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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.08.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020801012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902080101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902080101
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-08
- Tag 1902-08-01
-
Monat
1902-08
-
Jahr
1902
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Reklamen unter dem Redactionsstrich (4grspallen) 75 H, vor den Familtcnnach- richten (ü gespalten) KO L,. rabellarischer und Ziffernsatz entsprechend Häher. — Gebühren für Nachweisungen und Offrrtenannahme 2K L, (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Margen-Ausgabe, ohne Postbefärderung ^4 SV.—, mit Postbefärderung 7V.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an dl» Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. Nr. 388. Freitag den 1. August 1902. 86. Jahrgang. Bemerkungen zu -en diesjährigen französischen Flottenmanövern. A. Hl.d. Um die wichtigsten Lehren und Erfahrungen aus den diesjährigen französischen Flottenmanövern nicht in der Fülle zahlreicher Details vvn mehr oder weniger Interesse verschwinden zn lassen, erscheint cs geboten, erstere innerhalb der einzelnen Manöverperioden zu sammenzuhalten und sie unmittelbar einer kurzen Be sprechung zu unterziehen. So sind es aus der soeben ab gelaufenen ersten Uebungspertode besonders zwei Momente von besonderer Bedeutung, die sich von dem Gesammtverlauf der Manöver abheben und für zukünftige Ereignisse nicht ohne Werth sein dürften. Es handelte sich bei den Manöver« in erster Linie um Mers-el-Kebier, dessen strategische Bedeutung gegen über dem englischen Gibraltar im Verlaufe der Hebungen eingehend erprobt und dessen Ausbau je nach dem Ausfall dieser Untersuchungen eingestellt oder mit beschleunigtem Eifer fortgesetzt werden sollte. Das Re sultat ist überaus günstig gewesen und hat vor allen Dingen die Möglichkeit einer unmittelbaren und sehr schnellen Verbindung zwischen Gibraltar und Mers-el- Kebier ergeben, und zwar vermittels einer ganz geringen Anzahl von Fahrzeugen, die theils als Depeschenboote bis nach Alboran, theils als Echelons mit drahtloser Tele graphie von hier aus weiter verwendet wurden. Man ist sogar zu der Ueberzeugung gelangt, daß die drei Tele- graphen-Stationen. die in vorliegendem Falle auf dem „Du Chayla", „Cassard" und „Latouchc-Trßvtlle" ein gerichtet waren, sich bei weiteren Verbesserungen der drahtlosen Telegraphie auf zwei Stationen werden be schränken lassen, und dast es trotzdem und mit Hilfe der Depcschcnbootc möglich sein werde, auch bei nebeligem Wetter ein bei Mers-el-Kebier versammeltes Geschwader nicht nnr rechtzeitig genug von dem Anmarsch einer feind- lichen Flotte vom Atlantischen Ocean her zu benach richtigen, sondern es auch biß zum letzten Augenblick von den Formationsveränderungen, die der Feind unter nimmt, auf dem Laufenden zn erhalten. Dast eine solche Feststellung für die Entschliestungen eines französischen Flottenchefs, sowie für den Fortgang der kriegerischen Er eignisse von ganz anderer Bedeutung sein kann, als wenn dieser, wie es bis jetzt im günstigsten Falle möglich war, erst von Algier oder Biserta aus Nachrichten über die Vor gänge beiGibraltar einzichen konnte, liegt so auf berHand, dast eine weitere