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wilden Kaninchen betreffend in Berathung — Herr Kam- nierherr Sahrer von Sahr auf Ehrenstein führte als« Referent aus, das; die Deputation nicht in der Lage ge wesen sei, die Ansichten der Regierung aus rechtlichen und praktischen (»runden zu den ihrigen zu machen; er vmpfehle dagegen den vorliegenden Entwurf der Depu tation der Kammer zur Annahme. In der Debatte sprach Präsident Graf von Könnerih der Regierung seinen Taut aus für die Einbringung eines diesbezüglichen Gesetzentwurfes; er sei mit dein Entwurf der Deputa tion einverstanden. Herr Abgeordneter Kasten aus Rosen berg sprach ebenfalls der Regierung seinen Dank aus für die Einbringung des Entwurfes. Herr Staatsminister v. Metzsch bekundete, das; er neue Gesichtspunkte, zu denjenigen, die im Deputations entwurf zum Ausdruck gekommen wären, zu dem Gesetz entwürfe nicht vorbringen könne; er wolle nur die Stellung der Regierung zu der Kalamität kennzeichnen, wie eine solche in verschiedenen Gegenden des Landes in die Er scheinung getreten sei. Die Tepntationsvorschläge erschie nen der Regierung durchaus aeceptabel. Die Regierung habe gute Grundlage gehabt, jo radikale Maßregel» in Vorschlag zu bringen. Abg. wrcif von Brühl Seifers dorf sprach die Erwartung ans, das; man der Deputations vorlage wohl allgemein znstimmen werde, da durch ihre Annahme der Zweck wohl besser erreicht werden wurde, als durch die Regierungsvorlage; er beantrage aber in Paragr. 2 die Worte „und hegen" zu streichen. Herrr Staatsminister a. T. von No stitz - Wallwi tz tritt diesem letzteren Anträge entgegen. Ebenso bedauert Abg. Graf Rex-Zedlitz, diesem Anträge nicht beistimmen zu können. Der Gesetzentwurf wird in der Form des Tepn- tationsvorschlages vollständig genügen. Man könne des halb nur wünschen, das; der Deputationsantrag zur An nahme gelänge. Herr Abg. N a u m a n n-Loschwktz tritt für den Antrag Graf Brühl ein und bittet um Streichung des Wortes „hegen". Bei der Abstimmung wurde der An trag Brühl mit 25 Stimmen abgelehnt und der ge- sammte Gesetzentwurf nach dem' Borschlage der Deputation angenommen. Die hierzu vorliegenden Petitionen lies; die Kammer antragsgemäß auf sich be ruhen. Nächste Sitzung Dienstag, den 4. Februar, Mittags 12 Uhr. Tagesordnung: Staatshaushaltetat. TagrSgeschichte. Deutsches Reich. Dem Gouveineur Dr. Sols auf Samoa wurden be Antritt seines H-lmathSurlaubS von den deutschen wie fremden Ansiedlern große Ehrungen erwiesen Die .Samoanische Zeitung- vom 21. Dccember v. I. bringt über die würdige AbschirdSfeier, an der sich fast sämmtliche fremden Ansiedler be- theiltgten, einen leserswerthen Bericht. In einer mit 125 Unterschriften versehenen Adresse wird dem Gouverneur nach, gerühmt, daß er eS verstanden habe, die «hrdem in nationaler Eifersucht unter einander verfeindeten Hemden Ansiedler v r- schiedener Nationalitäten mit glücklicher Hand zu eine» und die seit Jahrzehnten in Parteihader und offenem Krieg lebenden Samoaner zu einem nur einem Ziele zustrrbenden harmonischen Ganzen zu verbinden. Dies sei dem Gestierten gelungrn durch unbeirrt«» Festhalten an dem Grundsätze, daß in Samoa durch Friede« Friede geschaffen werden müsse. In seiner Erwiderung aus die Ansprachen erklärte Dr. Sols, den Zweifel, ob er zurückkehrrn würde, hebend, daß er beabsichtige, nicht aus direktem Wege zurückzukrhren, sondern so zu reisen, daß er unterwegs die Arbeiterfrage durch den Augenschein studiren könne. Er schloß seine Ausführungen mit einem jubelnd aufgenommrnen .Auf Wiedersehn!