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84 — und deshalb entsage ich — nicht Du bist diejenige, die Entsagung geübt. Glaubst Du, es sei mir leicht geworden, Dich scherzen, tanzen und lachen zu sehen, ganz der Freude des Augenblicks hingegeben, während ich von ferne stand, um durch meinen Ernst nicht Deine Lust zu trüben. Dieses Opfer, diese Entsagung hast Du nie begriffen! Ich harrte des Mo mentes, da Du zur Einsicht kommen mußtest, daß Dein Platz an meiner Seite sei, mit Sehnsucht harrte ich dieses Momentes, er ist nie gekommen, Du hast mich nie vermißt, und meine Hoffnung ist eine vergebliche gewesen." Die Brust des Freiherrn hob und senkte sich schwer in innerem Kamvse. Viola stand bleich und regungslos vor ihm. Fühlte sie, wie sehr er mit diesen Worten recht hatte? Gerhard fuhr in gedämpftem Tone fort: „Ein warm liebendes Herz kann solche Tinge verzeihen, aber nur bis zu einer gewissen Grenze, und diese Grenze hast Du weit überschritten. Berufe Dich nicht darauf, Viola, daß vor der Welt kein Band Dich an mich fesselte; das sühnt, das entschuldigt nichts! Wahre, treue Liebe bedarf keines Schwures, keines feierlichen Gelöbnisses, um fest aneinander zu ketten, und das Mädchen, das ohne Schwur nicht treu zu lieben vermag, wird auch als Gattin den Eid der Treue nicht halten. Wer nicht im Stande ist aus freien Stücken fest zu bleiben, den wird ein Schwur nicht fesseln — selbst wenn Deine Liebe zu mir erloschen war, Viola, so wäre es Deine heilige Pflicht gewesen, jene Werbung zurückzuweisen, denn Du hattest mein Wort, und Du wußtest nur zu gut, wie heilig mir dasselbe sei. Ehe du jenem Manne das Recht gabst, auch nur eine Silbe zu sprechen, hättest Du zu mir kommen und mir Alles sagen müssen. Man tändelt nicht mit den reinsten, besten Gefühlen des Menschenherzens — und das hast Du gethan, Viola! Dem flüchtigen Triumphe befriedigter Eitelkeit zu Liebe hast Du mich und meine treue Liebe geopfert! Du bist frei — werde die Gattin des Mannes, der heute um Dich geworben; mein Anrecht an Dich ist für immer erloschen!" Viola'S Brust entrang sich ein kurzer, scharfer Schrei. „Du flößest mich von Dir?" rief sie, halb wahnsinnig vor Scham und Furcht. „Du hast selbst gewählt, ich mache nur einem Andern Platz", lautete die kühle und trockene Antwort. Das junge Mädchen rang vergebens nach Fassung; Stolz und Liebe stritten einen harten Kampf in ihrer Seele. Sie fühlte, wie warm ihr Herz für Gerhard schlug, sie empfand eine namenlose Angst, ihn für immer zu verlieren, und doch — sollte sie betteln und flehen, sie, der so viele Herzen offen standen, der so Biele huldigend zu Füßen lagen? Sie richtete das bleiche Antlitz trotzig empor und sah ihm fest in die dunklen Augen. O hätte sie nur das nicht gethan. WS sie seinen ernsten, vorwurfsvollen Blick gewahrte, da war es mit ihrer Fassung, mit ihrem Stolz zu Ende. Bittend streckte sie beide Arme gegen ihn aus — aber plötz lich flog Helle Purpurgluth über ihr Gesicht, und sie ließ die erhobenen Hände sinken. An dem kleinen, rosigen Ringfinger ihrer Rechten funkelte ein blitzender Diamant — der Ring, den Wilhelm von Tonn berg ihr gestern aufgesteckt. Der Freiherr war der Richtung ihrer Blicke gefolgt, auch er hatte den Ring gewahrt. Eine fahle Bläffe deckte für einige Sekunden seine Züge, aber dann war jede Regung vorüber. „Ein bindendes Zeichen", sagte Gerhard mit fester Stimme, auf den Ring deutend, jetzt ist jedes Leugnen unnütz." Viola hatte sich hoch aufgerichtet, ein stolzer, harter Zug grub sich tief um ihre bleichen, zuckenden Lippen; kein Wort entschlüpfte denselben mehr. Stumm neigte sie das Haupt, und festen sicheren Schrittes ging sie hinaus, nicht als sei sie die Gerichtete, sondern er, der bleich, bebend, keines Wortes mächtig, ihr nachstarrte. Am Korridor kam Magda auf sie zu. „Hilf, Himmel. Kind wie sehen Sie aus!" rief sie, die Hände zusammenschlagend, „das gestrige Fest ist Ihnen nicht gut bekommen." „Nein, es ist mir nicht gut bekommen," versetzte Viola, ein mattes Lächeln auf ihre Lippen zwingend. „Sie entschul digen mich wohl für heute, ich bin so müde, so entsetzlich müde." „Legen Sie sich zu Bett, Sie hätten