Begründung überflüssig erscheint. Das andere Resultat der Erfahrungen aus de? ersten Periode der Flottenmanöver, von dem oben die Rede war, ist im Gegensatz zu dem Vorhergesagtcu nicht günstig zu nennen. Es betrifft die Verwendung der Torpedofahr- zcuge, die bereits während der vorjährigen Hebungen ver sagten und trotz aller in der Zwischenzeit erlassenen In structionen und reglementarischen Bestimmungen auch dies Mal ihrer Aufgabe nicht gewachsen gewesen sind. Ein stimmig bezeichnet die französische Fachpresse die That- sache, dast sowohl die Torvedobovtszcrstürer, als die Tor- pcdoflottille der mobilen Vcrthcidigung von Oran in der Nacht vom 9. zum 10. Juli jegliche Fühlung unter sich wie mit dem davonfahrendcn Geschwader des Admirals Courthille trotz günstigster Wittcrungsvcrhältnisse ver loren hatten, für die Ausbildung und kriegsmässige Verwendung jener Schiffe als ein übetaus unerfreuliches Zeugnist. Der Thatbestand, der diesen Vorwürfen zu Grunde liegt, war kurz der, daß, dem Auftrage des Ad mirals de Maigret entsprechend, der Panzerkreuzer „Pothuau", begleitet zu seiner Linken von den Torpedo bootszerstörern „Pique" und „Epoe", zur Rechten von acht Torpedobooten unter Führung bcS Torpedoboots zerstörers „Dnnotö", dem feindlichen Geschwader gefolgt war, um dessen Verbleib festznstellen. Im Dunkel der Nacht verloren jedoch diese Schiffe jegliche Verbindung, und bei Tagesanbruch sahen sich „Dunois" und „Pique" ganz allein dem Feinde gegenüber, der nur den Kreuzer „Mvntcalm" zurückzulassen brauchte, um sich jene beiden kleinen Boote vom Halse zu halten. Die Folge dieses großen taktischen Fehlers war der, dast Admiral Evurthille unbehelligt vom Feinde längs der algerischen Küste kreuzen und dort zahlreichen Schaden ««richten konnte, während Admiral de Maigret, viel zu spät von dev verloren ge gangenen Fühlung mit dem Feinde unterrichtet, diesen erst durch seine in breiter Front entwickelte Krenzerbivision aufsuchen lassen mutzte. Mit Recht macht sich in französischen Marinekretsen Un muts) über diese Vorkommnisse laut und wird vor allen Dingen gefordert, -atz mit gründlicher Energie nun end lich an der schon oft geforderten Ausbildung der Torpedo sahrzeuge in nächtlichen Hebungen gearbeitet werde. Deutsches Reich. S. Leipzig, 81. Juli. Unter -er Ueberschrift: ^Zahn ärzte für Schule und Heer!" wird uns von geschätzter ärztlicher Seite geschrieben: Mit -em vorstehenden Mahnrufe beginnt nn- schließt eine Denkschrift, welche der Privatdocent für Zahnheilkunde an der Universität Strasburg i. E., vr. mock. Ernst Jessen, jüngst herauSgegeben hat. Sie bezweckt vor Allem, -en mit der Hebung der Bvlkshngieine betrauten Organen den großen Nutzen einer geordneten Zahnpflege in den breitesten Schichten -er Bevölkerung vor Augen zu führen und ihnen das dringende Bedürfniß der Verbesserung unserer fetzigen Verhältnisse an der Hand werthvoller Zahlenreihen zu beweisen, vr. Jessen folgert aus der Wichtigkeit des Gebisses für den Allge- meinorganismns nnd aus dem häufigen Zusammenhänge zwischen Organ- und Allgemeinlciüen nnd dem krankhaften Zustande der Zähne die dringende Hothwendigkeit, den Besuch einer Zahnklinik für jeden Studirendcn der Medicin obligatorisch zu machen, verlangt aber auch andererseits, dast die Zahnärzte, welche mit Krankheiten der allgemeinen Medicin sich bisher wenig befasst haben, sich