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— 158 — Eie war nie auf dem Lande gewesen- In Berlin ausgewachsen, hatten die Commerferien sie mit' den Eltern meist in dieses oder jenes Bad geführt- Tie lieb liche Schönheit ländlicher Gegend war ihr nie zum Be wußtsein gekommen. Ter tiefe Frieden des' Sommer abends legte sich beruhigend auf ihr Herz, das seit Tagen schjon gelitten hatte in der Aussicht auf die längere Trennung von den geliebten Eltern- Papa war durchs Ueberaäbeitung im Amt nervös geworden, und die Aerzte hatten einen Aufenthalt im Süden für unerläß lich erklärt. Tie Mutter war als seine treue Pflegerin mit ihm gegangen, Inge aber sollte indessen, um an dere Eindrücke als 'die des Krankenzimmers zu gewinnen, eine Zeit als Pflegekind bei Onkel und Tante Forstmeister bleiben. Frau von Fahlbusch versprach sich viel davon- Sie liebte ihren stolzen, energischen, tüchtigen Bruder, seine gütige, milde Gattin, die kluge, lustige Sophie und den freundlichen Konrad, der ebenfalls die Forstkarricre zum Beruf gewählt hatte und, als er die Akademie in Ebers walde besuchte, öfter Gast der Verwandten in Berlin ge wesen war. Einmal sogar zu einem Hausball! Ta hatte er noch zwei Freunde mitbringen dürfen, und Frau von Fahlbusch die den Uniformen nichjt abgeneigt war, war höchlichst be friedigt, zwischen den bunten Leutnants und Hauptleuten und den schjwarzbefrackten Juristen, die bei ihnen ver kehrten, auch die schmucken, grünen Uniformen der Forst akademiker zu sehen. — , „Tu bist so still, Inge?" fragte der Onkel freund lich „kommt das Heimweh schon?" Inge schüttelte den Kopf und lächelte- „Heimweh? Nein, ich glaube nicht, lieber Onkel, aber es ist so schjön und so still hier — so friedlich — als wäre man in einer anderen Welt" „Ja, ja, ein Unterschied mit Berlin ist das schon, mein Kind. Ich könnt's kaum aushalten in all dem Ge töse- Gut, daß Teine Mutter, die doch mit mir auch auf dem Lande aufwuchD, sich so daran gewöhnt hat- Ta in Berlin gehen die Nerven kaput- Hast Tu etwa Nerven?" , „Ich glaube nicht, Onkel Forstmeister, aber ich weiß es nichjt genau. Ter arme Vater ist so nervös ge worden —" „Tas wird schjon alles wieder gut, Inge — darum darfst Tu Dich hier nichjt sorgen- Ihr sollt mir recht ver gnügt sein, Tu und die Sophie, und die Assessoren wer den auch wohl mal für ein Tänzchen sorgen " Inge wollte eigentlich fragen, wer die Assessoren waren, aber sie traute sich nicht recht, auch wurde ihr Gespräch jäh unterbrochen dadurch daß Balzer auf einen Mink des Forstmeisters die Zügel anzog und der Wagen hielt- Ticht bei der Chaussee in einer Lichtung des Waldes waren Arbeiter beim Holzaufsetzen beschäftigt- Tie schar fen Augen des Forstmeisters chatten den Förster, der die Arbeiten beaufsichjtigte, erkannt, und er rief den Be amten heran, um ihms einen Auftrag zu geben- Inge blickte auf das ungewohnte Bild vor sich hin- Nicht weit von der Chaussee lief ein anderer Fahrweg, diese kreuzend, in entgegengesetzter Richjtung, und auf ihn: wurde, von einer Staubwolke umgeben, ein hochelegan ter Landauer sichtbar. Zwei hübsch geschirrte Apfelschim mel zogen ihn, und auf dem Bock thronten Kutscher und Diener in reicher brauner Livree, mit goldenen Fang- schinüren um den linken Arm- In dem Wagen lehnte eine Tame, grau angezogen, mit grauem Schjleier, und das Ganze bot das Bild