- Di« Budgetkommission deS Reichstage» hat am Mittwoch den Etat für Köuischou berathen und im Ganzen von den For derungen diese« Etat» IIS 603 M. abgesetzt. Gestrichen wurde aus Antrag Müller-Fulda di« Hiilfte der Mrhrsorderung für be rittene Mannschaften, sowie sür die Chinesentruppe« die Hälfte del geforderten Betrage» von 55 00V M. Abgeordneter Hoss, mann-Hall forderte di« Einführung chinesischer HauSschwtinr nach Deutschland, die Chinesen leisteten in Schweinezucht da» Höchste. Bel Besprechung der Denkschrift sür Ktautschou regte Abgeord neter Prinz Arenberg (C«ntr.) di« Errichtung eine» Lehrstuhle» für Kolonlalrecht an einer deutschen Hochschule an, indem er daraus hlnwie», daß die heutige Vorbildung der Kolonialjuristen unzureichend sei. Staat»sekrctär v. Tirpitz erklärte, die HandelS- Über sicht der Denkschrift beziehe sich nur auf den Transitverkehr, der eigene Verbrauch deS Schutzgebiete» sei nicht inbegriffen. Der Umsatz sei von 5 Millionen auf 14 Millionen im letzten Berichtsjahre gestiegen. Die Frequenz aui den Bahnen habe sich erheblich gesteigert. Auch bei der Erschließung von Hong, kong habe e» lange gedauert, ehe sich der Handel entwickelt hat. Noch nach zehn Jahren sei in England angeregt worden, Hong, kong al» aussichtslos aufzugeben. Der StaatSanwaltschastSrath Cuny, der sich, wie gemeldet, bemüßigt sand, dem Zweikampf ein Loblied zu singen, ist, wie die «Bolksztg.- hört, von Berlin an die Staatsanwaltschaft in Hagen versitzt worden. Man erblickt darin eine Bekundung der Unzufriedenheit der vorgesetzten Behörde über die Verherrlichung I deS Zweikampfe» selten» eines StaatSanwaltS in öffentlicher Ver sammlung. Die „N. Z." wünscht Herrn Cuny in eine Stellung lm Justizdienst versetzt zu sehen, in der er mit der Strafrechts pflege nichts mehr zu thun hätte. Die .Nordd. Allg. Ztg.- weist in einem Leitartikel die von der «Freis. Ztg.- am 30. Januar aufgestellte Behauptung zurück, der vom .Vorwärts- veröffentlichte Erlaß de» SwatS- sekretärS de» Reich»marineamtS enthalte da» Etngrständniß, bei der Vorlage de» FlottengrsetzeS den Reichstag über die wirklich entstehenden Kosten getäuscht zu haben. Die «N. A. Z.- bemerkt: Der «Vorwärts- hat verschwiegen, daß der Erlaß an da» militärische Departement de» ReichSmarinromteS gerichtet sei, welche» lediglich die rein militärischen Gesichtspunkte im Gegensatz zu den finanziellcn und technischen etatpolitlschrn Jnterefs n zu vertreten hat. Der Erlaß hat da» Departement mit rein militärischen Ermittelungen über die mögliche Steigerung der Jndirnsthaltungen bi» 1910 beauftragt. Aus Grund der Ermittelungen soll dann von anderer Sette de» ReichSmarinr- amte» festgrstellt werden, waS diese Steigerung der Jndienst- haltung kostet. Der Staatssekretär behält sich vor, zu bestimmen, welche Steigerung der fortdauernden Ausgaben nach Maßgabe der politischen und finanziellen Verhältnisse er der höheren In stanz zur Anmeldung bringen werde. Die Steigerung sür 1906 bi» 1910 soll dann zugleich mit der Forderung der Vermehrung der AuSlandschiffe dem Reichstage offen und klar vorgelegt werden. DaS Blatt fährt fort: Nach unserer Auffassung ist dieses Verfahren so loyal wie irgend denkbar. Wie man hieran» den Vorwurf konstrutren kann, daß der Reichstag getäuscht worden ist, ist uv» unerfindlich Nach unserer Ansicht hätte der Staatssekretär deS ReichSmarineamtrS sich einer schwercn Pflicht vernachlässigung schuldig gemacht, wenn er ander» Verfahren wäre. Die „N. A. Z." «eist ferner dcn Borwurf ter „Freis. Zeitung" zurück, in der Begründung de» Flotter geletzt» Hobe es ander» gestanden, und bemerkt vielmehr, daß die Begründung ausdrück lich die in den JahreSrtat eiuzustellenden Ausgaben der jähr lichen Festsetzung durch die gesetzgebenden Faktoren überließ. Verkehrt sei auch die Darstellung der „Freis. Ztg.", al« ob die Steigerung vrr fortdauernden Ausgaben bei der nächsten Flotten- Vorlage die Hauptsache wäre und eine Nachforderung der AuS- landSschlffe nur Nebensache. Die Baukosten der AuSlandSschiffe betragen 150 Millionen Mark. Die Steigerung der sortdauern- den Ausgaben betrogen lm ungünstigste« Falle im Jahre 1910 10 Millionen. Auf eine Lück« im Strasgrsetz verweisen die .B. N. N.