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Ottendorfer Zeitung. Die „Gttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich ; Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme »on Inseraten bis vormittag <s Uhr. Inserate werden mit w Pf. für die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Dkrilla. Nr. 151. Freitag, den 18. Dezember 1903. 2. Jahrgang. Oertliches nnd Sächsisches. Vttendors-Vkrilla, ,7. Dezember 1903. (:) Als ein gelungenes Fest darf man wohl das am vergangenen Sonntage von den In habern der Firma August Walther L Söhne in Moritzdorf ihrem gesamten Beamten- und Arbeiterpersonal bereitete, nennen, legte es doch wiederum Zeugnis davon ab, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer im besten Einvernehmen stehen. Nachmittags 5 Uhr versammelten sich die Herren Chefs nebst Gemahlinnen mit ihrem Personal und einigen eingeladenen Gästen im Gasthof zum Hirsch in Groß-Okrilla um ein von über 450 Gedecken bestehendes Festmahl einzunehmen. Der Senior des Hauses, Herr August Walther, hieß seine Gäste, Beamten und Arbeiter mit herzlichen Worten willkommen. Die Musikkapelle des Herrn Musikdirektor Wachsmuth, Radeburg, spielte in bcstgelungener Weise die Tafelmusik, ebenso brachte der Gesangverein der Werke obengenannter Firma mehrere überaus schöne Lieder zum Vortrag. Während des Festmahles ergriff der seit mehr als zehn Jahren im Dienste stehende Lagerist Herr Remh. Truöl das Wort, um den In habern der Firma ein ferneres Blühen und Gedeihen des Geschäftes und ein allseitiges Wohlergehen zu wünschen. Zum Schluffe der Tafel brachte Herr Glasmachermeister Emil Schäfer den Dank des gesamten Arbeiterperso- nalö der Firma zum Ausdruck, sämtliche An wesen ve stimmten in ein dreimal donnerndes Hoch ein. In der neunten Abendstunde griff der fröhliche Tanz, verschönt durch Cotill n, in seine Rechte. Die Gemahlinnen der Herren Walther erfreuten die Anwesenden durch überaus schöne und wertvolle Geschenke resp. Erinner ungsgaben. Bis in die frühen Morgenstunden waren Arbeitgeber und Arbeitnehmer in lustiger, fröhlicher Weise beisammen und gaben dadurch ein Zeichen der bestehenden besten Harmonie zwischen beiden Teilen ab. — Wie am vorigen Sonntag in der hiesigen Kirche vermeldet worden ist, soll am nächsten Sonntag noch eine Abcndkommunion nachmittags b Uhr stallfinden, um der hiesigen Arbeiterschaft entgegenzukommen, welche zum Teil an der vorigen Kommunion abgehalten war. — Auf den kürzesten Tag müssen wir dieses Jahr auf der nördlichen Hemisphäre verzichten. Da die Sonne ihre größte südliche Deklination um Mitternacht des 22. Dezember erreichen wird, so werden der 22. und 23. Dezember von ganz gleicher Länge sein. Die Damr dieser zwei kürzesten Tage wird von dem 21. und 24. ganz wenig überschritten werden. — Fünf Festtage! Weihnachtsfest und Neu jahrstag sind diesmal in die Woche eingeschoben, sodaß wir innerhalb zehn Tagen fünf Festtage genießen. Dann folgt nur zwei Tage später wieder der Hohneujahrstag als sechster Festtag in dieser feiertagsreichen Zeit. Erst von Sonn tag den 10 Januar an kommt wieder Regel mäßigkeit m den Gang der Dinge. Diejenigen, welchen im Jahre Arbeit in Hülle und Fülle zu Teil wird, werden sich dieses Zusammen treffens freuen. Anderen, die hierdurch Einbuße erleiden, dürfte solche schnelle Aufeinanderfolge minder angenehm dünken. Dresden. In der Sächsischen Glasfabrik tief plötzlich eine Glnswanne aus und verur sachte einen Schaden von über 20000 Mark- Sämtliche Kanäle wurden durch die Glasmasse, die etwa 1400 Zentner betrug, verstopft. Per sonen sind nicht verunglückt. Dippoldiswalde. Ein recht bedauer licher Unglücksfall ereignete sich in der hiesigen Sächsischen Holzwarenfabrik Max Böhme L Co. Dem Tischler Burckardt, der