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Schon dieser Tage ist bei der Besprechung des Final- abschlusseS der ReichShauptcasfe für 1901 auf die Aeußerungen der Regierungsvertreter in der Zolltarif- Commission des Reichstags hingewiesen worden, daß die Aufstellung und Finanzirunz des Etats für ISOlt „noch größere Sorge" bereite und daß dieser Etat „voraus sichtlich einen nur mit den allergrößten Schwierig keiten zu deckenden Fehlbetrag" ergeben werde. Heute eröffnen die „Berl. Pol. Nackr." einen wahrhaft erschreckenden Vergleich zwischen diesen Aussichten und den entsprechenden Verhältnissen vor zwei Jahren, indem sie schreiben: „Nach dem Finalabschluß der Reichshauplcasse für 1901 sind in diesem Jahre bei den Ueberschüssen aus früheren Jahren 84 000 mehr, als veranschlagt, aufgekommen. Jns- gcsammt konnten demnach 32 684 081 Ueberschuß der Reichs« casse aus dem Jahre 1899 für die Deckung der Reichsaus« gaben zur Verwendung gelangen. Dieser Ueberschuß war der größte seit einer langen Reihe von Jahren, er war aber auch vor läufig der letzte. Es liegt auf der Hand, daß, wenn solche Ueber- schüsse aus den vorletzten Jahren zur Verfügung stehen, die Aufstellung der RcichshaushaltsetatS leichter ist, als wenn nicht nur keine vorhanden sind, sondern auch noch Fehl beträge aus den zweitletzten Jahren gedeckt werden müssen. Schon im Etat für 1902 konnte in die Position der Ueberschüsse aus früheren Jahren nichts eingestellt werden, dagegen mußte ein Fehlbetrag von nahezu 2 Millionen Mark unter die Ausgaben eingereiht werden. Für den Reichshaushaltsetat auf 1903 verschlechtert sich Las Verhältniß weiter. Auch in ihm wird ein Ueberschuß bei den Einnahmen fehlen, dagegen wird unter den Ausgaben rin Fehlbetrag von nicht weniger als 48'/, Millionen Mark erscheinen. Um zu ermessen, wie sehr die Reichsfinanzen innerhalb zweier Jahre sich verschlechtert haben, braucht man nur Len Etat von 1901 und den von 1903 an dieser einzigen Stelle zu vergleichen. 1901 konnten 32,7 Millionen Einnahme aus dem Ueberschüsse von 1899 bei der Etatsausstellung ver wendet werden. Bei der Ausstellung für 1903, die gegenwärtig im Gange ist, muß als Ausgabe der Fehlbetrag von 1901 in Höhe von 48,4 Millionen Mark aufgesührt werden. Der Etat von 1903 wird sich demgemäß in diesem einzigen Puncte um nicht weniger als 80,1 Millionen Mark gegenüber dem von I90l verschlechtern. Es braucht wohl nicht noch besonders be- tont zu werden, daß bei einer solchen finanziellen Aenderung die Ausstellung deS nächstjährigen Reichshaushalls sich schwierig gestaltet. Daß bei der gegenwärtigen Finanzlage in der Bemessung der Aus gaben das unbedingt nothwendige Maß noch strenger als sonst ein gehalten werden wird, ist selbstverständlich." Da an die schleunige Eröffnung neuer Einnahmequellen nicht zu denken ist und selbst der der kärglichen Bemessung der Ausgaben eine wesentliche Verminderung derselben nicht erzielt werden kann, so steht vor den Einzelstaaten das Drobgespenst eines ungeheuerlichen Anwachsens der Matri- cularbeiträge. ES rächt sich eben schwer, daß eine Reichs- finanzreform auf Grund neuer Einnahmequellen immer wieder auf die lange Bank geschoben worden ist. Mit Recht wird in einer im gestrigen Abendblatte mitgetheilten Aus lassung eines Berliner Mitarbeiters der „AUqem. Ztg." darauf hingewiesen, daß der Gedanke einer ReichSfiiianzresorm nicht viel jünger ist, als das Reich selbst, und daß besonders der jüngst verstorbene nationalliberale Führer Rudolf v. Bennigsen sich schon vor nahezu einem Vierteljahrbundert eifrig bemüht hat, die finanziellen Beziehungen deS Reicks zu den Einzelstaaten auf eine gesunde Grundlage zu stellen. Von ihm rührte der Vorschlag der Einführung beweglicher Finanzzölle her, die in Zeilen der Noth