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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020815026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902081502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902081502
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-08
- Tag 1902-08-15
-
Monat
1902-08
-
Jahr
1902
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Wenigstens liegt noch keine Meldung vor, die über bemerkenswerthe Auslassungen dieser Presse berichtet. Dafür tbut die »Germania* ihren Mund auf, um den bayerischen Gesinnungöverwandten zu zeigen, wie sie sich ihrerseits über die telegraphische Entrüstungskundgebung des Kaisers zu entrüsten haben. DaS Berliner CentrumSorgan schreibt nämlich: „ES ist uns kein Fall in Erinnerung, in welchem seit dem Bestehen des deutschen Reiches rin ähnliches Eingreifen des Trägers der höchsten Gewalt im Reiche in die inneren poli- tischeu Verhältnisse eines Bundes st aates stattgefunden hätte. Wie wir unsere Bayern kennen, wird die schnöde Undankbarkeit, welche der Kaiser der Mehrheit des bayerischen Abgeordnetenhauses mit tiefster Entrüstung vorwirft, im bayerischen Lande und Volke ein mächtiges Echo wecken. Es kann bei den vielfachen in Süddeutsch land, besonders in Bayern gegen Preußen herrschenden Ge- fühlen nicht au-bleiben, daß dabei wenig angenehme Worte gegen den Kaiser fallen, und auS diesem Grunde be dauern wir sowohl mit Rücksicht auf den Träger der kaiserlichen Gewalt, als auch im Interesse des Reiches die scharfe Kritik Wilhelm'- II. Noch ist das Wort vom polnischen lieber« muth, das der Kaiser in Marienburg gesprochen, nicht verklungen, und zuckt die Erregung in den polnischen Gemüthern noch fort, und nun kommt dazu der Vorwurf schnöder Undankbarkeit gegen die Mehrheit des bayerischen Abgeordnetenhauses, welche in Ausübung ihrer parlamentarischen Rechte 100 000 für Kunstzwecke abgelehnt hatte und gewiß nicht beabsichtigte, dadurch den Prinz- Regenten persönlich zu verletzen." Diese Anweisung, wie der EntrüstungSrummel in Scene zu setzen sei, ist sehr klar und wir bezweifeln nicht, Laß sie pünktlich befolgt werden wird, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge. Zuerst wird man sich nachzuweisen bemüben, daß eS der klerikalen Kammermajorität gar nicht eingefallen sei, den Prinz-Regenten, der ja ein persönliches Interesse an den betreffenden Forderungen sür Kunstzwecke nicht be kundet habe, durch Ablehnung dieser Forderungen persönlich zu verletzen. Daraus wird weiter zu erweisen gesucht werden, daß man sich schnöder Undankbarkeit gar nicht schuldig gemacht und daß somit sür den Kaiser gar keine Veranlassung vor- gelegen habe, sich in die „inneren politischen Verhält nisse eines BundeSstaaleS" einzumischen. Und auf dieser Einmischung wird man dann weidlich Herumreiten, um wo möglich auch in nichtklerikalen bayerischen Kreisen gegen die kaiserliche Kundgebung und sür die „fälschlich* und „un berechtigter Weise* scharf getadelte ullramontane Kammer- Mehrheit Stimmung zu machen. Erschwert wird das Ge lingen dieses V-rsucheS freilich dadurch werden, daß der Priuz-Regent durch seine Antwort auf das kaiserliche Telegramm und durch die Veröffentlichung beider Kundgebungen nichts weniger als Mißbehage» über die „Einmischung* an den Tag gelegt, ja sogar durch diese Veröffentlichung den klerikalen Herren eigenhändig den kaiser lichen Tadel in Placatform um die Hälse gehängt hat. Aber über diese Schwierigkeit wird man sich dadurch hinweghelfen, daß man den Prinz-Regenten als in einer Zwangslage be findlich hinstellt und den Leuten vorredet, er habe, ohne den Kaiser zu verletzen, die Veröffentlichung gar nicht umgehen können. Und da ist es denn doch fraglich, ob die klerikalen Blätter nicht einigen Erfolg erzielen. UebrigenS