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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.10.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001012018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900101201
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900101201
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-10
- Tag 1900-10-12
-
Monat
1900-10
-
Jahr
1900
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Sie gipfeln bekanntlich darin, daß allen kauf männischen Angestellten nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine Ruhezeit von mindestens 10 Stunden, und in Städten von nicht über 20 000 Einwohnern von mindestens 11 Stunden gewährt werden muß; in kleineren Orten kann die Ruhezeit durch Ortsstatut vorgeschrieben werden. Eine im neuesten Doppelheft der Zeitschrift des königl. säch sischen Statistischen Bureaus veröffentlichte ausgezeichnete Arbeit des Regierungsassessors vr. Georg Wächter läßt erkennen, wie groß die Bevölkerungsschicht ist, der in Sachsen jene reichs gesetzlichen Bestimmungen zu Gute kommen. Regierungsassefsor Or. Wächter hat die Ergebnisse der Berufs- und Gewerbezählunq vom 14. Juni 1895 für das Handelsgewerbe in Sachsen amtlich bearbeitet. Er hat sich jedoch keineswegs auf das trockene Zahlenmaterial der neuesten Erhebung beschränkt, sondern in einem kurzen, aber erschöpfendem und übersichtlichen Rückblick eine Geschichte der Entwickelung des sächsischen Handelsgewerbes geliefert. Sachsen hat im Handelsverkehr schon seit Jahr hunderten eine hervorragende Rolle gespielt, da die Leipziger Messen, die seit Anfang des 18. Jahrhunderts über alle anderen Reichsmessen ein Uebergewicht behaupten, mindestens seit dieser Zeit einen wichtigen Mittelpunct für internationale Beziehungen gebildet haben. Wahrscheinlich reicht aber ihre Bedeutung, be sonders für den sächsischen Außenhandel, noch viel weiter zurück, denn die Leipziger Messen wurden selbst während des dreißig jährigen Krieges von fremden Kaufleuten besucht, ungeachtet der großen Gefahren, welche die Kriegsunruhen für die Sicher heit der Waaren-Zu- und Abfuhr, und selbst für das Leben der Kaufleute mit sich brachten. Die moderne Entwickelung des sächsischen Handelsgewerbes datirt jedoch erst seit den großen staatlichen Veränderungen Deutschlands. Dahin gehören insbesondere die Einführung der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit, denen die zünftigen Anschauungen klein-bürgerlicher Kreise nicht länger widerstehen konnten, nachdem die Dampfmaschine die Verkehrs schranken zwischen einzelnen Staaten bereits durchbrochen hatte; und dahin gehören auch die politischen Kämpfe der Jahre 1864, 1866 und 1870. Erst als Deutschland nicht nur ein einheitliches Wirtschaftsgebiet, sondern auch eine große politische Macht geworden war, konnte es seine Kräfte im Erwerbsleben, in Production, Handel und Verkehr voll einsetzcn. Wie Sachsens Binnen- und Außenhandel in den letzten Jahr zehnten ungeheuer zugenommen hat, so ist auch eine große Ver mehrung des im kaufmännischen Dienste stehenden Personals eingetreten. Nach der ersten sächsischen Gcwerbezählung lm Jahre 1846 gab es im Königreich Sachsen 27 487 dem Kaufmanns stande angehörige Gewerbetreibende. Was die Berufsstellung anlangt, so kamen im Jahre 1846 auf je 100 Erwerbsthätige des Handelsstandes 70,0 Eigentümer oder Geschäftsinhaber, 24,2 Buchhalter, Commis oder Gehilfen und nur 5,8 Lehrlinge. Die erste gewerbestatistische Aufnahme des königl. Statistischen