entsprechend er- böhl werden könnten und die Einzelstaaten vor drückender Inanspruchnahme sicher stellten. Er hat, wie so ost, tauben Ohren gepredigt; man bat sortgewurslelt, als ob die Jahre großer Neichsüberschüsse niemals enden könnten. Wie nun die Einzelstaaten, die zumeist kaum wissen, wie sie ihre eigenen Bedürfnisse decken sollen, auch noch durch hochgesteigerte Matricularbeiträge das NeichSdeficit ver schwinden machen sollen, mag der Himmel wissen. Freilich tragen ihre Herren Kinanzminister einen nicht geringen Tbeil der Schuld an diesen Zuständen: Sie haben sich be schwichtigen und beschwichtigen lassen, bis der Finanzjanimer nicht mehr zu verdecken ist. Und da von dem jetzigen Reichs tage nichts zu erwarten ist und der kommende allem An scheine nach nicht besser auSsällt, so wird am Ende nichis übrig bleiben, als ihn bei der ersten besten Gelegenheit nach Hause zu schicken, die Finanzfrage zur Wahlparole zu machen und die Nation vor die Frage zu stellen, ob sie das Reich und die Einzelstaaten bankerott werden sehen oder die nötbigen Mittel zu einer gründlichen Reichsfinanzresorm be willigen will. Aber waS wlrd das für eine Wahlbewegung werden! Die hannoverschen Weifen machen sich schon früh zeitig an die Agitation für die nächsten Reichstags» wählen. Sie lassen die Wahlkreise von ihren Agitatoren bereisen und die Stimmung der Bevölkerung feslstcllen. Ein rührend naives Eingesländniß entschlüpft dabei einem Agitator, der den 18. Wahlkreis (Stave-Bremervörde) bearbeitet hat. Er theilt mit, es sei ihm wiederholt begegnet, daß die Wähler keine Ahnung von dem wirklichen Sachverhalte der Verbältnisse von 1866 gehabt hätten. Es mangele an der nöthigen Geschichtskenntniß und deshalb sollten alle überzeugten Gesinnungsgenossen unermüdlich für Aufklärung sorgen; bei rühriger Agitation könne wohl der Erfolg ein treten, daß der 18. Wahlkreis bei der nächsten Wahl einen Welfen in den Reichstag entsende. Dieser Wahlkreis ist auch für uns von besonderem Interesse, weil er drei Legislatur perioden hindurch von Rudolf von Bennigsen vertreten worden ist. Die Gefahr, daß Vieser Wahlkreis in welfische Hände gerälh, ist glücklicherweise eine sehr geringe. Seil dem Be stehen des Reichstags ist es den Welsen niemals gelungen, auch nur annähernd die Slimmenziffer des nationalliberalcn Bewerbers in diesem Wahlkreise zu erreichen. Bei den letzten allgemeinen Wahlen standen sie sogar hinsichtlich der Stimincnziffer erst an dritter Stelle, so daß nicht sie, sondern der Socialdeniokrat mit dem nationalliberalen Be werber in die Stichwahl kam, bei welcher der Letztere mit mehr als doppelter Majorität siegte. In ter Haupt wahl hatte der Welfe noch nicht einmal die Hälfte der Stiminenziffer des nationalliberalen Bewerbers bekommen. Auch die „Aufklärung" über die geschichtlichen Vorgänge von 1866 dürfte den welföchen Agitatoren wenig helfen. In dem hannoverschen Küstengebiete ist die Wählerschaft zu „Helle", um sich auf welfische Geschichtschreibung einzulafsen. Der erwähnte Agitator im 18. Wahlkreise klagt selbst, daß ihm die Antwort geworden sei, Hannover habe daS Malheur von 1866 selbst verschuldet, indem cS sich ohne Noth auf den Krieg eingelassen habe, und diese Auffassung wird Wohl auch weiterhin von der Bevölkerung des Küstengebiets gehegt werden, unbekümmert um alle welfische „Aufklärung". Ueber den Kulturkampf in Frankreich wird dem „Hamb. Corresp." aus Paris berichtet: „Die Campagne, die JuleS Lemaitre aus Anlaß der Tagung der Generalräthe empfohlen batte, muß gegenwärtig als vollständig gescheitert angesehen werden, da zurStunde bereits4 l Departeinentalversammlungen ihre Zustimmung zu der Politik der Regierung ausgesprochen haben, indeß nur zehn mehr oder minder energisch die Wiedereröffnung der congreganislischen