abso lutester Vornehmheit dar, j Inge, die den Onkel in sehr wichtigem Gespräch sah und nicht stören wollte, tippte mit ihrem Schirm dem Kutscher auf die Schulter. Balzer sah sich um. Nun zeigte sie mit der Hand in die Richjtung des näherkom menden Wagens. „Wer ist das, Balzer?"'' Sie hatte sich des Kutschers Namen gut gemerkt. „O, die Apfelschimmels? Ja, gnädiges Fräulein, das ist wohl die gnädige Frau." Damit war Inge genau so klug, wie vorher- Es gab hier herum gewiß mehr als eine „gnädige Frau"- Tas Bild, die Tame im Wagen hatte ihr einen anderen, einen mehr fürstlichen Eindruck gemacht- Ob sic den Onkel fragte? Ter machte ihr aber den Eindruck, als könnte er sie dann für allzu neugierig halten, und das wollte sic nicht- Außerdem dog ihr Wagen nun von der Chaussee ab, fuhr an einem idyllisch gelegenen Forsthause vorüber und hatte nach kaum zehn Minuten das Torf erreicht, an dessen Eingang, umschjattet von alten, herrlichen Kastanienbäu men , das Forstmcisterhaus in zierlich gehaltenem Vor garten lag. . , Am Stakctenzaun standen Tante Christine und Sophie, die Inge von einem längeren Besuch in Berlin schon sehr lieb rind vertraut waren, und djie Begrüßung fiel so herzlich aus, daß im Augenblick alles andere für Inge in den Hintergrund trat. Man ist nichjt umsonst einmal neunzehn Jahre alt, wo jeder Augenblick, der Neues und Ungewohntes bringt, etwas Herrlichjes ist- „Bist Tu gern gekommen, Kind?"' fragte die Tante leise und zog Inge fest ans Herz- Tie Forstmeisterin war eine durchs und durch mütter liche Natur, und mit dieser wahrhaft mütterlichen Liebe und Sorge umgab sie alle, die in ihr Haus kamen- Junge Frauen und Mädchjeu der näheren und ferneren Verwandtschaft verkehrten nirgends lieber, als bei Tante Christine, die das Vertrauen, das ihr entgegengebracht wurde, durch! Verständnis, Liebe, guten Rat und Freund schaft lohnte- i Tis Forstasfessoren, die zum Zweck von Vermessungen oder zur Hülfe des Forstmeisters; einige Zeit unter dem Tache zubrachtcn, fühlten sich bald wie Kinder des Hauses; den jungen Forstbeflissenen, die sich auf die höhere Forstkarriere vorbereiteten, und den jungen Forst lehrlingen, die die untere Forstlaufbahn einschjlugen, er setzte sie gleicherweise durch verständnisvolles Entgegen kommen die Mutter. Wie hätte die weichherzige, mehr träumerisch ange legte Inge sich dem Zauber dieser Frau entziehen können! Und dann Cousine Sophie, die, voll ausgezeichneten Verstandes, ihren Namen mit vollem! Rechte trug, und die dochj, trotz ihrer großen Geistesgaben und hervor ragender Talente, die Seele d.-r Hauswirtschjaft war- Auch nicht die kleinste Pflicht war ihr zu klein und zu gering, sie erfüllte sie mit demselben Eifer und derselben Treue wie die großen- Tas alles wußte Inge nicht nur durch ihre Mutter, sie fühlte es beim ersten Schjritt, den sie über die Schwelle des Forstmeisterhauscs setzte- Alles war so schön, so heimisch hier- Es schien Inge, als sei sie hier lange bekannt- Und dochj war in den gemütlichen Zimmern keine Spur von der eleganten Einrichtung ihres elterlichen Hanses- Tie Möbel waren schicht und alt, aber sorgsam gepflegt und gut erhalten, dis Teppich einfach gemustert, die Gardinen nach alter Sitte von weißem durchsichtigem Stoff, aber blendend, weih und sauber- 2 - 7 S» "^2? S ? » S» 2 « g v y Z s rr s « ? w 2. » N lD«'r? 