damit beschäftigt war, eine kleine Spirituslampe anzuzünden, explodierte solche. Burckardt goß sich durch plötzliches Zurückzucken des Armes den brennen den Spiritus über Kopf und Oborkörper und zog sich hierdurch erhebliche Brandwunden zu, sodaß seine Ueberführung nach dem Carolahause in Dresden angeordnet werden mußte. Blasewitz. In der Nacht zum Mittwoch verunglückte der Gärtner Pötzsch aus Tolkewitz an der rechtsuferigen Fähre in Laubegast, indem er mit seinem Einspänner in die Elbe geriet. Pötzsch wurde gerettet. Das Pferd wurde Mittwoch früh mit dem Wagen in der Elbe hier angehalten. Als das Tier an das Ufer gebracht werden sollte, siel es tot nieder. Das arme Tier hatte die ganze Nacht in dem Strome zugebcacht, Station Schöna. In der Nacht zum Sonntag sind in Niedergrund zwei Einbrüche verübt worden. Der Einbrecher, von dem bis jetzt jede Spur fehlt, hatte sich in die Wohnung einer Schifferfamilie eingeschlichen. Er suchte unter dem Bett der Frau Unterschlupf und führte dann seinen Raub aus. Die Frau er wachte durch das Geräusch, flüchtete zur Tür hinaus und erhielt dabei einen Schlag über den Kopf, sodaß sie betäubt wurde. Der Ein brecher hat 140 Mark gestohlen und stattete alsdann noch dem Gastzimmer der Eisenbahn- Restauration einen Besuch ab, woselbst er mehrere Gegenstände, darunter auch den Regu lator, mitnahm. Pirna. Unter den in der neuen Kaserne untergebrachten Mannschaften der 2. Abteilung des 5. Feldartillerie-Regiments Nr. 64 sind in letzter Zeit mehrere Erkrankungen mit typhösen Erscheinungen aufgetreten. Die Ursache scheint in den im Kasernement bestehenden Waffer- verhältnisien gesucht werden zu müssen, weshalb auch dieser Tage eine Kommission zur Unter suchung des Wassers in der dortigen Garnison eingetroffen ist. Meißen. Ein furchtbares Familiendrama hat sich vorgestern hier zugetragen. Die Familie des Fabrikwächters Ernst Julius Bienert, geboren am 23. Oktober 1864 in Großenhain, wurde vorgestern abend 7 Uhr hier in ihrer Wohnung Neumarkt 39 vergiftet aufgefunden. Die Wohnung war um deswillen geöffnet worden, weil sich den ganzen Tag niemand hatte sehen lassen. Um 2 Uhr war der Postbote mit einem Paket von auswärts dagewesen, und er hatte schon seine Verwunder ung ausgesprochen, daß niemand zu Hause sei. Abends 6 Uhr vernahm man, an der Vorhaus türe horchend, im Zimmer ein Röcheln, worauf die Polizei geholt wurde. Bienert selbt lebte noch und wurde, nachdem ihm durch den hinzu gezogenen Arzt Herrn Dr. Mubert die erste Hilfe gebracht worden war, ins Krankenhaus überführt. Er kann nach einem Ausspruche des Arztes mit dem Leben davonkommen. Die Frau und ihre sechs Kinder, drei Knaben und drei Mädchen, das älteste 1892 und das jüngste 1902 geboren, waren tot. Die Frau lag not dürftig betleidet auf dem Rücken in der Küche, die Kinder ruhten in ihren Betten, nur das älteste Mädchen war jedenfalls im Todeskampfe aus dem Bett gefallen. An den Entseelten ivar schon die Leichenstarre eingetrelen. Es scheint, das sämtliche Familienmitglieder in den zeitigen Morgenstunden das Gift (anscheinend Karbol) beigebracht bekommen oder genommen haben. Dafür spricht auch, daß der Mann um diese Zeit von dec Arbeit heimgekommen ist und in der Küche eine Lampe noch schwach brannte. Nach vorgefundenen Notizen haben Bienert und seine Frau im gegenseitigen Einverständnis ihre Kinder und sich vergiftet. Die Frau hat vor einiger Zeit in einer Klinik in Dresden an einem Unterleibsleiden behandelt werden müssen, oas sich als unheilbar herausgestellt Haven soll. Dieser Umstand hat den entsetzlichen Ent schluß zur Reife kommen lassen. Einige der Kinder scheinen ohne besonderen Todeskampf hinübergeschlummert zu sein, während andere Spuren heftigen Todeskampfes zeigten. Weiter wird