Bureaus, die schon drei Jahre später, nämlich 1849, stattfand, hat zu Ergebnissen über das Handelsgewerbe geführt, die mit denen des Jahres 1846 nicht in Einklang zu bringen sind. Die Gesammtsumme der Erwerbstätigen im Handelsgewerbe betrug nämlich 1849 nur 15 364, während doch drei Jahre früher be reits 27 487 Angehörige dieser Erwerbsgruppe ermittelt wur den. Dieser große Unterschied ist wahrscheinlich daraus zu er klären, daß der Frage nach dem Berufe bei Gelegenheit der ersten Volkszählung durch das königl. Statistische Bureau wenig Be deutung beigemessen worden ist, und daß sie in Folge dessen auch nur eine oberflächliche Beantwortung erfahren hat. Die zweite amtliche Gewerbezählung wurde 1861 veranstaltet. Dieselbe ergab im Handelsgewerbe 19 954 männliche und 3656 weibliche, zusammen 23 610 Erwerbsthätige. Diese Ziffer enthält jedoch zahlreiche unter das Handelsgewerbe zu rechnende Erwerbszwcige nicht; auch sie ist also nicht erschöpfend. Sehr weit in das Einzelne gehend ist dagegen die Gewerbestatistik vom Jahre 1875. Im Handelsgewerbe ergab sie 50 239 männliche, und 13 436 weibliche, zusammen also 63 675 Erwerbstätige. Diese Zahlen lassen erkennen, daß namentlich seit 1861 ein ungeheurer Auf- schwung im sächsischen Handelsgewerbe stattgcfunven hat. Mit dem 1. Januar 1862 trat die neue Gewerbeordnung von 18'71 in Kraft, und damit begann eine neue Zeit für das gesammte gewerbliche Leben. Die erste Gewerbestatistik, die nicht, in Ver bindung mit einer Volkszählung, sondern in den Gewerbebetrieb selbst erhoben wurde, fand 1882 statt. Es wurden damals in Sachsen 47 855 kaufmännische Haupt- und Nebenbetriebe mit 50 056 männlichen und 16 818 weiblichen, zusammen 68 874 Erwerbsthätiaen gezählt. Das Handelsgewerbe steht in Sachsen, was die Betriebe und die in ihnen beschäftigten Personen anlanzt, an dritter S.clle. Vor ihm stehen die Textilindustrie, der 23,14 Procent aller Betriebe und 23,28 Procent aller am 14. Juni 1895 er- werbsthätigen Personen angehören, und das Bekleidungs- und Reinigungsgewerbe mit 22,21 Procent aller Be triebe und 11,96 Procent aller Erwerbsthätigen, während dem Handelsgewerbe nur 19,03 Procent aller Betriebe und 11,08 Procent aller erwerbsthätigen Personen angehören. Im ge- sammten Reichsgebiete nimmt das Handelsgewerbe sowohl hin sichtlich der Betriebe, als auch der Zahl der beschäftigten Personen unter allen Gewerbegruppen den ersten Rang ein; gleichwohl ist e? in Sachsen von nicht geringerer socialer Bedeutung als im übrigen Reichsgebiete, denn von der sächsischen Gesammtbevölke- rung waren 3,38 Procent im Handel erwerbsthätig, von der Reichsbevölkerung aber nur 2,56 Procent. Am 14. Juni 1895 gehörten dem Handelsgewerbe im Königreiche Sachsen 72151 Betriebe an, und zwar 61090 Haupt- und 11061 Neben betriebe. Die Zahl dar Nebenbetviebe ist verhältnißmäßig groß, da viele Handwerker nebenbei auch ein Geschäft betreiben. Wenn man von den großen Betrieben mit über 2000 Personen, die es 1882 im Handelsgewerbe Sachsens überhaupt nicht gab, absicht, so haben procentual am meisten die Betriebe mit nur einer erwerbsthätigen Person zugenommen. Nächst diesen haben die verhältnißmäßig größte Zunahme die Betriebe mit 51—200 Personen aufzuweisen, dann folgen nacheinander die Betriebe mit je zwei Personen, mit 11—50 Personen, mit 3—5 Personen und mit 6—10 Personen. Auffallender Weise haben also die kleinsten und größten Betriebe verhältnißmäßig die stärkste Zunahme erfahren. Beschäftigt wurden nach der letzten