umfangreichere Kenntnisse auf diesem Gebiete ver schaffen, damit sie so Specialistcn im besten Sinne werden. Wie ernst die Sorge sein muß, das Volk auf die Gefahren einer mangelhaften Zahnpflege aufmerksam zn machen, er hellt aus dem Umstande, daß OK Procent allerKinder kranke Zähne haben. Unter 10 000 Kindern, welche im letzten Jahre in Strassburg — Dank der unermüdlichen Arbeit ör. Jessen's — untersucht worben sind, hatten nur 430, also 4,3 Procent, ein gesundes Gebiss. Die übrigen Kinder wiesen 102 456 kranke Zähne ans, während 51210 Zähne schon fehlten und nur 98 149 gesund waren, so dast also mehr als die Hälfte aller vorhandenen Zähne sich als krank herausstellte. Aehuliche Verhältnisse er gaben die Untersuchungen, welche vom Stabsarzt Öi-. Kimmle und Anderen in der Armee vorgenommen worden sind. Darnach sind bei 10148 Soldaten nur 578 tadellose Gebisse, also ungefähr 0 Prvcent, gefunden worden. Mit Rücksicht darauf hält vr. Jessen es für dringend nvtihwendig, daß die Zahnpflege schon in der Jugend einsetzt, und dast daher die mehr und mehr in den Lehranstalten sich einbürgcrnden Schulärzte sich mit der Untersuchung der Zähne beschäftigen, nm die Er krankten nnverwetlt an vertrauenswürdige Zahnärzte zu überweisen. Jessen vertritt ferner mit Recht die Ansicht, daß cs für die Heeresverwaltung eine besondere Pflicht sei, durch möglichst gründliche Ausbildung ihrer Acrzte in der Zahnheilkunde oder durch Anstellung be sonderer Zahnärzte, sowie durch Einrichtung entsprechen der Institute in den Garnisvnlazarethen eine geordnete Beaufsichtigung und Behandlung der Zähne zu gewähr leisten. In der Aufmerksamkeit, welche schon in der Schule und später beim Heere den Gebissen zugewcndet wird, sieht Dr. Jesse» das beste Mittel, den Werth guter Zähne in der Schätzung des Volkes zu erhöhen. Als Beleg für diese Ansicht giebt vr. Jessen die Frequenzziffcrn der Zahn- klinik an der Universität Straßburg bekannt, welche für jeden Einsichtsvollen laut genug spreche. Berlin, 31. Juli. Um das technische Tele graphen- und Stcherungswesen in der Etsenbahnverwaltung weiter auszubauen, hat der preußische Minister der öffentlichen Arbeiten Aenbe- rnngen der Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften vor genommen. Danach sind u. A. bei der Annahme zum Bahnmeisterdienst unter sonst gleichen Verhältnissen die jenigen Bewerber zu bevorzugen, die in einem Bauhand werk, insbesondere im Manier-, Zimmer- oder Schlosser handwerk, ansgebildet und erfahren sind, an einer vom Minister als genügend anerkannten Äaugcwerkschule die TiefbauabthcUung besucht und das Neifezeugniß erlangt haben. Ferner sollen den in der Prüfung zu stellenden Anforderungen an B a h n m e t st e r a s p i r a n t e n all gemeine Kcnntniß der Grundzüge der Physik und Ehemie, Kenntnist der zu Sicherungs- und Telegraphenanlagcn verwendeten Materialien, genaue Kenntnist der Anwei sung für die Bedienung der Stellwerksanlage, der Block- dienstanweisung, der Telegraphenbanordnung, der Vor schriften über den Telegraphendienst, den Hilfssignal- bicnst u. s. w. hinzutreten. In der Prüfungsordnung für die Eisenbahn-Betriebsingcnieure tritt für bantcchnische Anwärter an die Stelle der dreimona tigen Beschäftigung mit Betriebsangclcgenheiten im Bureau einer Betrtebtzinspection eine solche bei der Unter- kl rltung von Stellwerks-Block- und