Schulen verlangten. Ein derartiger Erfolg ist nickt gerade ermuthizend für die Führer der Protestbewegung, die denn auch nach anderen Mitteln suchen, um die Agitation zu unter halten. Sie gelangten — etwas spät — zu der Ein sicht, daß ihre Stellung als streitbare Klerikale der Sache, der sie dienen wollen, keineswegs förderlich ist, und haben deshalb beschlossen, die Leitung der Pro paganda den „gemäßigten Republikanern", Len sogenannten Liberalen, zu überlassen, die sich vorläufig damit be gnügen wollen, der Regierung und dem Parlamente zu empfehlen, daß sie die Gesuche um Ermächtigung zur Eröffnung von congreganistischcn Schulen rasch und mit dem größten Wohlwollen erledigen. Diese Propa ¬ ganda, die bereits viel ruhiger und sachlicher ist, dürfte aber nicht mehr Erfolg haben als die frühere, da die Negierung durch das Gesetz vom 30. October 1886 über die Elementarschulen gebunden ist. Dieses besagt ausdrücklich, daß in den öffentlichen Schulen der Unterricht ausschließlich einem weltlichen Personal anvertraut werden muß und daß in den Departements, in denen seit vier Jabren ein Lehrer-Seminar besteht, kein congreganistiscker Lehrer, keine congreganistiscke Lehrerin neu angestelll werden darf. Wäre dies Gesetz vollinhaltlich durchgetührt worden, dann würde die Frage der Schließung der von Congreganisten geleiteten öffentlichen Schulen nicht die geringste Schwierigkeit geboten haben, allein die Behörden haben sich hinsichtlich der Durchführung der Verweltlichung von einer Saumseligkeit gezeigt, deren Folgen sich jetzt fühlbar machen. Die Präfecten und UnierrichtS-Jnspectoren werden jetzt mit der größten Be schleunigung dafür sorgen müssen, daß an Stelle der ge schlossenen congreganisti'chen Schulen, die nickt wieder eröffnet werben können, weltliche Anstalten eingerichtet und ehestens eröffnet werden." Die Nachrichten der englischen Presse über den Empfang der Voerciigcncralc durch den Präsidenten Krüger stimmen nicht ganz mit einander überein. Während beispielsweise der Berichterstatter der „Daily Mail" behauptet, daß Klüger die Generale heftig getadelt habe, weil sie die Unabhängigkeit der Boeren geopfert hätten, sagt der Correspondent des „Daily Cbronicle", dessen Bericht überhaupt den Eindruck macht, als wenn er die Vorgänge in Utrecht genauer beobachtet hätte, daß Krüger die Generale herzlich empfangen habe. Er habe sich noch einmal die Vorkommnisse bei den Friedensunterhandlungen schildern lassen und dann General Botha besonders eindringlich über daS Verhalten der Boeren gegenüber der neuen eng lischen Herrschaft befragt. Der Vertreter des „Daily Cbionicle" ist der Ansicht, daß die Boeren in Utrecht immer noch dazu neigten, den augenblicklichen Zustand in Südafrika lediglich als einen Waffenstillstand zu betrachten, und daß sie darüber empört seien, daß die Generale dieser Ansicht nicht beizupflichten vermöchten. Beim Empfang der Generale durch daS Localcomits in Utrecht habe ein Mitglied dieses CvmitsS die Hoffnung ausgesprochen, daß die Wiederher stellung der Republiken nicht fern sei. Botha, De Wet und Delarey seien dadurch in Verlegenheit gesetzt worden und hätten diese Bemerkung mit Stillschweigen übergangen, zum großen Verdruß der Unversöhnlichen. Ueber den Empfang, den General Botha in der bel gischen Hauptstadt fand, wird dem „Berliner Lok.