liefert ihnen — natürlich ohne eS zu wollen — auch die sreiconservative „Post* einen Angriffspunkt auf die kaiserliche Depesche. Sie schreibt nämlich: „Die Nachricht über den Depeschenwechsel zwischen dem Kaiser und Prinz-Regent Luitpold hat allenthalben verblüfft, nicht zum wenigsten auch deshalb, weil für den größten Theil des Publikums in Deutschland die für das bayerische Centrum jo be schämende Angelegenheit eigentlich schon erledigt war, nach- dem ein Reichsrath in hochherziger Weise dem Prinz-Regenten die 100 000 zur Verfügung gestellt hatte. Der Kaiser, der erst von Reval zurückgekehit war, erfuhr in Swinemünde am 10. d. M. von den Vorgängen in der bayerischen Kammer; allerdings war er von der Angelegenheit nicht voll ständigunterrichtet, dazurZeit des Telegrammwechsels das edelsinnige Angebot des betreffenden Reichsraths mitgliedes bereits öffentlich bekannt geworden war. So trägt denn das kaiserliche Telegramm einen durchaus im pulsiven Charakter und muß als Ausdruck augenblicklicher tiefer Erregung über Las von allen guten Geistern verlassene Verfahren der bayerischen Abgeordnetenkammer gewürdigt werden." Den „nicht vollständig unterrichteten Kaiser" wird sich die klerikale bayerische Presse natürlich nicht entgeben lassen und wenn der bayerische Landtag noch nicht geschlossen wäre, so würde er Wohl auch hier, ohne raß der Kammerpräsident Einspruch erhöbe, in die Debatte gezogen werden. — Ob der Versuch der „Germania", nicht nur den bayerischen, sondern auch den übrigen süddeutschen KlerikaliömuS für die Herren Schädler, Orterer und Genossen und gegen den Kaiser mobil zu machen, glückt, läßt sich zur Zeit noch nicht über sehen. WaS die nichtklerikale süddeutsche Presse betrifft, so gönnt sie, wie die gesammte nord- und mitteldeutsche anti klerikale Presse, dem bayerischen Centrum die kaiserliche Rüge und deren Veröffentlichung von ganzem Herzen. Aber sie kann sich auch einer gewissen Besorgniß nicht entschlagen, die in folgenden Sätzen des „Schwäb. Merk." zum Ausdrucke kommt: „Die nächste Folge des Telegramms wird allerdings eine Auf stachelung der partikularistischen Instinkte gegen eine angeblich unzulässige Einmischung in innerbayerische Angelegenheiten sein, und die Herren vom Centrum werden sich im Bunde mit der Caplanspresse, deren bajuvarisch-Lerbe AuSdrucksweije zur Genüge bekannt ist, dieser Wühlarbeit mit allem Eifer unterziehen. Hoffentlich hat das Telegramm nicht die Wirkung, Laß man, nach dem Las bayerische Cenirum herausgefordert und auf den Kampsplan gerufen ist, genöthigt wäre, zum Ersatz dafür LaS Centrum in Preußen mir Zuckerbrot» zu füttern." Dafür, daß die von uns bestrittene Behauptung eines Berliner Gewährsmannes der „Sckles. Ztg.*, Conserva- tive und Centrum seien entschlossen, an dem Compromiß über die landwirthschastlichen Zölle festzuhallen, tatsächlich nicht sür alle Conseroativen zutrifft, liefert die „Schles. Ztg." jetzt selbst den Beweis, indem sie die folgende Zuschrift abdruckt: „Wie der „Schles. Zeitg." neulich von konservativer Seite geschrieben wurde, wollen Conservative und Centrum an den Be schlüssen über die landwirthschastlichen Zölle entschieden fest halten und glauben, trotz des wiederholt ausgesprochenen „Un annehmbar" auf die schließliche Zustimmung der Regierung rechnen zu können. Nach unseren aus guter Quelle geschöpften Informationen ist aber eine solche Nachgiebigkeit nicht zu er warten. Die verbündeten Negierungen halten nach wie vor an ihrem Widerspruch gegen die in Frage stehenden Beschlüsse ent schieden fest, sie wollen nicht einmal von der Annahme der erhöhten Mindestzölle auf Getreide etwas wissen, geschweige von der Ausdehnung des Doppeltarisjystems aus Vieh- und Fleischzölle, zumal in der von der Commission beschlossenen Höhe, edenwwenig von