Telegraphenanlagen. Fertigkeit im Telegrap htren ist künftig nach- zuweiscn von allen Eivilsupernumeraren, sowie von den Anwärtern für die Beschäftigung als Bahnmeister, Eisen bahnassistent, Haltestellenaufschcr und Weichensteller erster Elaste, ferner vvn den regelmäßig in Telegraphenbureaur zu beschäftigenden Weichenstellern, Hilfsweichenstellcrn und weiblichen Personen. Uebung im Telegraphiren ist nachzuweisen für die Befähigung zum Stationsportier oder Bahnsteigschaffner sowie von den auf Streckenblock stationen zu beschäftigenden Weichenstellern, Bahnwärtern und Hilfsbeamtcn. Für Zugführer und Schaffner bleibt es bis auf Weiteres bei den bisherigen Vorschriften. In jeder« Signal- und Weichenstellwerk sollen die Namen der geprüften Bediensteten einschließlich der Ablöscr aushängen, damit die Aufsichtsbeamten an Ort und Stelle eine wirksame Controls über die Ausbildung und Unterweisung Lieser Bediensteten ausüben können. Künftig ist bei der Annahme vvn technischen B u r c a u g e h i l f e n strenger zu unterscheiden zwischen Personen, die nur vorübergehend, ohne jede Aussicht auf spätere Aufnahme in das Beamtenverhältnitz, beschäftigt werde« sollen, und solchen Personen, deren dauernde Bei behaltung im Falle der Bewährung beabsichtigt ist. Für den letzteren Zweck sollen die Bewerber bevorzugt wer den, welche die volle Vorbildung und Tauglichkeit ent weder für den technischen Bureau- oder für den Bahn- mcistcrdienst besitzen, damit ihnen nach längerer Beschäf tigung als Gehilfe nach dem Befinden der Dienstbehörde die eine oder die andere Laufbahn eröffnet werden kann. * Berlin, 31. Juli. Die provisorische Tagesordnung für den in München stattfindenden socialdemokratischen Parteitag ist von un» mitgetheilt worden. Der ,Vor wärts" schlägt jetzt vor, auf dieselbe noch „die Wahl rechtskämpfe in den Einzelstaaten" und „das Centrum" zu setzen, und er begründet diesen Vorschlag wie folgt: Di« Frage scheint uns nicht mehr aufschiebbar: Wo» müssen wir thun, um endlich in den Einzel st aaten vorwärts zu kommen? Wir können Sachsen und Preußen nicht länger der unumschränkten Macht der Reaktion überlassen. Wir müssen die Erfahrungen der Wahlreformbrwegung in Bayern, Baden, Württemberg, Hessen kennen lernen und ihre Lehren un» aneignen. Wir müssen nach Mitteln suchen — so verzweifelt auch in den Hauptstaaten die Situation erscheint —, wie ein« erfolgreiche Agitation für die Gewinnung eine» besseren Wahlrecht» einzuleiten ist. Wir müssen versuchen, »In demokratische» Wahlrecht au» eigener Kraft zu erobern! Gleich bedeutsam ist die eingehende und von den allgemeinen Erörterungen lo»g«lrennt« Erörterung der Centrum-frage. Da» CentrumSproblem.da» Centralproblem unserer inneren Parteipolttik, ist so ungeheuer compliclrt und weitschichtig, daß «»nicht im Vorübergehen erschöpft werden kann. Seit den letzten Wahlen hat das Centruin seine reaktionäre Entwickelung vollendet. Als stärkste Partei de» Reichstags übt es den bestimmenden Elnflutz auf die Regierung und die Richtung der Politik. Der AlerikaliSmus ist auch bei uns d«r Hort de» Stillstände» und das Henimniß jeder freieren und reineren Entwickelung. Unsere öffentlichen Verhältnisse ersticken in der Klosterluft de» Eentrum». Indem da» Lentrum all« herrschenden Mächte mit seinen Spenden besticht, indem eS Junkern und Groß industriellen dient, Mittelständlern und