Gewerbezählung in den 72151 kaufmännischen Betrieben Sachsens 127148 Per sonen, von denen 81858 oder 64,38 Procent männlich und 45 290 oder 35,62 Procent weiblich waren. Nach der Zählung von 1882 waren im Handelsgewerbe nur 52 857 männliche und 15 784 weibliche Personen thätig. Die in kaufmännischen Ge schäften erwerbsthätigen Personen haben demgemäß seit 1882 nicht nur absolut, sondern auch relativ sehr bedeutend zuze- nommen. Der Procentsatz der weiblichen Erwerbsthätigen ist in fast allen Classen des Handelsgewerbes bedeutend gestiegen; nur im Speditions- und Commiflionshandel hat er eine Abnahme er fahren. Weitaus die meisten weiblichen Kaufleute finden im Waarenhandel Anstellung; ihre Zahl in dieser Gewerbeclaffe ist von 15 185 auf 43 055 gestiegen, hat sich also in einem Zeiträume von nur 13 Jahren nahezu verdreifacht. Was die Gcsammtzahl der Erwerbsthätigen des Handels an langt, so waren von ihnen 32 646 allein arbeitende Selbstständige, 23 325 Inhaber und sonstige Geschäftsleiter, 17133 im Ver- waltungs-, Comptoir- und Bureaudienst, 236 technisches Auf sichtspersonal, 38 412 Gehilfen und Arbeiter und 15 396 mit arbeitende Familienangehörige. Die überwiegende Mehrzahl der Krufleu'e findet in kleineren Geschäften bis zu 5 Erwerbsthätigen ihren Lebensunterhalt. Unter den 38 409 Gehilfen und Arbeitern, die bei der letzten Gcwerbezählung in den sogenannten Mitinhaber- und Gehilfen betrieben beschäftigt wurden, gab es 3656 jugendliche. Der Procentsatz der Erwachsenen beziffert sich auf 90,48, jener der Jugendlichen auf 9,52 Procent. Von den weiblichen Gehilfen und Arbeitern allein hatten 9,24 Procent das 16. Lebensjahr nicht überschritten, so daß also der Nachwuchs der männlichen und weiblichen Arbeiter zu den Erwachsenen nahezu in demselben Verhältnisse stand. Die Kaufmannslehrlinge gehören heute größtentheils nicht mehr zu den jugendlichen Gehilfen und Arbeitern, die das 16. Lebensjahr noch nicht überschritten haben. Früher war es ziemlich allgemein üblich, Knaben, die sich für den kaufmännischen Beruf entschieden hatten, unmittelbar nach der Konfirmation in die Lehre zu geben, so daß sie bei vierjähriger Lehrzeit im Allgemeinen mit Erfüllung des 18. Lebensjahres in die Reihen der Commis einrückten. Heute verlangt man von den jungen Kaufleuten eine etwas bessere als die allgemeine Volks schulbildung; man erblickt vielmehr häufig erst in dem Be rechtigungsscheine zum einjährig-freiwilligen Militärdienste einen ausreichenden Nachweis angemessener geistiger Vorbildung für den kaufmännischen Beruf. Dadurch wird aber auch der Beginn der Lehrzeit um durchschnittlich zwei Jahre hinausgeschoben. Die für bessere Schulbildung aufgewendete Zeit wird in der Regel dadurch wieder eingebracht, daß die betreffenden Lehrlinge nur 2 oder höchstens 3 Jahre zu lernen brauchen. Etwa 1790 aller im Handelsgewerbe ermittelten Lehrlinge, 53,80 von je 100 oder nahezu die Hälfte, standen bei ihren Lehrherren in Kost und Wohnung. Der Procentsatz der Lehrlinge im Haushalte des Unter nehmers ist in der Regel um so kleiner, je größer die Betriebe sind, denen die Lehrlinge angehören. Die Zahl der in Mitinhaber- und Gehilfenbetrieben des sächsischen Handels beschäftigten ver heil a t h e t e n Frauen betrug 887; das sind 2,31 Procent aller Gehilfen und Arbeiter. Was endlich die mitarbeitenden Familien angehörigen anlangt, so zeigt sich auch im Handelsgewerbe die bekannte Erscheinung, daß einerseits in großen Betrieben Fa milienangehörige in der Regel nicht mitarbeiten, daß andererseits aber die in kleinen und mittleren Betrieben thätigen Familien angehörigen des Inhabers meistens weiblich sind. Die Wirren in Lisina. Wird eS Ernst, wirklicher blutiger Ernst mit der Bestrafung der Schuldigen durch die chinesischen Gerichte? Man meldet unS: * Peking, 8.Oktober. (Reuters Purcan.) Ein kaiser liches Edtct ist erschienen. 