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Fkvchiigkei 85 '/<. — 16 — Theodor hatte während der schwierigen Unterhandlungen eine wahrhaft musterhafte Haltung bewiesen, welche sowohl auf den Vater, als auf die Brüder versöhnend wirken mußte. Gegen den Vater zeigte er eine respektvolle Unterwürfigkeit, welche dem alten Freiherrn schmeichelte; mit Emil ging er in einer offenen, herzlichen Weise um, und auch sür Eugen hatte er manch freundliches Wort, indessen konnte er mit diesem doch nicht zu einem brüderlichen Einvernehmen kommen. Eugen behauptete, Theodor benutze seinen auf den Vater gewonnenen Einfluß, nm ihn zu verklatschen. Richtig war es, daß des Freiherrn Verhalten gegen seinen zweiten Sohn sich wesentlich verändert hatte, vielleicht aber irrig Eugen selbst daran die Schuld. Er konnte niemals mit der ihm ausgesetzten Summe, obgleich diese recht bedeutend war, haushalten; immer von neuem machte er Schulden, die der Freiherr nicht meyr so gutwillig, wie früher, bezahlte. Es gab einige heftige Seenen zwischen Vater und Sohn; der Erstere drohte, er werde nicht länger der schlechten Wirtschaft durch fernere Schuldenbe zahlung Vorschub leisten, trotzdem aber fuhr Eugen fort, in der gewohnten Weise zu leben. Er verstand es durchaus nichi. seine Ausgaben nach den Einnahmen einzurichten. Er machte von neuem Schulden, da er sich aber fürchtete, dies dem Vater zu gestehen, mußte er sich, um Geld zur Bezahlung aufzutreiben, an einen der berüchtigten Wucherer Berlins wenden. Tiefer gewährte ihm gern jede Summe, natürlich aber gegen einen Zinssatz, der die ursprüngliche Schuldsumme mit reißender Ge schwindigkeit vergrößerte. Etwa ein Jahr Ivar seit der Aufhebung des Mtenschen Majorats vergangen. Theodor war wieder auf Urlaub in Berlin, er wohnte bei feinem Vater, mit welchem er jetzt in einem sehr guten Verhältniß stand. Die ganze Faniilie war eines Mittags bei dem Freiherrn zum Diner vereint, auch meine Mutier, Valerie und ich waren cingeladen. Wir saßen bei Tisch in fröhlicher Unterhaltung, als der Diener des Frei herrn einen Brief überbrachte. Ter alte Herr las das Schreiben, seine heitere Miene schwand, er warf Eugen einen sehr finsteren Blick zu, seine Stirn zog sich in schwere Falten zusammen. Höchst erzürnt warf er den Brief, nachdem er ihn durchgelesen hatte, auf den Tisch. .Eine saubere Nachricht!" rief er tief erbittert. .Herr Eugen hat abermals Schulden gemacht, und sein Gläubiger «endet sich direkt an mich, um mich zur Zahlung zu drängen! Was meinen Sie, Frau Schwester," so nannte der Freiherr stets meine Mutter, .zu einem solchen Schwiegersohn? Der leichtfertige Mensch ist wahrhaftig meiner lieben Valerie gar nicht werth. Er drängt mich, ich solle ihm endlich gestatten, zu heirathen, während er doch noch nicht einmal soviel Festig keit des Charakters besitzt, um sich vor dem Schuldenmachen zu hüten. Glücklicherweise ist die Summe nicht sonderlich be deutend, oder hast Du gar noch andere Schulden, Eugen?" Er warf bei diesen Worten dem Sohne den empfangenen Brief zu. - Eugen befand sich in peinlicher Verlegenheit; die wohl verdiente Strafpredigt, welche ihm der Vater in Gegenwart der Brant und der Verwandten hielt, beschämte ihn tief. Er blickte nnr flüchtig in dem Brief nach der Unterschrift, dann sagte er, ein wenig beruhigt: „Du bist hart, Vater, daß Du mir dieser Kleinigkeit wegen solche Vorwürfe machst." „Also nichts weiter, als diese kleine Summe?" fragte der Freiherr, „ich hoffe, Du unterstehst Dich nicht, mir eine Unwahrheit zu sagen! Eugen errötheje, er blickte beschämt auf seinen Teller nieder, als er stockend erwiderte: „Nein, Vater, nein» wirklich nicht !" .Nun wohl, dann will ich dies eine Mal noch die Schuld bezahlen, aber ich gebe Dir hier in Gegenwart Deiner Braut und Deiner Brüder mein Ehrenwort darauf, es ist das- letzte Mal. Bist Du unverbesserlich, dann magst Du selbst die Folgen tragen." Ich schaute zufällig, während der Freiherr dies sagte, zu Theodor hinüber, niemals werde ich sein hämisch-triumphirendes Lächeln vergessen. — Die Harmlosigkeit des Familienlebens war durch die unerquickliche Sceue gestört; meine Mutter brach niit Valerie unmittelbar nach Beendigung des Diners ans, nnd ich mußte ihr folgen. Schweigend gingen wir auf deni Wege nach Haus neben einander, erst als wir wieder zusammen in unserem trauten Wohnzimmer saßen, brach die Mutter das Schweigen: „Valerie, Du bist jetzt saft 5 Jahre verlobt," sagte sie, „wie aber soll dies werden! Eugen ist ein schwacher, charakterloser Mensch, mit dem Du niemals glücklich werden kannst. Stoch ist es Zeit, diese unselige Verlobung zu lösen, Tu und Eugen, Ihr seid beide noch jung, Euch steht das Leben offen, vielleicht, daß Engen selbst durch einen so harten Schlag, wie die Lösung Eurer Verlobung, an Festigkeit des Charakters gewinnt. Ich darf Dich nicht lebenslänglich un glücklich machen, mein Kind." Auch ich war der Ansicht der Mutter, Valerie aber setzte unseren Bitten und Ermahnungen ein festes „Nein" entgegen. Eugen habe ihr Wort, sie liebe ihn von ganzem Herzen und sie werde sein Weib werden, ^Uen Schwierigkeiten znm Trotz. Vor der Zukunft habe sie keine Sorge, denn Eugen sei ein redlicher, vortrefflicher Mensch, nur zu gutmüthig und nach giebig. Verstehe er nicht mit Geld umzugehen, dann werde sie in Zukunft die Verwaltung des Vermögens übernehmen, und sic bürge dafür, daß es nicht vergeudet werden solle. Die Mutter und ich waren zu sehr daran gewöhnt, Va leriens Willen uns zu beugen, als daß wir ihr langen Wider stand geleistet hätten; wir fügten uns, und von der Lösung der Verlobung war nicht die Rede mehr. Vierzehn Tage verginge». Eugen brachte seine Abende stets bei uns zu; im Vaterhause fühlte er sich nicht mehr heimisch, da der Freiherr ihn seit dem Diner mit einer Nicht achtung behandelte, die ihn um so tiefer kränkte, als er sehen mußte, daß Theodor sich das Vertrauen des Vaters in stets erhöhtem Grade gewann. (Fortsetzung folgt). Kind, lüge nicht! Kind, lüge nichk! ' Laß diese Warnung tief ins Herz dir dringen, Nichts kann dich leichter ins Verderben bringen, Als wenn du von dem Pfad der Wahrheit weichst. Ein Lügner ist dem Diebe gleich zu achten, Den seine Thaten in den Schuldthnrm brachten; — Trum hüte dich, daß du solch Ziel erreichst. Kind, lüge nicht! Die Mutter alles Bösen ist die Lüge : Leih' nimmermehr dein Herz dem Lug als Wiege, Damit dies Laster nicht darin gedeiht. Die Wahrheit rede stets, sei's auch dein Schaden, Der Lügner ist gar bald durch sich verrathen: Zu spät ist's dann, wenn er's auch schwer bereut. Kind, lüge nicht! Wenn wahre Worte aus dem Mund dir