Arbeitern listige Köder hinwirft, erkauft eS sich den Ablaß für seine ungezählten Sünden. Es trägt die Hauptschuld am Militarismus, MariniSmuS, an der Welt- und Colonialpolitik, e» ist verantwortlich für die Flick schusterei der Socialpolitik, e» macht — unter Verrath aller seiner früheren Grundsätze — dl« ausschweifenden Forderungen der Zoll wucherer mit, es ist auch auf dem Gebiete der politischen Volks rechte keinetweg» mehr zulässig — man denke an da» erz- reaktionäre Verhalten in den Landtagen —, es fördert jede cultur- feindliche Unterdrückung geistiger Freiheit und künstlerischer Schöpfer kraft. Es ist nicht zu leugnen, daß unser« Erfolge gegen das Centrum noch verhältnißmäßig geringfügig sind. ES giebt schwarz« Wahlkreise, die gegen jeden Lichtstrahl undurchlässig scheinen Andererseits giebt e» doch Anzeichen, daß die universale Mundstopf-Politik de» TentrumS — den Be- Feuilleton. Unser Fritz und Lessing's Minna von Larnhelm im Berliner Cadettenhause. Von FedorvonKüppen. Nachdruck verboten. Die Zeit zwischen den beiden großen Kriegen von 1866 nnd 1870/71 war eine Zeit vvll der stolzen Er innerungen und kühnen Erwartungen für ein preußisches Soldatcnhcrz. Noch standen wir Alle, Alt und Jung, unter dem frischen Eindruck der glänzenden und blitz- schnellen Erfolge Preußens in dem soeben beendigten Kriege gegen Oesterreich »nn die Vorherrschaft in Deutsch land — „durchflog Borussia doch beschwingter Sohle in sieben Tagen Friedrich s sieben Jahr" — und schon sahen wir einem größeren Kriege in nächster Zeit entgegen, mit dem Napoleon III. daS unter Hohenzollern'scher Führmig zu seiner staatlichen Einigung vvrschrettende Deutschland bedrohte. Während unsere Heerführer und Generale in der Stille das Heer sür den bevorstehenden neuen Krieg vorberei- teten, nahmen in den königlichen Cabettcnanstalten die Ausbildung und der Unterricht ihren gewohnten regel mäßigen Fortgang. Aber eS war schwer, unter diesen Zeitumstänben die Aufmerksamkeit der juugen Zöglinge deS Mars an die Bücher und den Schreibtisch zu fesseln, wußten sie doch, daß da- Leben selbst bald ganz andere, ernstere Aufgaben an sie stellen würde. Ich hatte in den Jahren 1867—1870 in einigen Llassen» abtheilungcn des Berliner EabettencorpS den Unterricht in der Literaturgeschichte und im deutschen Aufsatz zu geben. Ich hatte mit meinen Ladetten in der Classe Lessing's „Mtna von Barnhelm" gelesen, und ihnen an- knüpfend an diese Lrctüre das Aufsatzthema gegeben: „Kann Lessing's Minna von Barnhelm ein deutsch.natio- nales Schauspiel genannt werden und mit welchem Rechte?" Ich ließ die Schüler in der Unterrichtsstunde unter meiner Anleitung die HauptgesichtSpnucte für die Be- arbettung diese- Themas entwickeln und kam zu dem fol, genden Resultate: Ja, Lessing's „Minna von Varnhelm" ist ein deutsch nationale« Schauspiel — vorausgesetzt, bass wir da« ur- sprünglich griechische Wort -ha/o« mit dem deutschen „Schauspiel^ in seiner allgemein«« Bedeutung übersetzen dürfen —, dem: 1) Die deutsche Nation darf -en Verfasser von „Minna von Barnhelm" als einen ihr eigcnthümlichcn deutschen Dichter für sich in Anspruch nehmen, er hat nicht nur dieses eine nationale Lustspiel gedichtet, er hat das deutsche Drama als nationales Drama überhaupt begründet, in dem er es frei machte von der Nachahmung der fremden, sogenannten Musterdramen »nb das von den französischen Elassikern mißverstandene Artstoteli'sche Gesetz von der dreifachen Einheit — der Zeit, des Orts und der Hand lung — im Drama auf seine richtige und wahre Bedeu tung znrückfllhrte und so die Bahn brach für unsere gro ßen Classiker Goethe und Schiller. — Biographisches, Lessing als Sekrteär des Generals Tauenzien während der letzten Jahre deS Siebenjährigen Krieges in Breslau, wo er den Plan zu „Minna von Barnhelm" entwarf. 