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Oertliches und Sächsisches. Vttendorf-Vkrilla, Februar 1903. — Zur Angelegenheit der früheren Kron prinzessin von Sachsen schreibt der „Dres dener Anzeiger": Die Prinzessin Luise traf, von Genf kommend, am Sonntag vormittags 10 Uhr in einem Koup6 erster Klasse in Nyon ein, begleitet von dem Advokaten Lachenal, einem Arzte und ihrem Bruder. Auf dem Bahnhofe erwartete sie Dr. Martin, Direktor des Sanatoriums La Metairie, und Dr. August Forel, der bekannte Psychiater und frühere Leiter der Irrenanstalt Burg-Hölzli bei Zürich. Die Kronprinzessin bestieg mit ihrer Begleitung einen zweispännigen Wagen der sie nach La Metairie brachte. Ihr Bruder setzte nach mittags 1 Uhr die Reise nach Montreux fort. Nachmittags traf die Kammerzofe mit dem Gepäck ein. — Rechtsanwalt Dr. Zehme ist gestern Abend aus Genf nach Leipzig wieder zurückgekehrt- Mit dem Entschluß der Kron prinzessin, in einem Sanatorium Aufnahme zu suchrn, glauben einige Blätter eine neue sensa tionelle Wendung in der Angelegenheit in Zu sammenhang bringen zu sollen. Nach den aus bester Quelle zugehenden Meldungen war man hier an allen Stellen, die für den Fall als maßgebend gelten können, durch den Entschluß der früheren Kronprinzessin, in ein Sanatorium zu gehen, vollständig überascht. Wohl aber kann man annehmen, daß der schweizerische Rechtsbeistand Lachenal auf den Entschluß seiner Klientin eingewirkt hat und daß die deutschen Rechtsbeistände nunmehr unter Hinweis aus den neuesten Schritt der früheren Kronprinzessin in dem für den 11. d. M. bevorstehenden Termin den Antrag auf Untersuchung ihres geistigen Befindens stellen werden. Man muß dabei jedoch im Auge behalten, daß eine geistige Depression das Vergehen der Angeklagten nur dann in einem milderen Lichte erscheinen lassen könnte, wenn eine solche schon für die Zeit des eigentlichen inkriminierten Falles festzustellen wäre. Davon aber ist hier nicht das Mindeste bekannt; auch in der langen Zeit, während deren die frühere Kronprinzessin in Genf und . Mentone weilte, sind Anzeichen einer geistigen Depression nicht bemerkt morden, wohl aber solche eines sittlichen Irrens, das freilich neuer dings von gewissen Seiten unter Wegleugnung jeder moralischen Verantwortlichkeit schlechthin als geistige Krankheitserscheinung angesprochen wird. Genf. Nach zuverlässigen Informationen wäre eine Verschiebung des am 11. Februar erwarteten Urteils im Eheprozeß der Prinzessin Luise möglich. Ferner wird versichert, Leopold Wölfiing stehe in keinerlei Beziehung zu den Entschließungen der Prinzessin Luise und Giroirs; es sei ihm gestattet, seine Schwester in La Me tairie zu besuchen. Von La Metaire trafen gestern Vormittag günstige Berichte ein. Die Prinzessin ist mit den Einrichtungen zufrieden; sie bewohnt eine zur Anstalt gehörende Villa. Die Kammerzofe, die die Prinzessin nach Mentone begleitete, wurde entlassen. — In der am Sonnabend in Gegenwart des königlichen Staalskommissars abgehaltenen Sitzung des Aufsichlsrates der Sächsischen Bodenkreditanstalt in Dresden wurde beschlossen, der am 4- März d. I. statifindenden Generalversammlung die Ver- terlung einer Dividende von 7 Prozent, wie im Vorjahre, vorzuschlagen. Der Reingewinn für das Jahr 1902 beziffert sich auf 769999 Mark 87 Pfennige (im Vorjahre 766409 Mark 3 Pfennige. Kamenz. Der Leutnant Münzenberg vom hiesigen Infanterie-Regiment hat dasselbe vor einigen Tagen unter Hinterlassung be deutender Schulden bei dortigen Gewerbe treibenden verlassen. In seiner Begleitung befand sich eine Kellnerin, mit welcher er in der Nacht vom 2. zum 3. dieses Monats im Hotel Kontinental in Dresden