gehen, Kannst du getrost der Welt in's Auge sehen Das aber kann der freche Lügner nicht. Ausrichügkeit ist eine schöne Tugend, Die edle Perle unschuldvoller Jugend, Die lieblich aus dem Kindesauge spricht. G. Bittig. ... .ot in Riesa. Druck von Langer L Winterlich in Riesa. Für die Redaktion verantworrua-. .. ,S Uhr o A F I Z-L s, -kmguwHgv'0U og 'ig ZA GrKhler an der Elbe. Belletrist. Gratisbeilage zu« „Riesaer Tageblatt". Rr. 4. Riesa, deu 2«. Januar 18SS. 18 Jahrg. Ein Familiengeheimnitz. Von Adolf Streckfuß. (Fortjetzung.) Noch war seit der Geburt des kleinen Theodor kein Jahr verflossen, als Frau von Utten einem zweiten Sohne das Leben gab, einem kräftigen, gesunden Jungen, der in der Taufe den alten Familiennamen Eugen erhielt, und wieder nach einen: Jahr beschenkte sie ihren Gatten mit einem dritten Sohn — Sie sehen ihn hier vor sich, meinen lieben Freund und Schwager, den Freiherr» Emil von Utten. Daß die Eltern ihre beiden jüngeren Söhne mit der zärtlichsten Liebe auferzogen, während sie gegen den ältesten nicht nur Gleichgültigkeit, sondern fast Abneigung zeigten, mußte Jedem auffallrn, der das Uttensche Familienleben kennen lernte, ebenso auffällig war die merkwürdige Verschiedenheit zwischen den drei Knaben. Theodor, der älteste, der Majoratserbe, entwickelte sich aus einem kränklichen, häßlichen Kinde zu einem kräftigen, schönen, geistreichen Knaben. Dem schönen Aeußeren entsprach nicht der Charakter des Knaben. Sobald sein Körper sich kräftigte, zeigte der kleine Theodor eine Wildheit, welche seine Umgebung erschreckte. Er war jähzornig und rachsüchtig, seine jüngeren Brüder mißhandelte er, ebenso die Dienerschaft, die er mit grenzenlosem Hochmuth behandelte; dazu war er habgierig nnd ungros-müthig. Diese traurigen Anlagen wurden durch die fehlerhafte Erziehung noch weiter ausgebildet. Es konnte dem früh ent wickelten, scharfen Verstände des Knaben nicht verborgen bleiben, daß seine Eltern ihn nicht liebten, daß sie die jüngeren Brüder bevorzugten. Hierdurch entwickelte sich in Theodor schon früh ein glühender Haß gegen die Brüder, der mit jedem Jahre zunahm. , Ganz anderer Art waren Eugen und Emil. Beide trugen ganz die Züge des Uttenschen Geschlechtes, beide — sie sahen sich sehr ähnlich — waren schöne, blauäugige Knaben mit goldenen Locken, sie liebten sich gegenseitig zärtlich, so ver schiedenartig auch ihr Charakter war. Eugen ivar ein liebens würdiger, sanfter, zur Gesühlsschwärmerei geneigter Junge, er fand kein Vergnügen an wilden Spielen, au: liebsten saß er in einem einsamen Winkel, wo er ein Märchenbuch las, wäh rend der wilde Emil umhertobte und von Büchern nichts wissen wollte. Bei den fortwährenden Zänkereien mit dem heim tückischen Theodor beschützte der jüngere Emil den älteren Eugen, der sich sonst widerstandslos von dem Bruder, dem er doch an Körperkräften gewachsen war, hätte mißhandeln lassen. Es fehlte Eugen die Widerstandskraft und der Muth zum Kampfe, während Emil sich kühn gegen jede Unterdrückung auf lehnte . . . ." „Du thust mir zu viel Ehre an, Leopold, und schilderst mein:» armen Eugen auch gar zu ungünstig," warf der Oberst mit vorwurfsvollem Tone ein. „Nein, Emil, ich spreche nach bester Ueberzeugung die Wahrheit. Ihr wäret beide so, wie ich Euch geschildert habe, die übereinstimmenden Berichte aller