2) Das Lustspiel „Minna von Barnhelm" ist auch dem Stoffe nach „national"; die Handlung ist dem natio- nalen Leben der ldamals) jüngsten Vergangenheit ent nommen; die Folgen und Nachwirkungen des sieben- jährigen Krieges reichen unmittelbar in die Handlung hinein. 8) Auch die Charaktere der Hauptpersonen, der ehren» feste und pflichtstrenge, in den Augen deS sächsischen Fräu leins von Varnhelm „nur etwas gar zu brave, gar zu preußische" Major von Tellheim, der wackere Haubegen, -er seinem alten Vorgesetzten bis in den Tod dankbar und treu ergebene Wachtmeister Paul Werner, das liebens würdige und anmuthvolle Fräulein von Barnhelm und ihre neckische und muntere Kammerjungfer Franziska — sie alle sind echt deutsche Charaktere, und der echte, ge wissenlose Hochstapler Niccaut be la Marltntöre bietet nur ein treffliches Gegenbild zu der schlichten deutschen Ehrlichkeit eines Tellheim. 4j Die Lösung wird herbeigeführt durch die Entscheid düng desjenigen Fürsten, welcher der größte unter allen Fürsten seiner Zett und welcher — wie Minna von Barn- Helm zugesteht — nicht nur ein, großer, sondern auch ein guter König war, durch die gerechte Entscheidung König Friedrich de- Großen von Preußen. kj Auch die Idee des Stücks ist eine deutsch-nationale. So wett waren wir gekommen, als ick, eine ge wisse Unruhe unter den Cadetten meiner Classe wahr nahm. Sie flüsterten sich in die Ohren, sie beugten sich vor, um zu den Fenstern des parterre gelegenen Elassen- zimmer*- hinau-zuseyen. AlS ick soeben die Unaufmerk samkeit ernsthaft tadeln wollte, erhob sich einer derEabetten und meldete mit lauter Stimm«: „Seine Königliche Hoheit der Kronprinz sind soeben über den Hof gekommen und hie« in tziG Hau- «tn-etreten." Ich nahm unsere literargeschichtlich-belehrende Unter haltung bei dem 5. und letzten Puncte der Disposition wieder auf, als die Thürc des Classenzimmers aufging und Sc. Königs. Hoh. der Kronprinz in Begleitung eines Adjutanten eintrat. Sogleich stieg ich von meinem Lehrstuhl herab und näherte mich ihm mit der vorschriftsmäßigen dienstlichen Meldung. „Guten Tag, Febor", sagte der Kronprinz, indem er mich nach seiner gnädigen Gewohnheit mit der Anrede bei meinem Vornamen ehrte und mir freundlich die Hand reichte, „ich will einmal hören, was die jungen Leute bei Ihnen lernen; ich werde hier Platz nehmen aber nein, lieber nicht!" widerrief er sogleich, „an Euren Stühlen klebt mich zu viel Kreide." Sofort sprangen einige Cadetten hinzu, nm die dem Prinzen zunächst stehenden Stühle mit ihren Tüchern von Kreide zu säubern und abzustauben. „So gehört eS sich", sagte der Kronprinz. .,tzni proüoit. in litsris ot ävücit in mortdus, plu8 cistioit, quam protioit. — Wie heißt daS doch auf Deutsch?" Der Gefragte stand auf und übersetzte den Spruch. „Richtig!" nickte der Kronprinz, indem er sich nieder- ließ; darauf zu mir: „Nun fahren Sie fort, wo Sie gerade waren!" Dem Befehle