniger im Stande, als die deutsche. Wa- der Telegraph über auswärtige Preßstimmen meldet, bat daher geringen Werth. E» bestätigt lediglich, daß Fürst Hohenlohe im AuSlande hohen Vertrauen» sich erfreute und daß mau keinen Anlaß hat, seinem Nachfolger nicht auch Vertrauen entgegenzubringea. E» lautet: * Wien, 18. Oktober. Zum Rücktritt de» Fürsten zu Hohen lohe schreibt da» „Deutsche BolkSblatt", der Rücktritt de» Fürsten entspring« nichtpolitischen Motiven, sondern derArbeitSmüdrgkeit d«S Fürsten in Folge seine» hohen Alter». — Da» „Wiener Tagblatt" schreibt: Der deutsche Cur» im Osten hat einen unermüdeten und unermüdlichen Mann al» Reich»kanzler nöthig, und Fürst Hohenlohe hat da» Recht, müde zu sein. — Da» „NeueLienerJournal" sagt: Der Rücktritt de» Reich»- kanzler» kann keine-weg» überraschend wirken, denn di« lieber Bezugs-PreiS kn der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk and de» Vororte» errichtete« A»S- gabestellea ab geholt: vierteljährlich 4 50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: vterteljährl. «. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postausschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem- bürg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Doaaustaaten, der Europäische» Türket, Egvptea. Für alle übrigen Staate« ist der Bezug nur unter Kreuzband durch di» Expedition diese» Blatte» möglich. Die Moraen-NnSgabe erscheint um V,7 Ubr, die Abeud-An-gabe Wochentag« um ü Uhr. LeLlutio« »ad Erve-Mo«: JohanniSgasse 8. Filialen: Alfted Sah« vorm. O Klemm'» Sortim. Uurversität-strahe S (Paultnum), Laut» Lösche, Sathariurnstr. 14, Part, «ad König-Platz 7. «kj 151.80 8 I5SH0 od.j 203.— 2«S,— 135,25 80,50 132.50 4«2.- 183.50 Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile LS Reklamen unter dem RedartionSstrich (»gespalten) 75 H, vor den Familtennach- richtrn («gespalten) SO H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertrnanuahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderung «0.—, mit Postbeförderung 70.—. nähme des verantwortungsvollen Postens war thatsächlich ein vom Fürsten Hohenlohe gebrachtes politisches Opfer. — Die „Reichswehr" betont, Fürst Hohenlohe fei an die Spitze der Reichsgeschäfte berufen worden als ein bei den Katholiken wie den Protestanten gleich angesehener Mann, der dem Amte ebenso zur Ehre gereichte, als das Amt ihm Bedeutung lieh. — Das „Extrablatt" weist auf die Gleichzeitigkeit der erfolgten Einberufung desReichstages mit dem Rücktritt des Fürsten Hohenlohe hin und findet es mit Rücksicht auf das hohe Alter des Staatsmannes begreif- l i ch, daß er 'sich den neuen parlamentarischen Kämpfen nicht aussetzen will. — Das „Neue Wiener Tagblatt" schreibt: Fürst Hohenlohe zeigte sich trotz seines hohen Alters rüstig und kernhaft in feinem hohen Amte; er verwaltete es mit musterhafter Sorgfalt, er wußte die Beziehungen Deutsch lands zum AuSlande durchweg freundlich zu gestalten und orderte als Vertreter der Dreibundspolitik daS herzlichste Ver- hältniß zu den Verbündeten. Sein Rücktritt wird überall im AuSlande aufrichtig bedauert werden. * London, 18. Oktober. Der „Standard" schreibt, die Ernennung des Grafen von Bülow zum Reichskanzler könne als eine Bürgschaft dafür angesehen werden, daß Kaiser Wilhelm nicht beabsichtige, von der Politik abzuweichen, die er im äußersten Osten Werk gesetzt. (Wiederholt.)
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