Freunde des Uttenschen Hauses beweisen es. Ich selbst wurde in das Uttensche Haus erst eingeführt, als Theodor neunzehn, Eugen, mein Altersge nosse, achtzehn, und Emil siebzehn Jahr alt war. Ich hatte mit Eugen zusammen das Abiturientenexamen gemacht, wir studirten beide Rechtswissenschaft und wurden bald innig be freundet, obgleich wir doch eigentlich beide recht verschieden so wohl im Charakter, wie in allen unseren Neigungen waren. Ich wohnte damals bei meiner Mutter, die seit langen Jahren Wittwe, eine kärgliche Pension verzehrte, von der sie noch meine Ausbildung und die Erziehung meiner sechzehn jährigen Schwester Valerie bestreiten mußte. Es ging, wie Sie wohl denken können, knapp her in unserem Hause, trotz dem aber fühlte sich Eugen, der umgeben vom Glanz des Neichthums ausgewachsen war, nirgends wohler, als bei uns. Er kam fast täglich in unser Haus, bald war es mir kein Geheimnis; mehr, daß ihn in demselben ein süßes Band fest hielt. Ich war darüber hoch erstaunt, denn niemals hätte ich geglaubt, daß er und meine Schwester Valerie ei« Jn- tereffe sür einander gewinnen könnten, und doch war es der Fall. Valerie war sehr schön; aber es fehlte ihr jene weiche Weiblichkeit, welche den größten Reiz eines jungen Mädchen- bildet. Erst 16 Jahre alt, war sie doch schon ein kräftiges und selbstständiges Weib, sie beherrschte meine gute, schwache Mutter und ein wenig, ich muß es gestehen, mich selbst. Daß auch Eugens weichliche Zartheit sich ihrer Herr schaft beugte und sie fast abgöttisch verehrte, erschien mir schon merkwürdig, weit wunderbarer aber war es, das; auch die mänuliche Valerie sich zu Eugen in inniger Liebe hingezogen fühlte. Ich war, als ich die Entdeckung machte, daß meine Schwester Eugens Liebe erwidere, sehr erschreckt. Eine Ver bindung beider hielr ich für unmöglich, — sie waren gar zu verschieden an Charakter und außerdem noch so jung, daß ich glaubte, Eugens Eltern würden niemals in eine Verlobung willige::. Aach Eugens äußere Verhältnisse schienen einer solchen Verbindung entgegenzustehen. Er war auferzogen im Genuß des Reichthunis, das Geld hatte für ihn keinen Werth, und er gab cs mit vollen Händen fort. Obgleich er für seine Person saft gar keine Bedürfnisse hatte, verschleuderte er doch große Suninuu an sogenannte Freunde, welche seine Gutmüthig- kcit ausnutztcn; cr hatte Schulden gemacht, welche er sich scheute, seinen: Valer cinzngestehen, das wußte ich. Wollte Eugen auch ferner in den Verhältnissen leben, an welche er durch seine Erziehung gewöhnt war, dann mußte er einst eine reiche Frau heiralhen, denn als nachgeborener Sohn hatte er nur auf ein geringfügiges Erbtheil zu hoffen, der Hauptstamm deS väterlichen Neichthums fiel den: Majoratserben, seinem älteren Bruder Theodor zu. Ich hielt es für meine Bruderpflicht, offen mit Eugen zu sprechen :md ihn zu bitten, er möge unser HauS nicht mehr besuchen. Zu meinem Staunen fand ich bei ihm, der sich sonst stets fügte, einen unerwartet kräftigen Widerstand, der mir be wies, daß der scheinbar so schwächliche, weichherzige Jüngling wenn er zum Aeußersten gedrängt wurde, felsenfest sein konnte. Eugen erklärte mit einer Entschiedenheit, wttche ich nie bei ihm geahnt hätte, er werde sich niemals von Valerie trennen, sie müsse sein Weib wecken, wie er hoffe und wünsche, mit