gemeldet: Den Kindern wird von den Nachbarn ein gutes Zeugnis ausgestellt, ebenso den Bienert'schen Eheleuten. Bienert war früher Markthelfer lm Konsumverein; seit 1696 war er in der Deutschen Jutespinnerei und -Weberei veichäjugl, erst als Spuwimäger, seit einem Jahr als Nachtwächter. Als solcher erhielt er 18 Mark wöchentlich, doch scheint der Verdienst bei den vielen Kindern und der immerwähren den Krankheit der Frau sehr knapp zugereicht und dies wie die Krankheit der Fran die Ehe leute zu dem schrecklichen Entschlusse gebracht zu haben. Daß sich das Ehepaar schon länger mit dem Gedanken dieser Tat trug, geht daraus hervor, daß sich der Mann vor einigen Tagen in der Fabrik Urlaub geben ließ, angeblich zu einer Reise. Allem Anschein nach hat das Ehepaar den Kindern den tödlichen Trank in stark gesüßtem Kaffee beigcbracht, da am Tage zuvor in dem im selben Hause befindlichen Laden — ein sonst ungewöhnlicher Einkauf in der Familie — ein Pfund Zucker gekauft wurde. Die Eltern nahmen das Gift anscheinend in Rum; die leere Flasche lag noch neben dem Manne. In hinterlassenen Briefen gaben die Eheleute lediglich die Sorge um die Kinder, die vielleicht bald mutterlos werden könnten, als Ursache der Tat an. Die unglückliche Frau stammte aus Zeisholz bei Königsbrück. Zittau. Verhaftet wurde dieser Tage der Zugführer Fink aus Görlitz, welcher fortgesetzt die ihm übergebenen Eil- und Paffagiergüter beraubt hat. Die Sache gegen Fink wurde hier anhängig gemacht, weil immer, wenn dieser den betreffenden Zug begleitete, den in Ostritz und Rusdorf einsteigenden Marktfrauen Butter und dergleichen aus ihren Körben fehlte. Riesa. In dem Gartengrundstück des Herrn Tischlermeisters Schuhmann in der Großenhainer Straße fand man beim Aus schachten ein weibliches Skelett, dessen Schädel decke eingeschlagen war. Man bringt den Fund mit der vor zirka 30 Jahren verschwundenen 20jährigen Tochter des lange Jahre in der hiesigen Apotheke beschäftigt gewesenen ver storbenen Arbeiters Nünchert in Verbindung. Damals hat man auch Nachforschungen ange- stellt, das ganze Haus und den Garten unter sucht, aber nichts gesunden, und so blieb der Mord — um einen solchen handelt es sich hier zweifellos — ungesühnt. Der damalige Besitzer des danebenliegenden Grundstücks war der Arbeiter Nünchert. Borna. Die Frau des am Freitag früh im Karlschacht tödlich verunglückten Bergar beiters Leyh, welche schwerkrank darniederlag, ist am Sonntag ihrem Gatten in den Tod nachgefolgt. Sieben meist noch unerzogene Kinder betrauern das Elternpaar. Leipzig. Die Einigungs-Verhandlungen bezüglich des Schriftgießerstreiks sind leider ergebnislos verlaufen. Die Arbeitgeber er klärten, auf die Verkürzung der Arbeitszeit und Entlassung der Streikhelfer nicht eingehen zu können. — Der 47 Jahre alte Steindrucker Brendel- berger stürzte am Sonnabend beim Nachhause- kommen die Treppe herab und brach das Genick. Man fand den Unglücklichen am Sonntag früh entseelt auf. — Vorgestern vormittag wurde der neun jährige Sohn der hier am Kalkberge wohnenden Arbeitereheleute Böhme tot aus dem Gabel teiche gezogen und in die Halle des Friedhofes gebracht. Der Ertrunkene wurde seit Sonn abend vermißt und dürfte durch Abrutschen verunglückt sein. Leipzig. Redakteur Soeger von der hiesigen „Volkszeitung" ward heute vom Land gericht zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt wegen Beleidigung des Oberamtsrichters Dr. Meißner, der als Untersuchungsrichter in einer Majestätsbeleidigungssache fungiert hatte. Es handelte sich um den vielfach besprochenen Artikel „Eine Justizaktion", welcher die An drohung des Zeugnis-Zwangsverfahrens gegen Redakteure, Expedienten und technisches Per sonal der „Volksztg." nach sich zog. — Eine Ehetragödie mit schlimmstem