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36 „Niemals, Mutter. Als ein Bürger bin ich geboren und ein Bürger bleibe ich," rief Eugen heftig. „Das erwartete ich von meinem Eugen," entgegnete Frau Utten, ihren Sohn mit leuchtenden, Auge zärtlich stolz an schauend, „aber höre weiter. Dein Vater war der zweite Sohn des reichen Freiherrn Waldemar von Utten und dessen Liebling. Sein ältester Bruder Theodor, der Vater des jungen Mädchens, Welches Du heute gerettet hast, hat durch schändliche Ränke, durch Lüge und Betrug Deinem Vater nicht nur die Liebe des schwachen Greises, sondern auch die Ehre geraubt, ihn eines Verbrechens beschuldigt und für seine Behauptung Scheinbeweise geführt, deren Entkräftung Deinem Vater nicht möglich war. Damals haben Deine beiden Eltern sich das Wort gegeben und es heilig gehalten bis zu dieser Stunde, sie wollten sich trennen von ihrer Familie und todt für dieselbe bleiben so lange, bis es Deinem Vater möglich werde, seine Ehre durch den Beweis seiner Unschuld wieder herzustellen. Es ist ihm nicht möglich gewesen. Nur Andeutungen, welche das Ver schulden seines älteren Bruders wahrscheinlich machten, konnte er in einem Briese seinem Vater geben, aber sie wurden nicht geglaubt, er erhielt nicht einmal eine Antwort, und als kurz darauf Tein Großvater starb, hinterließ er ein Testament, durch welches er sein gesammtcs Vermögen zwischen dem ältesten und jüngsten Sohne theilte; er bewies damit aus's klarste, daß er mit dem festen Glauben an die Schuld Deines Vaters gestorben sei. Wir erhielten die Nachricht von dem Tode und dem Testament des Großvaters in Amerika, wohin wir aus gewandert waren. Wir lebten dort eine Reihe von Jahren, unser Vermögen wuchs, aber wir fühlten uns fern von der deutschen Heimath nicht glücklich, deshalb sind wir zurückgekchrt und haben hier unfern Wohnsitz aufgeschlagen. Dies ist in kurzen Worten unsere Geschichte, Du solltest sie erst nach unserem Tode erfahren; aber das Schicksal hat es anders gewollt. Jetzt magst Du Dich entscheiden, ob Du die Ansprüche, die Dir gebühren, auf den stolzen Titel Deiner Vorfahren aufnehmen, oder ob Tu der einfache Eugen Utten bleiben willst." „Ich bin Euer Sohn," entgegnete Eugen stolz. „Ich hasse jenen hochmütigen Frciherrn, der meincn guten Vater um die Liebe des Großvaters betrogen, ihn entehrt hat, zu sehr, als daß ich die Verwandtschaft mit ihm anerkennen möchte." „So willst Du also jede Verbindung mit den Utten wieder abbrechcn?" fragte Frau Utten froh. Daran hatte Eugen allerdings noch nicht gedacht; die Er innerung an Eugeniens liebliches Bild erwachte plötzlich mit voller Macht in ihm, er sah, wie sic ihre schönen Augen bittend auf ihn richtete, daß er doch wicderkommen, sie nicht für immer verlassen nwge. Durste er es denn überhaupt? — hatte er nicht sein Wort gegeben, sie in der Pertisan und auf Schloß Treuenfeld zu besuchen? Das sagte er erröthend der Mutter. Diese schaute ihn mit scharfem Blick forschend an. „Dein Wort mußt Du halten," entgegnete sie in ihrer klaren, festen Weise, „deshalb verlange ich auch von Dir kein Versprechen irgend einer Art, dessen Erfüllung Dir vielleicht einst schwere Scclenkämpfe bringen könnte." „Nein, Mutter, ich