8s befiehlt die sofortige Hinrichtung Kcng-ji's, Tschao-schu-tschiao's und anderer an dein Ausbruche der Boxcrbrwcguiig bcthciligtcr hoher Beamter, vcrbau « t de» Prinzen Tuan zur Arbeit au Po st st raste» in Kaschgar und vcr- urthcilt den Prinzen Aih und den Herzog von Tsailau zu lebenslänglichem Kefängiiitz. (Wdhlt.) Das wäre ja ein energischer Schritt zum Frieden, den man dem schwächlichen Kaiser gar nicht zngctraut batte, Fe»rslletott< Der Seehund. Skizze von Gustav Müller. Nachdruck vcrboun. Du wunderst Dich, daß ich noch nicht verlobt bin? Oder gar ver- heirathet? Und ich hatte doch die besten Aussichten dazu. Voriges Jahr in Ostende! Ja, das ist eine eigenthümliche Geschichte. Ich erzähle sie nicht gern, aber Du, meine beste Freudin, sollst sie hören. Es war Ende August. Da das Wetter noch prächtig war, so hatte unser Papa den sehr vernünftigen Einfall, mit uns noch in ein Seebad zu reisen. Er fragte Mama, was sie vorziehe, Nord- oder Ostsee. Nun, wir waren schon in Heringsdorf und Saßnitz gewesen, wir hatten auch Helgoland, Borkum und Norderney besucht. An der Nordsee hatte es uns am besten gefallen. „Nun, bleiben wir bei Norderney", sagte Papa. Das paßte der Mama aber nicht recht. Sie wollte ein mal etwas von der großen Welt sehen. Etwas Apartes, kurz, sie schwärmt« für Trouville. Der Papa sagte kurz Nein, und meinte, das schicke sich nicht für uns. Als er dann eines schönen Tages nach Hause kam und «rzählte, daß er an Kohlenactien ein sehr gutes Geschäft gemacht hatte, vereinigten wir unsere Bitten, und es kam zu einem Compromiß, zu Ostende. Wieder wurden die Koffer gepackt und fidel nach Ostende abgedampft. Wir waren kaum vier Wochen aus Interlaken zurückgekehrt, wo wir, nach einem kurzen Frühlingsaufenthalt am Gardasee, den Juli zugebracht hatten. Die Stadt gefiel uns auf den ersten Blick, d. h. die Stadt weniger, als die Strandpromenade. Die eleganten Häuser, die irgend welchen Börsenbaronen in Paris öder Brüssel gehören öder vielleicht auch deren schönen Freun dinnen, waren besetzt, die Saison auf der Höhe. Ich hatte zwei Badeanzüge mitgenommen; als ich frühmorgens auf die Veranda des Hotels trat und einige junge Damen in sehr einfachen Costümen radeln sah, freute ich mich, daß meine Anzüge durch ihre Eleganz auffallen würden. Der eine war aus weißem Mousseline mit schmalen rothen Streifen und rothen Binde schleifen, der andere war aus dunkelblauer Seide mit weißen Tupfen. Früh tranken wir Kaffee, und gegen zehn Uhr ging ich mit Mama an den Strand. Wir nahmen einen Badekarren und fuhren ins Meer. Ich plätscherte vergnügt wie ein Fisch im Wasser und schwamm bis zu dem Zeichen. Als ich zurückkam, war Mama beim Ankleiden. So hatte sie nicht sehen können, daß sich nach und nach die Strandpromenade gefüllt hatte und «ine große Anzahl Herren mit Operngläsern den Badestrand beob achteten. Bald bemerkte ich dann auch aus Karren, die nicht weit vorgeschoben waren, wirklich wundervolle Figuren aussteigen; aber meist noch schöner als die Mädchen waren ihre Kostüme. O, wie mußt« ich mich mit meinen Mousseline - Höschen schämen! Duftige, durchsichtige, weiße, fleischfarbene, rothe