- in nachstehender Betrachtung: Die Veröffentlichung ver traulicher amtlicher Aktenstücke ist eine Speciolität 1er deutschen Sozialdemokratie und findet sich kaum in irgend einem anderen Lande der Welt wieder. Herr Bebel, der am Mittwoch in der vudgetko«Mission erklärte, Herr v. Tirpitz solle sei«« Erlass« dr der »Rordd. Allg. Zeitung- veröffentliche«, sonst werde r» der .Vorwärts* tbun, hält einen derartigen, aus Diebstahl und Unterschlagung beruhenden Mißbrauch allem Anscheine nach sür legitim, und seine Worte enthalten eine sörmliche Aufforderung zu weiteren -egen Eid und Dienstpflicht verstoßenden Veruntreu ungen ; ein beklagenSwrither Beweis dafür, wie die zunehmende Gewissenlosigkeit «ine Hauptsrucht der Sozialdemokratie ist. In England ist, soweit wir wissen, die unerlaubte Veröffentlichung amtlicher Schriftstück« mit schwerer Straf« bedroht. Sollte e» nicht möglich sein, in Deutschland unser« amtlichen Registraturen in gleicher Weise gegcn Vrrrath und Meineid zu schützen, in dem man die unerlaubte Veröffentlichung oder sonstige« Mißbrauch aller lediglich für den internen amtlichen Verkehr besiimmten Schriftstücke uat- r sch Der« Strafe stellt? Zugleich dürste e» sich für die Behörden empfehl««, etwa» wrniger zu schreiben. Weisungen, wie di« in dem Erlasse dr» Herrn Staats sekretär» der Marine enthaltenen, konnten wohl ebensogut münd lich in einer Konferenz der Abtheilungsvorstände gegeben werden. In der Wandelhalle de» Reichstage» sind drei neue, vom Kaiser gezeichnete SchiffStafrln ausgestellt, die die SchisfSflärken von Rußland, Japan und den Vereinigten Staaten darstellen. Zum Kapitel deS Kohlenwucher» erhält die »Frank- urter Ztg.- au» einer Frankfurt benachbarten Stadt eine» Bei rag, der wirklich werth erscheint, mitgethrilt zu werden. Dort st eine Baufirma in Zahlungsschwierigkeiten gerathen, die noch «inen LkeserungSvertrag mit einer auswärtigen Kohlengreßhand- ung über eine Restlieferung von 3802 Centner lausen hatte. Nun erhielt der Vertreter de» Gläubigerausschusses von der Lieferantin rin Schreiben, worin diese sich mit der Auflösung de» Vertrages einverstanden erklärte, wenn ihr der entgehend« Gewinn sofort baar ausgezahlt würde. Sie stellte dabei folgende Berechnung auf: ES betrug der Verkaufspreis für je 200 Ctn. 220 Mk., der Gestehungspreis sür je 200 Ctn. 135,50 Mk., uithin der Verdienst für je 200 Ctn. 84,50 Mk. oder für die noch zu liefernden 3802 Ctn. 1606,35 Mk. Dazu schreibt da» Frankfurter Blatt, dem man eine prinzipielle Feindschaft gegen den Handel gewiß nicht nachsagen kann: Wir bemerken hierzu, daß uns die Rechnung im Original vorgelegt worden '"st. Der Gewinn der Großhandlung an den Kohlen beträgt hiernach über 60 Procrnt! DaS sollte bei einem Artikel wie Kohlen ganz unmöglich erscheinen und wir würden «S auch nicht glauben, wenn wir nicht die Beweisstücke vor unS hätten. Ob derartige Gewinne im freien Handel ohne die Syndikatsbildung möglich wären, wollen wir nicht untersuchen, derartige Rechnungen lassen aber den Kohlenhandel gegenwärtig als «in recht lucrativeS Unternehmen erscheinen. Nächstens wird man wohl di« Kohlrn — aus drr Apoheke beziehen! )lf Vom Reichstag. Auf der Tagesordnung der gest rigen Sitzung stand an erster Stelle die Fortsetzung der