verspreche Dir — " „Nichts sollst und darfst Tu versprechen, nicht einmal Schweigen über das, was ich Dir erzählt habe. Sage mir, Eugen, ist jenes junge Mädchen, welches Du gerettet hast, schön?" „O, sie ist wunderschön!" So begeistert hatte Frau Utten ihren Sohn noch niemals die Schönheit preisen hören; es war ein eigener Blick, mit welchem sie ihn lächelnd betrachtete, dann küßte sic ihn auf die Stirn und sagte milde freundlich zu ihm: „Noch eins wollte ich Dir sagen, — der Justizrath von Wredner, von welchen« der Berliner Herr zu Dir gesprochen hat, ist mein lieber Bruder, von dem ich morgen wohl etwas mehr durch Deinen Berliner Freund erfahren werde. Du mußtest dies ebenfalls wissen. Vorläufig aber bitte ich Dich, gegen den Herrn dar über nichts zu äußern. Adieu, Eugen, in einer Stunde er warte ich Dich hier in der Laube, wir sprechen dann wieder heiter von der Vergangenheit, der Gegenwart und Zukunft, nur nicht von jener alten Zeit, die ich am liebsten ganz ver gesse«« möchte." Eugen umarmte stürmisch die Mutter; dem Vater, der ihm freundlich milde zulächelte, drückte er die Hand, dann eilte er fort, um auf einem einsamen Spaziergang durch den stillen Wald seine wild verworrenen Gedanken zu sammeln und die verlorene Ruhe des Gemüthcs wieder zu finden. Als eine Stunde später die Familie Utten in der Laube b i der einfachen Abendmahlzeit saß, konnte Eugen mit seinem Vater wieder so unbefangen wie je über seine Pläne zur Verbesserung der Wandelsteinschen Aecker, Wiesen und Forsten sprechen. Er war ganz seiner Gefühle Herr geworden, und mit gerechtem Stolze flüsterte ihm die glückliche Mutter zu: „Du kannst Dich selbst beherrschen, Eugen, Du bist ein ganzer Mann!" 8. Herrn Wiebes Besuch in Eben. Die Familie Utten saß am folgenden Morgen am Früh stückstisch in der Gartenlaube, von welcher man den nach Buchau führenden Weg überschauen konnte. „Dort biegt ein Fremder in den zu uns führenden Fuß weg ein," sagte Frau Utten, „ist es vielleicht Dein neuer Berliner Bekannter?" „Ja, es ist Herr Wiebe aus Berlin," erwiderte er, „darf ich ihn Dir und dem Vater vorstellen? Ich würde ihn sonst nach meinem Zimmer führen." „Er soll uns willkommen sein," sagte Frau Utten, nach dem sie mit ihrem Manne einen Blick des Einverständnisses ausgetauscht hatte; „wie ungern der Vater auch sonst Fremde sieht, heut macht er eine Ausnahme." (Fortsetzung folgt.) Hoffnung im Winter. Eine große, weite Decke lagert über Feld cu.ü Flur, Und in Eis und Nebel hüllet sich die frierende Natur. Nauhe Winde weh'n vom Norden, ziehen brausend durch das Thal, Zaubern an die kahlen Aeste glitzernd schimmerndes Krystall. In dem «veiten Gottesreiche herrschet tiefe Einsamkeit. Die Nalur liegt ohne Leben da im weißen Sterbekleid. Nirgends siehst du Laub und Blüthen, nirgends einen Blumenflor, Doch wird bald die Stunde schlagen, wo ec bricht mit Macht hervor. Unter diesem Schnee und Eise findest du des Lebens Spur: Einen reichen Kranz von Blüthen. Glaube, hoffe, dulde nur. Ist es Winter dir im Leben, spürst du keinen Sonnenschein, Hoffe, Herz, nach Wintertagen wird auch dir dein Ostern sein. Österlicher hörst du klingen, wenn dein Ostermorgen graut, Wenn der Liebe warme Sonne dir dein Leid vom Herzen