als „Leutnant O. Münzenberg und Frau, Kamenz" über nachtet hat, wie sie in der Fremdenliste des „Dresdener Anzeigers" zu lesen ist. Sicherem Vernehmen nach soll sich derselbe in Begleit ung der zweifelhaften „Frau" ins Ausland begeben haben. Kötzschenbroda. Auf hiesiger Flur ist am Freitag die Leiche einer ungefähr 50 bis 55 Jahre alten unbekannten Frauensperson aus der Elbe gezogen worden. Die Ertrunkene ist 1,55 Meter lang, kräftig gebaut, hat grau meliertes Haar, braune Augen, schlechte Zähne und war bekleidet mit braunem, schwarz gestreiftem Tuchrocke, bläulicher Bluse, brauner Jacke, rot und schwarzen Strumpfbändern, lowie mit Stiefeletten. Der Leichnam hat höchstens 8 Tage im Wasser gelegen. Coswig. 69 Bewerbungsgemche für die 10. ständige Lehrerstelle sind beim hiesigen Gemeinderat einzegangen. K ö t i tz. Der Handelsmann H. wurde am Sonntag Abend zum zweiten Male ver haftet. Es soll sich um ein Sittlichkeits- Verbrechen, an seiner Pflegetochter begangen, handeln. Lichtensee. Infolge von Blutvergift ung starb am Sonnabend hier der 12jährige und einzige Sohn des Gutsbesitzers Karl Georgi. Durch das Reiben der Stiefeln hatte er sich an der Ferse eine Verletzung zugezogen und auf der Wunde neue rote Strümpfe ge tragen. Trotz schneller ärztlicher Hilse cst der Kranke der Vergiftung erlegen. Lommatzsch. Unregelmäßigkeuen, die seit längerer Zeit auf der hiesigen Güter expedition vorgekommen, in neuerer Zeit aber erst entdeckt worden sind, haben dazu geführt, baß der Bahnassistent Lincke, der der Güter expedition Vorstand, teilweise seines Amtes suspendiert und die Untersuchung gegen ihn eingeleitet worden ist. Die vorgekommenen Unregelmäßigkeiten bestehen darin, daß Lincke m zahlreichen Fällen höhere Frachtsätze berech nete, als sie zulässig waren- Elsterwerda. Der am Donnerstag abgehaltene Schweinemarkt war gut besucht und es herrschte auch sonst starke. Verkehr. Läufer wurden 40 Stück, Ferkel 400 Stück gezählt, Erstere erzielten Preise von 25 bis 55 Mark pro Stück, letztere 26 bis 42 Mark das Paar. Nach Läufern war die Nachfrage nicht sehr lebhaft, die Ferkel wurden fast sämtlich abgesetzt. Zittau. In der am Freitag abgehaltenen Generalversammlung des hiesigen Gewerbe vereins, von dem bekanntlich die vorjährige Oberlausitzer Gewerbe- und Industrie-Aus stellung veranstaltet worden ist, wurde eine vorläufige Uebersicht über den Staub der Ausstellungs-Rechnung gegeben. Danach wird dem Gewerbeverein, wenn der sich aus 20437 Mark 22 Pfennige belaufende Fehlbetrag der elektrischen Ausstellungs-Straßenbahn gedeckt wird, der Betrag von 8500 Mark zur freien Verfügung übrig bleiben. Oppelsdorf. Der zu Gefängnis strafe verurteilte Kellnerlehrling Peschel, der das Märchen verbreitete, er habe duS „große Loos" gewonnen, um auf diese Weise seine Unredlichkeiten zu verdecken, hatte der hiesigen Kirche 60 Mark geschenkt. Nachdem nun das richterliche Urteil gegen Peschel gefällt ivorden ist, hat die hiesige kirchliche Sondervertretung beschlossen, die 60 Mark zurückzuzahlen. Leipzig. Zu dem neuerdings im Stadt teile Lindenau vorgekommenen Pocken-Erkrank ungen erfährt das „Leipziger Tageblatt", daß die Krankheit, die bekanntlich von einem Hand lungsreisenden aus Rußland hier eingeschleppt wurde, nur leicht auftritt und daß zu irgend welchen Befürchtungen keine Veranlassung vor liegt. Bis jetzt sind insgesamt 12 Personen erkrankt, beziehentlich als der Krankheit ver dächtig befunden worden. Hecvorzuheben ist, daß die Krankheit bei geimpften Personen in sehr leichter Form austritt. Die „Vttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich z Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme »an Inseraten bis vormittag m Uhr. Inserate werden mit w Pf. für die Spaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Dkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Nr. 18. Mittwoch, den 11. Februar 1903. 