-Anz." berichtet: * Brüssel, 22. August. Der Empfang, welcher General Botha hier geboten wurde, stand demjenigen in den holländischen Städten nicht nach, doch hatte Brüssel eine Scene vor den anderen Städten voraus, nämlich die Begrüßung des Generals durch seine Kinder auf offener Straße, ein Auftritt, der den Jubel der tausendköpfigen Menge ins Ungemessene steigern ließ. Botha bleibt einige Tage hier, will sich aber in keiner Weise äußern. Frau Lukas Meyer unternimmt eine Cur in Deutschland. Der Leichnam ihres Gatten bleibt vorläufig auf dem Kirchhof in JxelleS aufgebahrt und wird später über Holland nach Transvaal gebracht werden. Die Verhandlungen in London, zu denen Botba mit De Wet und Delarey alsbald wieder nach England zurück kehren will, sollen sich in erster Linie um die zukünftige Autonomie der neuen Republiken drehen. — Ein französischer Berichterstatter, der die Begrüßung der Boerengenerale an Bord der „Nigeria" aus nächster Nähe beobachtet haben will, schildert diese Scene wie folgt: „Mr. Chamberlain schien sich m Gegenwart der Boeren- generale nicht recht behaglich zu fühlen, und als er ihnen die Hand reichte, wendete er seinen Kopf ab. Auch die Boeren wendeten den Kopf ab, sie kniffen die Lippen zusammen und schlossen die Augen, gerade als wenn sie eine bittere Medicin einnehmen sollten. Mr. Chamberlain, schon vor der Unterredung bleich, war nach derselben noch bleicher." Als sich herauSstellte, daß die Boerengenerale auf ihrer Weigerung, der Flottenschau beizuwohnen, beharrten, hörte der französische Journalist, wie Lord Roberts zu Botha sagte: „Glauven Sie mir, General, Sie sind im Begriff, einen großen Fehlgriff zu thun!" worauf sich Lord Roberts ohne Abschied entfernte, während Kitchener noch zurückblieb und einen letzten vergeblichen Versuch machte, die Generale umzustimmen. Deutsches Reich. 6. II. Berlin, 22. August. Der Rücktritt deS CbefS des AdmiralstabeS der Marine v. Diedericbs kommt nicht überraschend; es stand schon vor mehreren Monaten, als v. DiederichS einen längeren Urlaub erhielt, fest, daß er inacliv werden würde. Er ist schon längere Zeit leidend. A!S Chef der Kreuzeidivision war er als Nachfolger des jetzigen Staatssekretärs v. Tirpitz nach Ostasien gegangen, und die mit so großer Umsicht ausgesührte Besetzung von Krautschau, daö bekanntlich am 6. März 1898 durch den deutsch chinesischen Vertrag deutsche Colonie wurde, ist sein Werk. Die Schiffe, die ikm damals zur Verfügung standen,das alte Panzer schiff II. Classe „Kaiser" (Flaggschiff), die Kreuzer II. Classe „Irene" und „Prinzeß Wilhelm" und der Kreuzer III, Classe „Arcona", waren selbst nach damaligen Begriffen nicht erst- classig. Alles in Allem verfügte D. auf den vier Schiffen über 1642 Mann („Kaiser" 644, „Irene" und „Prinzeß Wilhelm" je 365 Mann und „Arcona" 268 Mann). Aus Ostasien zurückgekehrt, wurde D. längere Zeit beurlaubt und Feuilleton. Das Fräulein von Saint-Sauveur. I8j Roman von GrLville. (Nachdruck verboten.) Etwas später fand sich auch der Arzt ein. MU einer gewissen Angst musterte er die unerläßlichen Vorbe reitungen -n der so dringend erforderlichen Abreise, und er hätte Vieles darum gegeben, wenn dieselbe schon vor sich gegangen wäre. Mit einem Mantel und einer Haube unter dem Arm stand Luise wartend auf dem Treppen absatz; alles war bereit, nur Frau RO-gnier kam nicht. Der Arzt kam mit Landrn in das Zimmer der Kranken nnd begann über gleichgiltige Dinge zu sprechen. Er plauderte mit seinen Kranken stets über die Vorkommnisse nnd Ereignisse in der kleinen Stadt, bevor er sie zu be fragen und zu untersuchen begann . . . Während er sprach, vernahm er ein absonderliches Geräusch von außen, dumpfe, kräftige Schläge, denen ein trauriges, klägliches Krachen folgte . . . „Hören Sie nnr!" sprach Fran Rc-gnier, indem sie sich cmpvrrichtete. „Hören Sie nur! Was geschieht denn schon wieder?" Man vernahm jetzt ein Splittern und Bersten, den durchdringenden Lärm, den ein brechender Baummast ver ursacht. „Der Elende!" rief die Kranke aus. „Er verstümmelt meine Kastanicnbänme." Und mit einer Kraft, die ihr Niemand zugetraut hätte, erhob sic sich, eilte zum Fenster, öffnete es und neigte sich hinaus. Laudrn legte den Arm schützend um