dritten Berathung deS Branntweinsteurrgcs etze». Die Be rathung über diese» hochwichtige Gesetz mußt« im Mai vorige» Jahre« abgebrochen werdcn, weil die Linke, unzufrieden mit der Bemessung de» Contingent» Obstruktion machte und ein beschluß fähiges Hau» nicht mehr zusammenzubringen war. Zwischen den großen Parteien de» Hause» ist nun ein Kompromißantrag vereinbart worden, der einen Ausgleich widerstreitender Meinungen herbrizusühren beabsichtigt und auf dessen Grundlage die Be rathung gestern fortgesetzt werden sollte. In Erinnerung an di« unschönen Vorgänge im Mat vorigen JahrrS, be! denen e» einem kleinen Häuflein der Linken gelungen war, da» HauS arbeits unfähig zu mache», hatten sich gestern die Mitglieder sehr zahl reich etngefunden. Zu einer Debatte über di« Sache selbst kam «S nicht. Nachdem der Abg. Paasche (nl.) die Ueberweisung de» KompromißautragrS an die Branntweinsteuerkommissio« be antragt und der Abg. Müller-Sagan sich den Scherz erlaubt hatte, mit diesem Antrüg die Zollkommission zu bepacken, wurde d-r Antrag Paasche mit großer Mehrheit angenommen und da» HauS ging über zur Fortsetzung der Berathung deS Etat» deS RelchSamt» dr» Innern. — Abg. LeuS (Soziald.) hielt noch mals eine lange Rede über die angeblich falsche Sozialpoliti Als im März 1813 König Friedrich Wilhelm sein Volk zu den Waffen gerufen, war auch Baron von Wilde zu oen Fahnen geeilt und seinem alten Regiment wieder zu- geteilt worden. Tapfer hatte er in verschiedenen Schlach ten gekämpft, den Uebergang über den Rhein und den Einzug in Paris mitgemacht und da» Glück hatte ihm ge lächelt, er war unverwundet geblieben. Als Oberstleutnant, geschmückt niit dem eisernen Kreuze, war er zu seiner Ge- mahlin nach der alten, stillen, anhaltischen Stadt in das Demnitzsche Palais zurückgekehrt. 5 Die Baronin hatte den geliebten Gatten, ihren Halt und ihre Stütze, den einzigen Menschen, der ihr nach dem Verlust ihrer Kinder das Leben noch lobenswert erschei nen ließ, ziehen lassen, ohne nur ein Wort der Widerrede zu wagen. ES war für sie ebenso selbstverständlich wie für ihn, daß ein preußischer Edelmann, denn das war der Ba ron von Geburt, nicht zurückbleiben dürfe, wo Bürger und Bauer dem Rufe des König» folgten, wo der Unterschied der Stände für den Augenblick wenigstens aufgehört zu haben schien. Sie ließ ihn ziehen, ohne ihm das Herz schwer zu machen durch Klagen und Weinen, aber Baron Alfred wußte recht gut, was es sie kostete. Ihre Gesundheit, die seit dem Verschwinden der Kinder schon sehr viel zu wün- scheu übrig gelassen hatte, litt unter der Trennung von dem Gemahl und in der steten Angst und Aufregung um ihn so stark, daß ihre alte treue Kammerfrau, die sie schon auf die Reise nach Burgroda begleitet hatte, sowie der Hof- rat Rüggeberg, der bereit» Arzt bei ihren Eltern gewesen und sie in allen Kinderkrankheiten behandelt hatte, recht ernstlich besorgt um ihr Leben geworden waren. Die glückliche Rückkehr des Baron» und die Freude über die Befreiung Deutschland» von der Fremdherrschaft hat ten wieder einen Umschwung zum Bessern hervorgebracht, aber die Baronin war sehr zart und äußerst reizbar ge- -lieben. Ihr Satte, der nun endgiltig seinen Abschied ge- «ommen und auch den Feldzug gegen dm von Elba zu- rttckgekehrten Rapoleon nicht wieder mitgemacht hatte, sah jetzt seine hauptsächlichste Lebensaufgabe darin, sie zu he- gen und zu Pflegen und sie mit allem zu umgeben, wa» irgend zu ihrer Erheiterung dienen konnte. Seit einigen Jahren wurde er in diesen Bestrebungen sehr wirksam unterstützt durch eine junge HauSgenossin und Verwandte, Lucie von Wilde. Sie war die Tochter eine» entfernten Vetter» der Ba rons au» einem