der Erhöhung des Quebrachozolles, die als zum Ruin der deutschen Lederindustrie führend betrachtet wird. Auch eine Wiederheraussetzung der Garnzölle wird als unbedingt nöthig bezeichnet, und vor Allem halten die Regierungen ferner daran fest, über die Inkraftsetzung des neuen Tarises nach ihrem Ermessen zu beschließen, abgesehen von der Competenzsrage besonders auch deswegen, um nicht bezüglich des Abschlusses neuer Handels verträge in eine Zwangslage zu gerathen. Angesichts dieser Haltung der Regierung, förderen Aenderung wenigstens zur Zeit keinerlei Aussicht vorhanden ist, wird bei der zweiten Lesung der Commission an die Freunde der Landwirth- schaft eine ernste Ausgabe herantreten. Kann thatsächlich die von ihnen gewünschte und in erster Lesung beschlossene Erhöhung der landwirlh- jchastlichen Zölle nicht erreicht werden, so wird es sich fragen, ob man dann auch auf das Erreichbare, das heißt, auf das in der Regierungsvorlage Gebotene, verzichten und das ganze Tariswerk zum Scheitern bringen will. Die Antwort hieraus scheint kaum zweifelhaft zu fein. Daß LaS von der Regierung Gebotene immerhin eine nicht unwesent liche Verbesserung der Lage der Landwirthschaft bedeutet, wird kaum bestritten werden können." Der conservative Verfasser dieser Zuschrift ist also keineswegs fest entschlossen, an dem Compromiß über die landwirthschastlichen Zölle festzuhalten. Und was von ihm gilt, gilt sicherlich auch von anderen Conseroativen. Die „Deutsche Tagesztg." bleibt freilich auch in der neuesten Nummer nicht nur gegenüber der Regierungsvorlage, sondern auch gegenüber den Beschlüssen der Commission bei ihrem „Unannehmbar". Die Los-vou-Nom-Bcwcgurig in Oesterreich wird nach wie vor seitens der römischen Kleriker und ihrer feudalen Protektoren ausschließlich als Nationalitätenkampf dar gestellt und behandelt. Da man in diesen Kreisen sich längst entwöhnt hat, in die Tiefen der Religion hinab- zusteigcn, ist man auch unfähig geworden, die religiösen Triebfedern der zahlreichen Uebertritte zu verstehen und zu würdigen. Man sucht also das fehlende Bcrständniß für diese Bewegung durch aus dem Boden der reinen Politik erwachsene Vermuthungen zu ersetzen und frischt dabei alte geschichtliche Gegensätze wieder auf, ohne sich ernsthaft der Gefahr bewußt zu werden, die entstehen kann bei dem Ausbruch eines Feuers, mit dem man leicht sinnig spielt. Aus einer derartigen Auffassung heraus hat vor Kurzem der als „Annoncen-Pater" bekannt geworenc Subprior des Bencdictinerstiftes „Emmaus" zu Prag, Pater Alban (Schachleitner), den man sich als gewandten Kanzelredner aus Rheinprcußen verschrieb, — seine Natu- ralisirung scheint rasch erfolgt zu sein! — auf einer Agitationsrcise in Aussig in gefüllter Stadtkirche von der Kanzel herabgerufen: „Der Krieg ist erklärt! Der reichsdeutsche Protestantismus steht wider das katholische Oesterreich!" Der Versuch, eine vorhandene Gegnerschaft Oesterreichs und Preußens aus konfessionellen Gründen heraus zu er klären, ist sehr alt. Seit dem großen dreißigjährigen Confessionskriege in Deutschland war dieser Gegensatz thatsächlich als politischer in Verbindung mit kirchen politischen Unterströmnngen vorhanden, und auch im siebenjährigen Kriege spielte der konfessionelle Gegensatz mehr oder weniger beivußt eine Rolle. Dabet ist aber stets zu beobachten, daß dieses kirchenpolitische Moment bei einer Gegenüberstellung beider Staaten auf Seiten Preußens ganz nebengeordneter Natur war und mehr un bewußt auf die politische Stimmung wirkte, während es auf Seiten Oesterreichs mit voller Absichtlichkeit in den Vordergrund gestellt und vielfach sogar alleinige Trieb feder politischer Maßnahmen war. Später schied das con- fessionclle Moment aus der preußischen Politik gegen Oesterreich vollständig aus und im