folgend, wandte ich mich an denjenigen meiner Schüler, der gerade an der Reihe war. „Es bleibt uns noch übrig, barzuthun, daß unser Schau spiel „Minna von Barnhelm" auch der ihm zu Grunde liegenden Idee nach ein deutsch-nationales zu nennen ist. Wa« ist wohl die Idee diese- Stückes?" Der Gefragte schwieg, sei eS au- vesangenheit, sei eS, weil er die Frage nicht verstand. Ich stellte dieselbe Krage in etwa« veränderter Form dem nächstfolgenden Cadetten. Auch dieser, obgleich er klar und hell au« den Augen blickte, blieb stumm. Ich wollte soeben weiter gehen, da warf der Kronprinz die Zwischenfrage hinein: „Nun, wa« bewog wohl den Major von Tellheim, so grobe Opfer für die sächsischen Stände — darunter die verwandten de« Fräuleins von varuhelm — zu bringen, bass er die ihnen auferlegte Lumme gegen den Wechsel der Stände selbst vorschoß?" „Ach ja", antwortete jetzt, der vorhin die Antwort schuldig gebliebe n war, der mit den blanken Augen, „der Herr vberstwachmeister liebten nämltch da« gnädige Fräulein!" Der Kronprinz wandt« sich etwa- bet Lett« und lachte. Ich knüpft« mit schulmeisterliche« Ernst an da- Richtige in dieser allerdings etwas zu preußisch, zu mili tärisch klingenden Antwort an und fragte den Folgenden: „Nun, werden Sie mir wohl sagen können, welche Idee unserem Lustspiel „Minna von Barnhelm" zu Grunde liegt?" Darauf dieser tief und ernst: „Ja, die Idee der Liebe." „Aber", warf ich ein, „diese Idee der Liebe konnnt doch in allen Schauspielen vor, die Sie kennen; wir würden danach nicht behaupten können, daß sie unserem Stücke insbesondere zn Grunde liege." Die Cadetten schwiegen. Da nahm der Kronprinz, indem er sein Lachen unter drückte, noch einmal das Wort zu der Frage: „Was ivar doch das Fräulein von Barnhelm für eine Landsmännin?" „Das gnädige Fräulein war eine Sachsin." „Richttg, und der Major von Tellheim war — wie vorhin gesagt worden — ein echter Stockpreuße", fügte der Kronprinz hinzu. Seine Fragen waren von jetzt an nicht mehr an einzelne Schüler, sondern an die Classe im Allgemeinen gerichtet und wurden auch von dieser meistens im Chorus beantwortet. „Was waren aber Beide gemeinschaftlich für Lands leute ?" „Sie waren Deutsche, Eure königliche Hoheit!" „Und wenn nun dieser Stockpreusse Tellheim nach dem Kriege dem sächsischen Fräulein von Barnhelm die Hand zum Bunde reicht, welche Idee ist dann hiermit wohl an- gebcutct, die dem ganzen Schauspiel zu Grunde liegt?" Nun leuchtete die Antwort aus Aller Augen un- der volle Chorus rief: „Die Idee der Versühnung und Vereinigung der deutschen Stamme!" „Richtig!" bestätigte der Kronprinz. In demselben Augenblicke gab -er Tambour draußen mit dem Trommelwirbel da- «ignal -um Stundenschluß. Der Kronprinz erhob sich, indem er sagte: „Nun, die Jungen haben ja ganz hübsch geantwortet. SS scheint mir nur, Febor, daß Sie ihnen zu viel von der Liebe erzählen. Er reichte mir lächelnd die Hand und wünschte meinen Schülern ein freundliches „Adieu, Cadetten!" Einige Tage darauf wurde am königlichen Hoftheater zu Berlin Lessing's „Minna von Varnhelm" ««geben. Zu dieser Aufftthrunaerhtelt da« Commanbo t>4- Berliner Ladettenhaus«- ein Packet Theatervillet- zugesandt, mit denen der Kronprinz die Lchüler der Classe, in der er jüngst dem beutsch«« Unterricht tzetg,wohnt hatte, zu« Theanr «inlud.
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