thaut. Aufgeschauet drum nach oben ist es Winter um uns her. Kommt die rechte Zeit, dann rufet unser Gott den Frühling her. Darum laß, o lieber Vater, unsre Blicke auswärts gehn, Und uns unter Eisgefilden deine bunten Blumen sehn. Vogtl. Anz. Druck von Langer L Winterlich in Riesa. Kür die Redaktion verantwortlich. Heim. Schmidt in Riesa. Erzähler an -er Gibt. Belletrist. Gratisbeilage zu» „Messer Tageblatt*. Rr-». Ri-sa, den S. Mörz 18VS. 18. Jnhr,. Ei» Familiengeheiimiitz. Bon Adolf Strecksuß. (Fortsetzung.) Diese Gefälligkeit erwies ich ihm gern. Als ich in unser kleines Häuschen trat, fand ich dort ein reges Leben. Die für ihre Gäste stets besorgte, diensteifrige Veronika ließ eben ein Sopha in das Zimmer der Geheimräthin schaffen, diese selbst stand vor ihrer Thür, sie sprach mit einem Herrn, den ich schon an der Gasttafel im Fürstenhaus gesehen hatte, sie stellte ihn mir als Professor Buschmann, einen berühmte«« Arzt aus München, der zum Glück für einige Tage in der Pertisau eine Sommerfrische besucht habe, vor. Meine Einladung, das Ge spräch mit dem Professor in meinem Zimmerchcn, welches ich öffnete, zu führen, nahm die Geheimräthin gern an, sie duldete auch nicht, daß ich mich entfernte, da ich ja gewiß Antheil an dem Unfälle ihrer Tochter nehme. Zur großen Beruhigung der Geheimräthin erklärte der Professor, die Verletzung Eugeniens sei zwar für den Augen blick schmerzhaft, sonst aber von keiner Bedeutung, eine ganz ungefährliche Quetschung, welche nur Schonung des Fußes er fordere und nach kalten Umschlägen und dem Gebrauch einer Einreibung, welche er verschrieb, bald wieder heilen werde. Mit diesem tröstlichen Bescheide verließ uns der Professor. „Da kann ich also unserm Herrn Utten eine gute Nachricht bringen," sagte ich. „Er hat mich gebeten, mich nach Fräulein Eugeniens Befinden zu erkundigen." „Kennen Sie diesen Herrn Utten?" fragte die Geheim räthin, mich forschend anblickend. „Ich habe mich dem jungen Mann vorgestellt, weil es mir ein Herzensbedürfniß war, ihm zu danken." „Ja, er hat Eugenien das Leben gerettet, und, wie sie sagt, mit Gefahr des seinigen," so fuhr die Geheimräthin ernst und nachdenklich fort. „Wissen Sie, lieber Herr Wiebe, dies , ist eine recht unangenehme Angelegenheit. Dieser Herr Utten scheint mir ein sehr hochmüthiger und etwas roher Mensch zu sein, sonst hätte er einer Dame nicht so, wie mir, antworten können. Aber ich bin ihm trotzdem großen Dank schuldig, und dies peinigt mich. Wolle«« Sie ihm sagen, daß ich sehr bald nach dem Fürstenhaus kommen, im danken und ihm persönlich Bericht über Eugeniens Befinden abstatten würde?" „Sehr gern." „Noch Eins, lieber Herr Wiebe. Sie würden mich un endlich verpflichten, wenn Sie so ganz beiläufig, im Laufe des Gespräches den jungen Mann veranlassen könnten, Ihnen einige Auskunft über seine Familienverhältnisse zu geben. Er führt merkwürdigerweise den seltenen Namen Utten. Sie werden cs wohl nur natürlich finden, wenn ich neugierig bin, zu erfahren, ob er irgendwie mit meines Mannes Familie verwandt ist. Aber wie gesagt, ich bitte Sie, nur ganz gelegentlich zu fragen; ich möchte Sie nicht einer so unzarten Zurechtweisung, wie ich sie erlitten habe, aussetzen. Kann ich mich auf Ihre Güte verlassen, Herr Wiebe?" „Ich «verde suchen, Ihren Wunsch zu erfüllen, Excellenz." ^Jch danke Ihnen, lieber Herr Wiebe. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich mich schätze, daß ich Sie hier in der Pertisau kennen gelernt habe. Jetzt aber will ich zu meiner Eugenie gehen; sobald ich kann, komme ich hinüber zum Fürstenhaus." Mir freundschaftlichst die Hand drückend, verließ mich die Excellenz und ich kehrte nach dem Fürstenhaus zurück, wo ich Herrn Eugen Utten bei einem trefflichen Mahle fand, welches er mit beneidenswerthem Appetit verzehrte, er hörte mit Freude die beruhigenden Nachrichten, welche ich ihm über das Befinden der jungen Dame geben konnte. „Sie sind aus Berlin, Herr Wiebe?" fragte er dann. „Ja." „Die Stadt ist groß, vielleicht aber kennen Sie doch zu fällig jenen Oberst von Utten, dem ich, wie Frau von Utten sagt, so ähnlich sein soll?" „Ich kenne ihn nicht näher, nur einmal habe ich ihn zu fällig in einer Gesellschaft gesehen." „Schauen Sie mich an, finden auch Sie eine so große Aehnlichkeit?" Ich sah ihn ein Weilchen prüfend an, dann erwiderte ich leichthin: „Das will ich nicht behaupten, aber freilich, ich habe den Herrn nur sehr flüchtig gesehen. Solche Aehnlichkeiten kommen übrigens oft zwischen wildfremden Menschen vor, jo erinnert mich Ihr Gesicht an einen anderen Berliner Herrn, den ich auch zufällig in derselben Gesellschaft getroffen habe, an einen Justizrath von Wredner." „Wredner? Das ist in der That seltsam," sagte Eugen Utten betroffen. „Meine Mutter ist eine geborene Wredner, ich wüßte aber nicht, daß sie noch Verwandte hätte, wenigstens hat sie nie von diesen gesprochen. Ich muß doch heute Abend, wenn ich nach Eben komme, dei« Eltern von dieser merkwürdigen Aehnlichkeit erzählen." Das war es, was ich wünschte. Ich hatte die Andeu tung in der Hoffnung gemacht, Herr Eugen Utten werde sie seiner Mutter mittheilen und dadurch in dieser den Wunsch er regen, von mir Auskunft über das Ergehen ihres Bruders zu erhalten. „Ich habe noch einen besonderen Grund, weshalb ich mich Ihrer Bekanntschaft freue, Herr Utten," sagte ich. „Sie können mir Auskunft über eine mich sehr intcressirende Frage geben." Ich erzählte ihm nun, daß ich beabsichtige, mir einen anmuthigen, aber einsamen Ort für meine Arbeit zu suchen, daß ich einen solchen in« Torf Trcuenfcld gefunden zu haben glaubte, daß mir aber neuerdings das Torf Eben als noch geeigneter vor geschlagen worden sei; ich hoffte von ihm eine Einladung nach Eben zu erhalten und ich hatte mich nicht getäuscht. Er be zweifelte zwar, daß Eben sich für meine Zwecke so gut wie das Gasthaus von Treuenfeld eignen werde, bat mich aber, ihn morgen in Eben aufzusuchen, dann würde ich ja selbst ein Urtheil fällen können. Unser Gespräch wurde durch die Geheimräthin unterbrochen. Sie bot, als sie zu uns trat, Eugen Utten mit großer Herz lichkeit die Hand, in ihren Augen standen Thränen. „Eugenie hat mir Alles erzählt, Herr Utten," sagte sie gerührt, „ich zittere noch an allen Gliedern, wenn ich an die gräßliche Ge fahr denke, aus der Sie mein armes Kind mit solcher Kühn heit gerettet haben." „Ich habe nur meine Pflicht gethan, gnädige Frau," so unterbrach sie Eugen Utten,