deutschen Kriege des Jahres 1866 hat in Norddcntschland wohl kaum Jemand au konfessionelle Unterschiede gedacht. Dagegen lieferte zu Beginn des deutsch-französischen Krieges 1870 eine ver trauliche Depesche des österreichischen Reichskanzlers Grafen von Beust au den Fürsten Metternich in Paris den Beweis, daß in den klerikal-feudalen Regierungskreisen Oesterreichs das gefährliche Spiel mit einer angeblich natürlichen Feindschaft beider Staaten aus kirchenpoliti schen Gründen noch immer seine Liebhaber fand. Diese denkwürdige Depesche legte am Schlüsse cs dem Fürsten Metternich nahe, den Kaiser Napoleon darauf aufmerksam zu mache», daß er durch eine Räumung Noms und Preis gabe dieser Stadt an das Königreich Italien diese aus strebende junge Macht von einer Verbindung mit Preußen abziehcn und sich verpflichtet machen könnte: „Mit diesem Act unzweifelhaft liberaler Politik würde Frankreich seinem Feinde eine Waffe entreißen und einen Damm gegen jenes Ueberfluthen des Teutonismus aufwcrfen, welchen Preußen, eine vor Allem protestan- tische Macht, in Deutschland aufzunchmen gewußt hat, und welchen wir wegen seiner ansteckenden Kraft doppelt zu fürchten haben." Der Ausstand der Grubenarbeiter in Pennsylvanien hat bereits zu beklagenswerthen Zusammenstößen zwischen den Streikenden und den Polizeiorganen geführt, und es scheint, daß das aufrührerische und gesetzlose Verhalten der Ausständigen, die selbst dem Eingreifen des in be deutender Stärke herangezogenen Militärs hartnäckigen Widerstand entgegengesetzt haben, unter den Belegschaften der Gruben noch immer an Ausdehnung gewinnt. Bis her ist es zwar den anfgebvtenen Miliztruppen gelungen, die Angriffe der Ausständigen abzuschlagen und die Zu gänge zu den Grube» wirksam zu vertheidigen, bei der großen Zahl der Gegner aber, ihrer guten Organisation und Bewaffnung ist cs zweifelhaft, ob es möglich fern wird, die Gebäude des Grubcnbezirks, die leitenden Beamten u. s. w. vor der Zerstörungswulh und Rachsucht der leiden schaftlich erregten Menge zu schützen. Die wirksame und sachgemäße Führung, deren sich die Arbeiterbataillone er freuen, die Sachkunde und Sicherheit, mit der die taktischen Feuillatsn. Das Fräulein von Saint-Sauveur. 11j Roman von Gröville. (Nachdruck verboten.) Herr von Saint-Sauveur hatte nichts gesehen, und dennoch war er unzufrieden, ohne recht zu wissen weshalb. Er beging nun den großen Fehler, den Eltern fast niemals unterlassen: er begann seine Ansicht Uber Jehan ohne jede Schonung darzulegen und um so derber loszuschlagen, als seine Tochter keine Antwort gab. „Du hattest mir nicht gesagt, daß er in solchem Maße frech nnd unverschämt sei", sagte er zum Schluß. „Es stand mir keinerlei Urthcil über Jemanden zu, den ich so wenig kenne", erwiderte Antoinette, starr vor sich hinblickend. „Aber da braucht man ja blos Augen im Kopfe zu haben! Er schlägt das Rad vor den Frauen, als wäre er ein Pfau! Ich hätte gedacht, daß er die ästhetische Jolande heirathen wolle, nicht? Oder sollten sie sich entzweit haben?" „Frage das Landry", erwiderte das junge Mädchen. „Er weiß derlei Dinge; er weiß überhaupt Alles." „Das ist eigentlich wahr", sagte der Marquis besänftigt. „Ich werde ihn also fragen." „Weißt Du, Papa", hob Antoinette nach einer Weile von Neuem an; „Du bist im Begriff, so vulgär zu werben, wie der alte Baron." Bei dieser Vorstellung brach Saint-Sauveur i» lautes Lachen aus. Seine Tochter lachte aber nicht, sondern starrte nach wie vor auf den Rücken des vor ihr sitzenden Kutschers. „Was sie nur habe« mag?" fragte er sich, ohne sich seine eigene Unruhe cingestehen zu wollen. „Ich werde Landry sragcn, da er doch Alles weiß." Antoinette hatte Recht: da Landry Alles wußte, so wurde er auch in allen Dingen zu Rathe gezogen. Als sie sich allein in ihrem