Aus gange hat sich in der Nacht zum Mittwoch im Grundstück Sternwartenstraße 53 abgespielt. Die 31 Jahre alte Frau des Schneiders Nowak betrog ihren Gatten und ob dieser die Ueber- zeugung von der Untreue derselben hatte, schoß er die Frau nieder und verletzte sich durch Revolverschüffe ebenfalls so schwer, daß an seinem Aufkommen gezweifelt werden muß. Die elfjährige Tochter, welche bei Verwandten über nachtet hatte, fand gestern früh bei der Heim kehr ihre Eltern im Zimmer liegend vor. Crimmitschau. Ein nach hier ent sandter Redakteur der „Deutschen Arbeiter zeitung" sucht die vielfach verbreitete Annahme zu widerlegen,Haß die hiesige Textilrabeiterschaft schlecht entlohnt werde und hungernd um ihr Leben kämpfen müsse. Es verdienten jugend liche Leute beiderlei Geschlechts von 14 Jahren an pro Woche 9 bis 12 Mark, Weber im Akkord 19 bis 27 Mark, Weberinnen 15 bis 20 Mark, Webereihilfsarbeiter 14 bis 20 Mk>, Spinner im Akkord 20 bis 30 Mk., Spinnerei- Hilfsarbeiter 14 bis 18 Mark. Der Anfangs verdienst könne meist vom ersten Tage der Beschäftigung bezogen werden, da diese fast durchweg leicht zu erlernen sei. Die Lebens haltung der Crimmitschauer Arbeiterschaft sei infolgedessen auch eine keineswegs schlechte: im Jahre 1901 habe der Fleischverbrauch pro Kopf der Bevölkerung (die zum größten Teil aus Webern besteht) 48746 l-A oder täglich 0,133 lcA betragen. Die städtische Sparkasse habe am 31. Dezember 1901 über beinahe 10 Millionen Guthaben verfügt, und zwar habe der Zuwachs des Einlegerguthabens in den letzten fünf Jahren 2^ Millionen Mark betragen. Unter solchen Umständen brauche man sich auch nicht zu wundern, wenn die Crimmitschauer Arbeiterbevölkerung einen durch aus behäbigen Eindruck mache. Not habe sie auf keinen Fall in den verhängnisvollen Streik getrieben, sondern lediglich sozialdemokratische Verhetzung. — Die Zahl der Arbeitswilligen ist in den letzten Tagen so gestiegen, daß die Lage für die Ausständigen und die Führerschaft kritisch erscheint. Während kurz vor Verhängung des Ausnahmezustandes über das Streikgebiet die Zahl der Beschäftigten 1100 betrug, ist die Zahl der Arbeitswilligen jetzt auf 1800 ge stiegen. Unter diesen befinden sich auch viele Crimmitschauer selbst, während der Zuzug fremder Arbeiter anhält. Das hiesige Ge schäftsleben ist und bleibt aber lahmgelegt. Liebschwitz bei Zwickau. Der Unter primaner Wolf vom hiesigen Realgymnasium wurde am Sonnabend abend in der Nähe des Ortes auf dem Eisenbahngleis der sächsischen Bahn, von einem Zuge überfahren, tot auf gefunden. Der bedauernswerte junge Mensch stammt aus dem Restaurant „Wolfsschlucht" in Triptis und ist das einzige Kind seiner Eltern. Wie sich das Unglück ereignete, hat sich noch nicht ermitteln lassen. Es sollen eine Anzahl Schüler einen Ausflug gemacht haben; dabei scheint Wolf in der Dunkelheit vom Wege abgekommen zu sein, nachdem er seine Gefährten verloren hatte. Schneeberg. In große Bestürzung gerieten am Freitag kurz vor dem Begräbnis ves Schloffermeisters Leistner dessen Hinterlassene, als nach dem Schließen des Sarges die Trauer dekoration plötzlich in Flammen stand und verbrannte. Es gelang, des Feuers mächtig zu werden, ehe die schon aufgefahrene Feuer spritze in Tätigkeit kam. Rebesgrüni. V. Eine heftige Dampf kessel-Explosion ereignete sich hier auf dem Schwäbischen Grundstück. Leider wurden zwei Arbeiter von den ausströmenden Dämpfen schwer verbrüht. Die Schwerverletzten wurden in das Krankenhaus zu Auerbach gebracht. Pausa. Der Räuber, der den Gutsbesitzer Schreck aus Wallengrün überfiel, lebensgefähr lich verletzte und seiner Barschaft beraubte, ist gestern in Graslitz in Böhmen verhaftet worden. Es ist ein Schneidergeselle namens Kropp aus Oberndorf in Niederösterreich.