Familienzweige, der nicht ohne Verschul den seiner Angehörigen verarmt war und zwischen dem und den anderen Wilde» gar keine Verbindung mehr be standen hatte. Im Felde war der Baron mit dem Vetter zusammengetroffen; letzterer hatte sich wacker geschlagen und war bei Großbeeren tödlich verwundet worden. Al fred von Wilde hatte ihn aus seinem Schmerzenslager be sucht und ihm das Versprechen gegeben, für seine einzige, damals zwölfjährige Tochter zu sorgen, welche bereits mut- terloS und während der Abwesenheit des Vaters in einer billigen Pension bei geringen Leuten in der kleinen märki schen Stadt Jüterbog untergebracht war. Baron von Wilde hatte nach seiner Heimkehr e» eine feiner ersten Geschäfte sein lassen, das dem Verstorbenen gegebene Wort einzulösen. Er hatte Lucie kommen lassen, und er wie die Baronin waren betroffen gewesen von der eigenartigen Schönheit de» Kinde», dessen Erziehung aller dings arg vernachlässigt war. Sehr gern hätte der Baron seinen Schützling in seinem Hause behalten, unter seiner Leitung aufwachsen lassen. Das war indes bei dem leiden den Zustande feiner Gemahlin nicht ausführbar. Erweckte der Anblick Lncies, die ungefähr im gleichen Alter stand, wie eS die älteste der geraubten Töchter, Flora, jetzt ha ben mußte, bei der Baronin doch die schmerzlichsten Em pfindungen, so daß sie da« kleine Mädchen, so sehr sie sich auch zu beherrschen suchte, felten lange um sich haben konnte. ES blieb also nicht» übrig, al» Lucie wieder in eine Pension zu geben, und diese fand sich in Zerbst selbst, ich Hause de» Direktor» der Töchterschule, die von den« für- sorglichen Herzog Franz von Anhalt-Dessau, an den Zerbst durch Erbschaft gefallen, schon vor einigen Jahren begrün det worden war. DaS sich geistig wie körperlich sehr glücklich entwickelnde junge Mädchen war in engste Verbindung mit dem Hause ihres Pflegevaters geblieben und hatte durch ihr anschmie gendes Wesen die Zuneigung des Barons in hohem Grade gewonnen. Auch seine Gemahlin hatte sich allmählich ge wöhnt, ihre Gegenwart ohne Aufregung zu ertragen und nichts dagegen einzuwenden gehabt, als der Baron nach LucieS Schulentlassung den Vorschlag gemacht, sie nunmehr doch ganz zu sich zu nehmen und ihr gewissermaßen Toch terrecht eiuzuräumen. Wohl hatte ihr Herz recht schmerz lich gezuckt, als sie sich vorstellte, daß eine andere den Platz einnehnien sollte, welcher ihren Töchtern zukam, daß eine andere von Wohlstand und Sorgfalt umgeben, gehegt und behütet in ihrem Hause leben sollte, während die eigenen Kinder, wenn sie noch lebten, vielleicht herumgestoßen, zu niedrigen Diensten verwendet wurden, und es hatte sich etwa» wie Abneigung gegen da» junge Mädchen in ihr regen wollen. Ihr edles Herz und ihr streng rechtlicher Sinn hatten sich aber gegen diese Empfindung erhoben und sie niedergekämpft. Wie durfte sie der Verwaisten, Hilfs- bedürftigen mißgönnen, wa» ihren armen Kindern nun einmal versagt war? Waren nicht auch sie vielleicht auf die Güte und Mildthätigkeit Fremder angewiesen? Durfte sie der, die das Geschick ihr zugeführt, versagen, was sie für die ihr geraubten Kinder erflehte und erhoffte? Die Baronin erwie» sich, gerade weil sie etwas in sich zu bezwingen hatte, von unerschöpflicher Giite gegen Lucie. und diese gab ihr nie einen Anlaß zu Tadel. Sie schien nur für die Tante, wie die Baronin von ihr genannt wurde, zu leben, la» ihr jeden Wunsch von den Augen ab und hätte am liebsten ihre Bedienung vollstän- big übernommen, wäre die» von der„alten Sammerfrau zuaelassen worden. Pauline wachte aber mit großer Eifer- sucht darüber, daß ihr von ihren Obliegenheiten nicht» ent- zogen wurde. (Fortsetzung folgt.) 97,1»