Zimmer befand und die Kleider wechselte, hielt sie Einkehr in sich selbst; denn ihre rechtliche Seele liebte eine klare Sachlage. „Alle haben sich gegen ihn verschworen, man vcrurtheilt ihn, ohne ihn zu kennen, und das ist ungerecht. Man Müßte ihn kenne» lernen .... aber auf welche Weise?" Die Sache war in der That nicht leicht; denn zwei Tage später hatte der Dichter seinen Flug nach dem Montmartre zu Paris genommen, doch gedachte er wicderzukommen. Zwölftes Capitel. Die Abwesenheit ist eine schlechte Bcratherin, sie fälscht das Urthcil. Hätte Antoinette von Saint-Sauveur den Dichter in näherem Verkehr so gekannt, wie ihn Jolande kannte, so wäre sie seiner sehr schnell überdrüssig ge worden. Doch das Stillschweigen, in welches sich Landry absichtlich und der Marquis unabsichtlich hüllten, gab der Phantasie des jungen Mädchens volle Freiheit, nach allen Richtungen ungehemmt umherzuschweifen. Sie dachte oft und viel an den Dichter, noch öfter und mehr an die Verse, die sich merkwürdigerweise ihrem Geiste tief cingcprägt hatten, und fast ebenso häufig und viel an den Blick, der sie in solchem Maße erregt hatte. Zudem erschien ihr die Abreise ihres Helden in sehr günstigem Lichte: er war vor Aolande geflohen, die so reich und, wie man wissen wollte, so vernarrt in ihn war. Er wollte nicht in diese Hcirath cinwilligen; demzufolge besaß er eine edle, uneigennützige Seele, und die, welche anders von ihm sprachen, ver leumdeten ihn ganz einfach. Sie hätte gewünscht, daß man ihn in ihrer Gegenwart tadelte, damit sie den Verleumdern dieses unumstößliche Argument cntgcgenhalten könnte; leider wollte ihr Nie mand dieses Vergnügen verschaffen. Frau von Ornys selbst sprach nur mit größter Vorsicht über Jehan, da sie der Ansicht war, daß cs sehr unklug wäre, ihn direkt an- zugreifen. Sie wußte, wie sehr sich in der Einsamkeit die Phantasie erhitzt, wußte aber auch, welch' unerschöpfliche Kraft im Geiste des Widerspruchs steckt. Sic hoffte aber, daß es der Zeit gelingen werde, einen Eindruck zu ver wischen, der unter allen Umstünden nur ein flüchtiger sein konnte. Der ganze scheinbare Tkepticismus dieser Fran schwand in ein Nichts dahin bei der bloßen Vorstellung, daß Antoinette, die Perle der Gesellschaft, die herrlichste Blüthe des Landadels, durch diesen Menschen auch nur die leiseste Unannehmlichkeit erleiden könnte — von einer Heirath wollte sie überhaupt nichts wissen — und sie zürnte sich selbst aufs Höchste darob, daß sie Gelegenheit dazu ge boten hatte, daß die Beiden in ihrem Hause znsammen- trcffen konnten. „Das hat man davon, wenn man mit den, Feuer spielt", sagte sie sich. „Ich wollte mich amüsiren und bedachte nicht, daß das für Andere von Schaden sein könne. Die köstliche Yolande muß ihn unter allen Umständen heirathen. Krau von Tournelles und ihre Tochter wären die richtige Strafe für seine Vermessenheit." Eie konnte aber beim besten Willen nicht nach Paris ins Montmartrcvicrtel gehen, um ihn nach Tournelles zurückzubringen. Ucbrigens war sie überzeugt, daß er über kurz oder lang dahin zurückkchren werde, und so be gab sie sich in diesem tröstlichen Bewußtsein nach Vichy, wo die Saison ihren Höhepunkt erreicht hatte. In Saint-Sauveur und Umgebung waren die Ernte arbeiten im besten Gange. Der herrliche Sommer hatte dieselben ungemein begünstigt, und auf den Wegen und Straßen begegnete man nichts als hvchbeladencn Wagen mit Getreide oder sonstiger Frucht, und vom Morgen bis zum Abend vernahm man den durchdringenden Lärm der Dampsdreschmaschinen, deren unterdrücktes Rnmpeln in gleichen Zwischenpausen durch ein langgezogencs, langsam verhallendes Pfeifen unterbrochen wurde, das von ner vösen Menschen so schwer ertragen wird. Auf den Gütern des Marquis waren die Drescharbeiten bereits beendet und gegenwärtig bei