und schwarze Anzüge mit Spitze und durch brochener Arbeit hüllten diese Körper ein, die mit golden funkeln den Strumpfbändern, hier als Wadenschnallen gebraucht, mit Steinen besetzten Armbändern, sich in der Sonne badeten und denen das Wasser wohl nur sehr gleichgiltrg war. Endlich gingen auch sie langsam, mit äußerster Koketterie ins Wasser, und — es war das wie ein Signal — sofort stürzte auch ein Schwarm Herren nach, sich wohl etwas genickbrecherig in die kühlenden Fluthen werfend. Das Schauspiel wiederholte sich jeden Tag und interessirte mich bald kaum noch, während Mama es schon von vornherein für „albern" erklärt hatte. Es war auffallend, daß man sonst dieser» acht oder zehn Damen kaum begegnete; nur ein oder zwei Mal sahen wir die eine oder die andere nach dem Diner ausfahren. Es war echter Pariser Schick, wie man sagte. Mama und ich begannen Ostende schon ziemlich langweilig zu finden, als am vierten Tage Papa uns einen Herrn Rothen wald mitbrachte. Herr Rothenwald ist ein Herr, Mitte der Dreißiger, vielleicht auch jünger, er ist Bankier und ziemlich stark mit vollem Gesicht. Er hat melancholische Augen, blonde, leicht gelockte Haare und einen geradezu entzückenden „Es ist erreicht". Ich habe den Herrn drei oder vier Mal in Berlin gesehen, habe auch ein oder zwei Mal mit ihm getanzt, und dann sind wir zuletzt in Interlaken acht Tage mit ihm zusammcngewesen. Er ist ein fein gebildeter Mann mit tadellosen Manieren. Papa sagt, er sei sehr reich, und Papa muß das wissen. Ich freute mich sehr, daß er gekommen war, war damit doch eine Abwechs lung in das tägliche Einerlei getreten; dazu machte er mir gleich den Hof auf eine Art und Weise, daß ich thatsächlich mit mir zu Rathe ging, ob Ernst dahinter steckte. Nach einer eingehenden Prüfung aller Thatsachen, nach den Andeutungen meines Papas und meiner Mama kam ich zu dem Ergebniß, daß Herr Rothenwald Ab sichten hatte, und ich nahm mir vor, ihn nunmehr meine zarte Hand fühlen zu lassen. Liebe empfand ich ja nicht für ihn, weiß ich doch heute noch nicht, was die Liebe, richtige Liebe, ist; er war mir nicht unangenehm, und das ist doch die Hauptsache, wenn man an das Heivathen denkt. Aber ich wollte gern ein mal lieben, und warum sollte es denn Herr Rothenwald nicht sein? 'Wenn ich früh auSgehen wollte und ihn ersuchte, mitzu gehen, so war er pünktlich zur Stelle, jeden Tag lag ein Bouquet von ihm auf meinem Tische, zu Mittag speiste er mit uns, und Abends war er mit im Casino, zum Concert, im Theater, in der Reunion, kurz, wie ich wollte. Nur als ich einmal in llbermüthiger' Laune ihn bat, doch auch, wie die anderen Herren, ins Wasser zu gehen, lehnte er stricte ab. Wegen meiner Bitte bekam ich natürlich einen Verweis von meiner Mama, Papa aber lachte und meinte, Herr Rothenwald sei vielleicht wasserscheu. Ich sagte ihm daS wieder, da lachte er und versicherte, daß er durchaus kein schlechter Schwimmer sei. Natürlich lachte ich ihn aus und zog ihn eine Weile auf. Sonst ging Alles nach Wunsch. Er war verliebt bis über die Ohren. Manchmal stockte sogar seine Unterhaltung, und ich ertappte ihn, wie er mich ansah, wie er meine Ohren — sie sind wirklich nicht groß —, meine Hänbe, mein Gesicht, meine Füße anstarrte, wie er mit Eifer den Mantel mir um die Schultern legte, um meinen Haaren nahe kommen zu können oder gar meinen Hal- zu streifen, wie er voll bewußter Ungeschicklichkeit meine Arme berührte, wie er im Wagen mehr an mich heranrückte, ja, wie er sogar beim Esten