sie, damit sie vor Schwäche nicht etwa zu Boden stürze. „Meine Bäume!" sprach sie. „Meine Bäume, die ich im Vereine mit meinem Gatten gepflanzt habe DaS zerreißt mir daS Herz ... Dieb! Dieb! Mörder!" Ihr Gesicht drückte eine namenlose Angst aus. Der Doctor führte sie vom Fenster fort, welches er schloß, in demselben Augenblick, da ein neuer Ast zu Boden fiel und jenes klägliche Geräusch vernehmen ließ, welches an den Schrei eines verwundeten Menschen erinnert. „Bringt mich fort", stöhnten die bleichen Lippen der Kranken. „Das vermag ich nicht zu ertragen. DaS ist zu viel. Bringt mich fort Und bewußtlos sank sie in die Arme ihres Pathcn- sohnes, der sie sofort hinaustrug. Luise versah ihre Ge bieterin mit dem bereit gehaltenen Mantel und der Haube, der Doctor schritt voraus. Der Landauer rückte noch näher, und zwei Minuten später lag Frau Rögnier fein gebettet auf feinen, weichen Kissen. ,L)aben Sie Alles bei sich, um sie zu laben und znm Be wußtsein zu erwecken?" fragte der Arzt die Kammerfrau. „Ja? Nun dann fort, in Gottes Namen . . . ." Matthäus war auf den Kutscherbvck geklettert, im Wagen hielt Luise den Arm um ihre Gebieterin ge schlungen, der Doctor ließ sie allerlei belebende Essenzen einathmen und der Wagen setzte sich langsam in Bewegung, während Landrn zurückblieb, um sämmtlichc Ausgänge des Hauses zu verschließen. Als er das Gittcrthor absperrte und den Schlüssel iu die Tasche stecken wollte, vernahm er die Stimme Ehautcflcur's. Dieser eiferte zwei Männer, die auf die Mauer gestiegen waren, an, auch die Stämme der bereits reckt stattlichen Kastanienbäume anzugreisen, die durch die ihnen zugcfügten Verwüstungen ohnehin schon ein recht klägliches Aussehen angenommen hatte». „Ich lasse die Bäume ein wenig lichten", sprach die sym pathische Persönlichkeit, indem sie sich vor Landrn hin stellte. „Die Bäume meiner Mietherin reckten die Aeste bereits über die Mauer und thaten meinen Spalieren großen Schaden." Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, näherte sich Landry seinem Wagen. Ermuthigt durch dieses schein bare Anzeichen von Feigheit, begann Ehantcslcur höhnisch zu werden. „Herr Pathensvhn, sind Sie vielleicht taub?" fragte er. „Sie werden Zeuge dafür sein, daß mich Ihre Pathin eine» Dieb und Mörder nannte. Der Doctor und Sie geben zwei Zeugen, so daß die Dame bestraft werden und eine Geldbuße zu zahlen haben wird." Rtthig legte Landry die Hand auf einen kleinen Re volver, den er in der Tasche hatte, und trat auf Ehantefleur zu. „Nun erkenne ich Sie bereits", sprach er, „ich habe Tie einmal auf der nach Tournclles führenden Straße ge sehen. Sie sind ein Verwandter der Damen auf Schloß Tournclles, und die werden gewiß sehr erfreut sein, zu hören, wie Sie sich hier benehmen. Sic beklagen sich, weil man Sie einen Dieb nannte ? Sie sind es auch; denn Sic lassen Holz fällen und fortschafsen, daS nicht Ihnen ge hört. Und nun kein Wort mehr! Sollte ich Ihnen jemals wieder begegnen, so . . ." Statt seinen Satz zu vollenden, hielt er dem würdigen Manne mit einem Male die Mündung seines kleinen Re volvers unter die Nase. Ehantefleur fuhr zurück und stieß ein förmliches Geheul aus. „Sollte ich Ihnen jemals wieder begegnen", wieder holte Landry gelassen, indem er die Waffe wieder in die Tasche steckte, „so zerbreche ich Ihnen irgendwelche Knochen im Leibe. Ich bin reich genug, um mir einen noch theureren Spaß zu bezahlen, und außerdem brauchen Sie auch nicht dafür zu sorgen, daß ich zu einer Gefängniß- slrafe verurthcilt werden könnte. Es gicbt noch Richter in Frankreich, und die würden mich ganz gewiß frei sprechen. Auf Nimmerwiedersehen!" Ter junge Mann stieg in seinen Wagen, während Ehantefleur immer mehr zurnckwich. Als er die Biegung des Weges erreichte, der zu seinem Hause