Villorö im Gange; doch waren die Besitzungen so nahe bei einander, daß man oft versucht war, zu glauben, daß der Lärm, der von der einen Besitzung vernehmbar wurde, von der anderen her rührte. Tic Bewohner von Saint-Sanvenr, die bereits an die mit einer großen Landwirthschaft verbundenen Ge räusche gewöhnt waren, achteten gar nicht mehr ans die selben; allein Antoinette, die in diesem Jahre nervös ge worden zu sein schien, vermochte den Lärm der Maschine nicht zu ertragen. Ihr Vater, dem gegenüber sic sich be klagte, schickte sie mit ihrer Tante für die Zeit der Arbeiten an den Mecresstrand, bedachte aber nicht, daß bei ihrer Rückkehr die Arbeiten bei Villorö noch lange nicht beendet sein würden und ihr ebenso peinlich sein dürften, wie auf dem väterlichen Gute. Schon in den ersten Tagen hatte Antoinette den Kopf cmporgehobcn und die seinen Nasenflügel gebläht, gleich einem kampflustigen Schlachtroß; doch statt ihrem Aergcr freien Lauf zu lassen, hatte sie Stillschweigen beobachtet, und indem sie mit einer gewissen Melancholie den lang gezogenen, klagenden Tönen lauschte, vertiefte sie fick, mit einer Art schmerzlichen Vergnügens in eine thatsächlich schmerzliche Empfindung. Ihre schöne, sich stets gleich bleibende rnhigc Heiterkeit war nur noch nach außen bin wahrzunchmcn; in Wahrheit litt sie, litt sic sogar mir einer förmlichen Wonne, ohne daß sie eigentlich zu sagen vermocht hätte, ans welchem Grunde sie sich derart geistig und körperlich quälte. Am zweiten Tage verbrachte sie den Vormittag bei ge schlossenen Fenstern vor dem Elavicr, wodurch sie einige Stunden gewann. Nach dem Gabelfrühstück unternahm der Marquis einen Spazierritt; sic weigerte sich, ihn zu begleiten, obschon sic früher diese Ritte längs des Cher, im Schatten der Jahrhunderte alten Bäume, stets mit einem großen Behagen unternonrmcn hatte. Nun schien sie sogar alle Lust an der Bewegung in der frischen Luft verloren zu staben. Gegen zwei Uhr fand sich Landry auf der Veranda ein, wo Tante Laurence friedlich schlummerte. „Ist der Onkel nicht hier?" fragte er. „Ich wollte ihn um einen Rath fragen." „Er ist auf sein Gut Bordes hinübergeritten", erwiderte Antoinette. Er blickte sic schweigend an, und auch sie hob die Augen zu ihm empor. Er war sehr bleich und schien größer als früher zu sein. „Sie sind abgcMagcrt", sprach er langsam. „Sie sehen auch nicht wohl aus. . . Und, Gott ist doch mein Zeuge, daß ich mein Leben hingäbe . . ." Die Augen des jungen Mädchens nahmen einen angst vollen Ausdruck an. Seitdem sie selbst litt, vermochte cs auch die Leiden Anderer besser zu würdigen; allein cs sprach nichts. „Adieu!" sagte Landry mit einem Male. Sie ward von Furcht erlaßt, während er sich mit großen Schritten entfernte. Sie wollte ihn zurückrufcn — doch was Hütte sie ihm sagen sollen? „Armer Landry!" dachte sie sich und faltete die Hände wie zum Gebet. „Mein theurcr Kamerad, Dn Freund meiner Kindheit, mein armer Landry!" Und mit einem Male entstürzten Thränen ihren Augen. Tic Erinnerung an die vielen Jahre reiner, schöner Ver trautheit unter dem wohlwollenden Ange der Familie drückte sie gleich einem Vorwurf des eigenen Gewissens nieder. Landry repräsentirte für sic den Inbegriff ihres jungen Lebens. Niemals war sie in das väterliche Haus znrückgekehrt, ohne ihn daselbst anzutrcsfen, niemals hatte sic eine ihrer unschuldigen Vergnügungen genossen, ohne daß er daran Theil genommen hättte; er war für sic der treueste, uneigennützigste Ritter gewesen, und nun litt er um ihretwillen . . . Einige Minuten lang ließ sic ihre Thränen mit einer wahren Wonne fließen. Die Schönheit der Vergangenheit verlieh dem Schmerz der Gegenwart einen machtvollen Zauber; ihr ganzes Wesen schmolz in einer schwesterlichen
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