unterm Tisch mit seinem Fuß den meinigen berührte. Ich gestehe, ich empfand bei alledem noch keine Liebe, aber doch ein angenehmes Gefühl, daS, ich kann eS nicht ander- sagen, nichts als ein Triumphgefühl war. Ich hatte Jemand, und noch dazu einen tüchtigen Mann, wie mir Papa versicherte, rasend in mich verliebt gemacht. Ich ging einen Schritt weiter, ich bildete mir ein, für ihn eine gewisse Empfindung zu hegen, aus der die Liebe hervorkcimen solle. Ich versetzte mich mit aller Macht meiner Einbildung in eine phantastisch-romantische Stimmung, ich träumte wachend, ich suchte alle guten Eigenschaften an ihm hervorzuheben. Er war nicht dumm, das wußte ich, er benahm sich fein und manierlich, er hatte ein gutes Herz, seine Ohren waren nicht zu groß, seine Hände gepflegt, er legte großen Werth auf seine Kleidung, er war reich — das Alles verfing aber nicht. Schließlich war und blieb sein schöner und prächtiger Schnurrbart und sein blondes, gelocktes Haar, Siegfried's Haar nannte ich es, als der größte Vorzug vor anderen Männern meiner Bekannt schaft, übrig. Ich trieb nun geradezu einen CultuS mit diesen Eigenschaften, und nach acht Tagen war ich glücklich soweit, daß ich mich ernstlich in den Schnurrbart und die Locken verliebt hatte. Fast in jeder Stunde beschäftigte ich mich mit ihm, d. h. mit seinem Kopfe, im Traume erschien er mir, und wenn ich mit ihm, d. h. dem Manne im ganzen Wesen, sprach, konnte ich ihn, d. h. den Kopf, minutenlang betrachten. Natürlich merkte das mein Herr Anbeter und wurde noch verliebter, glaubte er doch, Gegenliebe zu finden, wie ich es selbst glaubte. Ich ließ zu, daß er meine Hand küßte, wenn der Handschuh darüber war, daß er sie drückte, und ich glaube, ich erwiderte den Druck leise, ich sagte ihm Schmeicheleien über sein Haar, ordnete sogar einmal eine Locke, die sich zu weit vorgedrängt hatte. Ich fragte ihn nach seinem Parfüm und kaufte mir dasselbe, ich klopfte ihm am Rockkragen ein Stäubchen weg und kam mit meiner Hand an seinen Nacken, er zitterte unter dieser leisen Be rührung, ich brannte ihm nach einem prächtigen Diner mit viel Sect, als es Papa und Mama nicht sah, eine Cigarre an, und ich duldete es, daß er jetzt meine Hand ohne Handschuh küßte. Die Bouquets, die er sandte, wurden fast jeden Tag größer und kostbarer, er blieb, obgleich sein Vater ihm schrieb, daß er dringend im Geschäft gebraucht werde, mir zur Liebe noch da — aber es kam zu keiner Aussprache. Er hätte gewiß mit meinem Vater gesprochen, wenn dieser nicht gerade zu der Zeit, als meine Einbildung, mein Cultus, den Siedepunct erreichten, hätte ver reisen müssen. Mama war wegen starker Erkältung bettlägerig. So tändelete ich mit ihm weiter, als mir einfiel, daß ich seit längerer Zeit kein Bad genommen hatte. Ich sagte bas Abends zu ihm, als wir auf der Veranda an einem lauschigen Plätzchen saßen, und plötzlich kam mir der Gedanke, ihn nochmals aufzufordern, mich am anderen Tag in die See zu begleiten. Ob das schicklich war oder nicht, ich kümmert« mich nicht darum, badeten doch so viele Herren und Damen zusammen. Er schwankte einen Augenblick, ich sah ihn aber an, mit Augen, von denen man mir schon gesagt hat, daß sie einen Blick hätten, in den man Alles legen könnte. Ich war kokett zum Aeußersten. Er wurde roth, seine Blicke verzehrten mich fast. Wie zur Entschuldigung fügte ich hinzu, daß ich doch eigentlich zum Baden in Ostende sei, daß ich mich aber ohne Schutz nicht im Wasser tummeln wolle. Nun sei Mama unwohl ... ich fürchte