'S'S* 2 3 K T 159 — Tie prächtigen Geweihe und Rehkronen, die die Tick» und das Zimmer des Hausherrn schmückten/und die so rechjt dem Ganzen den Stempel aufdrückten, imponierten Inge sehr, und sie versprach als sie diese als „Hörner" bezeichnet hatte und her Forstmeister mit einem' kräf tigen „Halloh — das Wild hat keine Hörner — so darf keine Weidmannsnichjte sagen," dazwischen fuhr, sich alle Mühe zu geben, um sich im Forsthause auch ange messener ausdrücken zu lernen- „Komm, Inge, ich zeige Tir Tein Ziimwer," sagte Sophie, „es ist dichjt neben dem weinens oben im Giebel " Inge hatte ihre Mutter öfter von gemütlichjen Giebel stuben sprechjen hören, sie selbst, das Großstadtkind, wußte aus eigener Erfahrung noch nichts davon- Sie stiegen die breite Treppe zum oberen Stockwerk empor, über einen großen, Hellen Vorplatz ging's, dann öffnete Sophie eine der beiden dicht nebeneinanderliegen den Türen, und ein freudiges „Ach!" des Staunens ent fuhr Inge- Nein, so lieb und traut und so elegant hatte sie sich das Giebelstübchen nicht gedacht- Der kleine Raum war mit rosa Cretonnemöbeln behaglich ausgestattet, Bett und Toilettentisch umwallten rosa Gardinen, die mit denen der beiden Fenster genau übereinstimmten, und durch die Fenster flutete der goldige Schein der sinkenden Sonne über alle Gegenstände- „Gefällt es Tir, Inge?"' fragte die blonde Cousine, „sieh, für Tich konnte uns' nichts zu hübsch sein, damit Du gern bei uns bist, lind nuy lasse ich "Tich allein, einen Augenblick nur, ich muß noch einmal unten in der Küche nach dem Rechten sehen " Inges Koffer war schjon hier, sie schloß ihn auf, fing au, diese und jene Kleinigkeit herauszunehmen; dann fiel ihr ein, daß sie gewiß von der Reist, zerzaust und be stäubt sei, sie machjte Toilette, ordnete das' kastanien braune, reichje Haar noch einmal, vertauschte die Reise bluse mit einer eleganteren von schottischer Seide und trat dann einen Augenblick an das Fenster- Wie weit man hier sehen konnte! Zuerst noch einen Teil des Tor fes, dann weiter hinauf eine r breiten "Fahrweg, dazwi schen Wiesen und Feld, auf dem noch gielbes, reifes Korn wogte, und dort drüben, wie angelehnt an eine kleine Höhe, fast versteckt in grünen Baumkronen ein reizendes Schjlößchen mit hohem Turm, spitzgegiebettem Tachj und hohen, gotische Form zeigenden Fenstern, in denen sich gerade jetzt der letzte fahlrote Schein der Sonne spiegelte. Soweit Ings erkennen konnte, umzog eine schöne Mauer mit Gitterwerk das! Gehöft- Tas Ganze machjte ihr den Eindruck eines Märchenschlosses, und sie fühlte ihr Interesse für den kleinen Besitz er wachsen- Wer dort Wohl wohnte? Ob glücklichje Menschen? Ein zaghaftes Klopfen ertönte an der Tür, und aus Inges „Herein" erschien ein junges, hellgekleidetes Stuvenmädchjen mit einer riesengroßen Wasserkanne, die sie in Inges leere Waschkanne zu füllen begann- Tann hantierte sie noch hin und her im Zimmer, nahm sorg fältig die rosa Bettdecke zusammen und streifte dabei am Fenster vorüber, an dem Inge noch immer stand- „Wie heißen Sie?" fragte diese plötzlich, und die Kleine, auf deren krausem Blondhaar ganz gravitätisch; ein weißes Tüllhäubchjen thronte, erwiderte knixend: „Trina — gnädiges Fräulein — — und ob gnädiges Fräulein sonst noch etwas wünschten?"