2. Jahrgang. Leipzig. Am Freitag Mittag schoß sich eine 40 Jahre alte, aus Hannover ge bürtige Sängerin in selbstmörderischer Absicht in die linke Brust. Sie erreichte jedoch ihren Zweck nicht ganz, sondern wurde noch lebend in das städtische Krankenhaus gebracht. Pe kuniäre Verhältnisse sollen die unter dem Künstlernamen Bella Monti auftretende Sän gerin zu dem unseligen Schritte getrieben haben. Oschatz. Im nahen Rochzahn trug sich am Sonnabend Mittag ein Unfall zu, der gestern einen tätlichen Ausgang nahm. Der beim Gutsbesitzer Gruhl in Diensten stehende, etwa 161/2 Jahre alte Pferdejunge Naumann aus Riesa, ein Waisenkind, erhielt beim Pferde- füttern von einem der Tiere einen Huftritt gegen den Unterleib. Der junge Mensch brach zusammen und verstarb anderen Tages nach großen Schmerzen. Olbernhau. In der Hüblerschen Papierfabrik zu Görsdorf geriet ein 17 Jahre alter Schlossergehilfe in die Transmission, wo durch ihm mehrere Gliedmaßen vom Leibe ge rissen wurden. Der Unglückliche war sofort eine Leiche. Hohenstein-Ernstthal. In dem benachbarten Falken äscherte am Freitag eine große Feuersbrunst das aus 4 Gebäuden be stehende Petzoldsche Gut ein. Die Entstehungs ursache des Feuers ist noch nickt bekannt; mail nimmt Brandstiftung an. Augustusburg (E.). In der Nacht vom Donnerstag zum Freitag ist der Haus besitzer E. H. Seltmann von hier mit seinem Geschirr tötlich verunglückt. Auf der gegen 11 Uhr nachts von Oederan erfolgten Nach- hausesahrt muß das Pferd durchgegangen sein. In Hennersdorf wurde es aufgehalten. Man fand Seltmann, der 43 Jahre alt ist und eine zahlreiche Familie hinterläßt, in der vierten Stunde tot auf der Straße liegen. Crimmitschau. In der am Don nerstag abgehaltenen Sitzung genehmigte das Stadtverordneten-Kollegium eine Ratsvorlage, wonach einem hiesigen Industriellen, der hier eine größere chemische Tsnofenfabrikation ein- >ühren will, für diesen Betriebszweig auf 5 Jahre Befreiung von Bezahlung vou Stadt anlagen gewährt wird. Das Rohmaterial soll dem städtischen Hartwalde entnommen werden. Zwickau. Die Kandidatur des Grafen Hoensbroech im hiesigen Reichstagswahlkreise ist noch ganz ungewiß. Allerdings sind die Ordnungspurteien auf die Aufstellung eines gemeinsamen Bewerbers bedacht, um den Kreis den Sozialdemokraten zu entreißen, aber es ist erst ein Ausschuß gewählt worden, der die Vor bereitungen treffen und binnen 14 Tagen einer Vertrauensmännerversammlung Bericht erstatten soll. So kann also dem Grafen Hoensbroech die Kanditatur noch gar nicht offiziell angeboten werden. Zwickau. Beim Wilhelmschacht I in Reinsdorf mußte die Werksbahn wegen Boden senkungen um fast 3 Meter höher gelegt werden. Zwei Schächte in Oberhohndorf sind wegen beendetem Kohlenabbau zugefüllt und die Schachtgebäude abgebrochen worden. Zwickau. In den Parochien Bockwa- Schedewitz ist Hilfsgeistlicher Göhring als vierter Seelsorger angestellt worden. Die Stelle eines Hilfsgeistlichen wurde neuerrichtet. Gerichtstransporteur Wenzel hier ist mit einer Geldstrafe belegt worden, weil infolge seiner Unachtsamkeit auf der Eisenbahnfahrt Hohen stein-Ernstthal nach Glauchau der verhaftete Einbrecher Briedt entsprungen war. Aus der Woche. Im preußischen Abgeordnetenhause war in der verflossenen Woche großes „Reinemachen". Alle die interessanteren Fälle der neueren Zeit: Trakehnen, Löhning, Willich, Tampke, Hoff mann und andere mehr hatten die parlämen- tarische Walkmühle durchzumachen