mich ... Ich reichte ihm über den Tisch meine Hand, der Aermel schob sich zurück, mein weißer Arm wurde sichtbar. Der Arm, den man in großer Gesell schaft, bei jedem Diner, bei jedem Ball unbekleidet sieht, schien ihn zu berauschen; er schlug ein, zog meine Hand an seinen Mund und küßte sie leidenschaftlich. Ich merkte, ich war zu weit gegangen. Er sagte zu. Ich erhob mich. „Auf Wiedersehen, morgen früh um 10 Uhr. Ich bade beim alten Perrin. An der vierten Tonne. Ich schwimme mit Ihnen um die Wette." Noch einmal ließ ich ihm meine Hand, die er stürmisch küßte und drückte, und ich, ich glaube, ich erwiderte den Druck. Jene Nacht habe ich wenig geschlafen, aber viel ge träumt. Am anderen Morgen früh ging ich zum alten Perrin. Das Wetter war nicht schön, der Wind trieb starke Wellen an den Strand. Ich ersuchte Perrin, recht weit hinaus zu fahren, denn mir waren doch große Bedenken ge kommen. Ich schämte mich jetzt; nur meinen Kopf in der Bade mütze und die Arme in den blauweißen Aermcln sollte er sehen. Bald war ich an der vierten Tonne und hielt mich am Seil fest. Da kam er auch schon angeschwommen. Wahrlich, ev schwamm nicht schlecht. Bald war er da. Er hielt sich mit der linken Hand am Seil fest; die rechte reichte er mir. Ich freute mich, daß er da war, es war eine wirkliche Herzensfreude. Ich hatte erreicht, was ich von ihm wünschte, Gehorsam, ich war daher lustig, ausgelassen, wir schwammen unter dem Seil hinaus. Einmal war es mir, als ob meine Kräfte schwänden, er hielt mich mit der linken Hand fest und wir schwammen zurück. Am Seil, in Sicherheit, überkam mich eine bacchantische Lust. Ich ließ ihn los und spritzte mit beiden Händen nach seinem Gesicht. Er lachte und erwiderte. Ich that, als ob ich zurückwiche, drehte ihm den Rücken und schwamm nach der Tonne zu. Da auf einmal kam eine Sturzsee, ich wurde bei Seite geschleudert, hielt mich aber doch fest. Als das Wasser ru'higer wurde, sah ich mich nach meinem Gefährten um. Ich suchte, noch den Schaum in den Augen, den blonden Lockenkopf. Ich konnte ihn nicht entdecken. Auf einmal stieß ich einen Schrei aus. Vor mir tauchte eine große weiße Kugel auf, und plötzlich sah ich ein rothes Gesicht mit einem herabhängenden Bart. „Ein Seehund", schreie ich, „Hilfe, ein Seehund". Da höre ich dicht vor mir ein Lachen, das noch etwas von verschlucktem Wasser unterdrückt ward, und eine mir nur zu wohl bekannte Stimme ruft mir zu: „Keine Angst, Fräulein, ich bin es ja!" Ich wische das Wasser aus den Augen und sehe schärfer hin. Richtig, es ist Herr Rothenwald. Nun lache ich laut, gellend. Wie sehen Sie denn aus? Wie ein 'Seehund! Ihr Bart, wo ist der geblieben, der hängt ja herunter wie bei einer Robbe, und . . . und . . . Ihr . . ." ich konnte mich kaum noch am Seil halten vor Lachen — „Ihr Lockenkopf, wo ist denn der hin?" Bestürzt fährt er nach seinem Kopfe. Die Sturzwelle hatte ihm seine Perrücke geraubt. Oh meine Illusionen! Er machte ein ziemlich einfältiges Gesicht, aus dem „Es-ist-erreicht-Schnurrbart" tropfte das Wasser, und ich konnte mich nicht enthalten, nochmals zu rufen: „Nein, wie komisch, Herr Rothenwald, Sie sehen gerade wie ein Seehund aus!" Er sagte kein Wort. Ich ging die paar Schritte nach meiner Cabine. Dort wurde ich mir meiner Ungezogenheit bewußt, und zugleich auch, daß meine Einbildung vorbei sei und meine Schwärmerei verschwunden. Am Nach mittag brachte der Kellner eine Karte, Herr Rothenwald war abgereist.
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