gar nicht aufstehen sollen," meinte Magda besorgt. „Ja, das will ich thun," flüsterte Viola. „Ruhe, voll kommene Ruhe wird das Beste für mich sein." Sie eilte in ihr Zimmer, ohne auf den verwunderten Blick Magda s zu achten, die ihr betroffen nachsah. „Wenn sie mir nur nicht krank wird," dachte das Fräu lein bei sich, „sie sieht so bleich und angegriffen aus. Ja, das viele Tanzen — Gott sei Dank, daß die tolle Zeit bald vorüber ist." Viola gab der Dienerin Befehl, sie nicht zu stören, bis sie sie rufe, dann verschloß sie sorgfältig die Thüre, und un fähig, sich länger zu beherrschen, brach sie in einen Strom von Thränen aus. So war Alles vorbei! Der Traum von Glück hatte ein jähes Ende gesunden, und sie stand da, einsamer und freudenloser als je zuvor. Allein Viola war keine weibliche Natur, die sich lange dem Schmerz hingiebt. Nachdem sie sich satt geweint, begann sie ruhig über ihre Lage nachzudenken. Sie war so hochmüthig, um noch einmal den Versuch zu machen, Gerhard zu versöhnen. Und dann, sie fühlte es im Innersten ihres Herzens, nach dem, was vorgefallen, würde er ihr nicht mehr Glauben schenken, er hatte das Vertrauen zu ihr verloren, und keine Bitten, keine Klagen konnten das Verlorene ihr wieder zu rückbringen. Einsam saß Viola da, sinnend, grübelnd, bis der letzte Tagesschimmer erlosch und eine düstere, graue Dämmerung sich über die Gegend lagerte. Gottsetzung folgt.) Ein geistlich Abendlied. Es ist so still geworden, Verrauscht des A ends Weh'n, Nun hott man allerorten Der Engel Füße geh'n. Rings in die Thale senket Sich Finsterniß mit Macht — Wist ab, Herz, was dich kränket Und was dir bange macht! Es ruht die Welt im Schweigen, Ihr Tosen ist vorbei, Stumm ihrer Freude Reigen Und stumm ihr Schmerzensschrei. Hat Rosen sie geschenkt, Hat Dornen sie gebracht — Wirs ab, Herz, was dich kränket Und was dir bange macht! Und hast du heut' gefehlet, O schaue nicht zurück; Empfinde dich beseelet Von freier Gnade Glück. Auch des Verirrten denket Der Hirt' aus hoher Wacht — Wirf ab, Herz, was dich kränket Und was dir bange, macht! Nun steh'n im Himmelskreise Die Stern' in Majestät, In gleichem festen Gleise Der gold'ne Wagen gett. Und gleich den Sternen lenket Er deinen Weg durch Nacht — Wirf ab, Herz, was dich kränket Und waS dir bange macht! Gottfried Kinkel. Druck von Langer t Winterlich in Riesa. Für die Redaktion verantwortlich: Herrn. Schmidt in Riesa. CrKHIer an der Elbe. Belletrist. Grattsveilage zu» „Riesaer Tageblatt^. «r. »I. «i«sa, W. ««I 1808. »«.Ach»» Pflicht und Liebt. Roman von C. Wild. «Fortsetzung.) Viola traf ihn bei allen Gesellschaften und Unterhaltungen die sie besuchte, und bald war es ihr ein Bedürfniß geworden, ihn sehen und spechen zu können. Noch war sie sich ihres Unrechts gegen Gerhard nicht bewußt, aber sie wurde kälter, zurückhaltender gegen ihn, sie fühlte sich nicht mehr glücklich in seiner Nähe, ja sie vermied, wo sie konnte, jedes Alleinsein mit ihm, und nach und nach kamen alle die kleinen Eigenheiten, die er bei ihr schon längst überwunden wähnte, wieder zum Vorschein. Sie war jetzt mit ihrer Toilette sehr beschäftigt, daß sie keine Zeit mehr sand, sich an Magda's Samariterwerken zu betheiligen; sie brachte stundenlang vor dem Spiegel zu, um ihre schönen Locken so reizend als möglich zu ordnen, sie schien ganz aufzugehen in dem Bestreben, überall die Schönste, die Bewandertste zu sein, alles Andere war für sie gleichgiltig gewordl». Da der Freiherr diesmal so viele Einladungen angenommen hatte, so war es für ihn förmlich zur Pflicht geworden, nun auch seinerseits ein Fest zu geben, und so ward denn beschlossen, daß auf Schloß Lindenhain ein Ballfest stattfinden sollte, zu welchem denn auch die allzeit praktische Magda sofort ihre Vorbereitungen traf. Es wurden keine Kosten gescheut, um Alles so hübsch als möglich herzurichten, und auf dem sonst so stillen Schlöffe herrschte nun eine laute, lärmende Thätigkeit. Arbeiter kamen und gingen, der Gärtner mußte das ganze Treibhaus plündern, und von früh bis spät schallte Magda's Helle, klare Stimme durch die Räume. Sie war auch hier wie überall die Seele des Ganzen. Der Freiherr verließ sich