und man wird gestehen müssen, daß die Regierung dabei im allgemeinen weit bester abgeschnitten hat, als ihre Anhänger zu hoffen sich getraut hatten. Die Minister v. Rheinbaben und v. Hammer stein haben dieses gute Ergebnis dadurch erzielt, daß sie nichts ableugneten oder bemäntelten, was tadelnswert war, sondern einzelne Mißgriffe ihrer untergeordneten Organe freimütig zugestanden und Abhilfe versprachen, soweit solche noch nicht eingetreten war. Daß sie dabei nicht immer den Beschwerdeführern vollkommen gerecht werden konnten, liegt nicht an der grundsätzlich, sondern meistens partei politisch verschiedenen Austastung, die von den Einzelfällen besteht. Wenn aber nach der Er klärung des Ministers von Rheinbaben über den Fall Löhning die Hoffnung bestand, daß dieser endlich aus der öffentlichen Diskussion ausscheide, so hat diese Erwartung nicht Stich gehalten. Herr Geheimrat Löhning sorgt per sönlich dafür, daß dies nicht geschieht und hat nochmals seine Zuflucht zur Oeffentlichkeit ge nommen — ein Fall, der bei dem preußischen Beamtentum sehr selten vorkommt. Herr Löhning hat abermals eine Reihe linksstehender Berliner Blätter eine Erklärnng übersandt, in der er den Darlegungen des Ministers gegen über behauptet, er sei das Opfer der „Standes- vorurteile, des Kastengeistes und verächtlicher Angebereien" geworden. Herr Löhning führt nebenher noch einige persönliche Beziehungen an, in die er durch seine zweite Verheiratung (mit der fast schon historisch gewordenen „Feldwebeltochter") getreten ist. Aber was er da vorbringt, sind „olle Kamellen", die doch in Wirklichkeit niemand interessieren. Solchen kleinen Fatalitäten, wie er sie angiebt, kommen „in den feinsten Familien" vor. Un willkürlich leitet der Gedankengang nach Genf hin, von wo aus wieder einmal einige Enten in die Welt gesetzt werden, so bei spielsweise, daß die Prinzessin von Toskana nach Salzburg zu reisen beabsichtigte, daß ihr aber der Ueoertritt über die sächsische und die österreichische Grenze untersagt worden sei. Der tiefbedauerliche Fall sollte nicht noch gewaltsam „interessant" gemacht werden. Giron und kein Ende! Das Lesepublikum hat ein Anrecht, von allem unterrichtet zu werden, was den Tag bewegt und die öffentliche Meinung anregt; ob das aber die subtilen Kleinigkeiten sind, mit denen uns viele Berichterstatter zu füttern für gut finden, das steht doch sehr in Frage. Glaubt die Prinzessin mit einem windigen Abenteurer jenes Glück zu finden, das man fllten auf der Höhe eines Thrones, ab und zu aber noch in kleinbürgerlichen Verhältnisten an trifft, so ist das ihre Sache und man sollte sie in Ruhe lasten. Das Urteil, daß man sich über sie bildet, kann davon unabhängig bleiben. — Gern hätten wir die Akten in der Marokko frage als geschlossen bezeichnet, denn am Mitt woch kam mit allen Einzelheiten die Meldung von der Gefangennahme Bu Hamaras und der damit wohl zweifellos verknüpften Been digung der Rebellion. Da man aber nach einer späteren Meldung in Tanger für sicher hält, daß der Prätendent im letzten Augen blicke noch entkommen ist, so würde es nicht allzusehr verwundern, wenn eine berichtigende Nachricht einliefe, wonach in dem entscheidenden Kampfe nicht der Sultan, soudern Bu Hamara Sieger geblieben ist. Also abwarten! Auch in der Venezuela-Streitsache ist nennenswert Neues nicht zu verzeichnen, wenngleich sich die Hoffnung auf einen baldigen friedlichen Aus gleich gesteigert haben soll. Auch hier wird man das Nähere abwarten müssen! Schließ lich arbeitet die Diplomatie ja nicht für die ungeduldigen Zeitungsleser, sondern für die friedlichen Interessen der Völker. Wenigstens sollte es immer so sein!