führte, setzte er sich in die denkbar schärfste Gangart, als wären ihm blut dürstige Indianer auf den Fersen gewesen. Die Holzfäller waren von der Mauer heruntergcstiegen; au ihrer Miene merkte man deutlich, daß sie von ihrer Arbeit nichts weniger denn entzückt waren. „Wir sind unschuldig daran, gnädiger Herr", sagte Einer von ihnen, indem er die Hand an seine Mütze legte. „Die Bäume thaten den Spalieren leinen Schaden, da sie sich ja im Norden befinden. Wir wußten nicht, daß sie nicht znm Schlosse gehörten, und da kamen wir der erhaltenen Weisung nach." Landry nickte schweigend mit dem Kopse und ließ dann seinen Wagen möglichst schnell vorausfahrcn; denn er wollte noch früher als seine Pathin in dem Hause an langen, in welchem sie endliche Ruhe finden sollte. Zweimal hatte die Kranke während der Fahrt daS Bewußtsein wiedcrerlangt, war aber gleich darauf von einer neuen Schwäche übermannt worden. Als man das Haus endlich erreicht hatte, brachte mau sic sofort zu Bett, und der Doctor, der jetzt methodisch und unbehindert zu Werke gehen konnte, hatte alsbald die Genugthuung, zu sehen, daß sie die Augen anfschlug. „Wo bin ich?" war ihre erste Frage. „Zu Hanse bist Du, Pathin, und nun wirst Tu endlich ruhig schlafen können", erwiderte Landry. „Beunruhige Dick nicht; hier wirst Tu Dich vollkommen wohl und glück- lich fühlen." Fvau Regnier war zu schwach, um zu widersprechen oder um recht zu verstehen. Der Doctor zog sich zurück, nachdem er ein Schlafmittel verschrieben und verfügt hatte, der Kranken kräftige Nahrung zu verabreichen, sobald sie einige Stunden geschlafen haben würde. Am nächsten Morgen überschwemmte eine Flnth von Arbeitern das Haus, in welchem Frau Regnier und deren Gatte so viele glückliche Jahre verbracht hatten. Ein jeder, der die Wittwe kannte, harte seinen Beistand leihen wollen. Der Stadtbibliothckar hatte drei junge Leute geschickt, die die Bücher und Papiere einpacken sollten; ein Jnstru- mentenhändler lieferte Wagen und Leute, um das kostbare Elavier unbeschädigt zu transportieren; die Möbel wurden mit derselben Schnelligkeit auseinandergelegt, als sich Koffer, Kisten und Körbe unter der Aufsicht der zwei besten Freundinnen der Leidenden füllten, und um elf Uhr Vor mittags fuhr eine ganze Reihe von Lastwagen vor. Der Möbclrransportcur hatte seine verläßlichsten Leute nnd besten Pferde geschickt, um die Gegenstände fortzuschasfen, nnd ehe man es sich versah, waren die Möbel auf die Wagen geladen, worauf sich einer nach dem anderen in Be wegung setzte. Matthäus belud unter dem Beistände von vier Arbeitern einen letzten Wagen mit den Trcibhaus- pslanzcn, die einen riesenhaften, triumphirendcn Strauß bildeten, mit welchem das Ganze seinen Abschluß erhielt. Und über das lebhafte Treiben goß die Hcrbstsonnc ihre wärmsten Strahlen, das sonst so wenig anheimelnde Bild einer gänzlichen Uebersiedelung in einen versöhnenden Schimmer hüllend. Allein das unsichtbare Telephon hatte sich wieder ein mal bewährt, nnd Eölestine Ehantefleur war nickt die Person dazu, um so viele schöne Dinge fortschast'en zu lasten, ohne sich dagegen auszulchncn. Elegant gekleidet, mit Hnt, Handschuhen nnd Sonnenschirm, kurz: tadellos im Aenßern, aber nicht um Haaresbreite hübscher als sonst, erschien sic vor ihrem Hanse. Sie schritt auf Landry zu, der die Ucbcrsiedclungsarbeiten überwachte. „Sie haben kein Recht, die Möbel sorkzusckafsen, bevor der ganze Mietksertrag für die Tauer des Vertrages er legt worden ist", sprach sie. „Glauben Sie?" fragte Landry, ohne sich zu größerer Höflichkeit veranlaßt zu sehen, als man ihm gegenüber bekundete. „Gewiß; denn wenn meine Mietherrn nicht bezahlen sollte . . . Zum erstenmale in seinem Leben begriff Landry, daß selbst ein Mann sich versucht fühlen kann, einer weiblichen