! „Nein!" Inge sprach gegen ihre Gewohnheit lang sam- „Aber ich möchte wissen" — sie zeigte mit der Hand hinüber nach dem Schlößchen, dessen Türme und Erker sich weiß von hem dunklen Abendhimntel abhoben — „Wie dM SMß heißt?" .! > Ihre Neugierde War zu mächtig geworden, sie hatte mit der Frage nicht warten können- Trina warf einen raschen Blick hinaus „Sch — daS is Schjloß Sommereck!" , „Sommereck?" , ! „Ja, was die frühere Herrschaft war, eine hochfürst liche, glaub' ich hat's nur für den Sommer gebaut- Tarum heißt's so, sagt mein Vater, der wohnt dort im Torf Lobsfech was eigentlich dazu gehört" „Und wer wohnt da?" „Na — die gnädige Frau doH — die Frau von Sommereck." Inge War zwar nun ebenso klug wie zuvor, aber als eine Merkwürdigkeit fiel ihr ein, dchß Balzer ebenfalls von einer „gnädigen Frau" gesprochen hatte- Ob das wohl dieselbe war, die da vom Waldwegs gefahren kam in dem stolzen Schnmtelgespann? Ein solches Fuhrwerk und ein solches Schloß — daS mußte auf jeden Fall "eine glückliche, beneidenswerte Be sitzerin sein. . - l ; Trina hatte das Zimmer längst verlassen, Inge schaute noch immer träumend ins Weite- Nun war sie hier am Ziel ihrer Reist, wvhlgeborgen bei Onkel und Tante, indessen Vater und Mutter mit dem Schjnellzuge der fernen Riviera zueilten- Sie griff in ihre Reisetasche und holte ein elegantes Lederetui mit Photographien heraus. Vater und Mut ter, die Herzensfreundin Marga von Rohr und — er Ihr Blick hing wie gebannt an den Zügen des fügend- lichj-schlanken Garde-Ulanen-Offiziers, der da ganz am Ende der langen Bilderreihs Platz gefunden hatte- Cie drückte das Bild fest ans Herz- Ob Henrik ihrer wohl dachte, wie sie seiner? Hatten sie sich nicht mit tausend heiligen Schwüren ewige Treue gelobt? - . Und konnten seine guten, klaren Lugen lügen? Ein tiefer Seufzer hob Inges Brust, sie wollte eben einen hinter dem Bilde verborgenen Brief vorziehen — als rasche Schritte über den Vorplatz kamen und Sophie, die Tür öffnend, rief: „Inge — Inge — komm — wir wollen essen" . Und Inge, der noch eben sterbensweh ums Herz war, sah sich; bald darauf unten im gemütlichen ^zimmer, wo sich an wunderschön gedeckter Tafel die sämtlichen Familienglieder und Gaste versammelten- Konrad, der gerade auf Urlaub bei den Eltern weilte, durfte der Cousine freundschaftlich die Hand schütteln- Tie Begrüßung mit den vorgestellten beiden Forst assessoren und dem Feldjägerleptnjant fiel zeremonieller aus. Inge blickte kaum hinüber. Wo die „vier Grünen", wie Konrad sagte, beisammen saßen und mit deut Forstmei ster zunächst ein Fachthema wegen Bermessungsarbeite» erörterten Sie hatte die Namen kaum verstanden. Aber dann wurde Äas Gespräch allgemein- Der Feld jägerleutnant Kun auch aus Berlin, er hieß Hoppe, wie er selbst sagte, wenn er sich nach den beiden adlige» Assessoren vorstellte, „schlechtweg Hoppe" und war auf allen Gebieten, die in Inges Jnteressenkreis fielen, Bälle, Wohltätigkeitsbasare und Feste, Eisbahn und Lawn- Tennis, Kunstausstellung und Sezession, modernes Kunst gewerbe und Frauenbewegung, ziemlich beschlagen- Einer der beiden Assessoren, Herr von Tvrgerlow, war ernst mü» still und wurde nur lebhaft^ wenn dass Thema irgend eine» Berührungspunkt mit seinem Beruf bot, während Herr von Cpechthausen eine humoristische Ader hatte und st» fröhlich und herzlich zu lachen Verstand- Inge teilte ihre Aufmerksamkeit Wischen dem Go» sprchhj und den Speisen, denen pe n<wh der langen Fahri