in allen solchen Dingen stets auf seine Schwester, denn Magda hatte ihn immer noch mit ihren Arrangements auf's Beste zufrieden gestellt. Viola flog wie ein leichtbeschwingtes Vögelchen zwischen all' dieser Thätigkeit umher. Sie freute sich sehr auf diesen Ball und sprach von nichts Anderem als von dem Feste, von welchem sie sich unendlich viel Vergnügen versprach. Der Freiherr hörte ihr lächelnd zu, aber es berührte ihn doch unangenehm, daß sie so sehr am Vergnügen hing und für gar nichts Anderes mehr Sinn hatte, als für den zu erwartenden Ball. Magda hatte jetzt alle Hände voll zu thun und achtete kaum auf das Geplauder des jungen Mädchens. In ihrem Innern wünschte sie sehnlichst das Ende dieser „tollen Zeit" herbei, und sie freute sich schon auf die alte gemächliche Hausordnung, die durch den Karneval empfindlich gestört worden war. Endlich kam der von Viola so heiß ersehnte Abend. In den großen, so selten benutzten Sälen des Schlaffes funkelte und leuchtete ein wahres Lichtmeer. Die silbernen Kronleuchter blitzten in dem Reflexe von unzähligen Wachskerzen, aus allen Ecken des Salons blühte, duftete und grünte eine reiche Flora dem Eintretenden entgegen; eine laue, von Wohlgerüchen durchwehte Luft zog durch die hohen Räume, und mit ein nehmender Würde stand der Herr des Schlosses in der Mitte des Salons, um seine Gäste zu empfangen. Die hohe, kräftige Gestalt des Freiherrn nahm sich in der eleganten Salonkleidung ungemein gut auS; daS reiche, lockige Haar umrahmte in dichten Wellen die hohe, schönge formte Stirn, und die dunklen Augen leuchteten in freundlichem Glanze unter den dichten Brauen hervor. An Gerhard s Seite stand Magda. Ein schweres, matt blaues Seidenkleid floß in dichten Falten an ihrer hohen Ge stalt herab; aus den einfach verschlungenen, blonden Flechten blickte schüchtern eine weiße Kamelie hervor. Um den vollen, weißen, nur wenig entblößten Nacken schlang sich eine werthvolle Perlenschnur, das war Magda'S einziger Schmuck. Sie war eigentlich nicht schön zu nennen, und doch, wie stattlich, wie stolz stand sie neben dem Bruder! Wie hell glänzten diese klaren, blauen Augen, und wie herzgewinnend war das Lächeln, das diesen frischen, rothen Mund umspielte. Das war diese echte, deutsche Hausfrau, wie sie sich eiu Mann wünschen konnte, treu und rein in Wort und Sinn, das höchste Glück nur in der eigenen Häuslichkeit suchend. Magda war keine elegante, weltgebildete Modedame, die durch Umgangsformen und sogenannten Esprit zu glänzen ver stand; frei und offen in Blick und Rede, wußte sie dennoch stets das richtige Maß festzuhalten. Gut und freundlich gegen ihre Untergebenen, offeu und herzlich gegen die ihr Gleichstehendea, so war das Wesen be schaffen, das jahrelang hindurch mit unermüdliche« Eifer an Gerhard's Seite gewirkt hatte. Würde es Viola wohl verstehen, diese Stelle würdig auszufüllen, ihm das zu sein, waS ihm die treue Schwester war? O, sie mußte ihm mehr, noch viel mehr sein. Richt allein seine treue Helferin und Beratherin in Sorge und Leid, sie mußte sein Weib, seine Geliebte, sein treuester, bester Freund sein Alles sein. Und eine Frau, wenn sie will, sie kann ihrem Gatt« dies Alles sein; sie kann seine Seele mit unlöslichen Banden an die ihre ketten, sie kann ihn den vollen Werth eines echten Frauenherzens erkennen lasten, das, nur dem Manne sedier Liebe lebend, nichts Anderes kennt, als besten Glück und Wohl. Eine solche Frau braucht weder schön noch geistreich z« sein, um ihrem Gatten eia vollkommenes Glück zu bereiten, sie muß nur sich selbst mit aller Lieb« und Treue geben, und wohl dem Manne, der ein solches Weib gefunden, denn er nennt das Höchste sein eigen, daS ihm irdische GlücksAigkett zu bieten vermag. War Viola ein solches Weib? Konnte sie eS jemals für ihn werden? Da stand sie in der Thür, strahlend von Jugend und Schönheit. Durch daS entfesselte Gold ihrer Locken schlangen sich halbgeöffnete Rosenknospen; Rosen im Haar, Rosen auf den Wangen und in den Händen. In schneeiger Weiße schmiegte sich daS duftige Gewebe an die jugendlich schwellenden Formen, anmuchig verschlungene Rosenguirlanden zierten den Ausschnitt deS Kleides und die